Nr. 11/2019
Lauterkeit der Recherche

(Kantonsgericht Schaffhausen c. «blick.ch» und «Blick am Abend»)

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I. Sachverhalt

A. Am 13. Juli 2017 veröffentlichten «Blick» in seiner Onlineausgabe und «Blick am Abend» einen Artikel mit dem Titel «So lügt die Flüchtlings-Betreuerin». Ein Flüchtling habe während einiger Wochen eine Beziehung mit der für ihn zuständigen Flüchtlingsbetreuerin geführt. Sie habe ihn danach angezeigt, weil er sie gestalkt, genötigt und belästigt haben soll. Im Artikel abgedruckt sind zum Teil geschwärzte Ausschnitte der nicht veröffentlichten Verfahrensakten des hängigen Strafverfahrens vor dem Kantonsgericht Schaffhausen. Zudem ist im Artikel erwähnt, «Blick» habe zusammen mit dem Beschuldigten Einsicht in die Gerichtsakten genommen habe.

B. Am 11. Oktober 2017 reichte das Kantonsgericht Schaffhausen beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen den Artikel ein. «blick.ch» und «Blick am Abend» hätten gegen Ziffer 4 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») und gegen die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 4.1 verstossen, indem der Journalist bei der Beschaffung von Informationen, die zur Veröffentlichung vorgesehen sind, seinen Beruf verschleiert habe. Derselbe Vorwurf treffe die Tageszeitung, indem sie solcherart beschaffte Informationen veröffentlicht habe. Am Kantonsgericht Schaffhausen sei ein Strafverfahren gegen den Beschuldigten XY wegen Tätlichkeiten, Missbrauch einer Fernmeldeanlage und Nötigung hängig. Am 13. Juli 2017 sei der Beschuldigte mit einer männlichen Begleitperson am Schalter des Kantonsgerichts erschienen und habe Akteneinsicht verlangt. Die zuständige Mitarbeiterin habe nachgefragt, wer die Begleitperson sei, woraufhin diese mitgeteilt habe, ihr Name sei Latzer. Er sei ein Kollege des Beschuldigten und möchte gerne für diesen übersetzen, da der Beschuldigte der deutschen Sprache nicht mächtig sei. Auf Nachfrage der Mitarbeiterin habe der Beschuldigte dies bestätigt. Daraufhin seien die Akten zur Einsicht übergeben und nach Verlangen des Beschuldigten Kopien einzelner Actoren gemacht worden. Nach Abschluss der Akteneinsicht habe die Mitarbeiterin Herrn Latzer erneut nach seinem Verhältnis zum Beschuldigten gefragt. Daraufhin habe Herr Latzer ihr mitgeteilt, er sei wie bereits erwähnt ein guter Freund des Beschuldigten, jedoch sei er auch Journalist und fände es menschlich nicht korrekt, wie mit dem Beschuldigten umgesprungen werde. Gleichentags habe die Tageszeitung «Blick» in ihrer Internetausgabe sowie «Blick am Abend» Auszüge aus den ausgehändigten polizeilichen Einvernahmeprotokollen veröffentlicht. Herr Latzer habe mit seinem Vorgehen gegen die eingangs erwähnten Bestimmungen und Richtlinien verstossen, indem er seine Eigenschaft als Journalist nicht auf erstes Befragen zu seiner Rolle offengelegt, sondern dies erst zum Schluss der Akteneinsicht und nach nochmaligem Nachfragen der Mitarbeiterin des Kantonsgerichts getan habe. Zudem sei er vom Kantonsgericht Schaffhausen nicht als Gerichtsberichterstatter akkreditiert.

Mit Schreiben vom 12. Dezember 2017 ergänzte das Kantonsgericht Schaffhausen, Herr Latzer habe in seiner Eigenschaft als Journalist zu Recherchezwecken in den Räumlichkeiten des Gerichts den Zugang zu nichtöffentlichen Strafakten erschlichen, welcher in Kenntnis der Sachlage weder ihm noch einem akkreditierten Journalisten gewährt und letzterer für solches Verhalten sanktioniert worden wäre.

C. Am 27. November 2017 nahm der anwaltlich vertretene «blick.ch»/«Blick am Abend» zur Beschwerde Stellung. Der Beschwerdegegner beantragt die Abweisung der Beschwerde. Es sei unbestritten, dass der Beschuldigte und nicht Herr Latzer Akteneinsicht verlangt habe und damit einverstanden gewesen sei, wenn Herr Latzer die Akten sehe. Es sei angemerkt, dass der Beschuldigte und Herr Latzer in einem guten Verhältnis zueinander stünden. Die Fragen der Mitarbeiterin danach, wer Herr Latzer sei und in welcher Eigenschaft er da sei, seien unzulässig gewesen. Die Absicht, welche der Beschuldigte mit der Akteneinsicht verfolgt habe, gehe das Kantonsgericht nichts an. Zudem habe sich Herr Latzer bereits beim ersten und nicht erst beim zweiten Nachfragen der zuständigen Mitarbeiterin als Journalist zu erkennen gegeben. Richtig sei, dass Herr Latzer nicht akkreditiert sei.

D. Am 1. Dezember 2017 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 9. Mai 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägung

Ziffer 4 der «Erklärung» (Lauterkeit der Recherche) untersagt den Journalistinnen und Journalisten, sich bei der Beschaffung von Informationen unlauterer Methoden zu bedienen. Zu einer lauteren Recherche gehört es nach der Richtlinie 4.1 (Verschleierung des Berufs) grundsätzlich, sich gegenüber den Gesprächspartnern als Journalist/in zu erkennen zu geben. Es ist somit unbestritten, dass Herr Latzer als Begleiter des Beschuldigten der zuständigen Mitarbeiterin des Kantonsgerichts Schaffhausen gegenüber seinen Beruf als Journalist offenzulegen hatte. Dies umso mehr, als er in der Folge über das Verfahren berichtet hat. Unklar ist, ob er dies bereits nach dem ersten Nachfragen getan hat. Einigkeit besteht jedoch darin, dass er seinen Beruf als Journalist offengelegt hat.

Der Schweizer Presserat hat wiederholt darauf hingewiesen, dass er nicht in der Lage ist, einen zwischen den Parteien umstrittenen Sachverhalt in einem umfangreichen Beweisverfahren zu klären. Soweit die Differenzen zwischen den Standpunkten der Parteien auf unterschiedlichen Sachverhaltsbehauptungen beruhen, muss der Presserat deshalb die Frage offen lassen, welche Faktendarstellung zutrifft. Massgebend für den Presserat ist die von beiden Parteien übereinstimmend getätigte Sachverhaltsdarstellung, der Begleiter des Angeschuldigten habe sich als Journalist ausgewiesen. Richtlinie 4.1 (Verschleierung des Berufs) ist somit nicht verletzt.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. «Blick» und «Blick am Abend» haben mit dem Artikel «So lügt die Flüchtlings-Betreuerin» vom 13. Juli 2017 Ziffer 4 (Verschleierung des Berufs) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.