Nr. 9/2019
Identifizierung

(Qelaj c. «K-Tipp»)

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Zusammenfassung

Das Thema ist brisant und ein Dauerbrenner für den Presserat: Wann dürfen Journalisten den Namen von Personen nennen, die einer breiten Öffentlichkeit nicht bekannt sind und mithin das Recht haben, anonym zu bleiben?

Im vorliegenden Fall entschied der Presserat klar zugunsten einer Namensnennung. Die Zeitschrift «K-Geld» war also berechtigt, auf die fragwürdigen Praktiken der Einmannfirma Salfried AG hinzuweisen und dabei auch den Namen des Inhabers zu nennen. Dieser hat in den letzten Jahren unter verschiedenen Firmennamen und Firmenkonstrukten unbedarfte Anleger um ihr Geld gebracht. Er profitiert dabei davon, dass die Schweiz ein Eldorado für Verkäufer von Aktien per Telefon ist. Firmenbesitzer Artan Qelaj und seine Mitarbeiter riefen dabei insbesondere Senioren zwischen 75 und 95 an.

Namensnennung ist nicht zulässig, wenn es um laufende Gerichtsverfahren geht – dies hat der Presserat schon mehrfach festgehalten und bleibt auch dabei. Im Fall Salfried aber gibt es ein klares öffentliches Interesse, Namen und Fakten zu nennen, damit transparent zu informieren und vor einer aktuellen, erheblichen Gefahr zu warnen.

Résumé

Le sujet reste d’une actualité brûlante pour le Conseil de la presse: les journalistes sont-ils autorisés à citer les noms de personnes inconnues du grand public et qui ont par conséquent le droit de conserver l’anonymat? Si oui, quand?

Dans le cas présent, le Conseil de la presse s’est prononcé clairement en faveur de la mention de noms. Il était donc permis au magazine «K-Geld» de signaler les pratiques douteuses de la société individuelle Salfried AG et de citer ce faisant le nom de son détenteur. Au cours des années passées, ce dernier a dépouillé de leur argent des investisseurs innocents sous le nom et les structures de plusieurs sociétés. Il profite du fait que la Suisse est un eldorado pour les vendeurs d’actions par téléphone. Le propriétaire de la société, Artan Qelaj, et ses collaborateurs avaient pour habitude d’appeler spécialement des seniors de 75 à 95 ans.

Citer des noms n’est pas acceptable quand des procédures judiciaires sont en cours: le Conseil de la presse l’a déjà affirmé à plusieurs reprises et il reste sur sa position. Dans le cas Salfried, il existe cependant un intérêt public indéniable à évoquer les noms et les faits pour pouvoir informer de manière transparente et avertir les victimes potentielles d’un risque considérable.

Riassunto

Il tema è scottante e continuo oggetto di attenzione da parte del Consiglio svizzero della stampa: quando ai giornalisti è lecito citare il nome di persone ignote al grande pubblico e pertanto in diritto di non venire menzionate?

In un caso specifico l’eccezione è risultata a parere del Consiglio giustificata. Si trattava della rivista «K-Geld», che nel caso aveva denunciato le pratiche equivoche di una ditta individuale: la Salfried AG, e citato il nome del titolare. Negli scorsi anni l’impresa si era segnalata per aver fatto perdere ingenti somme a privati investitori abusando del nome di ditte esistenti o inventate, approfittando del fatto che in Svizzera è molto diffusa la pratica di acquistare azioni per telefono. Il titolare – Artan Qelaj – e i suoi collaboratori avevano di mira soprattutto anziani tra i 75 e i 95 anni.

La menzione del nome non è consentita quando una procedura è in corso – ciò è stato ribadito più volte dal Consiglio della stampa. Ma nel caso Salfried era in gioco chiaramente il pubblico interesse alla conoscenza di nomi e di fatti, e con questo il dovere di informare in modo trasparente e con ciò di mettere in guardia l’opinione pubblica da un rischio grave.

I. Sachverhalt

A. Am 29. August 2018 veröffentlichte das mit der Konsumentenzeitschrift «K-Tipp» verbundene Magazin «K-Geld» einen kurzen Artikel von «K-Tipp»-Redaktor Ernst Meierhofer mit dem Titel «Aktienverkäufer Qelaj: Anlegern drohen neue Verluste». Der Artikel erinnert an den Konkurs der Firma Amvac von 2016, bei dem viele Anleger via die Salfried AG des Artan Qelaj viel Geld verloren haben. Firmenchef Qelaj habe dann mit Aktien der Firma 1Systems Holdings AG in Zug erneut Aktienkäufer um ihr Geld gebracht – die Zuger Behörden hätten die Liquidierung von 1Systems verfügt, weil keine Revisionsstelle die Rechnungsprüfung übernehmen wollte. Auch wenn 1Systems-Verwaltungsrat René Berlinger den Aktionären vage Hoffnungen mache, bestünden kaum gute Aussichten, weil 1Systems bis jetzt nur Verluste geschrieben habe.

