Nr. 32/2018
Autorisierung / Opferschutz

(Beratungsstelle Opferhilfe Aargau Solothurn c. «Blick»)

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I. Sachverhalt

A. Am 25. März 2017 publizierte der «Blick» einen Artikel mit dem Titel «‹Wir werden ihr Lachen nie vergessen!›». Der Obertitel lautet: «Elisabeth K. (50) lag erschossen in der Brandruine von Gansingen AG − Jetzt sprechen ihre Töchter». Die 50-jährige Frau war zuvor in einem Aargauer Dorf brutal von ihrem Freund ermordet worden. Im Artikel wird die Sicht ihrer drei erwachsenen Töchter dargestellt. Ihre Mutter sei glücklich gewesen, habe als Büroangestellte gearbeitet und habe ganz sicher nicht sterben wollen. Über den Freund der Mutter hingegen wollten sie nicht sprechen. Mit diesem sei sie erst fünf Monate zusammen gewesen. Sie würden ihm keine Gedanken widmen, sondern die Erinnerung solle ganz der Mutter gelten. Der Artikel ist mit einem Bild illustriert, auf welchem die verstorbene Frau herzlich lacht. Dieses Bild hätten die Angehörigen dem «Blick» am Ende des Gesprächs zur Verfügung gestellt, heisst es im Artikel.

B. Am 15. Juni 2017 reichte die Beratungsstelle Opferhilfe Aargau Solothurn beim Schweizer Presserat Beschwerde ein gegen den Artikel vom 25. März 2017. Sie rügt die Art und Weise, in welcher Informationen beschafft wurden, als unlauter. Der betreffende Journalist des «Blick» sei unaufgefordert in den Privatbereich der Familie eingedrungen. Weniger als eine Woche nach dem Todesfall (und noch vor der Beerdigung) habe er mit einem Blumenstrauss in der Hand an der Haustür der Familie geklingelt. Er habe suggeriert, ein Bekannter der Familie zu sein und die drei Töchter ungefragt geduzt. Jedoch habe er nicht verheimlicht, Mitarbeiter des «Blick» zu sein. Die Familie habe ihn als bedrängend, manipulativ und absolut pietätlos erlebt und hätte mehrmals betont, dass sie keinen Kontakt wünsche und keine Auskunft geben wolle. Das Gespräch habe somit ganz klar ohne Einwilligung der Töchter stattgefunden. Der Artikel vermittle einen falschen Eindruck mit der Aussage «Jetzt sprechen ihre Töchter». Ausserdem sei die Familie genötigt worden, das Foto der Mutter herauszugeben, mit der Drohung, ansonsten würde ein Foto abgedruckt, auf welchem sie mit dem Täter zu sehen wäre. Der Journalist habe während der ganzen Zeit geschickt versucht, nebenbei an Informationen zu gelangen, in dem er z. B. Behauptungen aufgestellt habe, welche dann von den Familienmitgliedern korrigiert worden seien. Der Abdruck dieser Zitate sei ohne Erlaubnis erfolgt.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 4. August 2017 beantragte der anwaltlich vertretene «Blick», die Beschwerde sei vollumfänglich abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne. Von einem Eindringen in den «Privatbereich» könne keine Rede sein, denn die drei Töchter und die Grosseltern seien urteilsfähige erwachsene Personen und hätten dem «Blick» freiwillig die Tür geöffnet. Keiner habe versucht, das Gespräch zu beenden oder den Journalisten des Hauses zu verweisen, gesprochen sei aus freien Stücken worden. Es sei deshalb nicht nachvollziehbar, warum die Beschwerdeführerin behaupte, es liege keine Einwilligung zum Gespräch vor. Der Mitarbeitende des «Blick» habe sich als Medienschaffender ausgegeben und das Ziel des Gesprächs sei somit von Anfang an klar gewesen, auch wenn er erwähnt habe, die Verstorbene vom Sehen zu kennen. Der «Blick» bestreitet die Behauptung, als erstes das «Du» verwendet zu haben, auch wenn dies nicht eine Frage der Medienethik, sondern des sozialen Anstands sei. Die Zitate seien nicht zu beanstanden, da weder eine Autorisierung der Zitate verlangt noch ein Zitierverbot ausgesprochen worden sei. «Blick» bestreitet aus diesen Gründen, dass eine Verletzung der «Erklärung der Pflichten und Rechten der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») vorliege.

