Nr. 11/2021
Anhörung bei schweren Vorwürfen

(Gesundheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt c. «Basler Zeitung»)

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Zusammenfassung

Der Presserat heisst eine Beschwerde des Gesundheitsdepartements Basel-Stadt gegen die «Basler Zeitung» (BaZ) gut. Im Artikel vom 10. Juni 2020 mit dem Titel «Lukas Engelberger liess Alte im Stich» hiess es, die meisten der im Kanton zu jenem Zeitpunkt zu verzeichnenden Corona-Toten hätten in Altersheimen gelebt. Besonders stark betroffen gewesen sei eine Institution für Demenzkranke, die früh beim von Engelberger geführten Gesundheitsdepartement um Hilfe ersucht habe. «Doch die Unterstützung kam zu spät.»

Nach einer Intervention des Departements publizierte die «Basler Zeitung» am 3. Juli 2020 ein Korrigendum, in welchem sie richtigstellte, dass der Institution für Demenzkranke nicht zu spät geholfen wurde; vielmehr habe sie bereits im März 2020 in hohem Masse praktische und medizinische Unterstützung erhalten.

Zu klären hatte der Presserat bei dieser Beschwerde deshalb nicht, ob der Bericht der BaZ dem Wahrhaftigkeitsgebot des Journalistenkodex Genüge tat, sondern bloss, ob Regierungsrat Engelberger und das Gesundheitsdepartement im Vorfeld angemessen angehört worden waren.

Der Presserat verneint dies. Beim Vorwurf, Engelberger habe «Alte im Stich» gelassen, handelt es sich zweifelsfrei um einen schweren Vorwurf, der eine Verletzung der Sorgfaltspflichten und somit illegales oder damit vergleichbares Verhalten unterstellt. Ein allgemeines Gespräch zum Umgang mit Altersheimen während der Pandemie, wie es der Journalist der BaZ bei seiner Recherche mit der Presseverantwortlichen des Departements führte, genügt deshalb nicht. Vielmehr hätte Engelberger mit dem zur Veröffentlichung vorgesehenen schweren Vorwurf konfrontiert werden müssen, wobei dieser präzis zu benennen war – nur wenn ein Betroffener weiss, was ihm vorgeworfen wird, kann er entscheiden, ob er Stellung nehmen will oder nicht. Indem die «Basler Zeitung» dies unterliess, hat sie gegen die Anhörungspflicht des Kodex verstossen.

Résumé

Le Conseil de la presse accepte une plainte du Département de la santé de Bâle-Ville contre la «Basler Zeitung» (BaZ). Un article daté du 10 juin 2020, intitulé «Lukas Engelberger liess Alte im Stich» (Lukas Engelberger a abandonné les vieux à leur sort ), indiquait que la majorité des habitants du canton décédés à cette date du Covid-19 vivaient en EMS. Une institution hébergeant des personnes démentes, qui avait demandé très tôt de l’aide au Département de la santé dirigé par Lukas Engelberger, avait, poursuivait-il, été particulièrement frappé. «Doch die Unterstützung kam zu spät» (mais le soutien était arrivé trop tard).

Après une intervention du département, la «Basler Zeitung» a publié le 3 juillet 2020 un rectificatif précisant que l’institution en question n’avait pas été aidée tardivement; elle avait au contraire bénéficié dès mars 2020 d’un important soutien pratique et médical.

Le Conseil de la presse n’avait donc pas à évaluer si le compte rendu de la BaZ avait violé le devoir de rechercher la vérité inscrit dans le code de déontologie des journalistes, mais seulement si le Conseiller d’État Lukas Engelberger et son Département de la santé avaient été entendus avant la publication de l’article.

Le Conseil de la presse constate que ça n’a pas été le cas. Le reproche fait à Lukas Engelberger d’avoir abandonné les vieux à leur sort est sans aucun doute grave, il signifie qu’il aurait porté atteinte à son devoir de diligence et présume un comportement illégal ou du même ordre. Un entretien d’ordre général sur la manière dont les EMS ont été traités pendant la pandémie, comme celui que le journaliste de la BaZ a eu avec le responsable de la communication du département dans le cadre de ses recherches, ne suffit pas. Il aurait fallu confronter Lukas Engelberger au reproche grave qui devait être publié, et l’évoquer avec précision – un intéressé ne peut décider de prendre position ou non sur un reproche qui lui est fait que s’il en est informé. En omettant de le faire, la «Basler Zeitung» a violé le devoir d’entendre les parties inscrit dans le code de déontologie.

