Nr. 19/2022
Wahrheit / Sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen / Menschenwürde

(Schweizerischer Verband der Neobiota-Fachleute c. «Neue Zürcher Zeitung»)

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Zusammenfassung

Der Presserat hat eine Beschwerde gegen die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) abgewiesen. Unter dem Ansatz «Liberalismus im Gartenbeet» schrieb ein Autor gegen die Bekämpfung von Neophyten an. Er arbeitete sich an einem biologischen Thema ab, um angeblich weltoffene Kreise mit dem Vorwurf Nationalismus und Konservatismus zu überziehen. Dies, weil sie heimische Pflanzen fremden Arten vorziehen würden. Dafür bediente der Autor sich auch des Xenophobie-Vorwurfs. Der Autor bilanzierte: Liberale gärtnern anders und lassen Neophyten im Garten stehen.

Der Artikel ist im Feuilleton erschienen. Für den Presserat geht bereits aus dem Titel und Lead hervor, dass es sich dabei um einen Meinungstext handelt. Der gesamte Text ist gespickt mit persönlichen Einschätzungen, Übertreibungen und sprachlich in einem angriffig-provokanten Ton gehalten. Deshalb reichen gewisse Ungenauigkeiten nicht aus für eine Verletzung der Wahrheitspflicht. Allerdings lehnt sich der Autor mit seinen Vorwürfen und fragwürdigen Vergleichen sehr weit hinaus und bewegt sich am äussersten Rand dessen, was ein Meinungsstück noch darf.

Résumé

Le Conseil de la presse rejette une plainte contre la «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ). Dans un texte intitulé «Liberalismus im Gartenbeet» (le libéralisme dans la jardinière), un auteur s’en prenait à la lutte contre les néophytes. Il abordait un sujet biologique pour taxer les milieux prétendument ouverts au monde de nationalisme et de conservatisme. Et ce, parce qu’ils préféreraient les plantes indigènes aux espèces étrangères. L’auteur a également utilisé le terme de xénophobie. Il dressait le bilan suivant: les libéraux jardinent autrement et laissent les néophytes pousser dans leur jardin.

L’article est paru sous la forme d’un feuilleton. Pour le Conseil de la presse, le titre et le chapeau montrent d’emblée qu’il exprime une opinion. L’ensemble du texte est ponctué d’avis personnels et d’exagérations et il est rédigé dans un ton agressif et provocateur. C’est pourquoi certaines imprécisions ne suffisent pas pour justifier une atteinte au devoir de rechercher la vérité. L’auteur va toutefois très loin avec ses reproches et ses comparaisons douteuses et il évolue à l’extrême limite de ce qu’un texte d’opinion peut s’autoriser.

Riassunto

Il Consiglio della stampa ha respinto un reclamo contro la «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ). Partendo dall’espressione «Liberalismo nell’aiuola», un autore ha scritto un articolo contro la lotta alle piante neofite. Servendosi della botanica, ha lanciato accuse di nazionalismo e conservatorismo nei confronti dei presunti circoli cosmopoliti, che preferirebbero le piante autoctone alle specie alloctone. A questo scopo, l’autore si è servito anche dell’accusa di xenofobia. Secondo l’autore, i liberali fanno giardinaggio in modo diverso, permettendo alle specie neofite di crescere nei loro giardini.

L’articolo è apparso nell’inserto culturale (Feuilleton). Il Consiglio della stampa ritiene evidente fin dal titolo e dal cappello che si tratta di un pezzo d’opinione. L’intero testo è costellato di considerazioni personali ed esagerazioni. È inoltre redatto in un tono aggressivo e provocatorio. Non sono perciò sufficienti alcune imprecisioni per sancire una violazione del rispetto della verità. Ciò nonostante, l’autore si spinge molto in là con le sue accuse e i paragoni discutibili, giungendo al limite estremo di ciò che un articolo di opinione è autorizzato a scrivere.

I. Sachverhalt

A. Am 26. August 2021 veröffentlicht die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) im Feuilleton den Artikel «Willkommen, liebe Neophyten!» und gleichentags denselben Text online mit dem Titel «Ist das Heimische besser als das Fremde? Wenn es um Pflanzen geht, zeigen weltoffene Kreise einen merkwürdigen Hang zum Nationalismus».

