Nr. 12/2023
Öffentliche Funktionen / Vermischung von politischer und journalistischer Tätigkeit

(X. c. «Weltwoche daily»)

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Zusammenfassung

Mit der «Weltwoche daily»-Ausgabe vom 1. März 2022 hat «Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel den Journalistenkodex nicht verletzt. In seinem Videoformat sendete Köppel aus dem Bundeshaus und sprach dabei von einer Frage, die er dem Bundespräsidenten habe stellen wollen – und zwar in seiner Rolle als Nationalrat. Kommentiert hat er den Vorfall als Journalist. Eine Person beschwerte sich daraufhin beim Presserat: Indem der Chefredaktor sein öffentliches Amt mit seiner Tätigkeit als Journalist derart vermische, verletze er die entsprechende Richtlinie der «Erklärung der Rechte und Pflichten der Journalisten». Die «Weltwoche» nahm trotz zweimaliger Aufforderung keine Stellung zur Beschwerde.

Der Presserat ist der Ansicht, dass Roger Köppel sein Amt und seine Tätigkeit als Journalist zwar ganz konkret und offensichtlich vermischt. Allerdings macht er dies transparent. Er trat bereits im Wahlkampf und später als gewählter Parlamentarier immer gleichzeitig als Journalist und als Politiker auf. Auch im vorliegenden Fall ist seine Doppelrolle für die Zuschauerinnen und Zuschauer erkennbar. Der Presserat weist die Beschwerde nach intensiven Diskussionen ab, die Erklärung ist nicht verletzt.

Résumé

Selon le Conseil suisse de la presse, le rédacteur en chef de la « Weltwoche » n’a pas enfreint le code de déontologie des journalistes dans son format vidéo « Weltwoche daily » du 1er mars 2022. Tournée au Palais fédéral, la vidéo montrait Roger Köppel évoquant une question qu’il avait voulu poser au président de la Confédération en sa qualité de conseiller national. Il a néanmoins commenté ces faits en tant que journaliste. Une personne s’en est plainte au Conseil suisse de la presse, arguant que le rédacteur en chef, en confondant de la sorte sa fonction publique et son activité de journaliste, enfreignait la directive correspondante découlant de la « Déclaration des devoirs et des droits du/de la journaliste ». La « Weltwoche », bien que sollicitée à deux reprises, ne s’est pas prononcée sur la plainte.

Le Conseil suisse de la presse admet que Roger Köppel fait concrètement et manifestement l’amalgame entre sa fonction publique et son activité de journaliste. Il souligne cependant que ce mélange des genres est fait en toute transparence. Lors de la campagne électorale, puis en tant que parlementaire élu, il a toujours réuni sous la même casquette son métier de journaliste et sa fonction d’homme politique. Dans la vidéo incriminée, ce double rôle ne fait aucun doute pour les spectateurs. Le Conseil suisse de la presse note qu’il serait certes approprié que Roger Köppel indique dans la vidéo qu’il s’exprime en tant que parlementaire, mais n’admet pas de violation de la « Déclaration ». Le Conseil suisse de la presse a rejeté la plainte à l’issue d’un débat intense.

Riassunto

Nell’edizione della «Weltwoche daily» del primo marzo 2022, il caporedattore della «Weltwoche» Roger Köppel non ha violato il codice deontologico dei giornalisti. Nel suo formato video, trasmettendo da Palazzo federale Köppel ha riferito di una domanda che, nel suo ruolo di Consigliere nazionale, avrebbe voluto porre al Presidente della Confederazione. Ha commentato l’episodio nella sua veste di giornalista. Al riguardo, una persona ha inoltrato un reclamo presso il Consiglio della stampa, considerando che, nel mischiare la sua carica pubblica con il proprio lavoro come giornalista, il caporedattore violi la corrispondente direttiva della «Dichiarazione del diritti e dei doveri del giornalista».

La «Weltwoche» non ha preso posizione nei confronti del reclamo, nonostante due richieste in tal senso.
Il Consiglio della stampa ritiene che Roger Köppel unisca in modo molto concreto ed evidente il proprio ruolo politico e l’attività come giornalista. Tuttavia, lo fa in maniera trasparente. Già durante la campagna elettorale e in seguito come parlamentare eletto, ha sempre agito al contempo, come giornalista e come politico. Anche nel caso in esame, questa duplice funzione è resa trasparente per spettatrici e spettatori. Sarebbe stato opportuno segnalare in maniera esplicita nell’articolo il suo ruolo di parlamentare, ma nonostante ciò la «Dichiarazione» non viene violata. Dopo un intenso dibattito, il Consiglio della stampa respinge il reclamo.

