Nr. 34/2022
Schutz der Privatsphäre / Identifizierung / Gerichtsberichterstattung

(X. c. «Zürichsee-Zeitung»)

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I. Sachverhalt

A. Am 14. September 2021 erschien in der «Zürichsee-Zeitung» (ZSZ) ein Text, gezeichnet von Daniel Stehula, unter dem Titel «Ex-Angestellter der katholischen Kirche wegen Kinderpornos verurteilt». Untertitel: «Bezirksgericht Meilen. Er besorgte sich Bilder und Filme von Sex mit Kindern und Tieren im Darknet. Als er aufflog, kündigte er seine Stelle bei einer Kirchgemeinde am Zürichsee.» Der Text berichtet von einem «Mittdreissiger» in einer «Seegemeinde», welcher eine Million Bilder, 13’000 Videos pornografischen Inhalts heruntergeladen habe. Vor Strafgericht habe der Mann insbesondere gestanden, weil er 236 Bilder und sechs Filme kinderpornografischen Inhalts, 39 Filme von Sex mit Tieren besessen und weil er selber drei derartige Bilder hochgeladen und öffentlich zugänglich gemacht habe. Der Mann sei vor Gericht geständig gewesen und habe Reue gezeigt, er habe sich nach dem Beginn der Untersuchung gegen ihn in Therapie begeben und seine Stelle bei einer «Kirchgemeinde in der Zürichseeregion» gekündigt. Das Gericht habe ihn schliesslich zu einer bedingen Geldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt, weiter zu einer Busse von 2000 Franken und schliesslich zu einem lebenslänglichen Tätigkeitsverbot im Umgang mit Minderjährigen.

B. Am 2. November 2021 reichte X. (Beschwerdeführer, BF) über seinen Anwalt Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Er, der im Artikel beschriebene Beschuldigte, macht geltend, der Artikel der «Zürichsee-Zeitung» verletze die Ziffer 7 (Schutz der Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»), insbesondere die Richtlinie 7.2 (Identifizierung) und die Richtlinie 7.4 (Gerichtsberichterstattung).

Er begründet die geltend gemachten Verstösse damit, dass er im ZSZ-Artikel nicht ausreichend anonymisiert worden sei. Es werde erwähnt, dass er für die katholische Kirche in einer Seegemeinde gearbeitet habe, dass er dort gekündigt habe und dass er in psychiatrischer Behandlung sei. Mit der kumulativen Erwähnung dieser Elemente sei eine Identifizierung ohne Weiteres möglich. Es gebe im fraglichen Gebiet nur wenige Kirchgemeinden und die wiederum nur mit sehr wenigen Angestellten.

Am 1. April 2022 reichte der Anwalt des Beschwerdeführers einen zweiten Artikel nach, welcher das Ergebnis des nächsten, des Berufungsverfahrens gegen das erwähnte Urteil schildert. Titel: «Er hatte Hunderte Kinderpornos auf dem Rechner». Untertitel: «Obergericht Zürich. Der Ex-Angestellte einer katholischen Kirchgemeinde in der Region wehrte sich gegen ein lebenslanges Tätigkeitsverbot. Das Gericht sieht keinen Spielraum.» Im Text wird berichtet, das Obergericht habe festgestellt, dass gemäss Strafgesetz eine andere Strafe als ein lebenslanges Verbot von Tätigkeiten im Zusammenhang mit Kindern gar nicht zulässig wäre. Das sei nur dann möglich, wenn ein besonders leichter Fall vorliege, hier gehe es aber um eine «erhebliche Tatschwere». Der Verurteilte, der BF, wird auch in diesem Artikel bezeichnet als «Mitte Dreissig», Ex-Angestellter einer katholischen Kirchgemeinde in der Region. Der BF moniert, dass diese identifizierenden Elemente erneut gebraucht worden seien, obwohl er sich schon beim ersten Mal bei der Redaktion zur Wehr gesetzt habe. Zudem habe ihm ein Verein aufgrund dieses zweiten Artikels angekündigt, er werde ausgeschlossen, was belege, dass er durch den Artikel identifizierbar geworden sei, womit die Richtlinien 7.2 (Identifizierung) und 7.4 (Gerichtsberichterstattung; Unschuldsvermutung und Resozialisierung) verletzt seien.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 24. Mai 2022 beantragte die Rechtsabteilung der TX Group im Namen der «Zürichsee-Zeitung», die Beschwerde sei abzuweisen. Die Zeitung begründet dies damit, dass der BF in der Berichterstattung nicht identifizierbar gemacht worden sei. Die ihn beschreibenden Elemente seien sorgfältig abgewogen worden, man habe nur wenige verwendet und zwar nur solche, die für die Berichte von Bedeutung gewesen seien. Es sei angesichts der vielen Diskussionen um Missbräuche im Umfeld der katholischen Kirche von Bedeutung gewesen, dass der BF dort angestellt gewesen sei. Das Element «katholische Kirchgemeinde» mache ihn aber nicht identifizierbar, es gebe 20 solche Gemeinden im Raum Zürichsee. Dass er sich «in psychiatrische Betreuung begeben» habe, sei für das Verständnis der geschilderten Strafzumessung relevant. Dass ein Kamerad im Verein den BF aufgrund der Berichterstattung erkannt habe, ändere nichts an der ausreichenden Anonymisierung. Die Identifizierung müsse in einem grösseren Personenkreis als nur bei engen Bekannten möglich werden, also, laut Richtlinie 7.2 über «die Familie und das soziale oder berufliche Umfeld des Betroffenen» hinaus. Das sei hier nicht der Fall.