Riassunto

Il Consiglio della stampa ha approvato un reclamo del Dipartimento della sanità del Cantone di Basilea Città contro la «Basler Zeitung» (BaZ). Nell’articolo del 10 giugno 2020 dal titolo «Lukas Engelberger abbandonò gli anziani a loro stessi» si affermava che il maggior numero di morti per Corona registrati fino a quel momento nel Cantone fossero vissuti nelle case per anziani. In modo particolare si diceva fosse stato colpito un istituto per malati di Alzheimer, istituto che avrebbe chiesto aiuto al Dipartimento della sanità guidato da Engelberger. «Ma il sostegno arrivò troppo tardi.»

In seguito ad un intervento del Dipartimento il 2 luglio 2020 la «Basler Zeitung» pubblicò una rettifica nella quale corresse il tiro e chiarì che l’aiuto all’istituto per malati di Alzheimer non arrivò troppo tardi; al contrario già in marzo 2020 avrebbe ricevuto un ampio sostegno medico e pratico.

Su queste basi il Consiglio della stampa in merito al reclamo non ha dovuto chiarire se l’articolo della BaZ fosse conforme all’obbligo di verità del Codice giornalistico ma soltanto appurare se alla vigilia dell’articolo il Consigliere di Stato Engelberger e il Dipartimento della sanità fossero stati ascoltati in modo opportuno.

Il Consiglio della stampa nega questo punto. Nel caso dell’accusa secondo cui Engelberger avrebbe «Abbandonato gli anziani», si tratta senza dubbio di un pesante addebito che insinua una violazione degli obblighi di diligenza e di conseguenza un comportamento illegale o simile. Una conversazione generica con la addetta stampa del Dipartimento come quella condotta dal giornalista della BaZ nella sua ricerca sul trattamento delle case per anziani durante la pandemia non è sufficiente. Piuttosto si sarebbe dovuto confrontare Engelberger con la pesante accusa che si voleva pubblicare, accusa che si doveva delineare in modo preciso – solo quando la persona interessata sa di cosa viene accusata può decidere se prendere posizione o meno. Nel tralasciare questo passaggio la «Basler Zeitung» è venuta meno all’obbligo di ascoltare la persona interessata dai gravi addebiti come previsto dal Codice.

I. Sachverhalt

A. Am 10. Juni 2020 publizierte die «Basler Zeitung» (BaZ) im Regionalressort sowie online einen Artikel mit dem Titel «Lukas Engelberger liess Alte im Stich». Im Vorspann des Artikels heisst es, die meisten der im Kanton Basel-Stadt zu verzeichnenden Corona-Toten lebten in Altersheimen. Eine Institution, die besonders viele Tote beklagte, habe früh Hilfe beim von Engelberger geführten Gesundheitsdepartement gesucht. «Doch die Unterstützung kam zu spät.» Auf der Frontseite der Printausgabe wird unter folgender Überschrift auf den auf Seite 17 publizierten Artikel hingewiesen: «Die meisten Corona-Toten in Basel starben in Altersheimen». Autor beider Beiträge ist Joël Hoffmann.

Im Artikel auf der Frontseite heisst es, dass von den bis zum damaligen Zeitpunkt im Kanton Basel-Stadt zu verzeichnenden 50 Corona-Toten 30 in Pflegeheimen wohnten, 15 von ihnen im Demenzzentrum Martha-Stiftung. Während sich das Gesundheitsdepartement die Häufung damit erkläre, dass besonders bei dementen Senioren die Verhaltensregeln kaum durchsetzbar und die Patienten meist mehrfach schwererkrankt und sehr alt seien, weshalb sich solche Fälle nicht verhindern liessen, sehe das die Leiterin der Martha-Stiftung anders: Sie kritisiere die Gesundheitsdirektion, die zu spät geholfen habe.

