Nr. 17/2020
Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung

(X. c. «St. Galler Tagblatt»)

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Zusammenfassung

Der Schweizer Presserat hat sich erneut mit der Frage auseinandergesetzt, ob bezahlter Inhalt für die Leser klar erkennbar war. Er kommt zum Schluss, dass dies nicht der Fall war. Konkret ging es um ein fast ganzseitiges Interview mit dem Länderchef einer Wirtschaftsprüfungsfirma unter dem Titel «Vier-Augen-Gespräch ist unersetzbar», welches im «St. Galler Tagblatt» publiziert worden war. Am Ende des Interviews stand der Hinweis «Dieses Interview wurde im Auftrag von EY Schweiz geführt». Da die Layout-Unterschiede im Vergleich zum redaktionellen Inhalt gering waren, war für Durchschnittsleserinnen nicht klar ersichtlich, dass sie es mit einem kommerziellen Inhalt zu tun hatten. Weil sich das Inserat gestalterisch kaum vom redaktionellen Teil abhob, hätte es einer expliziten Deklaration als Werbung bedurft. Die aber fehlte. Der Presserat entschied deshalb, dass das «St. Galler Tagblatt» das Gebot der Trennung von redaktionellem Teil und Werbung verletzt hat. Seit seinem Leitentscheid 67/2019 hat der Presserat mehrere Stellungnahmen zu diesem Thema verabschiedet. Er hält erneut deutlich fest, dass der durchschnittliche Leser auf den ersten Blick erkennen muss, dass er Werbung vor sich hat.

Résumé

Le Conseil suisse de la presse s’est à nouveau penché sur la question de savoir si un contenu payant était clairement reconnaissable par les lecteurs. Il conclut que ce n’était pas le cas dans une interview de presque une page avec le responsable national d’un cabinet d’audit sous le titre «La discussion à quatre yeux est irremplaçable», publiée dans le «St. Galler Tagblatt». À la fin de l’entretien, la note «Cet entretien a été réalisé au nom de EY Switzerland» paraît. Comme les différences de mise en page sont faibles par rapport au contenu éditorial, le Conseil de la presse estime qu’un lecteur moyen n’est pas clairement conscient qu’il a affaire à un contenu commercial. Comme la publicité ne se distingue guère du contenu rédactionnel optiquement, elle aurait dû être explicitement déclarée comme publicité, ce qui n’est pas le cas. Le Conseil de la presse juge donc que le «St. Galler Tagblatt» a violé l’exigence de la séparation entre la partie rédactionnelle et la publicité. Depuis sa décision fondamentale 67/2019, le Conseil de la presse a adopté plusieurs prises de position sur cette question. Il indique clairement, une fois de plus, que le lecteur moyen doit pouvoir voir au premier coup d’œil qu’il est confronté à la publicité.

Riassunto

Il Consiglio svizzero della stampa si è occupato di nuovo della riconoscibilità di contenuti a pagamento all’interno dei media. Nell’ultimo caso – che riguarda il quotidiano «St. Galler Tagblatt» – si trattava di un’intera pagina recante un’intervista al direttore in Svizzera di una impresa di consulenza economica, dal titolo «Niente di meglio di un colloquio a quattr’occhi» («Vier-Augen Gespräch ist unersetztbar»). Alla fine dell’intervista figurava la scritta «per incarico dei EY Schweiz». Data la somiglianza dell’impaginazione con quella delle pagine redazionali del giornale, era necessario chiarire esplicitamente al lettore che il servizio era pagato da fuori. Il Consiglio della stampa ne ha concluso che il giornale ha mancato al dovere di rendere chiaramente distinguibili le due modalità. È l’ennesima constatazione di un’infrazione al codice deontologico dopo la presa di posizione di principio 67/2019. Il Consiglio ribadisce con forza il principio che i lettori devono essere in grado di riconoscere a prima vista se hanno davanti un testo redazionale oppure della réclame.

I. Sachverhalt

A. Am 27. Juli 2019 veröffentlichte das «St. Galler Tagblatt» ein fast ganzseitiges Interview mit dem neuen Länderchef Schweiz der Wirtschaftsprüfungsfirma Ernst & Young, Stefan Rösch-Rütsche. Unter dem Titel «Vier-Augen-Gespräch ist unersetzbar» äussert sich der EY-Chef über die Digitalisierung im Alltag der Unternehmen, was sie für die Beratungs- und Prüfungsbranche bedeutet und über die Preisverleihung «Entrepreneur Of The Year». Auf der selben Seite findet sich im unteren Teil in Form einer kontextuellen Box ein Beitrag mit dem Titel «Ein Unternehmerpreis mit nachhaltiger Wirkung»; er beschreibt den Preis (Kategorien, Teilnahmebedingungen, Jury-Zusammensetzung usw.). Am Ende des Interviews steht der Hinweis «Dieses Interview wurde im Auftrag von EY Schweiz geführt».

