Nr. 24/2010
Lauterkeit der Recherche

( Suter c. «Schweizer Illustrierte»)

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I. Sachverhalt

A. Am 7. September 2009 berichtete Isabell Teuwsen in der «Schweizer Illustrierte» unter dem Titel «Drei Jahre nur waren Antonio vergönnt» über den tragischen Tod des Adoptivsohns des Schriftstellers Martin Suter. Illustriert ist der Artikel mit einem grossen Foto des Grabes des Verstorbenen, von dem darauf ein kleines Bild zu sehen ist. Daneben druckte die Zeitschrift ein kleineres Bild des Autors ab. Die Legende zu den beiden Bildern lautet: «So traurig. Bestsellerautor Martin Suter, 61. Bild rechts: Das Grab seines Sohns auf dem Zürcher Friedhof Fluntern.» Im Lauftext beschreibt die «Schweizer Illustrierte» das tragische Unglück und berichtet über die Beerdigung, die sechs Tage später stattgefunden habe. «Nur Freunde und Verwandte wissen von dem Unglück. 120 nehmen Abschied in der Kapelle. Der letzte Gang, ein blauer Himmel, ein kleiner weisser Sarg, auf dem das Tuch liegt, in dem Toni herumgetragen wurde. Alles, was ihm bleibt. Und rote Rosen, die auf den Sarg schneien. Einen Tag nach der Beisetzung erscheint die Todesanzeige: ‹Am 25. August ist unser geliebter Toni unerwartet gestorben› und am Schluss ‹Que te vaya bien› – möge es Dir gut gehen.»

B. Am 11. September 2009 beschwerte sich Martin Suter beim Presserat über den Bericht der «Schweizer Illustrierte». Er rügte, im Artikel vom 7. September seien «Informationen enthalten, die unsere und die Privatsphäre unseres Söhnchens betreffen, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren und nur aus unserem engeren Verwandten- oder Freundeskreis stammen konnten. Der Bericht wollte den Eindruck erwecken, die ‹Schweizer Illustrierte› habe an der Beerdigung teilgenommen.» Die Nachforschungen des Beschwerdeführers hätten ergeben, dass die Informationen von einer Freundin der Familie stammten, die ihrerseits mit der Journalistin Isabelle Teuwsen bekannt sei. «Frau Teuwsen, eine Mitarbeiterin der ‹Schweizer Illustrierte› im Ruhestand, hat Frau Rut Himmelsbach nach der Beisetzung unseres Söhnchens kontaktiert und sich unter anderem über das Unglück und die Beisetzung (an der Frau Himmelsbach teilgenommen hatte) unterhalten. Dabei hat sie Frau Himmelsbach im Glauben gelassen, dass sie sich im Ruhestand befinde und es sich um ein privates Gespräch handle und ihr verschwiegen, dass sie mit der Berichterstattung über den Fall beauftragt ist. Sie hat sie weder über das Ziel ihres Gesprächs unterrichtet, noch sie darüber aufgeklärt, dass sie ihre Informationen in der ‹Schweizer Illustrierte› veröffentlichen werde. Sie hat Frau Himmelsbach auch nicht darauf hingewiesen, dass sie das Recht hat, ihre zur Veröffentlichung bestimmten Aussagen zu autorisieren.» Der Beschwerdeführer bat den Presserat, diese «Erschleichung von Informationen» unter dem Aspekt der Richtlinie 4.6 (Recherchegespräche) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» zu beurteilen.