Im ausführlicheren Beitrag im Regionalressort wird diese These wiederholt. «Waren einige Corona-Todesfälle vermeidbar?», beginnt der Artikel mit einer Frage. Gefolgt von der Feststellung: «Recherchen zeigen: In der Corona-Extremsituation fokussierte der Basler Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger (CVP) auf die Spitäler. Das Nachsehen hatten besonders verletzliche Personen: Bewohner von Pflegeheimen.» Die mit 15 von insgesamt 50 Basler Toten besonders schwer getroffene Martha-Stiftung habe früh beim Gesundheitsdepartement um Hilfe ersucht, habe diese jedoch erst erhalten, als die Bewohner schon tot waren.

Die höhere Zahl an Todesfällen habe mit dem Konzept des Pflegeheims zu tun, gemäss welchem die dementen Bewohner nicht in gesonderten Abteilungen wohnen, sondern in Wohngemeinschaften mit einer Gemeinschaftsküche. So habe sich das Coronavirus durch Bewohner, die noch keine Symptome zeigten, rasch verbreiten können. Im April habe sie sich deshalb hilfesuchend beim Gesundheitsdepartement gemeldet, wird Monica Basler zitiert, die Geschäftsleiterin der Martha-Stiftung. Ihre Angestellten und sie hätten gehofft, dass Fachleute vorbeikommen und helfen, ein Schutzkonzept zu erarbeiten, das die Menschenwürde der Bewohner berücksichtigt. Das Gesundheitsdepartement habe jedoch erst Mitte Mai, nach mehrmaligem Nachfragen, Experten aufgeboten. «Wir hätten uns eine frühere Unterstützung durch die Behörden gewünscht», wird Basler zitiert, wobei die «Basler Zeitung» anfügt, dass Basler diese Aussage ohne Groll gegenüber den Behörden tätige. Das Gesundheitsdepartement sei stark gefordert gewesen und habe sich auf die Spitäler konzentriert, um genügend Betten, Beatmungsgeräte und Personal sicherzustellen. Mit Schuldzuweisungen wolle sie sich deshalb nicht aufhalten, so Basler, sondern nach vorne schauen.

Das Gesundheitsdepartement erklärt sich die hohen Todeszahlen in der Martha-Stiftung gemäss «Basler Zeitung» anders: Bei Dementen könnten die Verhaltensregeln «unmöglich» eingehalten werden, zudem hätten viele Bewohner eine Vorerkrankung, weshalb sie ein höheres Sterberisiko aufwiesen.

B. Am 9. September 2020 erhob das anwaltschaftlich vertretene Gesundheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt Beschwerde beim Schweizer Presserat. Es moniert eine Verletzung der Pflicht zur Anhörung bei schweren Vorwürfen gemäss Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») respektive die zugehörige Richtlinie 3.8.

Nach Ansicht des Gesundheitsdepartements hätte es mit dem Vorwurf konfrontiert werden müssen, das Departement habe der Martha-Stiftung «zu spät geholfen» beziehungsweise «auf mehrmaliges Nachfragen» im April erst «Mitte Mai» Experten aufgeboten. Diese Aussagen kolportierten den Vorwurf der vorsätzlich unterbliebenen und zu späten Hilfeleistung, der an prominenten Stellen des Beitrags platziert werde, so im Titel («… liess Alte im Stich»), im Lead («doch die Unterstützung kam zu spät»), im ersten Abschnitt des Beitrags, indirekt in der Bildlegende («konzentrierte sich in der Corona-Krise auf die Spitäler») sowie auch im Anriss auf der Frontseite.

Entgegen der journalistischen Sorgfaltspflichten sei das Gesundheitsdepartement von BaZ-Journalist Joël Hoffmann weder korrekt über den geplanten Beitrag informiert worden – es habe also an «Transparenz in der Recherche» gemangelt –, noch sei es zum schweren Vorwurf des Im-Stich-Lassens von alten und pflegebedürftigen Personen angehört worden, was Richtlinie 3.8 der «Erklärung» verlangt hätte. Hoffmann habe die Kommunikationsabteilung des Gesundheitsdepartements einige Tage vor der Publikation telefonisch einzig gefragt, ob es korrekt sei, dass von den 50 Basler Corona-Todesfällen deren 26 alleine in der Martha-Stiftung aufgetreten seien (was der Beschwerdeführer verneint und korrigiert habe); angeschlossen habe er die generische Frage, wie sich das Departement das gehäufte Auftreten von Todesfällen in einem Pflegeheim erkläre. Mit keinem Wort erwähnt habe der Journalist in seiner Anfrage hingegen, dass der Vorwurf im Raum stehe, der Beschwerdeführer habe die Martha-Stiftung zu spät, ungenügend oder sonstwie unangemessen unterstützt.

