Nr. 14/2019
Wahrheitspflicht / Sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen / Berichtigung / Privatsphäre

(Caritas c. «Blick»)

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I. Sachverhalt

A. Am 3. Juli 2017 veröffentlichte «Blick» auf der Frontseite die Schlagzeile «Ausgerechnet ein Ex-Caritas-Buchhalter! Kranke und Kirche beklaut», auf Seite 7 den Artikel mit dem Titel «Buchhalter Langfinger: Ex-Caritas-Kassier klaute Kranken und Gläubigen 165 000 Fr.». Darin berichtet Anian Heierli, zwei Vereine hätten offengelegt, dass ihr gemeinsamer Kassier sich an Spendengeldern bedient habe. «Blick» habe den Buchhalter Langfinger aufgespürt: Es handle sich um Rentner Kurt U. (66). Dieser habe die Gutgläubigkeit seiner Kollegen schamlos ausgenutzt. Der Buchhalter sei geständig und habe sich selbst angezeigt. Pikant an der Geschichte sei, dass er vor seiner Pensionierung auch beim Hilfswerk Kinderhilfe Bethlehem in der Buchhaltung und bei Caritas Schweiz als Sachbearbeiter im Rechnungswesen tätig gewesen sei. Bei Caritas gehe man nicht von einem Diebstahl aus. Der frühere Mitarbeiter habe keine Unterschriftsberechtigung gehabt. Der gleiche Artikel wurde gleichentags auch online veröffentlicht.

B. Am 13. September 2017 wandte sich die anwaltlich vertretene Caritas mit einer Beschwerde an den Schweizer Presserat. Der zeichnende Journalist Anian Heierli habe sich am 30. Juni 2017 per Mail an einen Mitarbeiter der Caritas gewandt. In seiner Mail habe er den Namen der beschuldigten Person angegeben. Er habe angefragt, ob es sich beim Kassier um einen früheren Caritas-Mitarbeiter handle, seit wann dieser nicht mehr bei der Caritas tätig sei, welches seine Funktion gewesen sei und ob nun überprüft werde, ob die Person bereits bei Caritas Gelder veruntreut hätte. Gleichentags habe der Mediensprecher der Caritas geantwortet, die angeschuldigte Person sei Sachbearbeiter im Rechnungswesen und dort für die Verbuchung der Eingänge tätig gewesen. Er habe über keine Unterschriftsberechtigung verfügt und habe daher auch keine Geldflüsse auslösen können. Nach Erscheinen des Artikels, welcher die Caritas als Aufhänger für die Geschichte benutzt habe, habe die Caritas bei der Chefredaktion des «Blick» interveniert und eine wahrheitswidrige Berichterstattung geltend gemacht. Eine Antwort sei ausgeblieben.

Die Beschwerdeführerin macht eine Verletzung der Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» – nachfolgend «Erklärung»). Bereits auf der Titelseite sei vom «Ex-Caritas-Buchhalter» die Rede. Damit werde unterschwellig impliziert, dass er auch bei Caritas Gelder veruntreut habe. Auf Seite 7 werde dem Leser vermittelt, dass ein «Ex-Caritas-Kassier» geklaut habe. Damit werde gleichzeitig wahrheitswidrig insinuiert, Kurt U. habe die gleiche Funktion bei der Beschwerdeführerin innegehabt. Nicht nur sei diese Bezeichnung «Ex-Caritas-Kassier» im Titel falsch, sondern sie vermittle dem Leser auch einen falschen Eindruck über interne Verantwortlichkeiten. Dies sei umso mehr schädigend für die Caritas, als sie auf Spenden- und Sponsorengelder angewiesen sei.

Darüber hinaus sei der Titel irreführend, da Kurt U. seit 2013 pensioniert sei und dessen heutige Verfehlungen nicht mit seiner früheren Tätigkeit bei der Caritas in Verbindung stünden. Die Nennung von dessen ehemaliger Arbeitgeberin auf der Titelseite und in der Überschrift des Artikels auf Seite 7 sei weder für eine sachliche Informationsvermittlung notwendig, noch sei sie richtig gewesen. Die Nennung sei wissentlich wahrheitswidrig erfolgt.

