Nr. 17/2018
Zuständigkeit des Presserats für Tweets

(Mück und Kiener Nellen c. «Basler Zeitung»)

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Zusammenfassung

Journalisten-Tweet war privat

Der Presserat ist auf die Beschwerde gegen den privaten Tweet eines Journalisten der «BaslerZeitung» (BaZ) nicht eingetreten, weil er dafür nicht zuständig ist.

Der Leiter der BaZ-Bundeshausredaktion hatte im Juni 2017 einen Tweet versandt, in welchem er behauptete, zwei bekannte Schweizer Politikerinnen unterstützten eine Aktion in Berlin, in welcher Holocaust-Überlebende niedergebrüllt worden waren. Die beiden Betroffenen legten beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen die BaZ ein wegen Verstosses gegen die Wahrheitspflicht. Sie hätten von der Aktion nichts gewusst, sie seien im Gegenteil entschieden gegen derartige Aktionen. Auch seien sie nicht Mitglieder der in Berlin protestierenden Gruppe, sie hätten lediglich acht Jahre zuvor einen Aufruf jener Gruppe unterstützt, welcher die Einhaltung der Menschenrechte von Palästinensern forderte.

Twitter ist in der Regel kein redaktionell bearbeitetes Medium, wie das laut Geschäftsreglement des Presserats für sein Eintreten erforderlich wäre. Auch kann die «Basler Zeitung» nicht verantwortlich sein für einen Text, der nicht von ihr redigiert wurde, selbst wenn der Autor des Tweets häufig twittert und dies mit der Identifikation als «Journalist@BaslerZeitung».

Der Presserat ist sich aber bewusst, dass sich mit der Verbreitung von Information über Twitter grundsätzliche Fragen hinsichtlich seiner Zuständigkeit stellen. Er wird daher darauf zurückkommen.

Résumé

Le journaliste a tweeté à titre privé

Le Conseil de la presse n’est pas entré en matière sur la plainte qui lui a été adressée au sujet du tweet posté à titre privé par un journaliste de la «BaslerZeitung» (BaZ) parce qu’il n’a pas compétence pour le faire.

En juin 2017, le chef de la rédaction de la BaZ au Parlement a posté un tweet dans lequel il affirmait que deux politiciennes suisses bien connues soutenaient une opération menée à Berlin où des survivants de l’Holocauste avaient été conspués. Les deux intéressées ont porté plainte contre la BaZ auprès du Conseil suisse de la presse pour atteinte au devoir de vérité. Elles disent ne pas avoir été au courant de l’opération et être farouchement opposées à des opérations de ce type. Elles affirment aussi ne pas être membres du groupe de protestataires de Berlin et avoir seulement soutenu, huit ans plus tôt, un appel dudit groupe au respect des droits de l’homme des Palestiniens.

Twitter n’est pas en général un média fournissant un travail rédactionnel, comme l’exige le règlement du Conseil de la presse pour toute entrée en matière. La «Basler Zeitung» ne peut être rendue responsable non plus d’un texte qui n’a pas été rédigé par elle, même si l’auteur du tweet est un fervent utilisateur de Twitter et qu’il s’identifie comme «Journalist@BaslerZeitung».

Le Conseil de la presse est toutefois conscient que la diffusion d’informations sur Twitter soulève des questions fondamentales concernant sa compétence. Il reviendra donc sur le sujet.

Riassunto

Il giornalista ha tweettato a titolo privato

Il Consiglio della stampa non è entrato in materia su un reclamo contro un «tweet» privato di un giornalista della «Basler Zeitung» poiché non è di sua competenza.

Il responsabile della redazione di palazzo federale della «Basler Zeitung» è l’autore di un «tweet» postato nel giugno 2017 in cui sostiene che due noti politici svizzeri hanno manifestato sostegno a una campagna in atto a Berlino per ridurre al silenzio le vittime dell’Olocausto ancora in vita. Le due persone citate hanno presentato un reclamo al Consiglio svizzero della stampa, accusando il giornale di violazione dell’obbligo di verità. Non solo essi non sarebbero stati al corrente della campagna in questione, ma neppure sarebbero associati ai gruppi berlinesi citati: risulta unicamente che otto anni fa avevano sottoscritto un appello a sostegno dei diritti umani dei palestinesi.

In genarale Twitter non è un media con alle spalle un lavoro redazionale, come esige il regolamento del Consiglio della stampa per un’entrata in materia. D’altra parte non può essere ritenuta responsabile neppure la «Basler Zeitung» per un testo non redatto da lei, anche se l’autore del «tweet» contestato twitta spesso e si identifica come «Journalist@BaslerZeitung».