Ausdrücklich weist der Beschwerdeführer in seinem Schreiben an den Presserat darauf hin, keine Beschwerde wegen einer allfälligen Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheitsgebot) einzureichen, da die «Basler Zeitung» in der Ausgabe vom 3. Juli 2020 sowie online ein Korrigendum veröffentlicht habe, das «zwar nicht alle, aber immerhin den gröbsten Tatsachenfehler» des Beitrags korrigiert habe.

Dies sei darauf zurückzuführen, dass sich der Beschwerdeführer durch die auch diese Presseratsbeschwerde führende Rechtsanwältin noch am Tag des Erscheinens des Artikels, d.h. am 10. Juni 2020, an die «Basler Zeitung» gewandt habe. Nach «langwierigem Ringen und nach der Publikation eines weiteren Beitrags mit gleicher Tonalität in gleicher Angelegenheit, zahlreichen E-Mails und einer Telefonkonferenz zwischen den Parteien» sei das Korrigendum schliesslich veröffentlicht worden.

Trotz des publizierten Korrigendums habe der Presserat auf die vorliegende Beschwerde einzutreten, da er dies gemäss Ziffer 11 Absatz 1 des Geschäftsreglements nur dann nicht tue, wenn eine Angelegenheit von geringer Relevanz sei und – kumulativ – die betroffene Redaktion Korrekturmassnahmen ergriffen oder sich öffentlich entschuldigt habe. Die erste Voraussetzung sei hier nicht erfüllt: Beim Vorwurf, gegenüber Altersheimbewohnern die Fürsorgepflicht nicht wahrgenommen und Tote in Kauf genommen zu haben, handle es sich um einen Vorwurf strafrechtlich relevanten Verhaltens. Er wiege auch moralisch schwer, da nur unethische Menschen «Alte», d.h. Hilflose, im Stich lassen und nur charakterlich minderwertige Menschen den Ruf nach Hilfe einer Institution derart lange ignorieren. Es handle sich somit um einen gemäss Praxis des Presserats «schweren Vorwurf».

C. Am 2. Dezember 2020 antwortete die durch die Konzernanwältin vertretene «Basler Zeitung» auf die Beschwerde und beantragte, diese abzuweisen, sofern überhaupt auf sie eingetreten werde.

Zunächst führt die Beschwerdegegnerin im Detail aus, weshalb der Presserat auf die Beschwerde aus ihrer Sicht gar nicht erst eintreten sollte. Wie bereits aus der Beschwerdeschrift hervorgehe, sei nach einer aufwendigen Intervention der Rechtsvertreterin des Basler Gesundheitsdepartements ein Korrigendum publiziert worden. Dieser Prozess sei als «Parallelverfahren im weiteren Sinne» zu betrachten. Die «Basler Zeitung» sei dem Beschwerdeführer mit der Veröffentlichung des «eigentlich unnötigen» Korrigendums «sehr weit, d.h. über ihre Schmerzgrenze hinaus» entgegengekommen. Dies insofern, als das Korrigendum den Sachverhalt nicht korrekt wiedergebe, da es ausblende, dass der Vorwurf gegen den Beschwerdeführer nicht entkräftet wurde. Der Wortlaut des Korrigendums komme «nachgerade einem publizistischen Kniefall gleich».

Dieses Entgegenkommen der «Basler Zeitung» sei ausdrücklich «zur Erledigung der Angelegenheit» erfolgt, wie es in einer E-Mail vom 2. Juli 2020 heisse; dies bedeute sinngemäss, dass es unter der Bedingung geschah, dass keine weiteren rechtlichen Interventionen mehr erfolgen würden: «Die Einigung zwischen den Parteien ist zur Erledigung, d.h. per Saldo aller Ansprüche erfolgt.» Indem das Gesundheitsdepartement die Sache mit der vorliegenden Beschwerde an den Presserat nun wieder aufzuwärmen versuche, verhalte sie sich vertragsbrüchig, widersprüchlich und unredlich.

