Nr. 18/2010
Meinungspluralismus / Trennung von Fakten und Kommentar / Quellennennung / Anhörung

(Lucchi c. «St. Galler Tagblatt»/«Anzeiger»)

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I. Sachverhalt

A. Am 6. Dezember 2009, abends in der Online-Ausgabe und tags darauf in der Printausgabe, berichtete «20 Minuten» («Lucchi erteilt FM1 einen Korb»), «die Ostschweizer Radiolegende Jeannot Lucchi hätte am Sonntag auf FM-Melody zum ersten Mal die ‹Hits von damals› präsentieren sollen. Doch zur geplanten Oldie-Sendung kam es nicht.» Grund sei ein Streit um die Rückzahlung des Septemberlohnes, den die Tagblatt Medien zurückforderten. «Laut Lucchi zu Unrecht: ‹Nach der Absetzung der Rubrik Musikbox hatte ich Anrecht auf den Lohn.› FM1 zog schliesslich die Forderung zurück. ‹Die Diskussionen waren stillos und wurden ohne Respekt geführt›, so Lucchi.» Anders sähen dies die Tagblatt Medien: «Das Geld sei irrtümlich überwiesen worden. ‹Dass Herr Lucchi die Rückforderung als Beleidigung empfindet, ist für uns nicht nachvollziehbar›, heisst es zudem in einer Stellungnahme des Senders.»

B. Am 7. Dezember 2009 berichtete das «St. Galler Tagblatt» ebenfalls über die Auseinandersetzung (Titel «Lucchi nicht auf Sendung»): «Das breit angekündigte Comeback von Jeannot ‹The Voice› Lucchi mit einer neuen Oldie-Sendung auf Radio FM1-Melody fand gestern nicht statt.» Lucchi habe sich kurzfristig zurückgezogen, weil er ein ihm irrtümlich überwiesenes Monatshonorar hätte zurückzahlen sollen. «Lucchi fühlt sich von der ‹unberechtigten Forderung› und ‹stillosen› Art beleidigt, wie er mitteilt.» Demgegenüber bedaure André Moesch, Leiter elektronische Medien St. Galler Tagblatt AG, die «‹nicht nachvollziehbare Reaktion›: ‹Seine Vorwürfe entbehren jeder Grundlage.›»

C. Am 10. Dezember 2009 vermeldete schliesslich auch der ebenfalls zur Tagblatt Medien AG gehörende «Anzeiger», FM1-Radiomoderator Lucchi sei vorzeitig aus seinem Vertrag ausgestiegen. «Aus Ärger, weil er ein irrtümlich überwiesenes Honorar hätte zurückzahlen sollen.»

D. Am 8. und 18. Januar 2010 beschwerte sich Jeannot Lucchi beim Presserat über die Berichte von «St. Galler Tagblatt» und «Anzeiger». Das «St. Galler Tagblatt» habe offensichtlich gestützt auf interne Mails und ohne vorgängig mit ihm Kontakt aufzunehmen, die Fakten verzerrt dargestellt. Tatsächlich hätten die Tagblatt Medien aber auf sämtliche Rückforderungen verzichtet. Zusätzlich seien auch diverse Leserbriefe unveröffentlicht geblieben. Der Verdacht auf «Konzernjournalismus erhält zusätzliche Nahrung durch die Veröffentlichung im konzerneigenen Blatt ‹Anzeiger›, das – ebenfalls ohne Nachfrage bei mir – den gleichen Wortlaut (gekürzt) aus dem Tagblatt übernahm».

Mit den beiden Veröffentlichungen habe die Tagblatt Medien AG die Richtlinien 2.2 (Meinungspluralismus), 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar), 3.1 (Quellenbearbeitung), 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» sowie die Ziffer 3 der «Erklärung» (Unterschlagung wichtiger Elemente von Informationen) verletzt.

E. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

F.Das Presseratspräsidium, bestehend aus Presseratspräsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina, hat die vorliegende Stellungnahme per 30. April 2010 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1.
Gemäss Art. 10 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf offensichtlich unbegründete Beschwerden ein.

2. Aus dem vom Beschwerdeführer dargelegten Sachverhalt und den dem Presserat eingereichten Unterlagen geht hervor, dass dessen bevorstehendes «Comeback» bei Radio FM1-Melody im vergangenen Dezember an einem Honorarstreit mit der Tagblatt Medien AG scheiterte. Gemäss Auffassung der letzteren, schuldete der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der beanstandeten Publikationen noch eines von zwei ihm irrtümlich überwiesenen Monatshonoraren, während er selber davon ausging, die Gegenpartei habe auf sämtliche Rückforderungen verzichtet.

3. Weder für die Leserschaft des «St. Galler Tagblatt» noch für diejenige des «Anzeiger» sind aber die Einzelheiten dieses Honorarstreits derart wichtig, dass sie für das Verständnis der Hauptaussage der Zeitungsmeldungen – kein Comeback wegen Honorarstreit – unabdingbar sind. Ebenso gilt dies für die Angabe der Quelle(n) dieser Informationen. Eine Verletzung der Ziffer 3 zur «Erklärung» (Unterschlagung von wichtigen Informationen) und der Richtlinie 3.1 (Quellennennung) ist unter diesen Umständen zu verneinen. Ebenso gilt dies für die Richtlinie 3.8. Eine Anhörung des Beschwerdeführers war in diesem Fall nicht zwingend, da ihm weder illegales noch vergleichbares unredliches Verhalten vorgeworfen wird (vgl. dazu zuletzt die Stellungnahme 3/2010). Zudem ist in der Meldung des «St. Galler Tagblatt» vermerkt, dass Lucchi die Rückforderung für «unberechtigt» und «stillos» hält.

Allenfalls könnte man sich hingegen fragen, ob es mit Ziffer 7 (Respektierung der Privatsphäre) vereinbar war, Details des Honorarstreits an die Öffentlichkeit zu tragen. Der Beschwerdeführer beruft sich allerdings zu Recht nicht auf diese Bestimmung, nachdem er sich gegenüber «20 Minuten» öffentlich zur Auseinandersetzung geäussert hat.

4. Ebenso wenig nachvollziehbar ist für den Presserat der Vorwurf des Konzernjournalismus bzw. die in diesem Zusammenhang geltend gemachte Verletzung der Richtlinie 2.2 (Meinungspluralismus). Gemäss ständiger Praxis sind Redaktionen nicht verpflichtet, Leserbriefe zu veröffentlichen. Und die Kurzmeldung des «Anzeiger», auf die sich die entsprechende Rüge des Beschwerdeführers bezieht, beschränkt sich auf eine nüchterne Kurzfassung der – unbestrittenen – Tatsache, dass das «Comeback» an einer Meinungsverschiedenheit der Parteien in einer Honorarfrage scheiterte.

5. Entgegen der vom Beschwerdeführer zumindest implizit vertretenen Auffassung kann aus der Richtlinie 2.3 schliesslich keine Pflicht zur Trennung von Fakten und Kommentaren abgeleitet werden (vgl. zuletzt die Stellungnahme 6/2010). Hingegen muss das Publikum in der Lage sein, Fakten und Kommentare zu unterscheiden. Der in der Beschwerde beanstandete Satz des Berichts des «St. Galler Tagblatt», «Und wird wohl auch nicht mehr passieren»» – gemeint ist das «Comeback» des Beschwerdeführers – ist für die Leserschaft ohne Weiteres als kommentierende Wertung erkennbar.

III. Feststellungen

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.