Nr. 29/2023
Wahrheit / Anhören bei schweren Vorwürfen / Identifizierung

(X. c. «Walliser Bote»)

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I. Sachverhalt

A. Am 10. November 2022 veröffentlichte der «Walliser Bote» (WB) einen Artikel gezeichnet von Thomas Jossen unter dem Titel «Beschwerde gegen Spitalneubau in Brig: Politiker will Lehren daraus ziehen». Darin wird im Zusammenhang mit der Verzögerung beim Um- und Ausbau des Spitals von Brig gefragt, ob künftig mit entsprechenden Massnahmen verhindert werden könne, dass Bauvorhaben mit Beschwerden stark verzögert und damit verteuert würden. Zur Illustration wird der Verlauf des Spitalbauprojekts Brig zunächst rekapituliert: X. (der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall) habe gegen das Projekt Beschwerde erhoben mit dem Antrag auf aufschiebende Wirkung. Diese sei von der ersten Instanz abgewiesen worden, worauf X. den Entscheid bis vor Bundesgericht weitergezogen habe, allerdings erfolglos. Der Autor fährt fort: «X. [Anonymisierung Presserat] Forderung: Eine Zahlung von zwei Millionen Franken und er würde sich mit dem Spital gütlich einigen.» Bereits das Kantonsgericht sei zum Schluss gekommen, dass diese Forderung viel zu hoch sei. All dies habe insgesamt zu zwei Jahren Verzögerung beim Baubeginn geführt und damit zu Mehrkosten von fast 15 Millionen Franken. Weiter skizziert der Journalist einen zweiten Fall aus der Gemeinde Verbier, wo ein Einsprecher ein regelrechtes Geschäftsmodell realisiert habe, indem er laufend Beschwerden erhebe, welche er gegen entsprechende Zahlungen wieder zurückziehe. In der Folge wird im Artikel der «Mitte»-Fraktionspräsident Aron Pfammatter zitiert, welcher sich Gedanken darüber macht, wie man mit derartigen Problemen besser umgehen könne als dies bisher der Fall sei.

B. Am 15. Januar 2023 reichte X. Beschwerde gegen den Artikel beim Schweizer Presserat ein. Der Beschwerdeführer macht einen Verstoss gegen die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Umgang mit Quellen) und 7 (Schutz der Persönlichkeit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») geltend und dies insbesondere gegen die Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 7.1 (Schutz Privatsphäre) und 7.2 (Identifizierung).

Zur Begründung führt der Beschwerdeführer an, gegen das Gebot der Wahrheitssuche (Ziffer 1, Richtlinie 1.1) sei verstossen worden …
– weil von ihm als einzigem Einsprecher berichtet werde. Es seien aber neun, von denen vier aufschiebende Wirkung verlangt hätten;
– weil sein Weiterzug ans Bundesgericht dargestellt werde als ein Weiterzug einer Einsprache. Das sei falsch, es gehe nach wie vor nur um die aufschiebende Wirkung der noch nicht behandelten Einsprachen;
– weil behauptet werde, er habe zwei Millionen verlangt, um seine Einsprachen aufzugeben. Er habe aber lediglich einen Liegenschaftsabtausch in dieser Höhe vorgeschlagen, womit er nicht mehr direkter Nachbar und entsprechend auch weniger belastet und nicht mehr einspracheberechtigt gewesen wäre;
– weil behauptet werde, das Kantonsgericht habe diese Forderung als viel zu hoch bezeichnet. Das Obergericht habe damit lediglich seinen Gegner, die Bauherrschaft, zitiert, ohne dabei selber Stellung zu nehmen;
– weil behauptet werde, sein Verfahren habe den Bau um zwei Jahre verzögert. Sein Weiterzug ans Bundesgericht habe aber nur neun Monate Verzögerung bewirkt;
– weil behauptet werde, aus der Verzögerung ergebe sich ein Mehraufwand von 15 Millionen Franken. Die Mehrkosten seien nicht oder nur teilweise durch diese Verzögerung entstanden;
– weil mit dem zweiten Beispiel Verbier ein ausgesprochen unrechtes Verhalten auch seinerseits suggeriert werde. Er habe aber in seinem Fall nur seine legitimen persönlichen Rechte wahrgenommen.

