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Was ist gesperrt bei einer Sperrfrist?

Edito von Jan Grüebler, Vizepräsident Schweizer Presserat

Medienmitteilungen des Bundesgerichts sind oft überschrieben mit einem Vermerk wie zum Beispiel «Sperrfrist Mittwoch 12 Uhr». Auch der Bundesrat und kantonale Behörden verschicken gelegentlich Mitteilungen mit einer Sperrfrist. Was beutet das genau? Und was ist gesperrt bei einer Sperrfrist?

Sperrfristen beruhen auf einer informellen Vereinbarung: JournalistInnen erhalten die Informationen im Voraus, dafür publiziert sie erst zum festgelegten Zeitpunkt. Gerichte nutzen die Sperrfrist, um involvierte Parteien vorab über einen Entscheid zu informieren. Betroffene sollen nicht aus den Medien von einem Urteil erfahren.

Für Medien haben sie den Vorteil, dass alle Redaktionen gleich behandelt werden. Journalistinnen und Journalisten können sich einlesen, Hintergründe klären und den Artikel vorbereiten, um nach der Ablauf der Sperrfrist sofort publizieren zu können. Im Wissen, dass sich auch die Konkurrenz an Sperrfristen hält, zählt nicht, wer schneller publiziert, sondern wer die Geschichte besser erzählt. Deshalb hält Richtlinie 4.4 des Journalismuskodex auch fest, dass Medien «gerechtfertigten Sperrfrist» zu resepektieren haben.

Kürzlich musste sich der Presserat aber mit einer Frage befassen, die er bislang noch nie behandelt hat: Mit wem dürfen Journalistinnen und Journalisten vor Ablauf der Sperrfrist Kontakt aufnehmen? Die Stadt Luzern stellte sich auf den Standpunkt, dass eine Medienmitteilung mit Sperrfrist vertraulich sei. Es sei nicht erlaubt, vor Ablauf der Frist bei Direktbetroffenen oder Parteien Informationen einzuholen. Dagegen  hat sich die Redaktion von «Zentralplus» beim Presserat gewehrt.

Der Presserat stellt nun in seiner Stellungnahme 27/2024 klar: Eine Sperrfrist ist ausschliesslich eine Publikationssperre. Eine Sperrfrist ist kein Recherchierverbot. Ein solches ist grundsätzlich nicht vereinbar mit der verfassungsrechtlich geschützten Informationsfreiheit. Diese gewährleistet das Recht, Nachrichten und Meinungen ohne Eingriffe der Behörden zu beziehen und sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten. Das heisst, Journalistinnen und Journalisten dürfen vor Ablauf der Sperrfrist Fachleute und Betroffene zum Inhalt der Medienmitteilung befragen und zum Thema recherchieren. Es versteht sich von selbst, dass sie dabei mit ihrem Vorwissen gewissenhaft umgehen und die Publikationssperre einhalten.

Ziel der Stadt Luzern ist es, mit den Sperrfristen alle Medien gleich zu behandeln. Das ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Hingegen kann eine Sperrfrist niemals ein Recherchierverbot begründen. Medien sind frei, über jedes Thema zu recherchieren, auch wenn eine Sperrfrist ausgesprochen worden ist.

Nicht gerechtfertigt sind Sperrfristen übrigens, wenn damit eine Veröffentlichung hinausgezögert werden soll. Sperrfristen sind deshalb relativ kurz anzusetzen, oft nur für ein paar Stunden, höchstens ein paar Tag.

Und wie steht es mit dem Brechen von Sperrfristen aus? Das ist gerechtfertigt, wenn eine überwiegendes Interesse an einer früheren Veröffentlichung besteht. Dabei haben Journalistinnen und Journalisten insbesondere auch die Interessen jener zu berücksichtigen, die eine Amtsstelle oder ein Gericht schützen will. Und sie müssen die Quelle über ihre Absicht, «umgehend an die Öffentlichkeit zu gehen, informieren, damit die Quelle die übrigen Medien benachrichtigen kann», wie Richtlinie 4.4 festhält.