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Richtig abschreiben

Edito von Susan Boos

Ein Journalist von «20 Minuten» sieht in einem anderen Medium einen Text über Roma, die mit ukrainischen Papieren in die Schweiz einreisen und den Schutzstatus S missbrauchen. Er findet den Artikel spannend, übernimmt ganze Passagen und publiziert eine Kurzmeldung. Darf man das? Ja, selbstverständlich, geschieht ja ständig. Der Beitrag wird trotzdem gerügt – weil er es schlecht gemacht hat. Er zitierte nicht sauber und paraphrasierte auch nicht. Für LeserInnen war deshalb nicht ersichtlich, welche Quelle er verwendet hatte.

Nun stellen sich aber Fragen: Darf man aus einem anderen Medium alles abschreiben und jede Aussage einfach ungeprüft übernehmen? Auch schwere Vorwürfe oder diskriminierende Äusserungen? Wo ist die Grenze? Mit dieser Grundsatzfrage hat sich der Presserat im Kontext dieser Beschwerde beschäftigt. Er kommt zum Schluss: Es ist zulässig, Informationen von anderen Medien zu übernehmen, sofern für die MedienkonsumentInnen durchgehend klar ist, von welchem Medium die Informationen stammen und alle Regeln der «Erklärung» eingehalten werden. Aber Vorsicht bei Beiträgen, in denen heikle, ehr- respektive persönlichkeitsverletzende oder sehr umstrittene beziehungsweise offenkundig falsche Aussagen gemacht werden: «Wenn die Gefahr besteht, dass Persönlichkeitsrechte oder das Diskriminierungsverbot verletzt werden, müssen JournalistInnen einen gewissen Aufwand betreiben, um zu prüfen, ob Vorwürfe, die sie von einem anderen Medium übernehmen, dort mit überprüfbaren Quellen untermauert werden», hält der Presserat in seiner Stellungnahme (35/2025) fest: «Sonst muss aus der – ohnehin jederzeit erforderlichen – journalistischen Distanz nachrecherchiert werden. Tun Medienschaffende dies nicht, setzen sie sich der Gefahr aus, dass sie falsche oder auch diskriminierende Informationen ungeprüft weiterverbreiten» – und damit den Journalismuskodex verletzten.

Ebenfalls um eine pauschale Äusserung über Roma ging es in einem Beitrag der NZZ. Die Zeitung argumentierte, die Aussage stamme vom Polizeikommandanten des Kantons Aargau, man habe das auch so auf Band. Im Printartikel war dies aber nicht erkennbar, was der Presserat rügt. Der Presserat sieht in diesem Fall auch das Diskriminierungsverbot verletzt und ruft in seiner Stellungnahme (36/2025) auf, stets den «Informationswert gegen die Gefahr einer Diskriminierung abzuwägen». 

Stellungnahme 35/2025
Stellungnahme 36/2025