Nr. 6/2020
Native Advertising / Bezahlter Inhalt

(Stiftung für Konsumentenschutz c. «Tages-Anzeiger»)

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Zusammenfassung

Gleich mehrfach rügt der Schweizer Presserat den Verlag Tamedia wegen verschleierter Werbung. Die Zeitungen «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung» hatten bezahlte Werbebeiträge von Swisscom, Mazda, Proviande und Genève Invest publiziert, welche die Leserschaft für redaktionelle Artikel halten konnte. Gegen die Beiträge gingen drei Beschwerden ein, die der Presserat nun gutheisst. Denn der Journalistenkodex schreibt vor, den redaktionellen Teil strikt von der Werbung zu trennen.

Die ganz- und doppelseitigen Werbebeiträge waren journalistisch aufgemacht und fast deckungsgleich gestaltet wie redaktionelle Seiten. Solche Werbeformen, sogenanntes «Native Advertising», sind zwar nicht untersagt, sie müssen aber klar, eindeutig, genügend gross und deutlich sichtbar als Werbung deklariert sein. Das war bei allen Werbebeiträgen nicht der Fall. Die Lesenden wurden getäuscht, weil sie den nicht-journalistischen Charakter dieser Seiten nicht auf den ersten Blick erkennen konnten.

Der Presserat hatte Ende letzten Jahres einen Leitentscheid zu dieser Werbeform gefällt. Damals rügte er die «NZZ am Sonntag» für eine verkappte Werbeseite. Er stellt mit Genugtuung fest, dass das Bewusstsein in Bezug auf die Vermischung von redaktionellem Inhalt und Werbung bei Tamedia wächst. Der Qualitätsbeauftragte von Tamedia hat in seinem Qualitätsreport 2019 festgehalten, dass Verbesserungsbedarf u.a. bei der Deklaration von Native Ads besteht.

Résumé

Le Conseil suisse de la presse adresse plusieurs blâmes aux éditions Tamedia pour de la publicité déguisée. Les journaux «Tages-Anzeiger» et «SonntagsZeitung» ont en effet publié des contributions payées par Swisscom, Mazda, Proviande et Genève Invest que le lecteur pouvait prendre pour des articles rédactionnels. Le Conseil de la presse a accepté les trois plaintes qu’il avait reçues à leur sujet. Car le code de déontologie des journalistes prescrit une stricte séparation entre partie rédactionnelle et publicité.

Les contributions pleine page et double-page se présentaient sous une forme journalistique et avaient une mise en page quasi identique à celle des pages rédactionnelles. Ces formes de publicité, connues sous le terme de «native advertising», ne sont certes pas interdites, mais elles doivent être déclarées comme telles de manière claire, évidente, bien visible et en caractères suffisamment grands. Tel n’était pas le cas de toutes ces contributions. Les lecteurs ont été trompés, parce qu’ils ne pouvaient voir d’emblée le caractère non journalistique de ces textes.

Le Conseil de la presse avait adopté à la fin de l’année passée une décision de principe sur ce genre de publicité. Il avait à l’époque blâmé la «NZZ am Sonntag» pour une page de publicité camouflée. Il note avec satisfaction que la conscience du mélange du contenu éditorial et de la publicité se développe chez Tamedia. Dans son rapport de qualité 2019, le responsable de la qualité de Tamedia a déclaré qu’il y a place à l’amélioration, par exemple, dans la déclaration des publicités déguisées.

Riassunto

Il Consiglio svizzero della stampa ha accolto tre reclami contro «Tamedia», editrice dei giornali «Tages-Anzeiger» e «SonntagsZeitung» per ripetute infrazioni alla regola deontologica della separazione tra testo e pubblicità. Le aziende interessate a tale pubblicità dissimulata (nel senso che non è distinguibile dal testo redazionale) sono Swisscom, Mazda, Proviande e Genève Invest. Sul punto, il codice deontologico è chiaro: la distinzione tra testo e pubblicità dev’essere netta.

Pagine intere e doppie pagine si presentavano quasi uguali a pagine di testo. Il Consiglio della stampa ricorda che tipi di pubblicità come «Native Advertising» sono certamente lecite, ma debbono essere dichiarate «pubblicità» in modo chiaro, inequivocabile e con caratteri ben visibili: e ciò non era il caso nei tre esempi denunciati. Il lettore risultava fuorviato nella misura in cui i caratteri tipografici usati in tali pagine non erano riconoscibili a prima vista.