B. Am 18. September 2018 wandte sich der anwaltlich vertretene Artan Qelaj an den Schweizer Presserat wegen «identifizierender Berichterstattung». In den Artikeln auf der Webseite von «K-Tipp» und «Saldo» werde sein Name schon im Titel genannt, dann auch noch zweimal im Artikel selbst. Dies stelle eine Verletzung der zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») gehörenden Richtlinie 7.2 dar, die detailliert erläutere, wann eine Namensnennung zulässig sei.

Die Namensnennung sei auch darum unzulässig, weil der Beschwerdeführer nur «Organ und wirtschaftlich Berechtigter der Salfried AG» sei, über die im Artikel berichtet werde. «K-Tipp» habe Qelaj schon bei früheren Aktienvermittlungsgeschäften namentlich genannt, wobei hier noch Gerichtsverfahren hängig seien. Zudem habe der Presserat 2017 im Sinne des Beschwerdeführers entschieden und die Namensnennung verurteilt (Stellungnahme 36/2017). Die Namensnennung im vorliegenden Fall sei «besonders verwerflich», weil der Titel nur auf seine Person fokussiere, ohne auf das Unternehmen Bezug zu nehmen.

C. Am 10. Dezember 2018 antwortete «K-Tipp»-Redaktor Karl Kümin in seiner Funktion als Anwalt der Redaktion «K-Tipp». Die ausführliche Stellungnahme kommt als Anklageschrift gegen den Beschwerdeführer daher. Der «K-Tipp» betont einleitend, die Namensnennung sei begründet durch ein «erhebliches, überwiegendes Interesse», gehe es doch darum, die Öffentlichkeit – «namentlich Kleinanleger und unerfahrene Anleger» – «vor riskanten Investitionen zu warnen». Der Beschwerdeführer sei der Repräsentant einer klassischen Einmann-AG, weshalb man seine Firma (Salfried AG) mit ihm gleichsetzen könne. Gegen Qelaj laufe schon länger ein Verfahren der Staatsanwaltschaft Zug wegen Anlagebetrug und weiteren Delikten. Der Presserat habe zwar moniert, bei laufenden Verfahren sei die Namensnennung zu unterlassen. In der jetzigen Situation gehe es aber um «zweifelhafte wirtschaftliche Betätigungen», bei denen der Bedarf der Anonymisierung «erheblich geringer» sei.

Der Beschwerdegegner hebt insbesondere noch drei Punkte hervor: Erstens tätige Qelaj durch seine von ihm angestellten und instruierten Vermittler unseriöse Telefonverkäufe, etwa indem er 75 bis 95 Jahre alte Senioren anrufen lasse. Vor solchen Verkaufspraktiken müsse man warnen dürfen – dies zu tun sei die klassische Rolle der Medien als Wächter in der Demokratie. Zweitens vermittle der Beschwerdeführer auch persönlich Aktien, immer wieder getarnt unter neuen Firmennamen. Ein Holdingkonstrukt, dessen Alleinaktionär Qelaj sei und das auch seine Salfried AG besitze, erleichtere ihm das. Und drittens trage Qelaj seinen Namen auch sonst überaus aktiv in die Öffentlichkeit, was die Screenshots verschiedener Webseiten bewiesen.

D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Marianne Biber, Jan Grüebler, Barbara Hintermann, Markus Locher und Simone Rau an.

E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 7. März 2018 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Im Mittelpunkt der Kontroverse steht die Frage, ob die Namensnennung in diesem Fall zulässig war. Dieses Thema beschäftigt den Presserat immer wieder. Richtlinie 7.2 zur «Erklärung» betont, die beteiligten Interessen seien sorgfältig abzuwägen und eine Namensnennung nur unter bestimmten Bedingungen zulässig, etwa wenn eine Person in der Öffentlichkeit bekannt ist oder die Namensnennung «anderweitig durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt» ist.

2. Im Entscheid 16/2009 kritisierte der Presserat die Namensnennung eines der Veruntreuung verdächtigten Treuhänders. Es ging dabei um den Bericht über ein laufendes Strafverfahren. Und dafür gelten strengere Regeln für die Namensnennung. Der Presserat wies denn auch darauf hin, der Firmenname hätte genügt, um Investoren zu warnen. Es sei falsch gewesen, den Namen und weitere identifizierende Merkmale des verhafteten Treuhänders zu nennen. Ähnlich entschied der Presserat ein Jahr später, wobei es wiederum um laufende Strafverfahren ging (5/2010).

