Nr. 18/2022
Anhören bei schweren Vorwürfen

(Boss/Gamp/Zihlmann c. «Republik»)

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Zusammenfassung

Zwei Journalisten und eine Journalistin des Tamedia-Recherchedesks haben beim Presserat eine Beschwerde gegen die «Republik» eingereicht. Sie kritisieren, das Onlinemagazin habe in einer Artikelserie zu den Vorgängen rund um die Herzmedizin am Universitätsspital Zürich (USZ) schwere Vorwürfe gegen den Recherchedesk erhoben, ohne die JournalistInnen dazu anzuhören, womit die «Republik» die Anhörungspflicht verletzt habe.

Zur selben Artikelserie hatte Tamedia bereits zuvor zwei Gegendarstellungen beim Zürcher Handelsgericht eingereicht. Der Presserat hat deshalb entschieden, nicht auf diese Beschwerde einzutreten, weil bereits ein juristisches Verfahren läuft. Der Presserat hat immer wieder festgestellt, dass solche Parallelverfahren nicht zweckmässig sind. Er würde ausnahmsweise trotzdem eintreten, falls die Beschwerde eine medienethische Grundsatzfrage aufwirft oder das Thema eine breite öffentliche Diskussion ausgelöst hat. Beides ist hier nicht der Fall.

Résumé

Trois journalistes de la cellule d’enquête de Tamedia ont porté plainte auprès du Conseil de la presse contre «Republik». Ils critiquent le fait que le magazine en ligne ait émis, dans une série d’articles sur des faits de la médecine cardiologique à l’hôpital universitaire de Zurich (Universitätsspital Zürich, USZ), de graves reproches à l’encontre de la cellule d’enquête sans entendre les journalistes, de sorte que «Republik» a selon eux enfreint son obligation d’auditionner.
Tamedia avait déjà soumis deux rectificatifs au tribunal de commerce de Zurich au sujet de la même série d’articles. Le Conseil de la presse a donc décidé de ne pas entrer en matière sur cette plainte parce qu’une procédure judiciaire est déjà en cours. Il a constaté à moult reprises que les procédures parallèles ne sont pas indiquées. Le Conseil de la presse serait entré en matière, exceptionnellement, si la plainte avait soulevé une question éthique fondamentale ou que le sujet avait déclenché un vaste débat public. Tel n’est pas le cas.

Riassunto

Due giornalisti e una giornalista del desk di ricerca di Tamedia hanno inoltrato presso il Consiglio della stampa un reclamo nei confronti del media online «Republik». Criticano il fatto che in una serie di articoli dedicati alla pratica della cardiologia presso l’Ospedale universitario di Zurigo, la rivista online abbia formulato gravi accuse nei confronti del desk di ricerca senza aver ascoltato i giornalisti, violando così l’obbligo di ascolto. Per la stessa serie di articoli, Tamedia aveva in precedenza già inoltrato presso il Tribunale di commercio di Zurigo due controargomentazioni secondo il diritto di risposta.

Il Consiglio della stampa ha quindi deciso di non occuparsi di questo reclamo poiché è già in corso una procedura giuridica. Il Consiglio della stampa ha constatato a più riprese che questi procedimenti paralleli non sono adeguati. Ciò nondimeno, in via eccezionale rientrerebbero nel merito qualora il reclamo sollevasse una questione di principio in materia di etica dei media o se l’argomento suscitasse un ampio dibattito pubblico. Non si verifica qui nessuna delle due circostanze.

I. Sachverhalt

A. Am 3., 4. und 5. März 2021 publizierte die «Republik» drei ausführliche Artikel unter dem gemeinsamen Titel «Zürcher Herzkrise – eine Trilogie». Darin befasst sich die «Republik» mit den Vorgängen rund um die Herzmedizin am Universitätsspital Zürich (USZ) und mit der Rolle der Medien in diesem Konflikt. Der Presserat hat sich bereits zweimal mit der Berichterstattung zu diesen Vorfällen befasst (Stellungnahmen 25/2021 und 77/2021).