Il Consiglio della stampa ha pubblicato l’anno scorso una presa di posizione di fondo su questo tipo di pubblicità, pronunciandosi contro una pubblicazione della «NZZ am Sonntag». Ora prende atto con soddisfazione che anche presso Tamedia sta crescendo la consapevolezza della necessaria distinzione tra contenuti editoriali e pubblicità. Nel suo Quality Report 2019, il responsabile della qualità di Tamedia ha constatato che c’è ancora spazio per migliorare, ad esempio segnalando più chiaramente le forme miste (native advertising).

I. Sachverhalt

A. Am 13. Mai 2019 veröffentlichten der «Tages-Anzeiger» (TA) und andere Tamedia-Publikationen (etwa «Der Bund», das «Thuner Tagblatt») eine doppelseitige Anzeige der Swisscom – ein Beitrag erstellt von «Commercial Publishing Tamedia» zusammen mit Swisscom. Darin werden «fünf gefährliche Irrtümer im Netz» aufgelistet und auch erläutert, wie «leichtsinnig» wir «mit unseren Daten umgehen».

B. Am 11. Juni 2019 reichte die Stiftung für Konsumentenschutz eine Beschwerde beim Schweizer Presserat ein; die Swisscom betreibe auf der Doppelseite in zwei redaktionell aufgemachten Texten und einem Interview unterschwellige Imagewerbung. Tamedia verletze Richtlinie 10.1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») des Presserates, also die strikte Trennung von redaktionellem Inhalt und Werbung. Konkret kritisiert die Konsumentenorganisation die Aufmachung der Doppelseite, das dem redaktionellen Teil täuschend ähnliche Layout. Durch die «sachliche Tonalität» fielen die «Artikel» zudem «fast nicht» als Werbung auf.

C. Die Stiftung für Konsumentenschutz weist in ihrer Beschwerde auch darauf hin, dass sie bereits am 29. Mail 2019 in einem offenen Brief an Pietro Supino, Verleger und Verwaltungsratspräsident von Tamedia, die klare Trennung von redaktionellen und werberischen Texten angemahnt habe. In diesem Brief hatte sie einerseits Verständnis geäussert für die schwierige finanzielle Lage der Printmedien, andererseits aber auch betont, es gehe um die Glaubwürdigkeit des Journalismus – eine klare Trennung sei für dessen Glaubwürdigkeit und Qualität «überlebenswichtig». Konkret forderte die Stiftung, Werbetexte deutlich als solche zu kennzeichnen.

D. Verleger Pietro Supino schrieb in seiner Antwort vom 7. Juni 2019, tatsächlich sei die «Trennung von redaktionellem Inhalt und kommerziellen Botschaften» ein «zentrales Kriterium» für «die Glaubwürdigkeit unserer Medien». Gegenüber dem Publikum deklariere Tamedia Werbebotschaften klar verständlich. Ursprünglich habe Tamedia die neuen Werbeformen mit den Begriffen «sponsered» oder «paid post» definiert. Da die Begriffe für diese neuen Werbeformen in der Branche aber uneinheitlich verwendet würden, brauche man bis auf Weiteres stets auch die Bezeichnungen «Anzeige» und «Werbung». Zudem weise man «den Werbeauftraggeber mit seinem Logo unmissverständlich» aus. Auf Inhalt und Tonalität der Werbebotschaften nehme man hingegen «bewusst keinen Einfluss».

Redaktionelle Mitarbeiter seien in keiner Weise in die Kreation und Verbreitung von Werbebotschaften involviert. Das Unternehmen orientiere sich zudem an den Standards international führender Qualitätsmedien. Da man Neuland betrete, befinde man sich aber realistischerweise in einem Lernprozess. Persönlich halte er es für entscheidend, die Medienkompetenz zu fördern – nur so könnten sich Bürgerinnen und Bürger «frei informieren» und «ihre eigenen Meinungen bilden».