C. Am 5. Oktober 2009 wies die anwaltlich vertretene «Schweizer Illustrierte» die Beschwerde als unbegründet zurück. Der Beschwerdeführer behaupte pauschal, der Bericht enthalte Informationen, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt gewesen seien. «Allerdings hüllt er sich in Schweigen darüber, welche Inhalte er damit meint und warum es so sein soll, wie er sagt.» Bezüglich der Informationsbeschaffung bestreite Frau Teuwsen, mit Frau Himmelsbach gesprochen zu haben. «Selbst wenn: Was der Beschwerdeführer über den Inhalt des Gesprächs zwischen Frau Teuwsen und – wenn es stattgefunden haben sollte – Frau Himmelsbach behauptet, stimmt auch nicht. Hier wurde niemand getäuscht, sondern der Beschwerdeführer täuscht sich. Erschlichen wurde hier gar nichts, schon gar nicht ist die Richtlinie 4.6 verletzt. Denn wenn sich – und das gilt unabhängig vom konkreten Beschwerdegegenstand, entscheidet aber das Schicksal der Beschwerde – jemand gegenüber einem Journalisten äussert, ohne zitiert zu werden, aber weiss, dass er mit einem Journalisten redet, entfällt die Anwendung von Richtlinie 4.6.»

D. Am 13. Oktober 2009 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina.

E. Am 18. Oktober 2009 reagierte Martin Suter auf die Beschwerdeantwort der «Schweizer Illustrierte». Er nehme zur Kenntnis, dass die Beschwerdegegner in der Beschwerde die Inhalte vermissten, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren sowie die zugehörige Begründung. «Beim Tuch, das über dem Sarg unseres Söhnchens lag, handelte es sich um das guatemaltekische Tragetuch, in welchem es als Baby herumgetragen wurde.» Dies sei nur den engsten Bekannten und Freunden wie Rut Himmelsbach bekannt gewesen. Und nur den Anwesenden beim Begräbnis sei bekannt gewesen, dass die Mitglieder der Trauergemeinde Rosen ins offene Grab warfen. «Beide Tatsachen sind persönlich. Dass Frau Teuwsen solche Details suchte und veröffentlichte, tat sie gegen besseres Wissen.» Es sei der Journalistin und der «Schweizer Illustrierte» seit Jahren bekannt gewesen, dass er sein Privatleben vor den Medien schütze. «Mit der Erwähnung solcher Tatsachen versucht die ‹Schweizer Illustrierte› bewusst den Eindruck zu erwecken, sie sei an der Beerdigung eingeladen gewesen und habe von uns persönliche und private Informationen dazu erhalten. Dass sie damit Erfolgt hatte, sahen wir daran, dass Verwandte, Freunde und Bekannte geglaubt hatten, wir selbst seien die Lieferanten dieser Informationen. Die Vorstellung, dass man annehmen könnte, dass wir den Tod unseres Kindes publizistisch auswerten, ist für meine Frau und mich unerträglich.»

Zudem führte der Beschwerdeführer folgende E-Mail-Bestätigung von Rut Himmelsbach vom 16. Oktober 2009 als neues Beweismittel an: «Lieber Martin. Ich bestätige hiermit, dass mich Isabell kontaktiert hat (…) und dass ich mit ihr über die Beerdigung von Toni gesprochen habe – von Freundin zu Freundin und von Tonis Tod sehr bewegt, dass ich von ihr nicht informiert war über einen diesbezüglichen journalistischen Auftrag für die SI und dies gar nicht in Erwägung zog, zumal sie mir zu einem früheren Zeitpunkt erzählte, dass sie pensioniert sei. Ich bestätige zudem, dass ich zu Isabell über das Babytragtuch über dem Sarg von Toni und auch über die Rosen gesprochen habe, die wir nacheinander zum Abschied von ihm in sein Grab haben fallen lassen.»

F. Am 21. Dezember 2010 nahm die wiederum anwaltlich vertretene «Schweizer Illustrierte» Stellung zur Beschwerdeergänzung vom 18. Oktober 2009. Weder die Funktion des Tuches, noch das – bei westeuropäischen Beerdigungen alltägliche – Ritual, Blumen ins offene Grab zu werfen, sei «persönlich». Frau Teuwsen sei weder bekannt, dass der Beschwerdeführer sein Privatleben «vor den Medien» schützen will, noch könne dies massgeblich sein. Abwegig sei auch die Unterstellung, mit der Schilderung der Beerdigung habe die «Schweizer Illustrierte» den Eindruck erwecken wollen, sie sei dazu eingeladen gewesen. Schliesslich «bestätigt die Mail von Frau Himmelsbach doch nur, dass die publizierte Information sachlich völlig korrekt ist. Mehr kann man aus der Mail an den Beschwerdeführer denn auch nicht ableiten.»

G. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 8. Juni 2010 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Presserat hat sich in der Stellungnahme 1/2010 ausführlich mit der Berichterstattung des «Blick» über den tragischen Tod des Sohns des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Dabei erinnerte er daran, dass bei Personen des öffentlichen Lebens die Grenzen des geschützten Bereichs der Privatsphäre zwar enger gezogen sind. «Dennoch bestimmen Politiker und Prominente durch ihr Verhalten in der Öffentlichkeit selbst, ob und wie sie ihr Privat- und Familienleben den Medien zugänglich machen wollen. Informationen aus der Privatsphäre Prominenter gegen den Willen der Betroffenen zu veröffentlichen, ist nach Auffassung des Presserats nur dann durch das öffentliche Interesse gedeckt, wenn ein genügend enger Zusammenhang zwischen der gemeldeten Tatsache und dem Amt oder dem Beruf dieser Person besteht.»

Bei Martin Suter, der sein Familienleben stets als geschützten Teil seiner Privatsphäre angesehen und öffentlich nur wenig darüber mitgeteilt habe, existiere kein öffentliches Interesse, hinter die Kulissen seines Privatlebens zu blicken. Und städtische Friedhöfe seien in Zürich wie Parks und Seeanlagen zwar als Teil des öffentlichen Grunds allgemein zugänglich. «Trotzdem sind die Grabstätten für viele Menschen ein sehr intimer Ort, an dem sie das Andenken an ihre verstorbenen Familienmitglieder pflegen (…) Zwar ist auch auf Friedhöfen das Fotografieren erlaubt, doch ist die Privatsphäre von Trauernden und Angehörigen zu schützen, indem – ohne Einwilligung der Betroffenen – auf den Bildern weder Personen noch Gräber besonders hervorgehoben werden sollten. Auch die blosse Grossaufnahme eines Grabes in einer Zeitung kann die Privatsphäre der Angehörigen verletzen, wenn der Schmerz über den Verlust noch unvermindert gross ist.»

Beim Tod des Sohnes von Martin Suter sei die Tatsache, dass die Todesanzeige nach der Beerdigung erschien, ein deutliches Zeichen gewesen. «Eine Todesanzeige gehört zu den landesüblichen Bestattungsritualen. Ihre Publikation verleiht den Medien keine Lizenz zur publizistischen Plünderung einer Grabstätte.»

2. Ebenso wie die Veröffentlichung eines Bildes der Grabstätte eines eben erst verstorbenen Kindes berührt auch ein Bericht über dessen Beerdigung die geschützte Privatsphäre der Hinterbliebenen. Ebenso wie bei Hochzeiten und Taufen darf über Beerdigungen auch bei Prominenten nur dann berichtet werden, wenn sie selber mit den Informationen an die Öffentlichkeit gegangen sind bzw. ihr Privat- und Familienleben den Medien sei jeher in einem breiten Umfang zugänglich gemacht haben. Ebenso vorzubehalten sind Berichte über grosse Traueranlässe und -gottesdienste, die öffentlich sind.

3. a) Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Beschwerde gegen die «Schweizer Illustrierte» allerdings nicht primär die Verletzung seiner Privatsphäre, sondern beanstandet vielmehr die Informationsbeschaffung der Journalistin. Ziffer 4 der «Erklärung» untersagt den Medienschaffenden, «sich bei der Beschaffung von Informationen, Tönen, Bildern und Dokumenten» unlauterer Methoden zu bedienen.

Die Beschwerde beruft sich in diesem Zusammenhang auf die Richtlinie 4.6 (Recherchegespräche) zur «Erklärung»: «Journalistinnen und Journalisten sollen ihre Gesprächspartner über das Ziel des Recherchegesprächs informieren. Medienschaffende dürfen Statements ihrer Gesprächspartner bearbeiten und kürzen, soweit dies die Äusserungen nicht entstellt. Der befragten Person muss bewusst sein, dass sie eine Autorisierung der zur Publikation vorgesehenen Äusserungen verlangen darf.»

