Nr. 20/2020
Wahrheitspflicht

(X. c. «Südostschweiz»)

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I. Sachverhalt

A. Am 10. Januar 2019 veröffentlichte die «Südostschweiz» unter der Feder von Béla Zier den Beitrag «Klinikdirektor setzt sich zur Wehr». Der Lead lautet: «In der Hochgebirgsklinik Davos habe ein Patient wegen seiner Kritik Hausverbot, schreibt der ‹Beobachter›. Der in die Schusslinie geratene Klinikdirektor Georg Schäppi bestreitet diesen Vorwurf vehement.» Der Artikel setzt sich mit dem zuvor im «Beobachter» veröffentlichten Artikel «Hausverbot für ehrlichen Patienten» auseinander. Der «Beobachter» schreibe, Patient X. dürfe seine Neurodermitis nicht mehr in der Davoser Hochgebirgsklinik behandeln lassen. Grund sei dessen Kritik, mit der er sich an die Qualitätsmanagerin des Spitals gewandt habe. Auf dem Lob-und-Tadel-Formular der Hochgebirgsklinik habe er seinen vollen Namen angegeben, obwohl die Angabe freiwillig sei. Darin habe er die Freundlichkeit der Mitarbeitenden gelobt, einen besseren Nichtraucherschutz gefordert und einen Vortrag des Direktors kritisiert. Als X. sich neun Monate später für einen akut-stationären Aufenthalt habe anmelden wollen, habe ihm der Klinikdirektor die Aufnahme verweigert. Der Patient habe sich bei seinem letzten Aufenthalt mit zahlreichen Aspekten sehr unzufrieden gezeigt, wie bereits in den Vorjahren. Der Direktor Georg Schäppi habe ihm per Einschreiben empfohlen, sich nach einer anderen Rehabilitationsinstitution umzusehen. Schäppi habe erklärt, die Klinik stehe grundsätzlich allen offen. Ein Recht auf Aufnahme gebe es jedoch für niemanden. Extrem selten müssten Patienten abgewiesen werden, die sich immer wieder grundsätzlich negativ äusserten und die Atmosphäre in der Klinik belasteten. Konstruktive Kritik sei willkommen und diene der Qualitätssicherung. Ein klärendes persönliches Gespräch habe der Direktor gemäss «Beobachter» abgelehnt.

Im Artikel «Klinikdirektor setzt sich zur Wehr» der «Südostschweiz» wiederum erklärt Georg Schäppi, er bestreite die Darstellung des Patienten. Sie sei kreuzverkehrt und werde der Situation überhaupt nicht gerecht. Schäppi widerspreche der Darstellung, dass er dem Patienten Hausverbot erteilt habe. Er habe ihm empfohlen, eine andere Klinik zu suchen, weil die Hochgebirgsklinik Davos offenbar seinen Ansprüchen nicht genügen könne. Zum Patienten erteile Schäppi aus Datenschutzgründen keine Auskunft. Qualitätsumfragen führe die Klinik seit Jahren durch. Dies anonym oder offen, da Kritik erwünscht sei. Wenn sich Leute nicht an ein gemeinsames, respektvolles Miteinander hielten, dann müsse er als Direktor das Recht haben zu sagen, dass er ein anderes Haus empfehle. Dass kein persönliches Gespräch stattgefunden habe, bestreite Schäppi. Er habe mit dem betreffenden Mann diverse Male längere Unterhaltungen geführt.

B. Am 10. April 2019 reichte X. beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen den Artikel vom 10. Januar 2019 der «Südostschweiz» ein. Weil er seinen Namen im Artikel des «Beobachter» habe veröffentlichen lassen, stehe zweifelsfrei fest, dass es sich bei den Äusserungen des Klinikdirektors Schäppi um seine Person handle. Alles, was der Direktor zu seinem Fall äussere, sei unwahr. Es habe bis zum Beschwerdezeitpunkt kein Gespräch zwischen ihm und Georg Schäppi gegeben und die «Südostschweiz» habe vor Veröffentlichung des Artikels nur mit Schäppi, jedoch nicht mit ihm gesprochen. Verletzt sehe er deshalb die Wahrheitspflicht gemäss Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). Der Beschwerdeführer sieht seine Person durch diesen Artikel diskriminiert, diffamiert und verleumdet. Er moniert zudem die Verletzung von Ziffer 5 der «Erklärung», da sich die «Südostschweiz» weigere, den falschen Inhalt zu berichtigen. Béla Zier habe sein Angebot, ihn telefonisch anzuhören, abgelehnt. Die «Südostschweiz» habe es auch abgelehnt, seine eingereichte Gegendarstellung zu publizieren, weil sie seinen Namen in ihrem Bericht gar nicht genannt habe.