B. Am 1. Juni 2021 reichten die Journalistin Catherine Boss und die Journalisten Roland Gamp und Oliver Zihlmann, alle drei arbeiten beim Tamedia-Recherchedesk, beim Schweizer Presserat eine umfangreiche Beschwerde gegen die Artikel ein. Sie rügen, dass die «Republik» mit der Artikelserie die zum Journalistenkodex gehörende Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) verletzt habe. Eine Hauptaussage der Artikelserie sei, dass das Tamedia-Recherchedesk schwere Vorwürfe gegen einen damaligen Chefarzt des USZ erhoben habe, die sich nachträglich grösstenteils als falsch herausgestellt hätten, aber den Ruf des Chefarztes und seine Karriere zerstört hätten. Die Beschwerde zitiert dazu mehrfach aus der Artikelserie. Ein Satz wird dabei als besonders schwerwiegender Vorwurf bezeichnet: «Allerdings hat das USZ seinen Klinikdirektor nicht vor der medialen Rufmordkampagne geschützt, werde rechtlich noch kommunikativ». Es gebe für Journalistinnen und Journalisten wohl keinen schlimmeren Vorwurf als denjenigen, eine Rufmordkampagne durchgeführt zu haben, die auf grösstenteils falschen Behauptungen beruhe. Deshalb hätte die «Republik» das Tamedia-Recherchedesk (oder Tamedia) anhören müssen. Weil sie dies nicht getan habe, sei die Richtlinie 3.8 verletzt.

Die Beschwerdeführer informierten den Presserat darüber, dass Tamedia zu dieser Artikelserie am 1. April 2021 ein Gesuch um zwei Gegendarstellungen beim Zürcher Handelsgericht eingereicht hat. Weil es bei dem Gesuch nicht um die Anhörung bei schweren Vorwürfen gehe, gebe es keine Überschneidung des Presseratsverfahrens und des Prozesses um die Gegendarstellungen. Ein Parallelverfahren liege vor, wenn die beiden Verfahren dieselbe Frage zu klären suchten, wie der Presserat in Stellungnahme 24/2015 festgehalten habe. Aus diesem Grund rüge die Beschwerde ausdrücklich nicht, dass die Republik falsch berichtet habe, sondern es werde ausschliesslich die Verletzung der Anhörungspflicht gerügt.

C. Am 18. Oktober 2021 nahm Chefredaktor Christof Moser für die «Republik» Stellung zur Beschwerde. Die «Republik» habe mit den beanstandeten Artikeln gegen keine journalistischen, rechtlichen und ethischen Regeln verstossen. Die Berichterstattung entspreche der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). Sämtliche Vorwürfe werden bestritten. Die «Republik» habe keine schweren Vorwürfe gegen Tamedia erhoben, daher habe auch keine Pflicht zur Anhörung bestanden. Die von der «Republik» festgestellte «mediale Rufmordkampagne» ziele allgemein auf eine Vielzahl von Medien, nicht nur auf jene von Tamedia. Die «Republik» habe mit dem Satz «Allerdings hat das USZ seinen Klinikdirektor nicht vor der medialen Rufmordkampagne geschützt, weder rechtlich noch kommunikativ» gar keinen gegen das Tamedia-Recherchedesk gerichteten Vorwurf erhoben, sondern eine Bewertung der gesamten Medienberichterstattung zum «Fall Maisano» vorgenommen.

Mit den beiden Gesuchen um Gegendarstellung liege klarerweise ein Parallelverfahren vor, weshalb der Presserat nicht auf die Beschwerde einzutreten habe. Die Behauptung, es gehe nur um die Frage der Anhörungspflicht, sei falsch. Es sei unredlich, wenn die Beschwerde an etlichen Stellen auf angebliche Fehler der «Republik» hinweise, dies dann aber nicht als Teil der Beschwerde verstanden haben will. Es würden in der Beschwerde unter anderem exakt die Stellen des Artikels genannt, die auch Gegenstand des Gegendarstellungsverfahrens seien.

D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Monika Dommann, Michael Furger, Jan Grüebler, Simone Rau und Hilary von Arx an. Simone Rau trat von sich aus in Ausstand.

E. Am 30. Oktober 2021 beantragte «Republik»-Chefredaktor Christof Moser, dass Presseratsmitglied Michael Furger in den Ausstand tritt. Dieser habe sich für die «NZZ am Sonntag» ebenfalls mit den Vorgängen am USZ beschäftigt. Furger habe als Redaktor und Ressortleiter an der von der «Republik» kritisierten Medienkampagne mitgewirkt.

F. Das Präsidium des Presserats wies das Ausstandsbegehren am 26. November 2021 ab, nachdem es dazu Michael Furger angehört hatte. Die Ablehnung des Antrags begründete das Präsidium so: Die Tatsache, dass sich ein Kammermitglied publizistisch zu einem Thema geäussert habe, welches Gegenstand einer Beschwerde ist, sei für sich allein kein Grund, um dessen Fähigkeit zu einer unbefangenen Stellungnahme als wesentlich eingeschränkt erscheinen zu lassen. Furger habe bei zwei der drei von der «Republik» genannten Artikel über den Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Zürcher Universitätsspital geschrieben. Der «Fall Maisano», um den es in der Beschwerde in der Hauptsache geht, sei darin nur am Rand erwähnt worden. Beim dritten Artikel, der sich mit dem «Fall Maisano» befasste, habe Michael Furger nur die letzten beiden Abschnitte beigesteuert, die sich wiederum um den Direktor der Kieferchirurgie drehten.

G. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 2. März 2022 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Nach Art. 11 des Geschäftsreglements tritt der Presserat unter anderem dann nicht auf Beschwerden ein, «wenn ein Parallelverfahren (insbesondere bei Gerichten oder bei der UBI) eingeleitet wurde oder vorgesehen ist». Mit dem Gesuch auf zwei Gegendarstellungen vom 1. April 2021 hat Tamedia ein zivilrechtliches Verfahren beim Zürcher Handelsgericht eingeleitet, das sich mit der in der Beschwerde gerügten Artikelserie befasst. Es läuft also ein Parallelverfahren.

Bei Publikation dieser Stellungnahme ist der Stand des Verfahrens so: Mit Urteil vom 4. Juni 2021 hat das Handelsgericht Zürich das Gegendarstellungsbegehren 1 von Tamedia vollumfänglich gutgeheissen; die Publikation durch die «Republik» ist erfolgt. Gegendarstellung 2 hat das Gericht vollumfänglich abgewiesen; Tamedia zog das Urteil ans Bundesgericht weiter.

Geht es im parallel hängigen Verfahren um die gleichen Fragen wie in der Presseratsbeschwerde, ist diese Doppelspurigkeit aus Sicht des Presserates in der Regel nicht zweckmässig, wie der Presserat immer wieder festgestellt hat (62/2012, 30/2015, 1/2018, 40/2020). In der Stellungnahme 24/2015 hat der Presserat die Bestimmung so ausgelegt, dass auf eine Beschwerde eingetreten werden kann, auch wenn ein Parallelverfahren läuft, falls dabei unterschiedliche Fragen behandelt werden. Zweck der Bestimmung in Art. 11 des Geschäftsreglement sei, «zu verhindern, dass sich zwei unterschiedliche Instanzen mit der gleichen Frage beschäftigen».

2. Behandeln die Gesuche um Gegendarstellung die gleichen Fragen wie in der Beschwerde? Die beiden Gesuche betreffen Vorwürfe, die die «Republik» gegen die Tamedia-Redaktionen «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung» respektive das Tamedia-Recherchedesk erhebt. Tamedia bezeichnet die Aussagen als falsch. In der Beschwerde werden zum Teil dieselben Aussagen wie im Gesuch als Beleg verwendet, um zu zeigen, dass die «Republik» falsche und schwere Vorwürfe gegen das Recherchedesk erhoben habe, am schwersten der, eine Rufmordkampagne geführt zu haben. Die drei Tamedia-JournalistInnen führen in ihrer Beschwerde eine Vielzahl an Belegstellen in der Trilogie der «Republik» an, um diesen Vorwurf zu exemplifizieren. Somit geht es um die gleiche Fragestellung, nämlich darum, ob die «Republik» mit ihrer Berichterstattung dem Recherchedesk falsche beziehungsweise schwerwiegende Vorwürfe gemacht hat. Eine allfällige Verletzung der Anhörungspflicht geht aus diesen Vorwürfen hervor. Der Presserat tritt deshalb nicht auf die Beschwerde ein.

Träte der Presserat auf die Beschwerde ein, hätte er also zu prüfen, ob der Vorwurf Rufmordkampagne berechtigt war und schwer genug, um die Tamedia-Journalisten anzuhören, er hätte mithin zu prüfen, wie die «Republik» ihren Vorwurf begründet und herleitet. Und dann ist man sofort bei Sachverhalten, welche Tamedia mit den Gegendarstellungsbegehren vor Gericht gebracht hat. Also bei einem Parallelverfahren über falsche oder richtige Vorwürfe gemäss Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung». Und nicht mehr bei der Frage, ob die «Republik» gegen die Anhörungspflicht gemäss Richtlinie 3.8 verstossen hat.

3. Der Presserat könnte trotz Parallelverfahren auf die Beschwerde eintreten, «sofern sich berufsethische Grundsatzfragen stellen oder der Bericht, gegen den sich die Beschwerde richtet, eine breite öffentliche Diskussion ausgelöst hat» (Art. 11 Geschäftsreglement). Hier liegt aber weder eine berufsethische Grundsatzfrage vor noch hat der Beschwerdepunkt eine breite öffentliche Diskussion ausgelöst. Zudem hat sich der Presserat zum Thema Anhörungspflicht bereits in einer grossen Anzahl von Stellungnahmen geäussert.

III. Feststellung

Der Presserat tritt auf die Beschwerde gestützt auf Art. 11 Abs. 1 des Geschäftsreglements nicht ein, weil ein Parallelverfahren im Gange ist.