D. Am 24. Juni 2022 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Präsidium behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Max Trossmann, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin.

E. Das Präsidium des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 8. August 2022 verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Die Ziffer 7 der «Erklärung» schützt die Privatsphäre der Menschen. Die Richtlinie 7.2 zur «Erklärung» verlangt im Einzelnen, dass nicht identifizierend über Elemente der Privatsphäre berichtet werden darf, ausser wenn der oder die Betroffene damit einverstanden ist, oder wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse daran besteht. Wenn dies nicht der Fall ist, besagt die RL 7.2: «Überwiegt das Interesse am Schutz der Privatsphäre das Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Berichterstattung, veröffentlichen Journalistinnen und Journalisten weder Namen noch andere Angaben, welche die Identifikation einer Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld des Betroffenen gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden.»

Die Richtlinie 7.4 ergänzt für den Fall der Gerichtsberichterstattung: «Bei der Gerichtsberichterstattung wägen Journalistinnen und Journalisten Namensnennung und identifizierende Berichterstattung besonders sorgfältig ab. Sie tragen der Unschuldsvermutung Rechnung. Nach einer Verurteilung nehmen sie Rücksicht auf die Familie und die Angehörigen der/des Verurteilten, wie auch auf die Chancen zur Resozialisierung.»

2. Die beiden Artikel der ZSZ nennen folgende Charakteristika des Verurteilten (des BF): Mann, Mittdreissiger, alleinlebend, in Zürcher Seegemeinde, angestellt bei katholischer Kirchgemeinde in der Seeregion, Stelle kurz nach Hausdurchsuchung gekündigt. Weiter wird aufgrund des Gerichtsstandes klar, dass der Verurteilte im Gerichtskreis Meilen wohnhaft sein muss. Man kann sich fragen, ob all diese Hinweise erforderlich waren.

3. Die Frage kann offenbleiben, denn die Anforderung der Richtlinie 7.2 (Identifizierung) ist ohnehin nicht erfüllt. Die Richtlinie bestimmt, dass die fragliche Person identifizierbar werden muss gegenüber Personen, «die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld des Betroffenen gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden». Für diesen weiten Kreis war der Beschwerdeführer nicht identifizierbar. Es kommen mehrere mögliche Wohn- und Kirchgemeinden infrage. Dass jemand aus dem Verein ihn wiedererkannt hat, fällt unter das «soziale und berufliche Umfeld», über welches hinaus der Betroffene hätte identifizierbar werden müssen. Entsprechend sind die Richtlinien 7.2 (Identifizierung) und 7.4 (Gerichtsberichterstattung; Unschuldsvermutung und Resozialisierung) nicht verletzt, auch wenn der Beschrieb in einigen Punkten relativ weit ging.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. Die «Zürichsee-Zeitung» hat mit den Artikeln «Ex-Angestellter der katholischen Kirche wegen Kinderpornos verurteilt» vom 14. September 2021 sowie «Er hatte Hunderte Kinderpornos auf dem Rechner» vom 18. März 2022 die Ziffer 7 (Schutz der Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.