C. Am 25. Juni 2019 nahm Silvio Lebrument, Geschäftsführer Medien der Somedia für die «Südostschweiz» zur Beschwerde Stellung. Er schliesst auf deren Abweisung. Im Bericht sei der Name des Beschwerdeführers nicht genannt worden. Es finde sich im gesamten Artikel keinerlei Hinweis darauf, dass der Name von X. im «Beobachter» veröffentlicht worden sei. Davon abgesehen sei nicht anzunehmen, dass sich Leser der Tageszeitung die Mühe machten, den Patienten identifizieren zu wollen. Der Beschwerdegegner wirft die Frage auf, welches Interesse die Leser an der Identifizierung hätten. Es stehe nicht der Patient, sondern der Klinikdirektor einer regionalen Klinik im Fokus, der sich gegen den Artikel des «Beobachter» zur Wehr setze. Es fehle damit der Grund für eine Diskriminierung, Diffamierung und Verleumdung. Zum Streitpunkt des persönlichen Gesprächs sei eine abschliessende Beurteilung weder durch den Artikel im «Beobachter» noch den in der «Südostschweiz» möglich. Im Artikel des «Beobachter» äussere sich der Klinikdirektor nicht zum Vorwurf des Beschwerdeführers, wonach er ein klärendes persönliches Gespräch abgelehnt habe. Im Artikel der «Südostschweiz» sage Klinikdirektor Georg Schäppi, dass er mit dem betreffenden Mann diverse Male längere Unterhaltungen geführt habe. Es stehe hier Aussage gegen Aussage. Nicht schlüssig sei für die «Südostschweiz» in diesem Zusammenhang jedoch, dass ein Klinikdirektor einem guten Kunden, der nach eigenen Aussagen 835 Aufenthaltstage seit 2005 gebucht habe, grundlos und ohne Rücksprache empfehlen solle, ein anderes Haus aufzusuchen. Das sei ökonomisch nicht zielführend. Möglicherweise handle es sich aber auch schlicht um eine missverständliche Kommunikation zwischen den Parteien. Eine Berichtigung gemäss Ziffer 5 der «Erklärung» sei obsolet, da die «Südostschweiz» die Haltung vertrete, der publizierte Bericht sei inhaltlich korrekt und es bestehe somit kein Grund für eine Berichtigung. Béla Zier habe sich sogar noch beim Redaktor des «Beobachter» erkundigt und habe gefragt, ob er an seiner Darstellung im Artikel festhalte. Damit sei dem Fairnessprinzip Genüge getan.

D. Am 5. Juli 2019 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 9. April 2020 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägung

Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit halten. Sie lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren. Ziffer 5 der «Erklärung» ergänzt: «Sie berichtigen jede von ihnen veröffentlichte Meldung, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist.» Beschwerdeführer X. ist der Ansicht, die Wahrheitspflicht sei verletzt, weil der Leserschaft mit dem Artikel klar werde, dass es sich beim betroffenen Patienten um ihn handle, da dieser auf den Artikel des «Beobachter» verweise, der wiederum seinen Namen nenne. Im Artikel sei auch vermerkt, der Klinikdirektor bestreite, es habe kein persönliches Gespräch stattgefunden. Ob X. und der Direktor tatsächlich miteinander sprachen oder nicht, kann der Presserat nicht beurteilen. Diesbezüglich steht Aussage gegen Aussage. Im Artikel der «Südostschweiz» steht der Klinikdirektor Georg Schäppi im Fokus. Dieser setzt sich gegen den Artikel des «Beobachter» zur Wehr. Der Beschwerdeführer hatte sich damit einverstanden erklärt, im Beitrag des «Beobachter» namentlich genannt zu werden. Im Artikel der «Südostschweiz» wird der Name des Beschwerdeführers nicht genannt. Der «Südostschweiz» kann nicht zum Vorwurf gemacht werden, über diesen Fall – unter Wahrung des Anonymität des Patienten – zu berichten. Da die «Südostschweiz» die Wahrheitspflicht mit ihrem Artikel «Klinikdirektor setzt sich zur Wehr» nicht verletzt hat, trifft sie auch keine Pflicht, den Artikel zu berichtigen. Der Presserat sieht weder Ziffer 1 noch Ziffer 5 der «Erklärung» verletzt.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. Die «Südostschweiz» hat mit dem Artikel «Klinikdirektor setzt sich zur Wehr» vom 10. Januar 2019 die Ziffern 1 (Wahrheit) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.