Edito Susan Boos, Präsidentin Schweizer Presserat
Die Richtlinie 3.8 ist eine der Richtlinien, die in Beschwerden an den Presserat relativ häufig angerufen werden. Es geht dabei um das «Anhören bei schweren Vorwürfen». Der Presserat hat diese Richtlinie nun revidiert.
In der alten Richtlinie wurde nicht präzisiert, was überhaupt unter einem schweren Vorwurf zu verstehen ist. Die Definition, was als schwerer Vorwurf gilt, ergab sich über die Spruchpraxis des Presserats. Gemäss dieser Praxis müssen JournalistInnen jemanden anhören, wenn sie der Person «illegales oder vergleichbares Verhalten» vorwerfen.
Neu wird in der Richtlinie selber festgehalten, was unter einem «schweren Vorwurf» zu verstehen ist: «Vorwürfe gelten als schwer, wenn sie gravierendes Fehlverhalten beschreiben oder sonst wie geeignet sind, jemandes Ruf schwerwiegend zu schädigen.» Damit wird die bisher sehr hohe Anforderung an die Pflicht, jemanden anzuhören – «illegal oder vergleichbar» – leicht gesenkt. Oder umgekehrt formuliert: Es werden die Ansprüche, wann JournalistInnen jemanden anhören müssen, leicht erhöht.
Neu wird ausserdem festgehalten, dass den Betroffenen angemessen Zeit zu gewähren ist, um Stellung zu nehmen.
Der Wunsch, die Richtlinie zu revidieren und leicht zu verschärfen, kam von den Kammermitgliedern. Die relativ hohe Hürde des «illegalen oder vergleichbaren Handelns» wurde als zu starr und nicht immer dem Fairnessprinzip entsprechend empfunden.
Die Frage, was unter einer «angemessenen Frist» zu verstehen ist, lässt sich nicht generell beantworten. Das hängt stark von den Rahmenbedingungen ab. JournalistInnen haben aber ein gutes Gespür dafür. Es kam in den letzten Jahren nur in sehr seltenen Fällen wegen dieser Frage zu einer Rüge.
Die Richtlinie 3.9, die die Ausnahmen zur RL 3.8 regelt – also wann bei schweren Vorwürfen nicht angehört werden muss –, wurde inhaltlich nicht verändert, aber sprachlich leicht angepasst.
NEUE VERSION
Richtlinie 3.8 Anhörung bei schweren Vorwürfen
Gemäss dem Fairnessprinzip gehört es zum journalistischen Handwerk, sich über die verschiedenen Standpunkte von Beteiligten zu informieren. Werden schwere Vorwürfe erhoben, ist es gemäss dem Grundsatz «audiatur et altera pars» Pflicht, den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, Stellung zu nehmen. Vorwürfe gelten als schwer, wenn sie gravierendes Fehlverhalten beschreiben oder sonst wie geeignet sind, jemandes Ruf schwerwiegend zu schädigen.
Den von schweren Vorwürfen Betroffenen sind die zur Publikation vorgesehenen Kritikpunkte dabei präzis zu benennen. Ihnen ist sodann angemessen Zeit zu geben, um Stellung zu nehmen. Dieser Stellungnahme muss nicht gleich viel Platz eingeräumt werden wie der Kritik.Aber sie ist im gleichen Medienbericht fair wiederzugeben. Wenn Betroffene nicht Stellung beziehen wollen, ist im Text darauf hinzuweisen.
Diese Version tritt am 1. Mai 2023 in Kraft.