Nr. 34/2019
Unterschlagen wichtiger Informationen / Trennung von Fakten und Kommentar / Interview

(X. c. «Wiler Zeitung»)

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I. Sachverhalt

A. Die «Wiler Zeitung» veröffentlichte am 8. Dezember 2017 einen Artikel mit der Überschrift «Wenn die Strassenlampe stört», gezeichnet von Urs-Peter Inderbitzin. Darin wurde über ein Bundesgerichtsurteil in einem seit Jahren andauernden Konflikt um eine Strassenlaterne berichtet, welche im Jahr 2012 im Rahmen einer Neuüberbauung versetzt wurde und direkt vor die Wohnung von Frau X. zu stehen kam. Diese sah sich vor allem nachts durch den Lichtschein, aber auch tagsüber durch die grosse «Pilzleuchte» vor ihrer Aussicht sehr gestört und sie hat sich deswegen durch mehrere Instanzen – bis dato erfolglos – darum bemüht, die Leuchte versetzen zu lassen. Der Artikel der «Wiler Zeitung» fasst diesen Sachverhalt zusammen, insbesondere, dass das St. Galler Verwaltungsgericht X. teilweise Recht gegeben und die Gemeinde angewiesen hatte, nach technischen Möglichkeiten zu suchen, die Lichtimmission zur Wohnung der Klägerin zu unterbinden. Im Weiteren wird erläutert, dass X. mit diesem Entscheid nicht einverstanden war, dass sie darauf insistierte, dass der Kandelaber versetzt, nicht modifiziert werde und dass sie deswegen ans Bundesgericht gelangt sei. Schliesslich wird berichtet, dass das Bundesgericht auf den Fall gar nicht erst eingetreten sei, weil der Entscheid des Verwaltungsgerichts ein Zwischenentscheid sei, auf dessen Auswirkung erst gewartet werden müsse. Die Klägerin könne erst an das oberste Gericht gelangen, wenn die von der Gemeinde zu ergreifenden Massnahmen das Problem nicht lösten.

Am 13. Dezember 2017 veröffentlichte die «Wiler Zeitung» unter dem Titel «Nächste Runde im Leuchtenstreit» einen weiteren Artikel zu diesem Thema, gezeichnet von Andrea Häusler, welcher der Frage nachging, wie es in diesem Fall jetzt weitergehe. Dort wird in der ersten Hälfte erneut die Vorgeschichte geschildert. Danach, unter dem Zwischentitel «Der Leuchtenstandort ändert nicht» wird die Haltung der Gemeinde nach dem Bundesgerichtsentscheid erfragt. Der Gemeindepräsident erklärt, man habe bewusst den Entscheid des Bundesgerichts abgewartet, jetzt werde eine Lösung gesucht, um die Lichtemission einzudämmen. Das werde nicht einfach sein, den Standort des Kandelabers werde man aber nicht ändern. Weiter wird ausgeführt, es sei ungewiss, ob der jahrelange Konflikt mit der Umsetzung einer solchen Massnahme beendet werden könne. Die betroffene Rentnerin sei skeptisch. Ihr gehe es um die Lichtemission, aber auch um die Ästhetik bei Tag, um den 80 cm grossen Lampenkopf vor der Aussicht. Schliesslich, unter dem Zwischentitel «Eine blosse Abschirmung bringt nichts»: Zum hängigen Verfahren wolle die Rentnerin sich nicht äussern, betone aber, dass sie sich mit einer «halbwolligen Lösung» nicht abspeisen lassen werde. Sie habe im Kampf um mehr Lebensqualität Geld und Nerven investiert, aufzugeben sei für sie keine Option. Sollten die Massnahmen nicht greifen, werde sie erneut das Bundesgericht anrufen.