3. Im Entscheid 58/2012 hiess der Presserat dagegen die Namensnennung des Verlegers eines Börsenbriefs gut. Er hatte die Frage zu klären, ob es zulässig war, den Besitzer des Verlages als mutmasslichen Autor der Aktienempfehlung und Berater der empfohlenen Anlage zu nennen. Der Presserat kontrastierte diesen Entscheid mit den beiden oben genannten Stellungnahmen und verdeutlichte, dass es bei diesen Fällen um die Verhaftung von möglichen Straftätern unter dem Vorwurf des Betrugs gegangen war: Sie zu identifizieren schädige eventuell ihre öffentliche Reputation. Deren Namen zu nennen stelle einen ungleich schwereren Eingriff in die Privatsphäre dar als die Nennung zweifelhafter wirtschaftlicher Verbindungen. Im vorliegenden Fall hielt der Presserat fest, dass einem Anleger aus Unkenntnis von Verbindungen zwischen einem Herausgeber bzw. Autor von Börsenempfehlungen und dessen Beratungsmandat für eine bestimmte Firma durchaus ein Schaden entstehen könne. Es bestehe deshalb ein öffentliches Interesse an erhöhter Transparenz über solche Verbindungen. Die Namensnennung sei somit zulässig.

4. Im Entscheid 36/2017 ging es bereits einmal um die Frage, ob es zulässig war, den Namen von Artan Qelaj zu nennen. Der Presserat kam damals zum Schluss, die Namensnennung sei unzulässig; es hätte genügt, den Namen seiner Firma zu nennen, um Anleger zu warnen. Auch bei diesem Artikel war es um ein hängiges Strafverfahren gegangen; die «Handelszeitung» bezog sich auf ihr vorliegende Akten der Zuger Staatsanwaltschaft und argumentierte zudem, Qelaj sei durch einen Eintrag im Handelsregister an die Öffentlichkeit getreten. Der Presserat entschied aber, in einem solchen Fall habe die Wahrung der Privatsphäre Vorrang, der Pflichteintrag im Handelsregister hebe den Schutz der Privatsphäre nicht auf.

5. Im vorliegenden Fall hingegen geht es nicht um ein Strafverfahren, sondern um einen Bericht über für Kleinanleger hochriskante wirtschaftliche Aktivitäten von Artan Qelaj; seine Einmannfirma Salfried AG vermittelt, sprich verkauft, immer wieder Aktien anderer neugegründeter Firmen an arglose Kunden. Qelaj und seine Mitarbeiter behalten dabei bis zu 70 Prozent vom investierten Geld der oft hochbetagten Käufer als «Provision» für ihre Vermittlung ein. Zahlreiche Anleger verlieren durch den Konkurs der Start-ups ihr ganzes eingesetztes Kapital. Die Redaktion «K-Tipp» erläutert Qelajs Vorgehen in ihrer Beschwerdeantwort detailliert und weist insbesondere auf unseriöse Telefonverkäufe hin: Qelaj und seine Leute nutzen es, dass die Schweiz ein Eldorado für Verkäufer von Aktien per Telefon ist – hierzulande ist der unerwünschte Anruf an Privatpersonen nicht verboten. Die Telefonverkäufer haben dabei – gemäss einem Untersuchungsbericht der Zuger Staatsanwaltschaft – oft Senioren zwischen 75 und 95 Jahren im Visier.

Zwar meldeten sich die Verkäufer (und manchmal auch Artan Qelaj) bei den Kunden oft mit Falschnamen, aber die einzige Konstante hinter diesem Aktienvermittlungssystem ist die Person des Artan Qelaj. Das System funktioniert über seine Salfried AG, auf deren Konto manche Käufer ihr Geld einzahlten. Und es funktioniert nach Bedarf unter andern, von ihm geschaffenen Firmen unter dem Dach seiner S Group Holding. Dahinter aber steht immer Qelaj. Indem «K-Geld» respektive der «K-Tipp» auf die fragwürdigen Aktivitäten Artan Qelajs hinweist, leistet die Zeitschrift einen Dienst an der Öffentlichkeit. «Ein öffentliches Interesse, etwa vor einer aktuellen, erheblichen Gefahr zu warnen, kann das Interesse an der Respektierung der Privatsphäre überwiegen», heisst es dazu im Ratgeber des Presserats von Peter Studer und Martin Künzi (S. 110). Der Presserat kommt zum Schluss, dass das öffentliche Interesse daran, den Namen derjenigen Person, die hinter dem System der S Group Holding steht, zu kennen, überwiegt. «K-Geld» respektive der «K-Tipp» durften daher den Namen Artan Qelajs nennen. Sie haben Ziffer 7 der «Erklärung» nicht verletzt. Denn sie können dafür ein «überwiegendes öffentliches Interesse» in Anspruch nehmen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. «K-Geld» beziehungsweise der «K-Tipp» haben mit dem Artikel vom 29. August 2018 über «Aktienverkäufer Qelaj: Anlegern drohen neue Verluste» die Ziffer 7 (Identifizierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.