Weiter macht Caritas geltend, es seien wichtige Elemente von Informationen unterschlagen und damit Ziffer 3 der «Erklärung» verletzt worden. Für den objektiven Informationsgehalt des Artikels habe weder eine Notwendigkeit noch Anlass bestanden, die frühere Arbeitgeberin zu nennen, zumal die Beschwerdeführerin bis heute keine Verfehlungen ihres ehemaligen Mitarbeiters festgestellt habe. Umso mehr gehöre der Hinweis nicht auf die Titelseite und in den Titel, somit an eine äusserst prominente Stelle. Es hätte zumindest die Funktion von Kurt U. richtig angegeben und darauf hingewiesen werden müssen, dass die Caritas keine Verfehlungen festgestellt habe. Der Begriff «Ex-Caritas-Kassier» im Titel sei einerseits falsch, andererseits unterschlage er gleichzeitig die Tätigkeit von Kurt U. und vermöge den schalen Eindruck beim Leser nicht mehr zu berichtigen. Damit würden wesentliche Informationen unterschlagen. Die falsche Funktionsbezeichnung rücke die Caritas in eine schlechtes Licht und impliziere, die Beschwerdeführerin hätte ihre Mitarbeitenden nicht kontrolliert oder für die Öffentlichkeit wesentliche Informationen unterschlagen.

Obwohl die Beschwerdeführerin die Chefredaktion am Tag des Erscheinens auf die wahrheitswidrige Darstellung hingewiesen habe, sei bis zum heutigen Tag weder eine Reaktion noch eine Richtigstellung erfolgt. Somit liege auch eine Verletzung von Ziffer 5 (Berichtigung) der «Erklärung» vor.

Weiter sieht das Hilfswerk Ziffer 7 (Privatsphäre) der «Erklärung» verletzt. Die Nennung «Ex-Caritas-Kassier» im Titel sei für die Caritas rufschädigend. Dies berühre ihre Persönlichkeitsrechte, indem ihre Geschäftstätigkeit in ein schlechtes Licht gerückt werde. Stillschweigend impliziere die Bezeichnung «Ex-Caritas-Kassier», Caritas habe ein ungenügendes Controlling. Ein solcher Vorwurf in Zusammenhang mit einer sachlich ungenauen und ungerechtfertigten Berichterstattung habe Einfluss auf die Glaubwürdigkeit und die Seriosität der Beschwerdeführerin.

