Nr. 21/2023
Menschenwürde / Diskriminierung

(X. c. «Nebelspalter online»)

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Zusammenfassung

Der «Nebelspalter» hat mit dem Beitrag «Tamara Funiciello: Geboren, um auszusterben» Funiciellos Menschenwürde verletzt. Der «Nebelspalter» deklariert sich selbst als «Politmagazin mit Humor». Für den Presserat handelt es sich bei dem monierten Text auch klar um einen satirischen Beitrag. Er hatte deshalb die Frage zu beantworten, wie viel Satire darf. Grundsätzlich legt der Presserat bei der Prüfung der Frage, ob satirische Beiträge und Karikaturen diskriminierend wirken oder die Menschenwürde verletzen, einen grosszügigen Massstab an. Die Grenzen sind dort überschritten, wo der Aussagekern die Wahrheitspflicht verletzt beziehungsweise Einzelne oder Gruppen in ihrer Menschenwürde herabgesetzt oder diskriminiert werden.
Mit den abwertenden Äusserungen zu Funiciellos Grösse, ihrem Gewicht und ihrem Körperbau wird im Beitrag insinuiert, sie sei als Torhüterin allein wegen ihrer Statur erfolgreich gewesen. Damit wird sie aufgrund ihrer Körpermerkmale in einer Weise herabgesetzt, die sie in ihrer Menschenwürde verletzt.

Résumé

Le « Nebelspalter » a porté atteinte à la dignité de Tamara Funiciello en publiant un article intitulé « Tamara Funiciello: Geboren, um auszusterben » (Tamara Funiciello : née pour s’éteindre). Le « Nebelspalter » se définit lui-même comme un « Politmagazin mit Humor » (magazine de politique et d’humeur). Le Conseil suisse de la presse perçoit clairement l’article incriminé comme une contribution satirique. Il a dès lors dû répondre à la question suivante : quelle dose de satire est permise ? Il fait en principe preuve de largesse lorsqu’il s’agit de déterminer si un article satirique ou une caricature sont discriminatoires ou violent la dignité humaine. Il considère que les limites sont franchies lorsque le contenu essentiel de ceux-ci viole le devoir de vérité et discrimine ou rabaisse certains individus ou groupes.
L’article insinue, par ses assertions désobligeantes sur la taille de Tamara Funiciello, son poids et sa corpulence qu’elle n’était une bonne gardienne de but que grâce à sa stature. Il la dénigre d’une manière telle qu’il s’agit d’une violation de sa dignité.

Riassunto

Con l’articolo «Tamara Funiciello: Geboren, um auszusterben» (Tamara Funiciello: nata per estinguersi), la rivista «Nebelspalter» ha violato la dignità umana della Funiciello. «Nebelspalter» si autodefinisce una «rivista politica con umorismo». Il Consiglio della stampa ritiene che il testo oggetto del reclamo, apporti chiaramente anche un contributo satirico. Di conseguenza, la questione affrontata dal CSS è stata quella di stabilire in che misura sia consentita la satira. In linea di principio, il Consiglio della stampa applica un criterio generoso nel valutare se i contributi satirici e le caricature siano discriminatori o lesivi della dignità umana. I limiti vengono superati quando il nucleo della dichiarazione viola il dovere di dire la verità oppure quando individui o gruppi di persone vengono offesi nella loro dignità umana o discriminati. Con i commenti sprezzanti sull’altezza, il peso e il fisico della Funiciello, l’articolo insinua che abbia avuto successo come portiere solo grazie alla sua corporatura. Il modo in cui la Funiciello viene sminuita in base alle sue caratteristiche fisiche, viola la sua dignità umana.

I. Sachverhalt

A. Am 4. Juni 2022 veröffentlichte der «Nebelspalter» in seiner Onlineausgabe in der Rubrik «Tor des Monats» einen Artikel mit dem Titel «Tamara Funiciello: Geboren, um auszusterben» von Hans Abplanalp. Der Artikel zitiert aus einem Interview, das die SP-Nationalrätin dem «Blick» gegeben hatte: «Wenn Frauen ökonomisch rechnen, sollten sie aufhören, Kinder zu bekommen. Unter den aktuellen Umständen sage ich den Frauen: Vielleicht solltet ihr es einfach sein lassen.» Der Autor kommentiert, Tamara Funiciello habe höchstwahrscheinlich für sich selber diese Rechnung schon gemacht. Unter dem Zwischentitel «Ab in die Schamecke!» heisst es, die schlagfertige Politikerin teile aus und müsse natürlich auch einstecken, wie in diesem Artikel. Zu Recht prangere Tamara Funiciello im erwähnten Interview die Lohnungleichheit zwischen Frau und Mann an. Aber die Kinder als Armutsfalle zu bezeichnen, Kinder nur auf einen Wirtschaftsfaktor zu reduzieren, zeuge für eine SP-Frau bei allen finanziellen Ungleichheiten in unserer Gesellschaft von fehlender Empathie und einem schrecklich technokratischen Menschenbild.