Wie es der Lead ankündigt, spricht sich der Autor Felix E. Müller darin für «mehr Liberalismus im Garten» aus. Seit 25 Jahren werde vor Neophyten gewarnt – und dies in einer alarmistischen Weise. Es gelte, die «Abwehrkräfte zu mobilisieren, um den Feind zu bekämpfen, zu dezimieren, zu eliminieren, auszurotten, bevor er uns gänzlich unterwandert und dominiert». Dabei bediene man sich der Sprache des Soldatenbuchs, das während des Kalten Kriegs vor dem Kommunismus warnte, um auf die «Invasion (…), die im harmlosen grünen Tarngewand daherkommt» aufmerksam zu machen. Die Medien würden mantramässig berichten, dass Neophyten einheimische Pflanzen verdrängten und die Biodiversität reduzierten. Auch könnten sie wirtschaftlichen Schaden anrichten und die Gesundheit von Mensch und Tier gefährden. Journalistinnen und Journalisten wie auch Politikerinnen und Politiker würden sich kaum die Mühe machen, «den Wahrheitsgehalt dieser Behauptungen zu überprüfen». Das Bundesamt für Umwelt schreibe auf Anfrage, ob eine einheimische Pflanze «einer Invasorin zum Opfer fiel»: Problematisch sei es, wenn die Schutzgebiete von invasiven Neophyten überzogen würden. Dann schmälere das zusätzlich den Lebensraum stark reduzierter Arten.

Der Autor wirft daraufhin die Frage auf, ob die Biodiversität nicht zunähme, wenn keine einheimische Pflanze verschwinde oder – wenn sie doch verdrängt würde – die Summe der Biodiversität zumindest konstant bliebe. Er argumentiert weiter, dass die wirtschaftlichen Schäden aufgrund der Neophyten «stark virtueller Art» seien. 90 Millionen Franken würden verglichen mit dem «Corona-Milliardenloch im Bundeshaushalt nicht gerade beunruhigend» wirken. Auch flösse das Geld nur, wenn gegen die Neophyten aktiv vorgegangen werde. Werde nichts gegen sie unternommen, fielen keine Kosten an. Die gesundheitlichen Konsequenzen durch die Neophyten für Mensch und Tier hielten sich in «engsten Grenzen».

Solche Argumente würden allerdings nicht gehört, da es um Glaubensinhalte gehe, schreibt der Autor: «Die Gegner der Neophyten halten unerschüttert an ihrer Überzeugung fest, dass das Eingesessene besser sei als das Fremde. Sie ziehen mit dem Schlachtruf ‹Nieder mit dem Sommerflieder!› in den Kampf …». Doch wenn per se das Heimische besser als das Fremde sei, würde dies der Haltung von Nationalisten entsprechen. «Bei der Xenophobie im Garten handelt es sich aber um eine Erfindung nicht der SVP, sondern von Umweltschützern, die sich selbst wohl zum linken und grünen Lager zählen würden.» Es seien dieselben Kreise, die Jagd auf die pflanzlichen Eindringlinge machen würden, die sonst dem Multikulturellen zugetan seien.

Nicht zum ersten Mal werde das wuchernde Fremde verfemt. Schon die Nationalsozialisten hätten eine «homogene deutsche Pflanzenwelt» angestrebt. Doch die Idee einer reinen Natur sei ein menschliches Konstrukt, da sich die Gebiete von Pflanzenarten mit dem Klimawandel verschieben würden.

Als heimisch gelte den Neophyten-Gegnern, was vor 1500 n. Chr. eingewandert sei, alles was später kam, werde als fremd bezeichnet. Dieses frühere «paradiesische Gleichgewicht» wieder herstellen zu wollen, entspräche einem konservativen Weltbild. Auch sei es eine schwierige Aufgabe, weshalb der Staat helfen soll. Bald solle ein Gesetz verabschiedet werden, das gewisse Pflanzen verbiete. Um dies umzusetzen, sollen «staatliche Inspektoren» ausschwärmen und in Privatgärten Kirschlorbeer oder Indigostrauch ausreissen lassen.

Dabei sei die Lage «nicht ernst». Liberale würden anders gärtnern: «Sie lassen es wachsen, sie blicken über die Grenzen, sie freuen sich am Fremden. Sie wollen weiter Sommerflieder pflanzen, weil sie diesen als Bereicherung sehen.»