E. Die Stiftung für Konsumentenschutz zeigte sich in ihrer Beschwerde vom 11. Juni 2019 frustriert von dieser Antwort: Verleger Supino weiche den Forderungen ihrer Organisation «wortreich aus» und schlage stattdessen «die Förderung der Medienkompetenz von Bürgerinnen und Konsumenten» vor.

F. Am 23. Oktober 2019 nahm die Rechtskonsulentin von Tamedia Stellung; einleitend wies sie darauf hin, der Presserat sei nur für den redaktionellen Teil zuständig, mithin auch für die Frage der Trennung von Werbung und journalistischem Inhalt. Für die Werbung jedoch sei die Schweizerische Lauterkeitskommission zuständig.

Materiell betont Tamedia, das «Commercial Publishing Team» sei personell absolut unabhängig von allen Redaktionen von Tamedia. Einflussnahme auf die Redaktion sei darum «gar nicht erst möglich». Dies werde auch der Leserschaft deutlich kommuniziert und die von der Beschwerdeführerin offensichtlich erkannten «optischen Unterschiede» zu redaktionellen Inhalten genügten. Zusätzliche Transparenz schafften die Erläuterungen im Impressum der Tamedia-Medien.

Konkret werde viel getan, um Transparenz herzustellen. Die Leserschaft wisse, dass Ausdrücke wie «Anzeige», «Sponsored» oder «Commercial Publishing» auf einen nicht-redaktionellen Inhalt hinwiesen. Die Verwendung verschiedener Begriffe nebeneinander stelle sicher, dass sowohl die ältere Leserschaft mit dem Begriff «Anzeige», die Jüngeren mit «Sponsored» verstünden, dass es sich um einen kommerziellen Inhalt handle. Zum Schluss hebt Tamedia nochmals hervor, dass auch im vorliegenden Fall nur ein Kontakt zwischen der Swisscom und Tamedia Commercial Publishing bestanden habe. Die unabhängige Position der Tamedia-Redaktionen widerspiegle sich im Übrigen in mehreren Swisscom-kritischen redaktionellen Beiträgen – es werden sieben solche aufgelistet, die allein zwischen Juni und September 2019 erschienen.

G. Das Präsidium des Presserats wies den Fall der 3. Kammer zu. Ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Marianne Biber, Jan Grüebler, Markus Locher, Simone Rau und Hilary von Arx an. Simone Rau trat von sich aus in den Ausstand.

H. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 30. Januar 2020 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Das Problem der klaren Unterscheidung von redaktionellen Beiträgen und Werbung oder auch «Native Advertising» beschäftigt den Presserat schon längere Zeit. Im Mai 2019 hat er öffentlich seine grosse Besorgnis zum Ausdruck gebracht – und dies gerade anlässlich der hier zur Diskussion stehenden Swisscom-Inseratdoppelseite. Schon damals hat er insbesondere darauf hingewiesen, dass der Begriff «Sponsored» für solche Beiträge absolut irreführend ist, indem hier von einer freien Themenwahl und -bearbeitung, wie sie für Sponsoring typisch sind, durch die Redaktion keine Rede sein kann. In seinem ausführlichen Leitentscheid 67/2019 hat der Presserat nochmals herausgearbeitet, was man unter Sponsoring versteht, dort auch mit dem Hinweis auf das Bundesgesetz über Radio und Fernsehen (RTVG). Das ist jedenfalls nicht das, was Tamedia und andere Verlage als «Sponsored» oder «Sponsored Content» laufen lassen – diese «Native Advertising»-Anzeigen sind eindeutig Werbung.

2. Beide Seiten – Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin – sind sich einig: Die Trennung zwischen redaktionellem Inhalt und Werbung ist unabdingbar für die Glaubwürdigkeit des Journalismus und der Medien. Dann geht es also erneut um die Frage, ob bezahlte Inhalte gestalterisch genügend vom Redaktionellen abgehoben sind, wie dies die Richtlinie 10.1 zur «Erklärung» verlangt. Oder, falls die Gestaltung der redaktionellen gleicht oder ähnelt, ob der bezahlte Inhalt eindeutig und deutlich als Werbung gekennzeichnet ist und als solcher für die Leserschaft erkennbar.