Doch auch wenn der Presserat nicht von einem Parallelverfahren ausgehe, habe die «Basler Zeitung» bereits öffentliche Korrekturmassnahmen ergriffen, indem sie das Korrigendum in dem vom Beschwerdeführer geforderten Wortlaut veröffentlichte. Damit liege ein Nichteintretensgrund nach Artikel 11 Absatz 1 des Geschäftsreglements vor: Mit der Publikation des Korrigendums sei eine nachträgliche Heilung der angeblich fehlenden Anhörung erfolgt, da das Korrigendum genau das Thema betreffe, das Gegenstand der Presseratsbeschwerde sei und zu dem sich das Gesundheitsdepartement angeblich nicht habe äussern können.

Materiell stellt sich die Redaktion auf den Standpunkt, Ziffer 3 der «Erklärung» respektive Richtlinie 3.8 eingehalten zu haben. So habe «BaZ»-Journalist Joël Hoffmann mit der Sprecherin des Gesundheitsdepartements telefonisch nicht nur über die genaue Anzahl Toter, sondern «über das gesamte Thema» gesprochen. Das Gespräch sei sehr offen und ausführlich gewesen; der Journalist habe «die üblichen Fragen» gestellt, etwa jene nach Fehlern im Altersheim und Fehlern, welche die Behörden gemacht haben könnten. Wenn ein Journalist mit der Sprecherin eines Gesundheitsdepartements über die Gründe für die Zahl der Toten in einem Heim diskutiere, so könne der Beschwerdeführer als zuständiger Regierungsrat nachträglich nicht argumentieren, er sei mit dem Vorwurf eines möglichen Fehlverhaltens nicht konfrontiert worden. Der Journalist habe im Artikel zitiert, was er habe zitieren dürfen: dass die Situation in einem Heim mit Dementen halt schwierig sei. Im Nachgang eine fehlende Konfrontation zu konstruieren, überzeuge nicht.

Wenn der Beschwerdeführer rüge, der Journalist habe in seinem Artikel seine «best arguments» weggelassen, so beziehe er sich auf einen selbstverschuldeten Umstand. Joël Hoffmann beteuere nämlich, ihm sei von den Behörden gar kein «best argument» vorgelegt worden, da diese bei sich keinen Fehler gesehen hätten. Auf seine Frage bzw. seinen Vorwurf, das Gesundheitsdepartement habe bloss zögerlich Hilfe geleistet, habe er keine konkrete Antwort erhalten. Ihm nun vorzuwerfen, er habe den Beschwerdeführer nicht damit konfrontiert, sei absurd. Die Schlagzeile «Lukas Engelberger liess Alte im Stich» sei eine absolut legitime und durch Fakten gestützte Zuspitzung, die sich ein gewählter Exekutivpolitiker in einem solchen Spitzenamt gefallen lassen müsse.

Ohnehin sei die Schwelle eines schweren Vorwurfs gar nicht erreicht. Anders, als es das Gesundheitsdepartement in seiner Beschwerde weismachen wolle, werde der Durchschnittsleser nämlich nicht auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten schliessen, sondern auf die politische Verantwortung; diesen Kontext und Zusammenhang werde er bereits im Lead erschliessen. Mit «im Stich lassen» werde nicht suggeriert, Regierungsrat Engelberger habe den Tod der alten Leute mit Vorsatz oder Eventualvorsatz herbeigeführt oder willentlich in Kauf genommen. Vielmehr werde dadurch die Gesundheitspolitik seines Departements in der frühen Corona-Pandemiephase bewertet, als der Fokus auf Spitälern gelegen habe und Altersheime vernachlässigt worden seien. Auch wenn die Situation in Pflegeheimen in der gesamten westlichen Welt unterschätzt worden sei, habe Engelberger mit dieser «aktenkundigen» Vernachlässigung der Altersheime doch ein tragisches Versäumnis begangen. Die Frage, ob Tote zu verhindern gewesen wären, sei im öffentlichen Interesse und legitim.

Zu beachten sei zudem, dass die Vorwürfe nicht von der «Basler Zeitung», sondern von der Leiterin der Martha-Stiftung vorgebracht worden seien. Hoffmann habe die Vorwürfe im Gespräch mit der Sprecherin des Gesundheitsdepartements benannt, ohne die Quelle zu outen – er habe sie verständlicherweise nicht Druckversuchen aussetzen wollen, bevor sie die Zitate absegne. «Dieses Vorgehen ist medienethisch einwandfrei.» Schliesslich sei zu berücksichtigen, dass die Heimleiterin der Martha-Stiftung im Artikel nicht angriffig dargestellt werde und der Sicht des Gesundheitsdepartements Raum gegeben werde. So heisse es im Artikel: «Die höheren Todeszahlen erklärt man sich beim Gesundheitsdepartement hingegen so: Bei Dementen könnten die Verhaltensregeln ‹unmöglich› eingehalten werden. Zudem hätten viele eine Vorerkrankung, weshalb sie ein höheres Sterberisiko hätten.»