B. Am 13. Oktober 2021 reichte der Schweizerische Verband der Neobiota-Fachleute (SVNF) beim Schweizer Presserat eine Beschwerde gegen den Artikel der NZZ ein. Die Beschwerdeführer machen eine Verletzung der Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten», nachfolgend «Erklärung»), der Ziffer 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen), der Ziffer 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) und der Ziffer 8 (Achtung der Menschenwürde) der «Erklärung» geltend. Zudem monieren sie die mangelnde Trennung von Fakten und Kommentar gemäss der zur «Erklärung» gehörenden Richtlinie 2.3.

Zudem beantragt der Verband eine Richtigstellung durch die NZZ «mit einem Eingeständnis, dass Falschaussagen gemacht und Berufsgruppen diffamiert wurden». Sodann habe die Zeitung einen wissenschaftlichen Bericht über das Schadenspotenzial der Neophyten zu publizieren.

Laut den Beschwerdeführern suggeriert der Artikel, dass die Bekämpfung invasiver Neophyten auf Xenophobie beruhe, was nicht der Wahrheit entspreche. Auch handle es sich bei den Neophyten nicht um Glaubensinhalte oder um eine Erfindung von Umweltschützern, sondern um wissenschaftlich belegte Tatsachen. Die Bekämpfung der invasiven Arten habe entsprechend nichts mit der politischen Gesinnung zu. Die Definition von Neophyten sei ferner kein Kunstgriff, sondern eine wissenschaftlich begründete Klassifizierung. Entsprechend gehe es nicht darum, im Sinne eines konservativen Weltbildes einen früheren Zustand zu konservieren, sondern wissenschaftlich nachgewiesene Schäden und Kosten zu vermeiden.

Die Beschwerdeführer kritisieren, der Artikel unterschlage wichtige Informationen und entstelle Tatsachen, wodurch die öffentliche Meinung manipuliert würde. Fakten seien einseitig, tendenziös und verzerrt dargestellt. Es sei wissenschaftlich belegt, dass invasive Neophyten Schäden anrichteten. Gemäss dem UN Global Assessment von 2019 gelten die invasiven Neophyten als einer der «fünf wichtigsten Treiber des Verlustes an Biodiversität». Ihre Ausbreitung verlaufe exponentiell. Die Invasionen in der Schweiz würden bislang kaum wahrgenommen, weil sich viele erst im Anfangsstadium befänden oder die prophylaktische Bekämpfung wirke.

Die Kosten dafür würden weder erfasst noch ausgewiesen, aber stark ansteigen. Unklar sei, wofür die im Text genannten Kosten von 90 Millionen Franken stünden. Auf nur schon 100 Millionen Franken veranschlage man die Kosten, falls sich die Ambrosia-Pflanze in der Schweiz ausbreite. Durch deren Bekämpfung sei jedoch die Pollenbelastung in der Schweiz bislang niedrig gehalten worden. Das habe hohe Gesundheitskosten eingespart. Es sei daher falsch, wenn der Autor behaupte, dass keine Kosten anfielen, wenn nichts gegen die Neophyten getan würde.

Es entspreche nicht der Wahrheit, wenn gebietsfremde Arten als gleichwertiger Ersatz für einheimische, seltene Pflanzen dargestellt würden. Denn erstere würden nicht dieselben Leistungen für das Ökosystem erbringen, wodurch beispielsweise Futterpflanzen für bestimmte Insekten fehlten.

Im Text werde der Indigostrauch fälschlicherweise jenen invasiven Neophyten zugeordnet, die mit dem neuen Umweltschutzgesetz ausgerissen werden müssen. Doch gegen ihn gäbe es keine Bekämpfungspflicht. Anders als im Text behauptet, treffe diese auch nicht auf den Kirschlorbeer zu. Der Artikel beschwöre mit entstellten Tatsachen ein Schreckensszenario herauf.

Der Text diffamiere mit «diskriminierenden Anspielungen eine ganze Berufsgruppe» und zahlreiche Ehrenamtliche, die sich der Bekämpfung der invasiven Neophyten annähmen. Dabei gehe es «um effektive Schäden und nicht um Fremdenfeindlichkeit». Der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit und des Nationalismus sei widerlegt, da von den 750 Neophyten in der Schweiz nur 57 als invasiv oder potenziell invasiv gelten. Nicht das Fremde diene als Kriterium der Bekämpfung, sondern das Schadenspotential der invasiven Pflanzen. Mit den aufgeführten Zielen der Nationalsozialisten würden den Schweizer Bekämpfenden von Neophyten nationalsozialistische Motive unterstellt.

