Nr. 16/2020
Sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen / Leserbriefe und Online-Kommentare

(Zeyer c. Trossmann)

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I. Sachverhalt

A. Am 18. April 2019 schrieb Max Trossmann, Journalist und Vizepräsident des Presserates, in der Rubrik «Leserbeiträge» des Online-Magazins «Medienwoche» eine kritische Stellungnahme zu einem darüber publizierten Artikel. Unter anderem sprach er dessen Verfasser, René Zeyer, jede Glaubwürdigkeit als Autor ab. Zeyer hatte sich im besagten Artikel unter dem Titel «Ringier darf eigene Titel löschen» gleichentags kritisch mit einer Stellungnahme des Schweizer Presserats auseinandergesetzt, welcher wiederum das Verlagshaus Ringier kritisiert hatte.

Von vorne:
Ringier hatte im Zusammenhang mit einem Rechtsstreit (Spiess-Hegglin) veranlasst, dass rund 200 Artikel, die in diesem Zusammenhang gestanden hatten, aus der SMD-Mediendatenbank gelöscht wurden. Der Grund: Vorbeugende Massnahmen gegen befürchtete Schadenersatzforderungen. Der Presserat hatte nach dieser Ankündigung dafür plädiert, diese Artikel zugänglich zu halten, das Archiv zur Wahrung historischer Fakten intakt bleiben zu lassen, derartige Löschungen verfälschten das Bild dessen, was Schweizer Medien publiziert hätten. Zeyer argumentierte daraufhin im erwähnten Artikel der «Medienwoche» vom 18. April 2019 für die Position von Ringier, indem er schrieb, es gebe keine Archivfreiheit, die SMD sei kein historisches Archiv, sondern ein Arbeitsinstrument für JournalistInnen, es würden nach entsprechenden Gerichtsentscheiden aus gutem Grund, nämlich Persönlichkeitsschutz, laufend Artikel in der SMD gelöscht. Dies wiederum kritisierte Max Trossmann in der Leserrubrik unterhalb des Artikels mit folgendem Leserkommentar:
«René Zeyer ist sicher der berufenste Fürsprecher von Ringiers unternehmerischen Interessen. Und berufen, für den Journalistenkodex einzustehen. So wie er sich für Jean-Claude Bastos ins Zeug legt. Oder für Raiffeisen. Und sich anderntags als PR-Profi andient. Zeyer spreche ich als Autor jede Glaubwürdigkeit ab. Basta. Max Trossmann, Historiker und Publizist, Vizepräsident Schweizer Presserat.»

B. Noch am gleichen 18. April 2019 erhob René Zeyer (Beschwerdeführer, im Folgenden BF) Beschwerde beim Schweizer Presserat gegen Max Trossmann. Dieser habe gegen Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») verstossen (sachlich nicht gerechtfertigte Äusserungen) sowie gegen die Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» (Anhörung bei schweren Vorwürfen). Er verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die berufsethischen Normen gemäss Richtlinie 5.2 auch für Leserbriefe und Online-Kommentare gelten.

Zur Begründung macht Zeyer geltend, Trossmann habe ihm jede Glaubwürdigkeit als Autor abgesprochen, dies mit einer angedeuteten Bezugnahme auf einen Artikel im «Tages-Anzeiger», wo ihm verleumderisch eine Vermischung von journalistischer Tätigkeit und PR-Arbeit unterstellt worden sei. Diese Behauptungen übernehme Trossmann als Tatsachenbehauptung. Zudem habe Trossmanns Kommentar nichts mit dem Inhalt seines Artikels zu tun, es gehe deswegen klar um eine nicht gerechtfertigte Anschuldigung. Weiter schädige Trossmann seine, Zeyers Reputation, indem er ihn als käuflich darstelle, er hätte ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme geben, ihn damit konfrontieren müssen.

C. Der Presserat bestätigte am 23. April 2019 den Eingang der Beschwerde und teilte dem BF mit, dass seine Eingabe an das Präsidium des Presserates weitergeleitet werde.

D. Das Presseratspräsidium bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, und Francesca Snider, Vizepräsidentin, hat die vorliegende Stellungnahme per 9. April 2020 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet. Vizepräsident Trossmann trat in den Ausstand.

II. Erwägungen

1. Der Presserat ist gemäss Geschäftsreglement (Art. 2) zuständig für «den redaktionellen Teil der öffentlichen, auf die Aktualität bezogenen Medien, sowie auf die journalistischen Inhalte, die individuell publiziert werden. Der Beschwerdeführer weist zwar zu Recht darauf hin, dass die berufsethischen Normen gemäss Richtlinie 5.2 auch für Leserbriefe und Online-Kommentare gelten. Zunächst ist aber zu klären, wer für den redaktionellen Inhalt inklusive Online-Kommentare publizistisch und damit auch gegenüber dem Presserat überhaupt verantwortlich ist. Verantwortlich im Sinne der «Erklärung» ist für den «redaktionellen Teil» und damit auch für die Online-Kommentare die Publikation, welche sie veröffentlicht. Adressat der Beschwerde beim Presserat wäre richtigerweise die «Medienwoche». Auch der zweite Teil des Artikels 2: «sowie auf die journalistischen Inhalte, die individuell publiziert werden» trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Die Intervention Trossmanns ist keinesfalls ein journalistischer Inhalt, sondern eine sehr kurze und scharf geäusserte persönliche Meinung. Die Beschwerde ist in diesem Sinne falsch adressiert, auf sie ist nicht einzutreten. Der Presserat bedauert jedoch die spontane Äusserung seines Mitgliedes.

2. Die Frage, ob es hier um einen schweren Vorwurf im Sinne der Richtlinie 3.8 der «Erklärung» geht, kann infolgedessen offenbleiben. Ebenso wie die Frage, ob die Äusserung Ziffer 7 der «Erklärung» (sachlich ungerechtfertigte Anschuldigung) verletzt oder umgekehrt durch den Passus in Richtlinie 5.2 gedeckt ist, welcher von einem «grösstmöglichen Raum für die Meinungsfreiheit» spricht, der in den Leserspalten gelten müsse. Leserbriefe enthalten sehr häufig scharfe Kritik, heftige Stellungnahmen. Die Einhaltung der im Sinne von Richtlinie 5.2 erweiterten Grenzen obliegt, wie erwähnt, dem publizierenden Medium.

3. Es sei noch darauf hingewiesen, dass das Anliegen des BF, gemäss Richtlinie 3.8 mit den schweren Vorwürfen konfrontiert zu werden, also zu Wort kommen zu können, im Rahmen solcher Online-Kommentare ohnehin gewährleistet ist. Man kann jederzeit auf der gleichen Ebene reagieren. Der BF hat dies denn am folgenden Tag, dem 19. April, – wenn auch in kurzer Form – wahrgenommen.

III. Feststellung

Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. Der Presserat bedauert aber die spontane Intervention seitens seines Mitglieds.