B. Nach einer ersten formell ungenügenden und inhaltlich unklaren Eingabe am 28. Februar 2018 richtete Frau X. am 11. März 2018 eine gültige Beschwerde an den Schweizer Presserat betreffend die erwähnten beiden Artikel und machte eine Verletzung von Ziffern 2, 3 und 4 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») geltend. Nimmt man die beiden Eingaben vom 28. Februar und vom 11. März zusammen (s. u. II. 1.: Erwägungen, Eintreten), benennt X. folgende Mängel, allerdings immer nur bezogen auf den zweiten der beiden inkriminierten Artikel:
– Der Artikel vom 13. Dezember 2017 habe Ziffer 3 der «Erklärung» (Unterschlagung wichtiger Informationen) verletzt, weil dort nicht erwähnt worden sei, dass es um einen «80 cm grossen, blendenden Glaskopf auf Augenhöhe mit starken Lichtemissionen» gehe.
– Damit sei gleichzeitig auch Ziffer 2 verletzt, respektive die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar), weil mit dieser verharmlosenden Darstellung Einfluss auf das laufende Verfahren genommen werde und der Leserschaft so nicht habe klar werden können, worüber sich die Beschwerdeführerin denn so aufrege.
– Weiter sei Richtlinie 3.2 (Kennzeichnung von Medienmitteilungen) verletzt, weil unterschlagen worden sei, dass sowohl die angebliche Äusserung des Gemeindepräsidenten wie auch die Zusammenfassung des Sachverhalts in diesem zweiten Artikel auf einem Communiqué des Gemeindepräsidenten basiert habe.
– Richtlinie 4.5 sei weiter verletzt, weil ihre Aussagen gegenüber der Autorin missbräuchlich verwendet worden seien, ihre zentrale Aussage zum «blendenden Glaskopf auf Augenhöhe» sei unterschlagen worden. Auch seien ihr Aussagen des Gemeindepräsidenten in den Mund gelegt worden. Sie habe ausdrücklich auf eine Vorlage des Textes verzichtet, weil der gar nicht in der Zeitung stehen sollte.
– Der Artikel sei ohne ihre Zustimmung geschrieben worden, sie habe klargemacht, dass sie «nichts mehr über diese Sache in der Zeitung sehen wolle».

C. Der Chefredaktor des Hauptblattes «St. Galler Tagblatt», Stefan Schmid, und Redaktionsleiter Hans Suter von der «Wiler Zeitung», eines Kopfblatts des Tagblatts, haben mit Schreiben vom 4. Mai 2018 zur Beschwerde Stellung genommen. Sie beantragen Nichteintreten, weil die Beschwerde bezogen auf den Artikel vom 8. Dezember 2017 zu spät erfolgt sei und insgesamt, weil sie offensichtlich unbegründet sei. Falls der Presserat dennoch darauf eintrete, sei die Beschwerde abzuweisen.

Der erste Artikel vom 8. Dezember 2017 entspreche einer normalen Gerichtsberichterstattung, er sei korrekt abgefasst und entspreche der «Erklärung» und den dazugehörigen Richtlinien.

Der zweite Artikel vom 13. Dezember 2017 sei verfasst worden mit der Absicht, eine «lokale Vertiefung», eine journalistische Nachbearbeitung zum Entscheid des Bundesgerichts vorzunehmen. Es seien beide Seiten angehört worden, der Gemeindepräsident und die Beschwerdeführerin. Auch dieser Text sei völlig korrekt. X. habe aufgrund des laufenden Verfahrens zu einzelnen Fragen nicht Stellung nehmen wollen, das sei auch genau so deklariert worden. Der Vorwurf, dem Text liege ein nicht deklariertes Communiqué der Gemeinde zugrunde (Verstoss gegen Richtlinie 3.2) sei schlicht falsch und von der Beschwerdeführerin entsprechend auch nicht belegt. Es seien nirgends Aussagen des Gemeindepräsidenten der Beschwerdeführerin in den Mund gelegt oder Stimmung gegen sie gemacht worden, es sei im ganzen Artikel klar, wer was gesagt habe, Richtlinie 4.5 (Anforderungen an das Interview) könne gar nicht verletzt sein, es habe gar kein Interview gegeben, nur eine telefonische «Nachfrage», was die Beschwerdeführerin ja auch bestätige. Was die Unterschlagung wichtiger Informationen betreffe (Ziffer 3 der «Erklärung»), so habe die Autorin alle von der Beschwerdeführerin als fehlend monierten Elemente abgebildet. Es sei von einem «80 Zentimeter hohen Glaskopf» die Rede und von der von ihm ausgehenden Lichtemission. Dass man nicht von einem «blendenden» Glaskopf geschrieben habe, sei irrelevant, die Leserschaft verstehe, dass es um störendes Licht gehe. Entsprechend seien auch Fakten und Kommentar nicht vermischt worden, um ein laufendes Verfahren zu beeinflussen (Richtlinie 2.3), wie moniert werde.

D. Am 5. April 2018 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 29. Juli 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerde ist rechtsgültig am 11. März 2018 eingereicht worden. Entsprechend ist auf den ersten der beiden Artikel mit Datum 8. Dezember 2017 grundsätzlich nicht einzutreten, weil die dreimonatige Beschwerdefrist nicht eingehalten wurde. Das spielt aber praktisch insofern keine Rolle, als sich die ganze Beschwerde in ihrer Begründung ausschliesslich gegen den zweiten Artikel richtet. Die Beschwerde gegen diesen ist formell gültig.