C. Die Beschwerdeantwort der «Neuen Zürcher Zeitung» folgte am 12. Januar 2022. Die Beschwerde sei vollumfänglich abzuweisen, sonst sei die Meinungsfreiheit stark gefährdet. Der Autor versuche in dem Text die positiven Aspekte von Neophyten hervorzuheben. Er äussere sich in «amüsanter Schreibweise (…) provokativ, überspitzt und zum Teil sarkastisch» über die invasiven Pflanzen und deren Bekämpfende.

Die NZZ macht geltend, dass die Beschwerdeführer nicht konkret begründen, weshalb gewisse Textpassagen Ziffern des Journalistenkodex verletzen sollten. Sie begnügten sich meist mit der Anmerkung, dass sie mit der Aussage des Autors nicht einverstanden seien. Das zeige die Problematik der Beschwerde auf. Sie unterscheide nicht zwischen Tatsachenbehauptung und Meinung.

Der Artikel propagiere mehr Liberalismus im Gartenbeet. Um diese Meinung zu stützen, würden keine wissenschaftlichen Thesen hinzugezogen. Es sei für den Durchschnittsleser klar, dass es sich bei dem Artikel um eine pointierte Meinung handle. Meinungen aber könnten nicht gegen die Wahrheitspflicht verstossen. Der Text unterschlage auch keine wichtigen Informationen, da er keine sachliche Abhandlung, sondern eine persönliche Meinung zu Neophyten darstelle.

Der Vorwurf der angeblichen Anfeindung und Diffamierung von Bekämpfenden der Neophyten sei abzuweisen. Der Artikel sei passagenweise zwar überspitzt formuliert und Satire. Diese lebe jedoch von «Übertreibungen und Verfremdungen». Die Beschwerdeführer begründeten aber nicht genauer, inwiefern der Artikel Neophyten-Gegner diskriminierend herabsetzen oder Vorurteile gegen eine Minderheit verstärken würde.

Es sei zulässig, von «nationalen Pflanzen» und von «ausländischen Pflanzen» zu schreiben, da Neophyten neu eingeführte Arten seien, die in der Schweiz nicht heimisch waren. Es sei Nationalismus, wenn Neophyten-Gegner sich für einheimische und gegen fremde Pflanzen einsetzen würden. Nationalismus sei zudem nicht diffamierend und nicht mit Nationalsozialismus gleichzusetzen.

Der Autor behaupte zudem nicht, die Aussagen der Wissenschaft seien falsch. Darüber hinaus seien auch wissenschaftliche Behauptungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Zahlreiche Passagen, welche die Beschwerdeführer kritisieren, würden die – teils überspitzt formulierte – Meinung des Autors widerspiegeln und seien keine falschen Tatsachenbehauptungen. Etwa, dass es einem konservativen Weltbild entspreche, wenn der biologische Zustand vor dem Jahr 1500 angestrebt werde. Oder dass die Lage nicht ernst sei.

Es sei zwar überspitzt, Neophyten-Gegner als Gläubige zu bezeichnen, doch zulässig. Diese Personen würden daran glauben, dass invasive Neophyten gestoppt werden müssten. Auch sei der Begriff «Erfindung» überspitzt formuliert, doch er treffe zu, die Bekämpfung von Neophyten sei ein neuzeitliches Phänomen.

Weiter sei der Hinweis auf den Nationalsozialismus eine überspitzte Formulierung. Allerdings schreibe der Autor in diesem Zusammenhang von «ähnlichen» Zielen und nicht von «gleichen».

Recht hätten die Beschwerdeführer, wenn sie die Passage kritisierten, in der «alle Bäume des Schweizer Waldes (…) die nach dem Ende der letzten Eiszeit die Schweiz besiedelt haben», als Neophyten bezeichnet würden. Hierzu sei darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Text nicht um einen wissenschaftlichen Artikel, sondern um einen Meinungsbeitrag im Feuilleton handle. Diese journalistische Ungenauigkeit liegt gemäss NZZ im Rahmen des Erlaubten.

D. Das Präsidium des Presserates wies die Beschwerde der 3. Kammer zu. Ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Monika Dommann, Michael Furger, Jan Grüebler, Simone Rau und Hilary von Arx an. Michael Furger trat von sich aus in den Ausstand.