Il Consiglio della stampa è consapevole che la diffusione di informazioni tramite Twitter solleva delle questioni fondamentali riguardo alla propria competenza. Pertanto ritornerà sull’argomento.

I. Sachverhalt

A. Am 25. Juni 2017 versandte Dominik Feusi, Leiter der Bundeshausredaktion der «Basler Zeitung» («BaZ»), einen Tweet folgenden Inhalts: «Zwei Politikerinnen, @margretkiener und @HeidiMueck unterstützen das: Holocaust-Überlebende an Uni niedergebrüllt». Angefügt war ein Link auf einen Artikel auf www.bz-berlin.de (das Onlineportal der «Berliner Zeitung») mit dem Titel: «Eklat bei Podiumsdiskussion: Holocaust-Überlebende an Humboldt-Uni niedergebrüllt». Im Artikel wird geschildert, dass bei einer Veranstaltung an der Humboldt-Universität in Berlin-Mitte mit rund 60 Gästen eine Knesset-Abgeordnete und eine Überlebende des Holocaust von Anhängern der pro-palästinensischen und antizionistischen Gruppe BDS angepöbelt worden seien. Die Abkürzung BDS stehe für «Boykott, Desinvestition und Sanktionen». Während der Rede der israelischen Politikerin hätten Aktivisten Parolen gerufen wie beispielsweise «Das Blut des Gaza-Streifens klebt an euren Händen». Im Artikel wird ein Antisemitismus-Forscher mit den Worten zitiert, die internationale Kampagne des BDS sei «in der Tat problematisch, weil sie sich nicht von antisemitischen Akteuren abgrenzt und ihre Aktionsformen häufig mit sehr aggressiven Auftritten einhergehen».

B. Am 23. August 2017 erhoben die durch den Verein Fairmedia vertretenen Politikerinnen Heidi Mück und Margret Kiener Nellen beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen Dominik Feusi. Sie machen geltend, der Journalist der «Basler Zeitung» habe mit seinem Tweet Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Wahrheitssuche) verletzt.

Die via Twitter versandte Aussage, Mück und Kiener Nellen würden es unterstützen, wenn eine Holocaust-Überlebende an einer Universität niedergebrüllt werde, sei unwahr. Tatsächlich nämlich hätten sie beide von der antisemitischen Aktion in Berlin gar keine Kenntnis gehabt und würden eine solche auch niemals unterstützen. «Im Gegenteil: Beide verurteilen Aktionen wie diese.» Wieso sie überhaupt mit den Vorkommnissen in Verbindung gebracht würden, erschliesse sich der Leserschaft nicht: Selbst nach der Lektüre des verlinkten Artikels ergebe sich «absolut kein Zusammenhang» zwischen der antisemitischen Störaktion an der Berliner Humboldt-Universität und den Beschwerdeführerinnen. Mit der BDS verbinde Mück und Kiener Nellen weder ein Mandat noch eine Anhänger- oder Mitgliedschaft.

Richtig sei einzig, dass beide Beschwerdeführerinnen im Jahr 2010 einen von der BDS lancierten Konsumboykott-Aufruf israelischer Produkte unterzeichnet hätten, womit auf die Einhaltung der humanitären Völkerrechte der palästinensischen Bevölkerung habe hingewiesen werden sollen. In diesem Zusammenhang seien nebst Fotos aller anderen Unterzeichnenden auch Bilder von Mück und Kiener Nellen veröffentlicht worden. Damit sei aber keine grundsätzliche Unterstützung für die BDS ausgedrückt worden: «Hätte der Beschwerdegegner eine kurze Recherche angestrengt, hätte er bemerken müssen, dass sich die Unterstützung der abgebildeten Personen lediglich auf den Konsumboykott und nicht generell auf die Aktionen der BDS bezog.» Dennoch habe Feusi die einmalige Unterstützung eines Konsumboykotts israelischer Produkte zum Anlass genommen, die Beschwerdeführerinnen mit einem Tweet in die antisemitische Ecke zu stellen. Und dies, obwohl allgemein bekannt sei, dass der Vorwurf des Antisemitismus schwer wiege.