I. Sachverhalt

A. Am 1. März 2022 veröffentlichte die «Weltwoche» einen Beitrag des Videoformats «Weltwoche daily» von Chefredaktor Roger Köppel. Der Beitrag wird auf der Webseite der Wochenzeitung angekündigt mit der Zusammenfassung «Kurt Pelda in der Ukraine. Bundesrat gibt Neutralität auf. Cassis und Pfister flunkern. Die Welt rätselt über Putins geistige Gesundheit. Akt der politischen Selbstverbrennung? EU will Ukraine aufnehmen. Flüchtlinge». Gleich zu Beginn des 28-minütigen Beitrags klärt Chefredaktor Köppel sein Publikum darüber auf, von wo er zu ihm spricht: «aus Bern, am Rande der jetzt anlaufenden Frühlingssession der Eidgenössischen Räte». Nach einer Hausmitteilung zum neuen Kollegen Kurt Pelda kommt Köppel auf den Ukraine-Konflikt zu sprechen und wie dieser «im Bundeshaus» zu reden gibt. Er übt Kritik am (kurz zuvor gefassten) Entscheid des Bundesrats, sämtliche Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland zu übernehmen, sowie an allen Parteien ausser seiner eigenen, der SVP. Daraufhin berichtet Köppel, er habe «versucht, in dieser Situation dem Bundespräsidenten eine Frage zu stellen» zur Wahrung der Neutralität gemäss Artikel 185 der Bundesverfassung. Auf die Frage der Nationalratspräsidentin an den Bundespräsidenten, ob dieser Köppels Frage hören wolle, habe er – der Parlamentarier – «eine schnöde Absage» erhalten und «unter dem Applaus der linken Ratshälfte» an seinen Platz zurückkehren müssen. Die Stimmung sei «moralistisch aufgekratzt, vor Selbstgerechtigkeit nur so blubbernd und brodelnd» gewesen. Als Nächstes kommentiert Roger Köppel Reden von Bundespräsident Ignazio Cassis und Mitte-Präsident Gerhard Pfister, um dann überzugehen zu Putins geistiger Gesundheit sowie weiteren Themen.

B. Am 1. März 2022 reichte X. eine Beschwerde beim Schweizer Presserat gegen Roger Köppels «Weltwoche daily» vom gleichen Tag ein. Der Beitrag verletze die Richtlinie 2.4 (Öffentliche Funktionen), die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») gehört. Journalist Köppel erkläre im Beitrag der Öffentlichkeit, wie er in seiner Funktion als Nationalrat dem Bundespräsidenten eine Frage gestellt habe oder habe stellen wollen. Daraufhin liefere er «umgehend und ausführlich» eine journalistische Einschätzung. Damit vermische Köppel «ganz konkret und offensichtlich» sein Amt als Nationalrat mit seiner Tätigkeit als Journalist, Chefredaktor und Verleger der «Weltwoche».

C. Am 29. März 2022 forderte die Geschäftsführerin des Presserats die Chefredaktion der «Weltwoche» auf, sich bis 6. Mai 2022 zur Beschwerde zu äussern. Nachdem eine Beschwerdeantwort ausgeblieben war, erfolgte am 20. Mai 2022 abermals die Bitte um eine Beschwerdeantwort bis zum 8. Juni 2022 und der Hinweis, dass der Presserat bei Ausbleiben davon ausgeht, dass die «Weltwoche» auf eine Beschwerdeantwort verzichtet. Eine solche blieb aus.

D. Das Präsidium des Presserates wies den Fall seiner 3. Kammer zu. Ihr gehören Jan Grüebler (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Monika Dommann, Christina Neuhaus, Simone Rau, Pascal Tischhauser und Hilary von Arx an.

E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 14. November 2022 und beschloss, diese ans Plenum zu überweisen.

F. Das Plenum des Presserats behandelte die Beschwerde an seiner Sitzung vom 13. März 2023 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Richtlinie 2.4 zur «Erklärung» hält fest: «Die Ausübung des Berufs der Journalistin, des Journalisten ist grundsätzlich nicht mit der Ausübung einer öffentlichen Funktion vereinbar. Wird eine politische Tätigkeit aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise wahrgenommen, ist auf eine strikte Trennung der Funktionen zu achten. Zudem muss die politische Funktion dem Publikum zur Kenntnis gebracht werden. Interessenkonflikte schaden dem Ansehen der Medien und der Würde des Berufs.»