3. Davon kann beim Fall Swisscom nur sehr beschränkt die Rede sein, wobei immerhin Schritte in die richtige Richtung zu konstatieren sind. Sozusagen als Seitentitel erscheint gross der Begriff «Sponsored» zuoberst auf beiden Seiten, zusätzlich, aber sehr klein, auch der Begriff «Anzeige». Unten rechts ist das Logo der Swisscom gut erkennbar, in ganz kleiner Schrift folgt der Hinweis auf die Zusammenarbeit zwischen dem Unternehmen und Tamedia-Mitarbeitenden (Commercial Publishing).

Konterkariert werden die schwachen Hinweise auf Werbung aber durch den Seitenkopf. Denn der annonciert die Seiten wie eine redaktionelle: mit grosser Seitenzahl, was für Inserateseiten absolut untypisch ist, mit «Tages-Anzeiger» und dem Datum. Beim Abdruck im «Bund» steht sogar das Logo «Der Bund» im Kopf.

4. Im Impressum, auf das Tamedias Beschwerdeantwort hinweist, heisst es denn auch ausdrücklich: Das «so genannte Native Advertising ist mit dem Layout des Trägertitels identisch». Im Gesamteindruck beurteilt der Presserat die Gestaltung dieser Swisscom-Werbung als sehr redaktionsnah, die Kennzeichnung als Werbung als klar ungenügend, den Begriff «Sponsored» als falsch. Die Leserinnen und Leser werden in die Irre geführt. Der «Tages-Anzeiger» verletzt damit die Richtlinie 10.1.

5. Die Konsumentenstiftung moniert auch, die «Tonalität» – der Schreibstil – der Swisscom-Texte unterscheide sich kaum von dem der üblichen Tamedia-Produkte. Das hauseigene Team «Tamedia Commercial Publishing» sorgt offensichtlich dafür, dass sich der Schreibstil der einschlägigen Inseratetexte nicht gross vom redaktionellen Teil abhebt. So hat Verleger Pietro Supino wohl recht, wenn er sagt, man nehme bewusst keinen Einfluss auf Inhalt und Tonalität der Werbebotschaften – dies gilt jedoch nur in Bezug auf die Redaktionen seines Verlags. Hingegen nimmt die von Tamedia extra dafür geschaffene Abteilung Commercial Publishing massgebend Einfluss auf Inhalt und Tonalität. Verleger Supino trägt auch für deren Wirken letztlich die Verantwortung.

6. Die Beschwerdegegnerin betont, dass der Presserat – in Arbeitsteilung mit der Lauterkeitskommission – nicht für Werbung zuständig ist. Das ist richtig. Doch sei nochmals an den Entscheid 67/2019 erinnert; dort hat der Presserat festgehalten, dass auch die Lauterkeitskommission ausdrücklich betont, kommerzielle Kommunikation sei unlauter, wenn sie nicht «eindeutig erkennbar» und vom «übrigen Inhalt nicht klar getrennt» ist. Dies ist im vorliegenden Fall erneut klar gegeben.

7. Zuletzt seien die kritischen Artikel des TA über die Swisscom erwähnt, welche die Beschwerdegegnerin ihrer Stellungnahme beifügt, und festgehalten, was niemand bestreitet: Die Mitarbeitenden der Tamedia-Redaktionen betreiben oft einen aufklärerischen, qualitativ guten und der Wahrheit verpflichteten Journalismus. Umso mehr verstört die plumpe Verschleierungstaktik in Bezug auf das so genannte «Native Advertising», das kommerzielle Botschaften unverfroren in journalistischem Gewand neben die Arbeiten der Tamedia-Journalistinnen und -Journalisten stellt und diese so kontaminiert.

Der Presserat begrüsst es eigentlich, wenn Verleger Supino die Förderung der Medienkompetenz ins Spiel bringt. Der Presserat versteht darunter unter anderem die Fähigkeit, zwischen redaktionellen und kommerziellen Inhalten zu unterscheiden. Die gegenwärtige «Native Advertising»-Strategie von Tamedia unterläuft aber gerade die Bildung von Medienkompetenz, indem sie die Grenzen zwischen redaktioneller Information und Werbung verwischt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. Tamedia hat mit der Swisscom-Doppelseite vom 13. Mai 2019 die Ziffer 10 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Trennung von redaktionellem Inhalt und Werbung) verletzt.