Nr. 3/2021
Wahrheit

(X. c. «St. Galler Tagblatt»)

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I. Sachverhalt

A. Am 12. August 2020 veröffentlichte das «St. Galler Tagblatt» einen Artikel von Noemi Heule mit dem Titel «Amtsarzt, Skeptiker, Coronaleugner». Der Untertitel lautete «Mit Pseudowissenschaft und Nazi-Vergleichen macht ein Amtsarzt aus Wattwil im Internet gegen die Coronamassnahmen mobil». Ein Wattwiler Arzt namens Rainer Schregel schlage die Kriegstrommel gegen die Coronamassnahmen. Er bezeichne die Massnahmen als verantwortungslos und hysterisch. Auf seinem Facebook-Profil habe er unter anderem auch die Aussage «Ausser bei den Nazis sind noch nie Lehre, Wissenschaft und Medizin so missbraucht und vergewaltigt worden, wie es heutzutage geschieht» veröffentlicht. Den Nazi-Vergleich überbiete er mit der Aussage, die deutsche Regierung sei die schlimmste seit 1933. Er sei überzeugt, dass Coronatests wegen Kreuzreaktionen mit anderen Viren oder gar Bakterien nicht zuverlässig seien. Daraus folgere er, dass die Isolation nach einem positiven Test nichts weniger als Freiheitsberaubung sei. Rainer Schregel leite ein Ärztehaus der Kette Medbase und sei auch St. Galler Amtsarzt. Medbase distanziere sich von Schregels Aussagen, da er diese als Privatperson getätigt habe. Als Amtsarzt sei Schregel oft erste Ansprechperson für kantonale und kommunale Behörden. Zudem müsse er bei aussergewöhnlichen Todesfällen und fürsorgerischen Unterbringungen ausrücken. Durch diese Sonderaufgaben stünden Amtsärzte mit einem Bein in der Öffentlichkeit und wegen dieser Doppelrolle erwarte der Kanton von seinen Amtsärzten eine gewisse Zurückhaltung. In den selbsternannten alternativen Medien sei Schregel ein gern gesehener Gast. Nebst seinem Auftritt auf Bittel TV sei er bereits zweimal für Stricker.tv auf Sendung gegangen. Bei beiden Formaten handle es sich um Garagensender, die in handgestrickten Studios ihre eigenen Fakten in die Welt strahlten.

B. Am 12. August 2020 erhob X. beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen den Bericht des «St. Galler Tagblatt». Sie bringt vor, fast jeder Satz diene dazu, Herrn Schregel als inkompetent und als Coronaleugner darzustellen. Schregel habe jedoch nie die Existenz des Coronavirus in Frage gestellt. Es werde ihm unterstellt, er argumentiere mit Pseudowissenschaft, weshalb sie Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») und die dazugehörige Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) verletzt sieht. Die Journalistin habe offensichtlich keine medizinischen Fachkenntnisse und sie habe auch nicht entsprechend recherchiert. Schregel habe seine Aussagen immer mit entsprechenden Studien und Artikeln belegt, wobei seine persönliche Meinung immer als solche gekennzeichnet sei. Auch die Aussagen über die PCR-Tests entsprächen nicht der Wahrheit, da selbst Swissmedic in einem Dokument erwähnt habe, dass diese Tests tatsächlich eine Infizierung nicht nachweisen könnten.

Die Beschwerdeführerin erklärt weiter, die Youtube-Sender würden diffamiert, indem die Journalistin behaupte, diese würden ihre eigenen Fakten in die Welt strahlen. Beide Sender hätten sich jedoch in den meisten Fällen auf absolut zuverlässige Quellen bezogen, weshalb sie Richtlinie 2.2 (Meinungspluralismus) verletzt sieht. Zudem verletze das «St. Galler Tagblatt» auch Ziffer 7 (Privatsphäre) der «Erklärung», da es beide Arbeitgeber Schregels kontaktiert habe. Gegen Ziffer 3 (Quellenbearbeitung) der «Erklärung» verstosse der Artikel, weil für diverse diffamierende Aussagen und Thesen keine klaren Quellen genannt würden.

C. Am 2. Oktober 2020 nahm Stefan Schmid, Chefredaktor des «St. Galler Tagblatt», zur Beschwerde von X. Stellung. Er beantragt sie abzuweisen, da die Vorwürfe der Beschwerdeführerin haltlos und offensichtlich unbegründet seien. Der beanstandete Artikel sei der Auftakt zu mehreren Beiträgen, welche zwischen dem 12. und 15. August 2020 im «St. Galler Tagblatt» über Rainer Schregel erschienen seien.

Zum Vorwurf der Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung» bringt der Beschwerdegegner vor, dass nicht bereits jede Unschärfe bei der Darstellung von Fakten eine Verletzung der Wahrheitspflicht zu begründen vermöge. Vielmehr sei eine Verletzung dieser berufsethischen Normen nur dann zu bejahen, wenn die ungenaue Darstellung von Fakten für das Verständnis der Leserschaft als relevant erscheine. Gemäss Duden bedeute «Leugnen» etwas für nicht bestehend erklären, was als Lehre, Weltanschauung oder Ähnliches allgemein anerkannt sei und vertreten werde. Im Titel werde Rainer Schregel als Coronaleugner bezeichnet, weil er zusammengefasst von einem Virus spreche, das seiner Auffassung nach nicht nachweisbar sei und von einer Pandemie, die es seiner Meinung nach eigentlich gar nicht gebe, sondern die von den Behörden mit falschen Tests und Fallzahlen herbeigerufen worden sei. Schregel leugne damit das Coronavirus im Sinne der Definition, weshalb die Wahrheitspflicht nicht verletzt sei. Der Begriff der Pseudowissenschaft bedeute gemäss Duden etwas, was nur dem Anschein nach, aber nicht wirklich Wissenschaft sei. Die Bezeichnung der Aussagen Schregels als pseudowissenschaftlich stelle keine Verletzung der Wahrheitspflicht dar, denn dessen Ausführungen seien nicht nachvollziehbar und belegt oder würden teils aus unglaubwürdigen Quellen und Portalen stammen. Schregels Aussagen könne auch keine der von der Journalistin angefragten Fachpersonen nachvollziehen. Das Kantonsarztamt des Kantons St. Gallen und sein Arbeitgeber Medbase distanzierten sich davon.