E.Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 2. März 2022 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Der Verband der Neobiota-Fachleute beantragt beim Presserat eine Richtigstellung sowie einen wissenschaftlich fundierten Artikel über das Schadenspotenzial von Neophyten. Beide sollen in der NZZ erscheinen. Für solche Anweisungen an Redaktionen ist der Presserat nicht zuständig und tritt nicht darauf ein.

Der Presserat prüft, ob mit dem Text allenfalls der Journalistenkodex verletzt worden ist. Die Beschwerdeführer sehen pro insgesamt 22 Passagen oft mehrere Ziffern der «Erklärung» als verletzt an. Sie führen eine Unterschlagung wichtiger Informationen (Ziffer 3) und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen (Ziffer 7) an. Der Presserat macht von der Möglichkeit Gebrauch, sich auf die wesentlichen Beschwerdepunkte zu konzentrieren (Art. 17 Abs. 2 Geschäftsreglement), er handelt diese umfangreichen Beanstandungen zusammengefasst unter Ziffer 1 (Verletzung der Wahrheitspflicht) ab.

2. Ziffer 1 des Kodexes hält fest, dass Journalistinnen und Journalisten sich an die Wahrheit zu halten haben. Die Wahrheitssuche (Richtlinie 1.1) setzt unter anderem die Beachtung verfügbarer und zugänglicher Daten voraus.

Der provokante Artikel bedient sich eines biologischen Themas, um eine politische Gesinnung zu propagieren und ist im Feuilleton der NZZ erschienen. Es ist daher insbesondere zu prüfen (siehe Erwägung 3), ob es sich um einen deutlich erkennbaren Meinungstext handelt. Davon abgesehen dürfen auch Meinungsartikel keine Tatsachen entstellen und sie müssen die Menschenwürde wahren.

Das erste Signal an die Lesenden, dass sie ein persönlich geprägter Meinungsartikel erwartet, setzt der Titel im Print: «Willkommen, liebe Neophyten!». Und der Lead endet im Print wie online: «Ein Plädoyer für mehr Liberalismus im Garten(beet)».

In seiner Kernaussage macht sich der Autor des beanstandeten Textes also für mehr Liberalismus im Garten stark. Unter Liberalismus versteht er in diesem Kontext primär das Gedeihenlassen von Neophyten. Er postuliert, dass Gegnerinnen und Gegner von Neophyten ein konservatives Weltbild aufweisen würden, da sie den biologischen Zustand vor dem Jahr 1500 herbeiführen wollen. Die Beschwerdeführer kritisieren, dass der Autor den Bekämpfenden von Neophyten Xenophobie unterstelle und wissenschaftlich belegte Tatsachen missachte.

Tatsächlich steht die postulierte Meinung des Autors im Gegensatz zum wissenschaftlichen Konsens bezüglich invasiver Neophyten. Dabei gilt es zu berücksichtigen: Der Autor arbeitet sich nicht an der Wissenschaft ab. Sein Fokus richtet sich auf jene Menschen, die gegen Neophyten vorgehen. Dabei geht er gar nicht erst näher auf die Spezifizierung der Neophyten ein. Er lässt Grundlegendes aus: Und zwar, dass viele Neophyten sich problemlos in die Umwelt integrieren; nur verhältnismässig wenige verdrängen die einheimischen Pflanzen. Letztere werden invasive Neophyten genannt.

Der Autor setzt in seinem Text allerdings sämtliche Neophyten gleich. Die Neobiota-Fachleute halten hingegen fest, dass von den ungefähr 750 bekannten Neophyten in der Schweiz lediglich 57 als invasiv oder potenziell invasiv gelten. Diese werden bekämpft. Die Fremdartigkeit ist – nach dieser Differenzierung – somit kein taugliches Kriterium, um den Bekämpfenden von Neophyten Xenophobie zu unterstellen. Sonst müssten sie in der Logik des Textes sämtliche nicht heimische Pflanzen bekämpfen.