C. Am 17. Oktober 2017 nahm der anwaltlich vertretene «Blick» Stellung zur Beschwerde. Festzuhalten sei, dass nirgends im Artikel stehe, der Angeschuldigte habe die Caritas geschädigt. Die Antworten des Mediensprechers der Caritas auf die an ihn gerichteten Fragen seien zutreffend zitiert worden. Die beiden beanstandeten Artikel nähmen die Beschwerdeführerin weder als «Aufhänger», noch wäre dies medienethisch zu beanstanden. Der Protest bei der Chefredaktion sei zwar erfolgt, aber gänzlich unberechtigt und deshalb auch nicht zu beantworten gewesen. Dass der Caritas der Bericht nicht passe, sei sowohl unternehmerisch wie medienethisch belanglos. Eine Organisation, die erst vorbehaltlos Fragen beantworte und dann gegen den Bericht protestiere, der ihre Antworten enthält, müsse sich selbst an der Nase nehmen. Caritas hätte die Antwort verweigern können statt zu erklären, sie werde selbst weitere Abklärungen treffen. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, durch die Erwähnung der Caritas im Titel werde unterstellt, der Täter habe dort etwas verbrochen, sei in jeder Hinsicht ungenügend und vollkommen haltlos. Der Titel habe nicht gelautet «Caritas-Kassier hat Caritas beklaut». Dies werde weder ausdrücklich noch unterschwellig im Artikel behauptet. Ein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht liege nicht vor und dass die Caritas etwas mit den beiden geschädigten Vereinen zu tun habe, stehe nirgends. Der Vorwurf eines Verstosses gegen Ziffer 1 des Journalistenkodex sei nicht nachvollziehbar. Was zudem an wesentlichen Informationen unterschlagen worden sein solle, sei nicht ersichtlich. Es sei unbestreitbar, dass Kurt U. während Jahren sowohl bei einem der geschädigten Vereine wie bei der Caritas tätig gewesen sei. Zudem habe die Caritas die Sache zum Anlass genommen, noch einmal Abklärungen zu treffen. Was unter diesen Umständen an relevanten Informationen nicht gesagt worden sein soll, sei schlicht nicht zu sehen. Es sei vielmehr lächerlich, zwischen den Funktionen «Kassier», «Ex-Kassier» oder «Buchhalter» grossartig unterscheiden zu wollen. Titel müssten kurz sein, jedem Leser sei klar, dass die Titelgebung nie die ganze Story enthalte. Mit der Kombination «Ex-Caritas-Kassier» und «Buchhalter Langfinger» in Spitzmarke und Titel werde klar, dass man sich nicht auf eine dogmatisch verstandene Berufsbezeichnung verlassen dürfe. Die Behauptung, Caritas würde damit in ein schlechtes Licht gerückt und die Berufsbezeichnung impliziere, dass die Caritas ihre Mitarbeiter nicht kontrolliere, sei nicht nachvollziehbar. Ein Verstoss gegen Ziffer 3 der «Erklärung» sei nicht nachvollziehbar begründet. Da «Blick» zudem nichts Falsches geschrieben habe, sei auch nichts zu berichtigen, ein Verstoss gegen Ziffer 5 der «Erklärung» liege somit nicht vor. Auch ein Verstoss gegen die Privatsphäre sei nicht zu sehen. Der Artikel habe schlicht nichts mit der (richtig verstandenen) Privatsphäre zu tun. Da zudem nichts Negatives über die Geschäftstätigkeit der Caritas gesagt werde, erscheine auch dieser Vorwurf an den Haaren herbeigezogen.

D. Am 25. Oktober 2017 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 27. Mai 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit halten ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen und sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten lassen, die Wahrheit zu erfahren. Die Beschwerdeführerin sieht in der Bezeichnung «Ex-Caritas-Buchhalter» auf der Titelseite und «Ex-Caritas-Kassier» im Titel des Artikels einen Verstoss gegen die Wahrheitspflicht, da der Mann Sachbearbeiter im Rechnungswesen ohne Unterschriftsberechtigung gewesen sei, zudem seit Ende 2013 pensioniert und seine Unterschlagungen in keinem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit bei der Caritas stünden. «Blick» macht geltend, es sei lächerlich, zwischen den Funktionen «Kassier», «Ex-Kassier» oder «Buchhalter» zu unterscheiden. Titel müssten kurz sein, jedem Leser sei klar, dass Titel nie die ganze Story enthielten. Mit der Kombination «Ex-Caritas-Kassier» und «Buchhalter Langfinger» in Spitzmarke und Titel werde klar, dass man sich nicht auf eine dogmatisch verstandene Berufsbezeichnung verlassen dürfe.