B. Am 11. August 2019 wandte sich X. mit einer Beschwerde an den Schweizer Presserat. Er macht geltend, Seite 8 des «St. Galler Tagblatt» mit dem Seitentitel «Entrepreneur Of The Year» bzw. die ganze Seite (mit Interview und Beschreibung des Preises) verstosse gegen die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») gehörende Richtlinie 10.1, die eine «Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung» verlangt. Das Erscheinungsbild von Seite 8 weiche kaum vom redaktionellen Artikel auf der gegenüberliegenden Seite 9 ab, so der Beschwerdeführer.

C. Am 17. September 2019 nahmen für das «St. Galler Tagblatt» Bettina Schibli, die Leiterin Lesermarkt und Zusatzgeschäfte, und Chefredaktor Stefan Schmid Stellung zur Beschwerde. Diese sei abzuweisen, da die Seite 8 durch eine abweichende Gestaltung ordnungsgemäss gekennzeichnet sei. Die «Pagina» [gemeint ist der Titel im Seitenkopf] auf solchen PR-Seiten würde durch serifenlose Schrift von den anderen Seiten abgesetzt; auch die Titel von PR-Seiten seien in derselben serifenlosen Schrift gehalten und seien zentriert, wohingegen die Titel von redaktionellen Seiten linksbündig und mit Serifenschrift publiziert würden. Dazu sei die Verlagspublikation explizit als solche deklariert, indem der Auftraggeber unmissverständlich ausgewiesen werde. All dies führe zu klaren Unterscheidungsmerkmalen, die PR-Seite sei klar von den redaktionellen Seiten unterscheidbar.

D. Mit Schreiben vom 15. Oktober 2019 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde von der 1. Kammer behandelt, bestehend aus Francesca Snider (Präsidentin), Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Klaus Lange, Francesca Luvini und Casper Selg.

E. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde in ihrer Sitzung vom 4. November 2019 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägung

Ziffer 10 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie jede Form von kommerzieller Werbung vermeiden und keinerlei Bedingungen von Seiten der Inserentinnen und Inserenten akzeptieren. Gemäss zugehöriger Richtlinie 10.1 (Trennung von redaktionellem Teil und Werbung) muss eine deutliche Trennung zwischen redaktionellem Teil/Programm und Werbung bzw. bezahltem oder durch Dritte zur Verfügung gestelltem Inhalt gewährleistet sein. Inserate, Werbesendungen und bezahlte oder durch Dritte zur Verfügung gestellte Inhalte sind gestalterisch von redaktionellen Beiträgen klar abzuheben. Sofern sie nicht optisch/akustisch eindeutig als solche erkennbar sind, müssen sie explizit als Werbung deklariert werden. Journalistinnen und Journalisten dürfen diese Abgrenzung nicht durch Einfügen von Schleichwerbung in der redaktionellen Berichterstattung unterlaufen.

In seinem Leitentscheid 67/2019 hatte der Presserat folgendes festgehalten: «Es geht darum, dass der durchschnittliche Leser auf den ersten Blick erkennt, dass es sich um Werbung handelt, sonst täuscht die Redaktion ihr Publikum.» Im Urteil des Presserats hat das «St. Galler Tagblatt» mit der gewählten Darstellung den kommerziellen Gehalt des Beitrags nicht ausreichend deutlich gemacht. Die Argumente des Beschwerdegegners, dass die ganze Seite 8 durch eine abweichende Gestaltung ordnungsgemäss gekennzeichnet sei, überzeugen nicht. Die geringen Layout-Unterschiede sind für DurchschnittsleserInnen nicht klar ersichtlich. Die beiden Beiträge erscheinen im Gegenteil wie ein übliches Interview mit zugehörigem Hintergrund-Artikel. Leserinnen und Leser werden über den Inhalt getäuscht.

Fehlt es an einer klaren gestalterischen Abhebung vom redaktionellen Teil, braucht es eine explizite Deklaration als Werbung. Eine solche fehlt auf Seite 8. Hinzu kommt, dass der Name des Auftraggebers zwar genannt ist, aber nicht klar darauf hingewiesen wird, dass es sich tatsächlich um einen bezahlten Beitrag handelt: «Dieses Interview wurde im Auftrag von EY geführt» heisst für den Durchschnittsleser nicht, dass es sich um Werbung oder eben um einen bezahlten Beitrag handelt. Die Leserinnen und Leser werden auch hier irregeführt.

Das «St. Galler Tagblatt» hat somit Ziffer 10 der «Erklärung» respektive Richtlinie 10.1 (Trennung von redaktionellem Teil und Werbung) verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. Das «St. Galler Tagblatt» hat mit der Seite 8 und den zwei Beiträgen «Vier-Augen Gespräch ist unersetzbar» und «Ein Unternehmerpreis mit nachhaltiger Wirkung» vom 27. Juli 2019 die Ziffer 10 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Trennung von Werbung und redaktionellem Inhalt) verletzt.