Da die offensichtlich mit dem Medienrecht nicht vertraute Beschwerdeführerin aber mit ihrer gültigen zweiten Eingabe teilweise auf der nicht ausreichenden ersten aufbaut, der Inhalt der zweiten ohne die erste teilweise gar nicht verständlich wird, berücksichtigt der Presserat die dortige Argumentation im Sinne eines Entgegenkommens so weit als nötig mit.

2. Die Beschwerdeführerin moniert hauptsächlich einen Verstoss gegen Ziffer 3 der «Erklärung», weil ihre Darstellungsweise des Streitobjekts «Strassenlampe» nicht richtig wiedergegeben werde und damit bei der Leserschaft ein falscher Eindruck entstehe.

Es werde nicht erwähnt, dass es um einen «80 Zentimeter hohen, blendenden Glaskopf auf Augenhöhe mit starken Lichtemissionen» gehe. Dem ist nicht zuzustimmen: Der Sachverhalt wird nach Einschätzung des Presserats sorgfältig geschildert unter sehr weit gehendem Einbezug der Anliegen der Beschwerdeführerin. Es ist von den 80 Zentimetern Grösse des Leuchtkörpers die Rede und von den für Frau X. störenden «Streulichtemissionen, die ihre Lebensqualität unverhältnismässig beeinträchtigten und verhindern, dass die Stimmung der Nacht auf die Terrasse wirkt», weiter davon, dass der Wert der Wohnung dadurch gemindert werde und davon, dass der grosse Lampenkopf auch die Aussicht vermindere. Weiter wird gesagt, dass das Anbringen einer Blende aus ihrer Sicht keine Besserung bringen würde und dass sie infolge all dessen im Kampf um Lebensqualität Geld und Nerven investiert habe. Dass daneben auch die Position der Gemeinde erwähnt wird, ist journalistische Pflicht. Der Position der Beschwerdeführerin ist ausführlich Genüge getan, Ziffer 3 ist klar nicht verletzt. Dass hier Stimmung gegen ihre Position gemacht werde, ist anhand des Textes absolut nicht nachvollziehbar.

3. Dass Ziffer 2 der «Erklärung» bzw. Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) verletzt sei, also mit der irreführenden Sachverhaltsdarstellung sozusagen ein nicht kenntlich gemachter Kommentar in den Bericht eingestreut worden sei, ist entsprechend auch zu verneinen. Der Artikel bemüht sich sichtlich um eine sachgerechte Darstellung der Positionen beider Seiten.

4. Der Vorwurf eines Verstosses gegen Richtlinie 3.2 (Medienmitteilungen) dadurch, dass die Autorin die Sachverhaltsdarstellung und Aussagen des Gemeindepräsidenten aus einem Communiqué entnommen habe ohne dies zu deklarieren, wird von der Beschwerdegegnerin entschieden bestritten und ist in keiner Weise belegt.

5. Was die Verletzung von Richtlinie 4.5 (Anforderungen an das Interview) betrifft, so bestätigt die Beschwerdeführerin, mit der Autorin am Telefon über das Thema des Artikels gesprochen zu haben. Nur sei ihre Charakterisierung des «blendenden Glaskopfes» im Artikel nicht erwähnt, sondern verharmlost worden. Ihr seien im Übrigen Aussagen des Gemeindepräsidenten in den Mund gelegt worden. All dies wird von der Beschwerdegegnerin bestritten und ist aus dem Text auch in keiner Weise ersichtlich. Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, sie habe das Interview auch nicht autorisiert, sie habe gesagt, sie wolle den Text nicht gegenlesen, weil sie gar nicht wolle, dass weiter über diese Sache in der Zeitung geschrieben werde. Dagegen wendet die Beschwerdegegnerin ein, dass erstens nie ein eigentliches Interview geführt worden sei, entsprechend sei Richtlinie 4.5 nicht anwendbar, es habe nur ein Anruf «im Sinne einer Nachfrage» stattgefunden, es sei ja auch kein Interview publiziert worden. Und zweitens könne es nicht an der Befragten liegen, ob ein Thema journalistisch aufgearbeitet werde. Das sei alleine Sache der Redaktion. Diese müsse nur gegebenenfalls die Beteiligten zu Wort kommen lassen. Das sei auch geschehen. Dem ist beizupflichten.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie eingetreten werden kann.

2. Der Artikel «Nächste Runde im Leuchtenstreit» der «Wiler Zeitung» vom 13. Dezember 2017 hat nicht gegen die Ziffern 2 (Trennung von Fakten und Kommentar), 3 (Medienmitteilungen) und 4 (Interview) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.

3. Soweit sich die Beschwerde gegen den Artikel «Wenn die Strassenlampe stört» der «Wiler Zeitung» vom 8. Dezember 2017 richtet, so wird darauf nicht eingetreten, weil sie nach Ablauf der Beschwerdefrist eingereicht wurde.