D. Nachdem der Presserat die beiden Parteien am 8. Dezember 2020 darüber orientiert hatte, dass der Schriftenwechsel abgeschlossen ist, wandte sich der Beschwerdeführer am 21. Dezember 2020 erneut an ihn. Unter anderem moniert das Gesundheitsdepartement, die Beschwerdeantwort der «Basler Zeitung» enthalte «überraschend viele emotionale Aussagen».

E. Das Präsidium des Presserats wies die Beschwerde seiner 1. Kammer zu, der Susan Boos (Präsidentin), Luca Allidi, Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Francesca Luvini und Casper Selg angehören.

F. Die 1. Kammer des Presserats beriet den Fall an ihrer Sitzung vom 2. Februar 2021 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Am 9. September 2020 und somit knapp fristgerecht hat sich das Basler Gesundheitsdepartement gegen den am 10. Juni 2020 in der «Basler Zeitung» sowie online erschienenen Artikel «Lukas Engelberger liess Alte im Stich» sowie den zugehörigen Frontanriss «Die meisten Corona-Toten in Basel starben in Altersheimen» an den Presserat gewandt. Die Beschwerdegegnerin stellt sich auf den Standpunkt, auf die Beschwerde sei gar nicht einzutreten, weil ein «Parallelverfahren im weiteren Sinne» stattgefunden habe, das mit der Publikation eines Korrigendums am 3. Juli 2020 geendet habe. Damit sei sie dem Beschwerdeführer sehr weit entgegengekommen. Dies allerdings unter der Bedingung, dass das Departement auf weitere rechtliche Schritte verzichte. Mit der Presseratsbeschwerde verhalte sich der Beschwerdeführer folglich «vertragsbrüchig, widersprüchlich und unredlich».

Dieser Argumentation kann der Presserat nicht folgen. Unter einem Parallelverfahren im Sinne von Artikel 11 seines Geschäftsreglements sind nach gängiger Praxis Verfahren zu verstehen, die ein Beschwerdeführer oder eine Beschwerdeführerin gegen eine Redaktion eingeleitet hat, etwa bei Gerichten oder der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI); E-Mails und Telefonate zwischen Beschwerdeführer und Beschwerdegegner, die in eine Einigung über die Publikation eines Korrigendums münden, gehören nicht dazu.

Soweit es für den Presserat ersichtlich ist, wurde im Rahmen der diesbezüglichen Verhandlungen zwischen Beschwerdeführer und -gegnerin keine verbindliche Vereinbarung getroffen, die eine Beschwerde an den Presserat zur Gänze verunmöglicht. Zwar schreibt die Beschwerdegegnerin in einem Begleitmail, sie habe sich zur «Erledigung der Angelegenheit» zur Publikation des Korrigendums bereit erklärt, worauf der Beschwerdeführer antwortet, er sei «mit den formulierten Veröffentlichungsmodalitäten […] einverstanden»; höher zu gewichten ist aber, dass es in der vorliegenden Presseratsbeschwerde explizit nicht um eine vermeintlich falsche Tatsachenbehauptung geht – diese ist mit der Publikation des Korrigendums tatsächlich geheilt –, sondern um einen anderen medienethisch relevanten Aspekt: nämlich um die Frage, ob der Beschwerdeführer im Vorfeld der Veröffentlichung des Artikels mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen hätte konfrontiert werden müssen.

Der Presserat tritt auf die Beschwerde ein. Keine Beachtung schenkt er bei der Beurteilung der Beschwerde allerdings der vom Beschwerdeführer unaufgefordert nachgereichten Eingabe vom 21. Dezember 2020. Wie beiden Parteien mitgeteilt worden war, wurde der Schriftwechsel bereits am 8. Dezember 2020 abgeschlossen.

