Wie wahr müssen Interviewantworten sein? Und wann reicht es nicht, nur Medienstellen Stellung nehmen zu lassen?
Edito von Susan Boos, Präsidentin Schweizer Presserat
Auf knapp ein Drittel der Beschwerden tritt der Presserat nicht ein – weil sie zum Beispiel offensichtlich unbegründet sind oder vor Gericht ein Verfahren angestrengt wurde. Manchmal publiziert er aber trotz Nichteintretens-Entscheid eine Stellungnahme – wie jetzt gerade bei Stellungnahme 26/2025 und 27/2025. In beiden Fällen geht es um relevante Fragen, die im journalistischen Alltag immer wieder auftauchen:
Die erste Frage lautet: Müssen Interviewaussagen überprüft werden?
Die zweite Frage: Erhebt man gegen Angestellte schwere Vorwürfe, reicht es dann, wenn einfach die Medienstelle der Firma respektive Behörde darauf antwortet?
Zur ersten Frage hat die erste Kammer einige hilfreiche Grundsätze formuliert: Es muss möglich sein, pointierte Standpunkte, Meinungen und Sichtweisen abzubilden. Nur wenn «völlig unerwartete, heikle, ehr- respektive persönlichkeitsverletzende oder sehr umstrittene beziehungsweise offenkundig falsche Aussagen gemacht werden, muss aus der – ohnehin jederzeit erforderlichen – journalistischen Distanz nachgefragt werden, etwa auch nach allfälligen Quellen». Details finden sich in der Stellungnahme 27/2025.
Zur zweiten Frage: Die Beschwerde wurde von einem städtischen Angestellten eingereicht. Eine Zeitung erhob schwere Vorwürfe gegen ihn als Vorgesetzten. Der Journalist schickte der Medienstelle eine Liste mit den Kritikpunkten. Und diese beantwortete die Fragen. Reicht das? Spontan würde man sagen, ja. Heute hat jede Firma, jede Behörde, jeder Sportklub seine Medienverantwortlichen, die zu allem Auskunft geben und die eigenen Leute gegen aussen abschirmen – sehr zum Missfallen der JournalistInnen, weil sie von den Medienstellen oft dünne, unergiebige und nicht sonderlich kompetente Antworten erhalten.
Der Presserat trat nicht auf die Beschwerde des Angestellten ein, weil er auch juristisch gegen die Berichterstattung vorgegangen war. Trotzdem hat der Presserat eine Stellungnahme verfasst, um einen wichtigen Grundsatz in Erinnerung zu rufen: Falls gegen jemanden schwere Vorwürfe erhoben werden, reicht es nicht, ein offizielles Statement der Behörde oder Firma einzuholen. JournalistInnen müssen ernsthaft versuchen, die Betroffenen zu kontaktieren, weil es der Person gegenüber nichts als fair ist, ihr die Möglichkeit zu geben, sich zu verteidigen. Oder wie es in der Stellungnahme 26/2025 heisst: «Journalisten, Journalistinnen müssen sich in einem derartigen Fall um eine Stellungnahme der direkt betroffenen Person bemühen, wohl wissend, dass dies in diversen Fällen vom Arbeitgeber nicht zugelassen wird. Wenn dem schliesslich so ist, wird man sich mit den Ausführungen der Firma oder der Amtsstelle bzw. Medienstelle begnügen, mit dem Hinweis, dass die betroffene Person nicht selber Auskunft geben durfte oder wollte.»