Die Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) sieht der Beschwerdeführer verletzt, weil er zu all diesen Vorhaltungen nie befragt worden sei und entsprechend nicht die Möglichkeit erhalten habe, die falschen Darstellungen zu berichtigen, sein Handeln in ein richtiges Licht zu rücken.

Seine Persönlichkeit sieht der Beschwerdeführer verletzt (Ziffer 7 der «Erklärung», Richtlinien 7.1, 7.2), weil sein Name im Zusammenhang mit den genannten schweren Vorwürfen ausdrücklich erwähnt worden sei, was nicht hätte geschehen dürfen, ein Mehrwert in der Berichterstattung habe sich daraus nicht ergeben.

C. Am 20. März 2023 nahm Chefredaktor Armin Bregy für den «Walliser Bote» zur Beschwerde Stellung. Er weist darauf hin, dass die Argumente des Beschwerdeführers im Wesentlichen die gleichen seien wie in seiner Beschwerde in ähnlicher Angelegenheit vom 7. November 2021. Den diesbezüglichen Entscheid des Presserats vom 14. Februar 2022 habe der WB am 2. März 2022 publiziert. Hinsichtlich der im gegenwärtigen Verfahren zusätzlich geäusserten Beschwerdepunkte erwidert der WB:
– Die Bemerkung, wonach der Beschwerdeführer zwei Millionen verlangt habe, um im Gegenzug seine Beschwerde zurückzuziehen, stamme aus einer Stellungnahme des Spitals Wallis, welche auszugsweise auch im Urteil des Kantonsgerichts zitiert sei.
– Es sei richtig, wenn der Beschwerdeführer anführe, dass das Kantonsgericht den fraglichen Betrag nicht als viel zu hoch beurteilt habe. Diese Bemerkung sei in Anführungsstriche gesetzt gewesen, weil die Angabe aus einem früheren Artikel gestammt habe und dieser Umstand in der neuen Recherche nicht bemerkt worden sei.
– Wenn der Beschwerdeführer hinsichtlich von Verzögerung und Mehrkosten moniere, er nehme lediglich seine demokratischen Rechte wahr, so verweise der WB darauf, dass er diese Rechte des Beschwerdeführers in einem Leitartikel vom 2. März 2023 ausdrücklich verteidigt habe.
– Das Beispiel Verbier im Artikel diene als Beispiel, das eine politische Intervention begründen soll. Alle weiteren Ausführungen seien allgemein und nicht auf Herrn Wyer bezogen.

In seiner früheren Stellungnahme vom 30. Dezember 2021, auf welche der Chefredaktor des WB verweist, hatte dieser zudem ausgeführt:
– Die Namensnennung des Beschwerdeführers sei gerechtfertigt durch das öffentliche Interesse angesichts des zur Diskussion stehenden 100-Millionen-Franken-Projekts. Zudem sei sein Name schon früher publiziert worden.
– Das Recht auf Anhörung bei schweren Vorwürfen habe sich erübrigt, weil der Beschwerdeführer es verschiedentlich abgelehnt habe, dem WB gegenüber Stellung zu nehmen.

D. Am 4. April 2023 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde gemäss Artikel 13 Abs. 1 vom Präsidium behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Jan Grüebler, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin.

E. Das Präsidium des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 6. November 2023 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Artikel erwähnt nicht, dass am Anfang der Auseinandersetzung nicht nur der Beschwerdeführer, sondern insgesamt neun Personen Einsprache gegen den Spitalneubau erhoben hatten. Es wäre korrekt gewesen, zu signalisieren, dass der Beschwerdeführer nicht der einzige Beteiligte im Kampf gegen das Projekt war. Der Presserat hat schon in der Stellungnahme 46/2022 in gleicher Angelegenheit einen Verstoss gegen die Ziffer 3 der «Erklärung» festgestellt, weil so der Eindruck entstehe, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen einzelnen Querulanten handle, was angesichts von neun Personen, die Einsprache erhoben hatten, nicht zutraf. Der Entscheid 46/2022 war dem WB allerdings zur Zeit der Publikation des jetzt monierten Beitrags noch nicht bekannt. Dennoch liegt auch hier ein Verstoss gegen die Ziffer 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen) der «Erklärung» vor.