Der Presserat hat dazu in der Stellungnahme 2/1999 ausgeführt: «Journalistinnen und Journalisten sollten ihre Gesprächspartner vor einer Befragung zumindest darüber informieren, worum es sachlich konkret geht. Sie sind jedoch nicht verpflichtet sämtliche Einzelheiten bekannt zu geben. Insbesondere brauchen sie nicht mitzuteilen, in welcher journalistischen Form das Befragungsergebnis veröffentlicht werden soll.»

b) Gemäss der Darstellung von Rut Himmelsbach wurde sie anlässlich des Kontakts vor der Publikation des beanstandeten Berichts von Isabell Teuwsen nicht darauf hingewiesen, dass letztere ihr freundschaftliches Gespräch journalistisch verwerten würde. Dazu hatte sie umso weniger Anlass, als Frau Teuwsen «offiziell» seit dem Sommer 2008 «pensioniert» ist (vgl. hierzu auch das Interview mit Isabell Teuwsen im «Klartext vom 15. Februar 2009). Unter diesen Umständen wäre die pensionierte Journalistin verpflichtet gewesen, darauf hinzuweisen, dass sie die Informationen aus dem privaten Gespräch für einen Artikel der «Schweizer Illustrierte» verwenden würde.

Die berufsethische Pflicht, den Gesprächspartner bei einem Recherchegespräch auf dessen Zweck aufmerksam zu machen, gilt auch dann, wenn eine Informantin im Medienbericht weder wörtlich noch mit Namen zitiert wird. Vorliegend wäre diese Offenlegung umso mehr angebracht gewesen, als die recherchierten Informationen die Privatsphäre tangieren, selbst wenn sie als solche nicht weltbewegend erscheinen.

4. Die Beschwerdegegner führen in ihrer Eingabe vom 5. Oktober 2009 zwar pauschal an, Frau Teuwsen bestreite, im Zusammenhang mit der Informationsbeschaffung mit Frau Himmelsbach gesprochen zu haben. Es mutet jedoch merkwürdig an, wenn sie gleichzeitig ausführen, falls das Gespräch doch stattgefunden habe, stimme jedenfalls der vom Beschwerdeführer behauptete Inhalt nicht.

Und obwohl der Beschwerdeführer seine Version des Sachverhalts in der Beschwerdeergänzung vom 18. Oktober 2009 wesentlich substantiiert, äussern sich die Beschwerdegegner in der zugehörigen Antwort vom 21. Dezember 2009 bloss wie folgt zur detaillierten Schilderung von Frau Himmelsbach: «Überdies bestätigt die Mail von Frau Himmelsbach doch nur, dass die publizierte Information sachlich völlig korrekt ist. Mehr kann man aus der Mail an den Beschwerdeführer denn auch nicht ableiten.»

Der Presserat hat unter diesen Umständen keinen begründeten Anlass, an der Glaubwürdigkeit der Sachverhaltsdarstellung von Rut Himmelsbach zu zweifeln, der die Angelegenheit gemäss zwischen den Parteien unbestrittener Darstellung «unangenehm sei». Zumal die beiden Eingaben der Beschwerdegegner keinerlei Angaben dazu machen, wie sonst die Autorin des beanstandeten Berichts zu ihren Informationen gekommen sein soll. Und: wären die Ausführungen von Rut Himmelsbach weiterhin generell oder zumindest teilweise bestritten, hätten es die Beschwerdegegner kaum unterlassen, dies in der Stellungnahme vom 21. Dezember 2009 deutlich zu machen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. Die «Schweizer Illustrierte» hat bei der Beschaffung der Informationen für den Bericht «Drei Jahre nur waren Antonio vergönnt» vom 7. September 2009 die Ziffer 4 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Recherchegespräche) verletzt. Die Autorin des Artikels hätte ihre Informantin darauf aufmerksam machen müssen, dass sie ihr freundschaftliches Gespräch journalistisch verwerten würde.