C. Ausführlich gehen die Beschwerdeführerinnen auf die Frage der Zuständigkeit des Presserates ein. Denn: «Soweit ersichtlich, musste der Presserat bisher noch keine Twitter-Inhalte auf Beschwerde hin beurteilen.» In Artikel 2 seines Geschäftsreglements erkläre sich der Presserat für berufsethische Fragen zuständig, sofern sie sich im Zusammenhang mit öffentlichen, periodischen und/oder auf die Aktualität bezogenen Medien stellen. Gemäss Mück und Kiener Nellen handelt es sich beim Kurznachrichtendienst Twitter um ein Medium. Dies, da Twitter alle drei genannten Kriterien erfülle. So stünden Tweets – anders etwa als Facebook-Einträge – nicht einem privaten Kreis zur Verfügung, sondern seien grundsätzlich an die Öffentlichkeit gerichtet; Twitter sei ferner darauf ausgelegt, regelmässig bzw. periodisch genutzt zu werden (was auch durch die Tatsache belegt sei, dass Beschwerdegegner Feusi seit 2008 rund 17’900 Tweets verfasst habe); schliesslich sei Twitter aufgrund rascher Interaktionsmöglichkeit und schnelllebig verbreiteter Inhalte auf Aktualität ausgerichtet.

Selbst wenn der Presserat der Auffassung sein sollte, Twitter erfülle die drei erwähnten Kriterien eines Mediums nicht, so habe er bezogen auf die vorliegende Streitigkeit doch Stellung zu nehmen. Dies, weil es sich beim Beschwerdegegner um den Leiter der Bundeshausredaktion der «Basler Zeitung» und somit zweifelsohne um einen Journalisten im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 seines Geschäftsreglements handle. Aufgrund der beträchtlichen Anzahl Tweets seit 2008 sei davon auszugehen, dass Feusi seinen Twitter-Account während der Arbeitszeit bediene. «Der Beschwerdegegner nutzt Twitter folglich vorwiegend in seiner Funktion als Journalist und weniger als Privatperson.» Dies ergebe sich auch aus seinem Twitter-Profil selbst: Nicht nur bezeichne sich Feusi darin als «Journalist at Basler Zeitung» und verwende als Profilbild sein Autorenbild der «BaZ», auch verbreite er regelmässig (seine eigenen) «BaZ»-Artikel. Die journalistischen Inhalte des Twitter-Accounts müssten daher vom Presserat beurteilt werden können, so die Beschwerdeführerinnen. Der Verbreitungsvektor des journalistischen Inhalts sei sekundär.

Zwar habe die Beschwerdeführerin Mück mittels zivilrechtlicher superprovisorischer Massnahme des Zivilgerichts Basel-Stadt die Löschung des fraglichen Tweets erreichen können. Dieses Parallelverfahren aber dürfe der Beschwerde beim Presserat nicht entgegenstehen, da es sich um eine berufsethische Grundsatzfrage im Sinne von Artikel 11 Absatz 2 des Geschäftsreglements handle: Der Presserat habe sich erstmals mit einer aus einem Tweet herrührenden Beschwerde zu befassen. «Da zahlreiche Journalistinnen und Journalisten Twitter nutzen und dabei regelmässig in dieser Rolle Tweets veröffentlichen, besteht auch aus ihrer Perspektive ein erhebliches Interesse an der Klärung der erwähnten Grundsatzfrage.» Beschwerdeführerin Kiener Nellen habe keine rechtlichen Schritte gegen Feusi oder die «BaZ» eingeleitet.

D. Die «Basler Zeitung» verzichtete trotz zweimaliger Aufforderung auf eine Stellungnahme.

E. Der Presserat wies die Beschwerde seiner 1. Kammer zu, der Francesca Snider (Kammerpräsidentin), Dennis Bühler, Michael Herzka, Klaus Lange, Francesca Luvini, Casper Selg und David Spinnler angehören.

F. Die 1. Kammer des Presserats beriet den Fall an ihrer Sitzung vom 29. Januar 2018 sowie auf dem Korrespondenzweg. In der Folge verlangten zwei Mitglieder des Presserats eine Behandlung der Beschwerde durch das Plenum (Art. 17 Abs. 4 Geschäftsreglement).