Der Text wird von einer Illustration begleitet, die Funiciello als halbnackte Landhockey-Spielerin mit Schläger und Schienbeinschonern sowie einem brennenden BH in der erhobenen linken Faust vor einem Tor auf dem Spielfeld zeigt.

B. Am 5. Juli 2022 reichte X. beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen diese Veröffentlichung ein. Sie macht eine Verletzung der zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») gehörenden Richtlinien 8.1 (Achtung der Menschenwürde) und 8.2 (Diskriminierungsverbot) geltend. Sie kritisiert insbesondere zwei Passagen des Textes: «Höchstwahrscheinlich hat sie für sich selber diese Rechnung schon gemacht, denn nach mehreren Beziehungen mit Männern – wer hält es schon länger aus mit dieser Frau – hat sie jetzt auf binär umgestellt und lebt zu ihrem Glück mit einer Frau zusammen.» Und der zweite Abschnitt lautet: «Dass sie auch wegen ihres korpulenten Körpers verspottet wird, lässt die ehemalige Spitzen-Landhockeyspielerin kalt. Immerhin stellte man sie ins Tor, wo sie als Kleingewachsene mit ihrer Statur … aber lassen wir das, so wie sie ihre Oben-ohne-Auftritte, die sie übrigens für Frauen in jeder Badi wünscht, auch lieber sein lassen sollte.»

Die Beschwerdeführerin sieht insbesondere in der Aussage «wer hält es schon länger aus mit dieser Frau» eine Herabwürdigung und Verunglimpfung der Person Tamara Funiciello. Der Autor attestiere der SP-Nationalrätin einen in einer Beziehung für Männer nicht tragbaren Charakter, der allerhöchstens noch von einer Frau toleriert werden könne. Diese Unterstellung sei auch eine Abwertung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen zwischen Frauen. In der zweiten zitierten Passage werde die Kleinwüchsigkeit von Tamara Funiciello in verspottender Weise gegen sie verwendet. Auch wenn der Autor, scheinbar als Alibiübung, den Satz mitten in der Aussage abbreche, so sei die Intention der Aussage doch mehr als offensichtlich. Derart negative Auslassungen über Frau Funiciellos Körper seien nicht mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar. Dass der Beitrag als «Satire» gekennzeichnet sei, erachtet die Beschwerdeführerin als reine Alibiübung. Satire dürfe nicht als Feigenblatt dienen, einzelne Volksvertreterinnen unter sexistischen Vulgaritäten zu begraben.

C. Am 6. September 2022 forderte die Geschäftsführerin des Presserats die Chefredaktion des «Nebelspalter» auf, sich bis am 10. Oktober 2022 zur Beschwerde zu äussern. Nachdem eine Beschwerdeantwort ausgeblieben war, erfolgte am 21. Oktober 2022 abermals die Bitte um eine Stellungnahme bis zum 7. November 2022, verbunden mit dem Hinweis, der Presserat gehe bei Ausbleiben davon aus, dass der «Nebelspalter» auf eine Beschwerdeantwort verzichte. Eine solche blieb aus.

D. Das Präsidium des Presserats wies die Beschwerde der 1. Kammer zu. Ihr gehören Susan Boos (Kammerpräsidentin), Luca Allidi, Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Francesca Luvini und Casper Selg an.

E. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 18. Januar 2023 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Der Artikel ist in der Onlineausgabe des «Nebelspalter» veröffentlicht worden. Laut Impressum beschreibt sich der «Nebelspalter» wie folgt: «Der Nebelspalter will den Nebel spalten, in den uns Politiker, Beamten, Pressesprecher, Manager und leider auch manche Journalisten und Wissenschaftler hüllen. Wir suchen nach der Wahrheit. Wir hassen den Nebel und das Nebulöse. Wir recherchieren hartnäckig, aber fair, wir ziehen Menschen in der Verantwortung zur Rechenschaft, ohne sie zu zerstören, wir decken auf, ohne zu übertreiben. Wir sind erstens Journalisten, und zweitens Journalisten.» «In Zeiten wie diesen, wo manche sich derart unversöhnlich in den Haaren liegen, dass es ihnen schwerfällt, miteinander überhaupt zu sprechen, setzen wir auf die Debatte und den Witz.» Damit charakterisiert sich der «Nebelspalter» in seinem Impressum selbst als Politmagazin mit Humor.