2. Das Gesundheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt macht einen Verstoss gegen Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» respektive die zugehörige Richtlinie 3.8 geltend. Der Vorwurf, es habe der Martha-Stiftung «zu spät geholfen», wiege schwer, zumal etwa mit dem Titel des Artikels – «Lukas Engelberger liess Alte im Stich» – eine vorsätzlich unterbliebene Hilfeleistung impliziert werde. Demgegenüber antwortet die «Basler Zeitung», die Schwelle eines schweren Vorwurfs sei nicht erreicht, da der Durchschnittsleser bei der Lektüre des Artikels nicht von einem strafrechtlich relevanten Verhalten ausgehe, sondern bloss auf die politische Verantwortung Engelbergers und des von ihm geleiteten Gesundheitsdepartements abstelle.

Zweifelsfrei liegt die Frage, ob Tote zu verhindern gewesen wären, im öffentlichen Interesse. Sie zu stellen ist auch dann legitim, wenn einem politisch Verantwortlichen kein Vorsatz unterstellt wird respektive werden kann (etwa weil zu Beginn einer derart ausserordentlichen Lage wie einer Pandemie schlicht noch unbekannt ist, welche Personengruppen wie stark gefährdet sind und wie sie am besten geschützt werden können). Doch unterstellt der Titel des Artikels dem verantwortlichen Regierungsrat Engelberger, er habe «Alte im Stich» gelassen und somit ihren Tod in Kauf genommen. Völlig ungeachtet des Wahrheitsgehalts handelt es sich hierbei nach Beurteilung des Presserats um einen schweren Vorwurf, der ein illegales oder damit vergleichbares Verhalten unterstellt. Engelberger hätte folglich mit diesem schweren Vorwurf konfrontiert werden müssen.

3. Zu klären ist folglich, ob eine Konfrontation erfolgt ist oder nicht. Verbrieft ist, dass BaZ-Journalist Joël Hoffmann einige Tage vor der Publikation des Artikels telefonisch Kontakt mit der Kommunikationsabteilung des Gesundheitsdepartements aufnahm, um seine Angaben über die Anzahl der Todesfälle in Basler Heimen zu verifizieren. Gemäss Beschwerdeschrift erwähnte Hoffmann während des Telefonats jedoch nicht, dass der Vorwurf im Raum stehe, Engelberger und/oder sein Departement hätten die Martha-Stiftung zu spät, ungenügend oder sonstwie unangemessen unterstützt; nach Angaben der «Basler Zeitung» sprachen Hoffmann und die Departements-Sprecherin sehr offen und ausführlich «über das gesamte Thema», wobei der Journalist auch nach Fehlern im Altersheim und allfälligen Fehlern der Behörden gefragt habe. Insofern steht Aussage gegen Aussage.

Entscheidend aber ist, dass es gemäss Praxis des Presserats nicht genügt, mit schweren Vorwürfen belastete Personen und Institutionen im Vorfeld der Publikation allgemein zu befragen. Vielmehr sind die zur Veröffentlichung vorgesehenen schweren Vorwürfe präzis zu benennen – nur wenn ein Betroffener weiss, was ihm vorgeworfen wird, kann er entscheiden, ob er Stellung nehmen will oder nicht (vgl. Stellungnahme 38/2010). Vorliegend vermag die Beschwerdegegnerin den Nachweis, Regierungsrat Engelberger oder wenigstens seine Presseverantwortliche mit den konkreten Vorwürfen konfrontiert zu haben, nicht zu erbringen. Die «Basler Zeitung» hat gegen Ziffer 3 der «Erklärung» respektive die Richtlinie 3.8 verstossen.

An diesem Verdikt ändert nichts, dass die Vorwürfe im Artikel nicht vom Journalisten, sondern von der Leiterin der Martha-Stiftung vorgebracht werden. Dies nicht nur, weil sich die «Basler Zeitung» den Hauptvorwurf zumindest im Titel des Beitrags zu eigen macht; vielmehr müssen Personen, gegen die neue schwere Vorwürfe erhoben werden, immer konfrontiert werden – auch dann, wenn die Vorwürfe von Dritten stammen, wie es beispielsweise bei Interviews der Fall sein kann.

III. Feststellungen

1. Der Presserat heisst die Beschwerde gut.

2. Die «Basler Zeitung» hat mit dem Artikel «Lukas Engelberger liess Alte im Stich» vom 10. Juni 2020 gegen die Ziffer 3 (Pflicht zur Anhörung bei schweren Vorwürfen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.