D. Am 6. November 2017 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 13. September 2018 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerdeführerin macht sinngemäss eine Verletzung der zur «Erklärung» gehörenden Richtlinie 4.6 (Recherchegespräche) geltend. Diese hält Journalistinnen und Journalisten an, ihre Gesprächspartner über das Ziel des Recherchegesprächs zu informieren. Medienschaffende dürfen Statements ihrer Gesprächspartner bearbeiten und kürzen, soweit dies die Äusserungen nicht entstellt. Gemäss dieser Richtlinie muss der befragten Person zudem bewusst sein, dass sie eine Autorisierung der zur Publikation vorgesehenen Äusserungen verlangen darf.

Vorliegend sind sich Beschwerdeführerin und Beschwerdegegner einig, dass sich der Journalist von Beginn an als Mitarbeiter des «Blick» ausgegeben hat. Nicht bestritten ist zudem, dass der Journalist über den Todesfall sprechen wollte. Damit hat er die Gesprächspartnerinnen ausreichend über das Ziel des Gesprächs informiert. Es versteht sich von selbst, dass der Inhalt eines solchen Gesprächs der Berichterstattung dienen soll. Ein Blumenstrauss und der Hinweis, ein Bekannter der Familie zu sein – beides wird vom «Blick» nicht bestritten – ändern daran nichts. Gemäss Richtlinie 4.6 muss den befragten Personen jedoch bewusst sein, dass sie eine Autorisierung der zur Publikation vorgesehenen Äusserungen verlangen dürfen. Dies war offensichtlich nicht der Fall, zumal es sich bei den Töchtern um medienunerfahrene Personen handelt. Der Journalist hätte die Pflicht gehabt, die Befragten über ihr Recht zur Autorisierung der zur Publikation vorgesehenen Äusserungen zu informieren. Dies hat er versäumt. Insofern liegt eine Verletzung von Richtlinie 4.6 vor. Was die genauen Umstände des Gesprächs zwischen dem Journalisten und den Töchtern betrifft, so steht grossenteils Aussage gegen Aussage, weshalb sich der Presserat nicht dazu äussern kann. Insbesondere kann er nicht beurteilen, ob eine Einwilligung zu einem Gespräch gegeben wurde oder nicht. Es erscheint dem Presserat jedoch durchaus plausibel, dass den Töchtern nicht klar war, dass sie zitiert werden könnten. Umso wichtiger wäre der Hinweis auf ihr Recht zur Autorisierung der zur Veröffentlichung vorgesehenen Aussagen gewesen.

2. Sinngemäss rügt die Beratungsstelle Opferhilfe auch eine Verletzung von Richtlinie 8.3 (Opferschutz). Laut Richtlinie 8.3 sollen Journalisten bei Berichten über dramatische Ereignisse oder Gewalt immer sorgfältig zwischen dem Recht der Öffentlichkeit auf Information und den Interessen der Opfer und der Betroffenen abwägen. Sensationelle Darstellungen, welche Menschen zu blossen Objekten degradieren, sind untersagt. Der Presserat sieht diese Richtlinie nicht verletzt. Die Angehörigen der Verstorbenen wurden nicht negativ dargestellt und «Blick» hat keine sensationellen Informationen preisgegeben. Hingegen ist in Bezug auf den Umgang des Journalisten mit den Hinterbliebenen auf Erwägung 1 zu verweisen. Der gewaltsame Tod ihrer Mutter lag erst einige Tage zurück, die Beerdigung hatte noch nicht stattgefunden. Wäre Richtlinie 4.6 eingehalten worden, wäre der Artikel in dieser Form wohl nicht möglich gewesen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Der «Blick» hat mit dem Artikel «‹Wir werden ihr Lachen nie vergessen!›» vom 25. März 2017 Ziffer 4 (Informationsbeschaffung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.