Bereits 1996 hatte der Presserat sich in einer grundlegenden Stellungnahme mit der Vermischung von politischer Tätigkeit und Journalismus befasst (7/1996). Er kam zum Schluss, dass bereits die Mitgliedschaft in einer Partei die journalistische Unabhängigkeit tangiert und zu Interessenkonflikten führen kann. Bekleiden Journalistinnen und Journalisten dennoch ein politisches Amt, sollen sie dies öffentlich machen, bei «grosser Nähe» in den Ausstand treten und ihre Beiträge deutlich kennzeichnen.

Der Presserat schrieb damals: «Aus berufsethischer Sicht ist Unabhängigkeit für Journalistinnen und Journalisten eine wesentliche Voraussetzung für die Ausübung ihres Berufes. Sie müssen jederzeit darauf achten, glaubwürdig zu sein.» Und: «Die Glaubwürdigkeit wird ohne jeden Zweifel aufs Schwerste beeinträchtigt, wenn einer gleichzeitig Handelnder und Beobachter ist. Man kann nicht in einer Sache aktive ‹Partei› sein und gleichzeitig über dieselbe Sache berichten. Das birgt die Gefahr von Interessenkonflikten in sich, die Glaubwürdigkeit wird direkt getroffen.»

Die strikte Trennung von Journalismus und Amt sei eine Ideallösung für als parteiunabhängig deklarierte Medien. Der Ideallösung stünden jedoch schweizerische Realitäten gegenüber: «Die Schweiz kennt das Milizsystem. Vielerorts, zum Beispiel in Talschaften, in Bezirken, sind die verschiedenen Positionen eines Einzelnen allgemein bekannt. Betreffend die gleichzeitig ausgeübte journalistische Tätigkeit gilt die Regel, dass ein Gemeinderat über Debatten im Nationalrat und umgekehrt berichten kann, der Gemeinderat jedoch nicht über die Debatten, Beschlüsse etc. des Gemeinderates, der Nationalrat nicht über Debatten, Entscheide etc. des Nationalrates, das Parteimitglied nicht über die Aktivität seiner Partei.» (7/1996).

«Anders verhält es sich mit parteigebundenen Blättern – diese sind per se in einer bestimmten politischen Richtung orientiert.» Was für das Publikum auch klar sei, und es wisse, was es erwarte. Zudem habe eine Meinungspresse, die bestimmte politische, ökonomische, ideologische und religiöse Tendenzen vertrete, nach wie vor ihre Bedeutung und Berechtigung, ungeachtet der generellen Entwicklung zu parteiunabhängigen Forumsmedien (auch 7/1996).

Im Entscheid 37/2006 hat sich der Presserat mit einem solchen Fall befasst. Es ging um den damaligen SVP-Nationalrat und Chefredaktor der «Schweizerzeit» Ulrich Schlüer. Der Presserat hielt fest: «Auch wenn die ‹Schweizerzeit› kein Parteiorgan der SVP und damit kein ‹parteigebundenes Blatt› im herkömmlichen Sinn ist, steht sie der SVP politisch jedenfalls sehr nahe. Wer die ‹Schweizerzeit› liest, weiss sehr wohl, welche politische Tendenz er oder sie zu erwarten hat.» Die grundsätzliche Unvereinbarkeit der beruflichen und der politischen Tätigkeit von Chefredaktor Ulrich Schlüer sei bei einem derart parteipolitisch und ideologisch geprägten Meinungsjournalismus dementsprechend von vornherein zu verneinen. Bei parteigebundenen Blättern wisse die Leserschaft in der Regel aber ohnehin, was sie inhaltlich erwarte. Bei grosser Nähe zu einem Thema sei aber in den Ausstand zu treten.

2. Aus Sicht des Beschwerdeführers vermischt Roger Köppel sein Amt als Nationalrat «ganz konkret und offensichtlich» mit seiner Tätigkeit als Journalist, Chefredaktor und Verleger der «Weltwoche». Auch für den Presserat ist offensichtlich, dass im Beitrag der Journalist, Chefredaktor und Verleger Roger Köppel spricht – über sein Amt und seine Arbeit als Nationalrat. Es stellt sich also nicht die Frage, ob es die vom Beschwerdeführer kritisierte Vermischung gibt, sondern wie diese ausgestaltet ist, in welcher Art von journalistischem Beitrag es zu dieser Vermischung kommt – und ob sie verschleiert wird oder nicht. Roger Köppel selbst macht keinen Hehl aus seinen beiden Hüten: Er tritt im Videobeitrag transparent als Journalist und Parlamentarier auf. So, wie er das von Beginn weg gemacht hat. Er führte seinen Wahlkampf öffentlichkeitswirksam und ist seit seiner Wahl in den Nationalrat regelmässig als solcher in den Medien präsent, so etwa in Talksendungen und immer wieder auch in seiner eigenen Wochenzeitung. Der Presserat hat sich mehrfach mit der Frage der Transparenz im Zusammenhang mit Vereinbarkeit von journalistischer und (gesellschafts-)politischer Tätigkeit befasst (Entscheide 13/1998, 11/2000, 31/2001, 51/2001, 44/2005, 37/2006, 31/2022). Im beanstandeten Videobeitrag ist offensichtlich, dass Roger Köppel Journalist und Nationalrat ist. Die beiden Rollen, die Roger Köppel ausübt, sind im beanstandeten Beitrag transparent. Betreffend Transparenz hat Roger Köppel die Richtlinie 2.4 nicht verletzt.