G. Das Plenum des Presserats behandelte die Beschwerde an seiner Sitzung vom 24. Mai 2018 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. a) Zuerst sind die Einhaltung der formellen Anforderungen einer Beschwerde sowie die Zuständigkeit des Presserates zu klären. Die Beschwerde gegen den Tweet vom 25. Juni 2017 ist am 23. August 2017 und somit fristgerecht eingereicht worden. Mück und Kiener Nellen sind beschwerdeberechtigt. Erstere hat zwar ein Parallelverfahren beim Zivilgericht Basel-Stadt angestrengt, welches als superprovisorische Massnahme die Löschung des erwähnten Tweets verfügte; da es sich bei der Beschwerde gegen einen Tweet aber um eine Grundsatzfrage der Zuständigkeit des Presserates handelt – das Gremium ist wie von den Beschwerdeführerinnen vermutet erstmals mit einem solchen Fall konfrontiert – steht dieser Punkt einem Eintreten nicht entgegen. Kiener Nellen hat kein Parallelverfahren angestrengt, weshalb ihre Beschwerde ohnehin zu behandeln ist.

b) Gemäss Artikel 2 des Geschäftsreglements erstreckt sich die Zuständigkeit des Schweizer Presserats auf den redaktionellen Teil oder damit zusammenhängende berufsethische Fragen sämtlicher öffentlicher, periodischer und/oder auf die Aktualität bezogener Medien. Bei Twitter handelt es sich meist nicht um den redaktionellen Teil eines Mediums im Sinne der Anforderungen an eine Beschwerde, weil Tweets in der Regel nicht von einer Redaktion verantwortet, eingebettet oder kuratiert werden. Im konkreten Fall weist nichts darauf hin, dass die «BaZ» diesen Tweet redigiert hat. Auch handelt es sich bei Twitter nach Auffassung des Presserates nicht um ein Medium gemäss der im Geschäftsreglement aufgeführten Kriterien. Zwar sind Tweets öffentlich, doch fehlt ihnen sowohl die Periodizität als auch der zwingende Bezug zur Aktualität. Auch wenn Twitter nach Auffassung der Beschwerdeführerinnen darauf ausgelegt ist, regelmässig bzw. periodisch genutzt zu werden, ist auch eine gegenteilige Verwendung möglich: Wer sich auf Twitter äussert, kann dies nur ein einziges Mal, unregelmässig oder auch täglich oder gar stündlich tun. Getwittert werden kann zudem über aktuelle Ereignisse genauso wie über zeitlose oder längst vergangene Vorkommnisse. Mit anderen Worten: Twitter ist eine Plattform, um jede denkbare Art von Inhalten – unter anderem journalistische – zu verbreiten, aber für sich allein genommen kein journalistisches Medium.

Schwieriger ist die Abwägung, ob sich ein twitternder Journalist in seiner beruflichen Funktion oder als Privatperson äussert. Klar ist, dass allein von der Menge an Tweets nicht darauf geschlossen werden kann, dass ein Journalist seinen Twitter-Account während der Arbeitszeit bedient (und selbst dann wäre nicht erstellt, dass er dies in Ausübung seiner beruflichen Funktion tut). Heikler ist, dass sich Dominik Feusi auf Twitter selbst eindeutig als «Journalist at Basler Zeitung» bezeichnet.

Nach Auffassung des Presserates reicht diese Selbstbeschreibung aber nicht aus, um sämtliche Tweets eines Journalisten so zu betrachten, als seien sie in Ausübung des Berufes getätigt worden. Auch ein Journalist kann und darf sich in den sozialen Medien als Privatperson äussern – auch dann, wenn er der Transparenz willen seine berufliche Funktion kenntlich macht. Anders als für die in der «Basler Zeitung» veröffentlichten Artikel ihrer Journalistinnen und Journalisten hat die Chefredaktion der «BaZ» keine Verantwortung zu übernehmen für Tweets ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch dann nicht, wenn sie während der Arbeitszeit verfasst worden sein sollten. Der Presserat unterscheidet folglich zwischen einer individuellen Äusserung, für die er sich unabhängig vom Verbreitungskanal für nicht zuständig erklärt, und dem Erzeugnis eines Mediums, das einen redaktionellen Prozess durchlaufen hat. Im Ergebnis tritt der Presserat – gestützt auf das geltende Geschäftsreglement – auf die vorliegende Beschwerde nicht ein, dies unabhängig von der konkreten Sachlage, also vom Inhalt des fraglichen Tweets.

c) Der Presserat anerkennt jedoch, dass Äusserungen von Journalistinnen und Journalisten auf sozialen Medien zunehmend stärker im Fokus der Öffentlichkeit stehen und dass die Frage, ob und unter welchen Umständen der Presserat auch für solche, bisher als privat betrachtete Kommunikation zuständig sein soll, eine vertiefte Betrachtung verdient.

III. Feststellungen

Der Presserat tritt auf die Beschwerde nicht ein.