«Blick» fragt, was Kurt U. mit den 165 000 Franken gemacht habe. «Und: Klaute er noch mehr Spendengelder?» Im Artikel heisst es anschliessend, Kurt U. habe bei Caritas Schweiz in der Buchhaltung als Sachbearbeiter im Rechnungswesen gearbeitet. Bei Caritas gehe man nicht von einem Diebstahl aus, er habe keine Unterschriftsberechtigung gehabt, weshalb er auch keine Geldflüsse habe auslösen können. Darf ein Sachbearbeiter im Rechnungswesen als Ex-Caritas-Buchhalter bzw. Ex-Caritas-Kassier bezeichnet werden? Dass U. vor seiner Pensionierung für die Caritas gearbeitet hat, ist unbestritten. Der Titel Kassier oder Buchhalter ist aber zumindest ungenau. Er suggeriert, dass der Mann bei der Caritas eine wichtigere Position innehatte, als dies tatsächlich der Fall war. Die beiden Bezeichnungen werden allein in den beiden Titeln verwendet. Titel dürfen gestützt auf die Praxis des Presserats Sachverhalte stark abgekürzt und zugespitzt bringen, jedoch keine falschen Informationen enthalten (vgl. u.a. Stellungnahme 3/2015). Die Bezeichnung Kassier wird umgangssprachlich für Personen verwendet, die mit Geld zu tun haben. Bei einem Buchhalter ist davon auszugehen, dass er über mehr Kompetenzen verfügt. Im Titel wird Kurt U. als Buchhalter Langfinger bezeichnet. Der Presserat kommt zum Schluss, dass die beiden Bezeichnungen als Ex-Caritas-Buchhalter und Ex-Caritas-Kassier sich noch im Bereich der zulässigen Zuspitzung bewegen, wenn auch an der Grenze. Zumal im Text selbst die korrekte Bezeichnung seiner Funktion wiedergegeben wird. Eine Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheitspflicht) liegt somit nicht vor.

2. Ziffer 3 der «Erklärung» verlangt von Journalisten, dass sie keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen und weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne noch von anderen geäusserte Meinungen unterschlagen. Caritas macht geltend, für den objektiven Informationsgehalt des Artikels habe weder eine Notwendigkeit noch Anlass bestanden, sie als frühere Arbeitgeberin zu nennen, zumal die Beschwerdeführerin bis heute keine Verfehlungen ihres ehemaligen Mitarbeiters festgestellt habe. Durfte Caritas als ehemalige Arbeitgeberin im Zusammenhang mit den Verfehlungen eines ehemaligen Arbeitnehmers überhaupt ins Spiel gebracht werden? Caritas ist ein bekanntes Hilfswerk. Insofern ist es für «Blick» ganz offensichtlich interessant, die Caritas im Titel zu erwähnen. Es ist denn auch nicht auszuschliessen, dass bei Lesern hängen bleibt, irgendein Zusammenhang mit der Caritas bestehe. Tatsächlich hat diese mit der Geschichte nichts zu tun. Andererseits gibt der Text korrekt wieder, welche Funktion Kurt U. bei Caritas hatte. Caritas hat dazu «Blick» gegenüber Auskunft gegeben und ist korrekt zitiert werden. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, inwiefern ein Verstoss gegen Ziffer 3 der «Erklärung» vorliegen sollte.

3. Gestützt auf Ziffer 5 der «Erklärung» berichtigen Journalisten jede von ihnen veröffentlichte Meldung, deren materieller Inhalt sich als ganz oder teilweise falsch erweist. Wie oben ausgeführt ist «Blick» kein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht vorzuwerfen. Insofern kann auch keine Verletzung der Berichtigungspflicht vorliegen.

4. Ziffer 7 der «Erklärung» hält Journalisten an, die Privatsphäre von Personen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Sie unterlassen anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen. Caritas sieht in der Bezeichnung «Ex-Caritas-Kassier» eine Rufschädigung. Die Bezeichnung «Ex-Caritas-Kassier» impliziere, Caritas habe ein ungenügendes Controlling. Diese Interpretation ist für den Presserat nicht nachvollziehbar, im Text finden sich keine Hinweise, die eine solche aufdrängen würden. Sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen werden keine erhoben. Insofern fällt diese von der Caritas geäusserte Kritik nicht in den Anwendungsbereich von Ziffer 7 der «Erklärung».

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. «Blick» hat mit dem Titel «Ausgerechnet ein Ex-Caritas-Buchhalter! Kranke und Kirche beklaut» auf der Frontseite vom 3. Juli 2017 sowie mit dem gleichentags auf Seite 7 erschienenen Artikel «Buchhalter Langfinger: Ex-Caritas-Kassier klaute Kranken und Gläubigen 165 000 Fr.» Ziffer 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Unterschlagen wichtiger Elemente von Informationen), 5 (Berichtigung) und 7 (Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.