3. In den Stellungnahmen 7/1996 und 37/2006 fordert der Presserat, dass Journalisten in den Ausstand treten, wenn eine «grosse Nähe» zum behandelten Thema besteht. «Journalistinnen und Journalisten berichten und kommentieren nicht über dieses Thema, auch nicht unter Pseudonym» (7/1996). «Wollen sie sich dennoch äussern, so können sie dies unter der Bedingung tun, dass sie gleichzeitig ihr politisches Amt und/oder ihre parteipolitische Zugehörigkeit mitteilen. Als Ideallösung bieten sich dafür klar gekennzeichnete Formen wie Gastartikel, Tribüne, Kolumne an, gezeichnet mit dem vollen Namen und der Angabe des politischen Amtes/Parteizugehörigkeit» (7/1996).

Beim Videoformat «Weltwoche daily» handelt es sich um rund 30-minütige Meinungsbeiträge des Chefredaktors Roger Köppel. In seinen Beiträgen teilt er seinem Publikum seine «andere Sicht» auf die Welt mit – «unabhängig, kritisch», wie er selbst betont. Zwar sind Köppels Beiträge nicht explizit als Kommentare gezeichnet, jedoch sind sie für das Publikum klar als solche erkennbar. Deutlich wird das im beanstandeten Beitrag durch Meinungssätze wie: «Ein Entscheid, den ich natürlich (…) total falsch finde» oder «Eine ziemlich schräge Situation».

Der Interessenkonflikt zeigt sich im Beitrag besonders deutlich daran, dass für die Zuschauerinnen und Zuschauer nur schwer erkennbar ist, wer denn da genau zu ihnen spricht: Ist es Roger Köppel, der Journalist, der den Politikbetrieb im Bundeshaus beobachtet und kommentiert? Oder Roger Köppel, der SVP-Nationalrat, Politiker, Parlamentarier, der selbst Teil des Politgeschehens ist? Sprechen womöglich beide? Klar ist für den Presserat jedenfalls dies: Roger Köppel trennt seine beiden Funktionen nicht – er vermischt sie, und zwar deutlich. Er ist sowohl Handelnder als auch Beobachtender und damit journalistisch nicht unabhängig und nicht glaubwürdig.

Der Presserat hat intensiv diskutiert, ob dieser Interessenkonflikt und die mangelnde Trennung der Rollen im Beitrag von «Weltwoche daily» im Sinne von Richtlinie 2.4 (Öffentliche Funktionen) dem «Ansehen der Medien und der Würde des Berufs» schaden. Die «Weltwoche» hält sich nicht an die Trennung von Handelnden und Beobachtenden. Das schadet gemäss dem Presserat und der für ihn massgebenden, von Verlegern, Chefredaktorinnen und Berufsverbänden getragenen «Erklärung» der Glaubwürdigkeit der Berichterstattung und der Glaubwürdigkeit der Medien. Allerdings werden «Weltwoche» und «Weltwoche daily» von der Leserschaft bzw. den ZuschauerInnen als parteinah wahrgenommen und das Format «Weltwoche Daily» ist als persönlicher Kommentar erkennbar. Dennoch wäre es korrekt und zur Erhöhung der Transparenz allen, auch neuen ZuschauerInnen des Videos gegenüber, wichtig, dass Köppels Funktion und der Charakter des Formates eingeblendet würden (Beispiel: «Kommentar von Roger Köppel. Er ist Nationalrat der SVP»). Insgesamt hat der Presserat knapp entschieden, dass die Richtlinie 2.4 (Öffentliche Funktionen) nicht verletzt ist.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «Weltwoche» hat mit dem Videoformat «Weltwoche daily» vom 1. März 2022 Ziffer 2 (öffentliche Funktionen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.