Der Artikel ist – entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin – nicht als Satire gekennzeichnet. Die Rubrik «Tor des Monats» nimmt sich jeden Monat aus einem mehr oder weniger aktuellen Anlass eine öffentliche Person vor, oft eine Politikerin oder einen Politiker. Titel der Rubrik und zugehörige Illustration im Stil einer Karikatur weisen auf einen satirischen Charakter hin.

Ausgehend davon ist zu fragen, wie viel Satire darf. In ständiger Praxis hat der Presserat festgehalten, dass die berufsethischen Normen auch für satirische Beiträge gelten (Stellungnahme 8/1996). Bei der Prüfung der Frage, ob satirische Beiträge und Karikaturen diskriminierend wirken oder die Menschenwürde verletzen, ist ein grosszügiger Massstab angebracht (Stellungnahme 55/2008). Satire ist eine kommentierende journalistische Darstellungsform. Im Unterschied zum eigentlichen Kommentar darf sie nicht nur zuspitzen, sondern auch übertreiben. Satire geniesst einen weiten Spielraum, aber nur insoweit, als sie über etwas Wahres spottet (Entscheid 37/2000). Auch bei der Satire gibt es Grenzen des Erlaubten. Sie sind dort überschritten, wo der Aussagekern die Wahrheitspflicht verletzt oder die Form Einzelne und Gruppen in ihrer Menschenwürde herabsetzt oder diskriminiert.

2. Ziffer 8 der «Erklärung» lautet: «Sie (die Journalistinnen und Journalisten) respektieren die Menschenwürde und verzichten in ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben.» Gemäss Richtlinie 8.1 (Menschenwürde) soll sich die Informationstätigkeit an der Achtung der Menschenwürde orientieren. «Sie ist ständig gegen das Recht der Öffentlichkeit auf Information abzuwägen. Dies gilt sowohl hinsichtlich der betroffenen oder berührten Personen als auch gegenüber der gesamten Öffentlichkeit.» Richtlinie 8.2 (Diskriminierungsverbot) präzisiert, dass «die Nennung der ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit, der Herkunft, der Religion, der sexuellen Orientierung und/oder der Hautfarbe diskriminierend wirken kann, insbesondere wenn sie negative Werturteile verallgemeinert und damit Vorurteile gegenüber Minderheiten verstärkt.»

Der Presserat hat in seinen Stellungnahmen zum Diskriminierungsverbot und zur Menschenwürde konstant darauf hingewiesen, dass die abwertende Äusserung gegen eine Gruppe oder ein Individuum eine Mindestintensität erreichen muss, um als herabwürdigend oder diskriminierend zu gelten (38/2000, 32/2001, 6/2002, 9/2002, 37/2002, 44/2003, 32/2006, 16/2007, 21/2008, 48/2013).

In der ersten von der Beschwerdeführerin kritisierten Passage thematisiert der Autor den Beziehungsstatus und die sexuelle Orientierung von Funiciello und verbindet dies mit einem Werturteil über Tamara Funiciellos Charakter. Ersteres ist klar der Privatsphäre von Funiciello zuzuordnen. Da sie selbst ihre Bisexualität öffentlich gemacht hat, ist deren Thematisierung nicht zu beanstanden – dies macht die Beschwerdeführerin denn auch nicht geltend. Die Anmerkung «wer hält es schon länger aus mit dieser Frau» ist zwar despektierlich. Bekannte PolitikerInnen müssen jedoch nach Meinung des Presserates – insbesondere in einem satirisch angehauchten Format – solch kritisch kommentierende Bemerkungen aushalten. Man mag den Text als misslungene Satire empfinden, zu Fragen des Geschmacks äussert sich der Presserat jedoch nicht. Eine Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» liegt für den Presserat in diesem Punkt nicht vor.

Anders sieht es mit den Aussagen über Funiciellos Körper – der zweiten von der Beschwerdeführerin kritisierten Passage – aus. Darin wird Funiciello auf ihre körperlichen Merkmale reduziert – dies mit abwertenden Äusserungen zu ihrer Grösse, ihrem Gewicht und Körperbau, indem insinuiert wird, dass sie als Torhüterin allein wegen ihrer Statur erfolgreich war beziehungsweise ihr nackter Busen eine Zumutung sei. Damit wird Tamara Funiciello aufgrund ihrer Körpermerkmale in einer Weise herabgesetzt, die ihre Menschenwürde verletzt. Ziffer 8 der «Erklärung» ist somit verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Der «Nebelspalter» hat mit dem Onlinebeitrag «Tamara Funiciello: Geboren, um auszusterben» vom 4. Juni 2022 die Ziffer 8 (Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» dadurch verletzt, dass Tamara Funiciello auf ihre körperlichen Merkmale reduziert wurde.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.