2. Der WB berichtete, der Beschwerdeführer habe gefordert: «Zahlung von zwei Millionen Franken und er würde sich mit dem Spital gütlich einigen». Der WB stellt sich auf den Standpunkt, dass diese Information auf eine Stellungnahme des Spital Wallis zurückgehe und in Auszügen auch im Urteil des Kantonsgerichts enthalten sei. Dieses Urteil (A2 21 23, Urteil vom 25. Mai 2021) liegt dem Presserat heute vor, anders als in der Stellungnahme 46/2022. Daraus ergibt sich, dass das Urteil einen Passus zu diesem Inhalt zwar enthält, das Kantonsgericht zitiert damit aber nur eine Behauptung der Verfahrensgegnerin (Spital Wallis – Spitalzentrum Oberwallis, SZO), ohne diese zu bewerten. Es geht hier um einen schweren Vorwurf, welcher an ein erpresserisches Vorgehen grenzt. Gemäss der bisherigen Praxis des Presserates, welcher den «schweren Vorwurf» definiert als «Vorwurf eines illegalen oder vergleichbaren Verhaltens» geht der Presserat davon aus, dass hier ein Verstoss gegen die Richtlinie 3.8 vorliegt (erst recht gilt dies nach der neuen Regelung der Richtlinie 3.8, welche seit Mai 2023 in Kraft ist und die die Anhörungspflicht strenger fasst; neu muss auch angehört werden, wenn ein schwerer Vorwurf «gravierendes Fehlverhalten» beschreibt oder ein Verhalten, «das sonstwie geeignet ist, jemandes Ruf schwerwiegend zu schädigen»). Der Beschwerdeführer hätte zu diesem Vorwurf angehört werden müssen. Auch wenn er sich – wie der «Walliser Bote» argumentiert – in früheren Fällen geweigert habe, Stellung zu nehmen. Die Gelegenheit hätte ihm jedenfalls geboten werden müssen. Die Richtlinie 3.8 wurde verletzt.

Dass das Kantonsgericht die zwei Millionen als «viel zu hoch» beurteilt habe, stimmt gemäss dem Urteil vom 25. Mai 2021 nicht. Der WB räumt das denn auch in seiner Beschwerdeantwort ein. Mit dieser Behauptung im Text ist die Pflicht, sich an die Wahrheit zu halten, die Ziffer 1 der «Erklärung», verletzt.

3. Inwieweit das vom Beschwerdeführer bis zum Bundesgericht durchgezogene Verfahren den Baubeginn verzögert hat und wie hoch sich die daraus resultierenden Kosten berechnen, lässt sich aufgrund der dem Presserat vorliegenden Akten nicht schlüssig beurteilen. Es steht Aussage gegen Aussage, somit liegt kein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht vor.

Dass der WB zum Thema «Wie lassen sich teure Verzögerungen verhindern?» das Beispiel Verbier einbezieht, entspricht einer journalistischen Entscheidung, die der Presserat nicht zu beurteilen hat. Ein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht ist in den entsprechenden Abschnitten des Artikels nicht festzustellen.

4. Zur Frage, ob der Name des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit seiner Rolle im Streit um das Spitalprojekt hätte genannt werden dürfen, verweist der Presserat erneut auf seine Stellungnahme 46/2022, in welcher er festgestellt hat, dass die Identifikation des Beschwerdeführers für den Inhalt der Geschichte nicht erforderlich und nicht von überwiegendem öffentlichem Interesse war. Vielmehr erscheint er der Leserschaft als einzelner Querulant, obwohl er im eigentlichen, materiellen Verfahren gegen das Projekt nicht allein aufgetreten ist. Die Richtlinie 7.2 wurde verletzt.

III. Feststellungen

1. Der Presserat heisst die Beschwerde in den wesentlichen Teilen gut.

2. Der «Walliser Bote» hat mit dem Artikel «Beschwerde gegen Spitalneubau in Brig: Politiker will Lehren daraus ziehen» vom 10. November 2022 die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Unterschlagung wichtiger Tatsachen) und 7 (Schutz der Persönlichkeit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. In den übrigen Punkten wird die Beschwerde abgewi