Der Chefredaktor legt weiter dar, der Artikel gebe nicht die persönliche Meinung der Journalistin wieder, sondern beleuchte die öffentlichen Aussagen von Rainer Schregel und stelle die Vereinbarkeit seiner Haltung mit seiner Tätigkeit als Amtsarzt in Frage. Von einer Verletzung von Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung) könne man nicht ausgehen. Richtlinie 2.2 (Meinungspluralismus) stelle fest, dass ein Pluralismus von Meinungen wichtig für die demokratische Meinungsbildung sei. Bei Medien, die eine Monopol- oder eine regionale Vormachtstellung hätten, sei der Meinungspluralismus notwendig. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern die beanstandete Passage über die «Garagensender» den Meinungspluralismus verletzen solle. Die beiden Youtube-Kanäle seien Sender, welche die Szene der Coronaskeptiker ansprächen, dort auch Ansehen genössen und keinen professionellen Anspruch erhöben. Zu Ziffer 7 (Privatsphäre) der «Erklärung» legt das «St. Galler Tagblatt» dar, eine Verletzung des Schutzes der Privatsphäre sei nicht ersichtlich, da Rainer Schregel seine Äusserungen öffentlich auf Facebook und Youtube getätigt habe. Er sei Amtsarzt gewesen und habe eine Hausarztpraxis geleitet, womit er in einem zulassungspflichtigen Beruf in einem staatlichen Monopolbereich tätig gewesen sei, was eine identifizierende Berichterstattung rechtfertige.

D. Am 12. Oktober 2020 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg und den Vizepräsidenten Casper Selg und Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 15. Februar 2021 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit halten. Sie lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren. Die Beschwerdeführerin erklärt, die Journalistin reisse die Aussagen Schregels aus dem Kontext und stelle nicht wahrheitsgemässe Behauptungen auf. Sie stört sich an den Begriffen «Coronaleugner» und «Pseudowissenschaft». Zudem habe Schregel seine Aussagen immer mit entsprechenden Studien und Artikeln belegt und seine persönliche Meinung als solche gekennzeichnet. Das «St. Galler Tagblatt» verweist bezüglich Wortsinn von «Coronaleugner» und «Pseudowissenschaft» auf die Definitionen gemäss Duden und erklärt, dass Rainer Schregel gestützt darauf als «Coronaleugner» und seine Wissenschaft als «Pseudowissenschaft» bezeichnet werden könne. Der Artikel «Amtsarzt, Skeptiker, Coronaleugner» befasst sich mit den öffentlichen Aussagen Rainer Schregels und gibt diese korrekt wieder. Seine Aussagen können ohne Weiteres unter den Begriffen «Coronaleugner» und «Pseudowissenschaft» subsumiert werden. Es entspricht zudem einem öffentlichen Interesse, einen Bericht über einen St. Galler Amtsarzt zu schreiben, der öffentliche Aussagen über die Corona-Pandemie macht. Der Schweizer Presserat sieht Ziffer 1 der «Erklärung» nicht verletzt.

2. Ziffer 3 (Quellenbearbeitung) der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen, dass sie nur Informationen veröffentlichen, deren Quellen ihnen bekannt sind. Die Quellen werden in den Artikeln korrekt benannt und als Zitate gekennzeichnet. Die Quellen der Aussagen Schregels bestehen aus seinen Facebook-Einträgen sowie aus seinen Interviews auf den Youtube-Sendern. Von einer lückenhaften Recherche kann nicht die Rede sein, auch nicht davon, dass die Journalistin lediglich ihre persönliche Meinung darlege, da sie die Stellungnahmen diverser Parteien einbringt, unter anderem diejenigen von Medbase und des Kantons St. Gallen. Ziffer 3 der «Erklärung» ist somit nicht verletzt.

3. Ziffer 7 (Privatsphäre) verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie die Privatsphäre der einzelnen Personen respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Sie unterlassen anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Privatsphäre Rainer Schregels werde verletzt, indem seine Arbeitgeber kontaktiert worden seien. Schregel hat seine Aussagen öffentlich kundgetan und übt als Amtsarzt eine öffentliche Funktion aus. Wie er diese ausübt, ist somit auch von öffentlichem Interesse. Das «St. Galler Tagblatt» hat Ziffer 7 der «Erklärung» nicht verletzt, indem es die Arbeitgeber Schregels um eine Stellungnahme gebeten hat.

4. Schliesslich ist für den Schweizer Presserat auch nicht ersichtlich, inwiefern die Ziffern 2 (Meinungspluralismus) und 4 (Informationsbeschaffung) der «Erklärung» verletzt sein sollten.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. Das «St. Galler Tagblatt» hat mit dem Artikel «Amtsarzt, Skeptiker, Coronaleugner» vom 12. August 2020 die Ziffern 1 (Wahrheit), 2 (Meinungspluralismus), 3 (Quellenbearbeitung), 4 (Informationsbeschaffung) und 7 (Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.