Entsprechend weit lehnt sich der Autor hinaus, wenn er den Neophyten-Gegnern Glaubenssätze vorwirft. Allerdings ist zu beachten, dass er keine sachliche Abhandlung des Themas anstrebt, sondern es angriffig kommentierend abhandelt und dies aus einer persönlichen Warte. Für die Durchschnittsleserin und den Durchschnittsleser ist – wie bereits im Titel und Lead vorweggenommen – aufgrund der zahlreichen kommentierenden Passagen und der provozierend-ironischen Sprache ersichtlich, dass der Text kein Wissensbeitrag ist, sondern eine Meinung. Dies wird dadurch unterstützt, dass es im Kern des Textes um den Liberalismus geht und eine politische Haltung hervorgehoben wird. Gewisse Ungenauigkeiten (beispielsweise welche Pflanzen aufgrund des neuen Umweltschutzgesetzes bekämpft werden) sind bedauerlich, reichen vor diesem Hintergrund aber nicht für eine Verletzung der Wahrheitspflicht aus. Ebenso nicht der inhaltliche Fehler, dass alle Bäume der Schweizer Wälder Neophyten sein sollen. Diese Aussage ist zwar falsch, aber für den ganzen Text nicht zentral. Festzuhalten ist jedoch, dass der Autor mit dem Xenophobie-Vorwurf – der bei genauerer Betrachtung in sich zusammenfällt – einen fragwürdigen Vergleich aufstellt und sich am äussersten Rand dessen bewegt, was ein Meinungsstück noch darf.

Zusammenfassend konstatiert der Presserat, dass es sich bei diesem Text um einen Grenzfall handelt. Der Presserat sieht nur deshalb von einer Rüge ab, weil es sich offensichtlich um einen Meinungsbeitrag handelt. Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung» ist somit nicht verletzt.

3. Die Beschwerdeführer machen geltend, dass der Text nicht zwischen Fakten und Kommentar unterscheide, wodurch Richtlinie 2.3 verletzt sei. Der Artikel ist im Feuilleton der NZZ erschienen. Sowohl im Print als auch online hält der Lead fest, dass es sich um ein Plädoyer handle. Diese sind naturgemäss einseitig, wobei für eine Sache entschieden eingetreten wird. Gleichzeitig sind sie nicht allgemeingültig, sondern entsprechen dem Standpunkt einer Partei.

Der gesamte Text ist gespickt mit persönlichen Einschätzungen, Übertreibungen und sprachlich in einem angriffig-provokanten Ton gehalten. Der Presserat ist der Meinung, dass es für die Durchschnittsleserin und den Durchschnittsleser erkennbar ist, dass der Artikel – platziert im Feuilleton – keine sachliche Abhandlung der Thematik darstellt, sondern ein Meinungsstück ist. Der Text verstösst daher nicht gegen Richtlinie 2.3.

4. Zudem sehen die Neobiota-Fachleute ihre Menschenwürde nicht respektiert, der Text verstosse gegen Richtlinie 8.1, welche die Achtung der Menschenwürde gebietet. Dies, weil der Artikel mit «diskriminierenden Anspielungen eine ganze Berufsgruppe» und zahlreiche Freiwillige diffamiere. Der Autor nennt nach der Beurteilung des Presserats im Text aber weder eine Organisation noch eine Berufsgruppe. Zudem zielt er auch nicht auf (prominente) Einzelpersonen. Er beschreibt die Gegner von Neophyten nicht weiter. Dass diese nicht gut wegkommen, ist unbestritten. Es ist für den Presserat nachvollziehbar, dass sich die Beschwerdeführer vom Autor herabgesetzt fühlen. Dadurch wird jedoch die Menschenwürde einzelner nicht verletzt.

Führt der Autor den Nationalismus an, tut er dies im Konjunktiv und fragend («Ist das Heimische per se besser als das Fremde? Das entspräche der Haltung von Nationalisten»). Den Vorwurf, dass den Neophyten-Gegnern nationalsozialistische Motive untergeschoben würden, sieht der Presserat nicht. Der Autor schreibt von «ähnlichen Zielen», was nicht der Gleichstellung einer nationalsozialistischen Haltung entspricht. Richtlinie 8.1 respektive die Ziffer 8 der «Erklärung» ist daher nicht verletzt.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. Die «Neue Zürcher Zeitung» hat mit dem Artikel «Willkommen, liebe Neophyten!» (Print) und «Ist das Heimische besser als das Fremde? Wenn es um Pflanzen geht, zeigen weltoffene Kreise einen merkwürdigen Hang zum Nationalismus» (online) vom 26. August 2021 weder die Ziffer 1 (Wahrheit) noch die Ziffern 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen), 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) oder 8 (Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.