Nr. 27/2022
Deklarieren von Archivdokumenten

(X. c. «Pilatus Today»)

Drucken

I. Sachverhalt

A. Am 6. Oktober 2021 war auf der Website von «Pilatus Today» in der Rubrik «+41 Reportermagazin» eine längere, 28 Minuten dauernde Reportage zu sehen unter dem Titel «Eine Jenische, ein Fernfahrer und Strassenkünstler zeigen ihren Alltag». Eine längere Sequenz war dort dem Alltag des Fernfahrers «Ändu» gewidmet.

Zwischen dem 5. und 7. April 2022 veröffentlichte «Pilatus Today», wie auch vier andere Regionalsender von CH Media, in der gleichen Rubrik die dreiteilige Serie «Fernfahrer Ändu», welche Material aus der Reportage vom vergangenen Oktober enthielt. Diese Videos waren auch über die jeweiligen Facebook-Kanäle zu sehen. Gekennzeichnet war das Material mit Produktionsjahr «2022».

B. Am 6. April 2022 reichte X. Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Er macht geltend, die Beiträge mit dem Material aus dem vergangenen Jahr seien nicht korrekt gekennzeichnet gewesen und verletzten damit die Richtlinie 3.3 (Archivdokumente) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»), welche verlangt: «Archivdokumente sind ausdrücklich als solche zu kennzeichnen, allenfalls mit Angabe des Datums der Erstveröffentlichung. Zudem ist abzuwägen, ob sich die abgebildete Person immer noch in der gleichen Situation befindet und ob ihre Einwilligung auch für eine neuerliche Publikation gilt.» Damit werde, so der Beschwerdeführer, irreführend suggeriert, dass es sich um journalistisch neues Material handle. Es fehle der Hinweis auf die früher bereits erfolgte Veröffentlichung oder darauf, dass es sich um Archivmaterial handle.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 9. Mai 2022 beantragte der Chefredaktor der CH Regionalmedien AG und von «Tele 1», Matthias Oetterli, implizit, die Beschwerde sei abzuweisen, indem er darauf hinwies, dass die Richtlinie 3.3 (Archivdokumente) aus seiner Sicht nicht verletzt sei. Das ganze Material mit dem Fernfahrer Ändu sei im Jahr 2021 gedreht worden, die neue, dreiteilige Serie habe zwar teilweise aus Material bestanden, das in der Tat schon im Oktober 2021 gezeigt worden sei, sie habe aber auch damals nicht verwendete, bisher unveröffentlichte Teile enthalten. Der Vorwurf, dass das damalige Material einfach neu geschnitten und entsprechend zu kennzeichnen sei, treffe deswegen nicht zu. Es handle sich um eine neue Geschichte, die mit dem Produktionsjahr 2022 richtig gekennzeichnet sei. Auf einen Hinweis auf Archivbilder habe man verzichtet, weil das irrführend gewesen wäre. Dieser diene dazu, auf einen zeitlichen Unterschied hinzuweisen, was hier nicht der Fall sei. An der Situation des Fernfahrers habe sich nichts geändert. Weiter handle es sich hier um Reportagematerial und nicht um Aktualität, bei welcher derartige Hinweise von Belang seien. Bei Reportagen seien sie unüblich.

D. Am 31. Mai 2022 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Präsidium behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Max Trossmann, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin.

E. Das Präsidium des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 20. Juni 2022 verabschiedet.

II. Erwägung

Die Richtlinie 3.3 (Archivdokumente) zur «Erklärung» bezweckt in erster Linie den Schutz der abgebildeten oder beschriebenen Personen, deren Bild lange nach der unter bestimmten Umständen zustande gekommenen Aufnahme wiederverwendet wird. Sie soll aber auch Transparenz darüber schaffen, aus welcher Zeit Papier-, Ton- oder Bilddokumente stammen. Hier geht es darum, dass die Zuschauer nicht in die Irre geführt werden, was den Dokumentationswert des Bildes betrifft. Daher die Ergänzung in der Richtlinie 3.3: «allenfalls mit Angabe des Datums der Erstveröffentlichung».

Beide Aspekte spielen im vorliegenden Fall keine entscheidende Rolle. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die Interessenlage des Fernfahrers nach einem halben Jahr nicht anders präsentiert, dass sein Einverständnis zum Drehen von Material über seinen Alltag immer noch gilt. Und ob das Material zwei oder sechs Monate alt ist, spielt im Zusammenhang mit einer weitgehend zeitlosen Reportage auch keine erhebliche Rolle.

Insofern sieht der Presserat in der Angabe «2022» zu einer Reportage, die 2022 aus bereits gesendetem sowie auch noch unveröffentlichtem Material zusammengestellt wird, keinen Verstoss gegen die Richtlinie 3.3 (Archivdokumente). Er gibt aber zu bedenken, dass es klug wäre, derart (teil-)rezykliertes Material doch in irgendeiner Form zu kennzeichnen und sei es nur aus Gründen der Transparenz gegenüber Nutzerinnen und Nutzern wie dem Beschwerdeführer, welche sich nach dem Anblick der vertrauten Bilder fragen, ob das nicht alte Konserven sind, die ihnen in dieser Rubrik vorgesetzt werden.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. «Pilatus Today» hat mit der Serie «Fernfahrer Ändu» Ziffer 3 (Archivdokumente) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.