Medienmitteilung Jahresmedienkonferenz 2015

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Presserat warnt vor Geheimjustiz

Die Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren ist ein wesentliches Element einer demokratisch kontrollierten Justiz. Doch abgekürzte Verfahren und die Masse an Strafbefehlen unterlaufen dieses Prinzip. Der Presserat sieht das Recht der Öffentlichkeit auf Information in Gefahr.

Der Schweizer Presserat betont in einer neuen Stellungnahme das Öffentlichkeitsprinzip bei Strafbefehlen und Gerichtsverfahren und lanciert einen Aufruf in Sachen freier Gerichtsberichterstattung. Erstmals wendet er sich auch an die obersten Verantwortlichen der Schweizer Justiz. Seine Stellungnahme ging an Justizministerin Simonetta Sommaruga und an den Bundesgerichtspräsidenten, den Bundesanwalt, die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren und an die Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz.

Das Prinzip, wonach Verfahren vor Gerichten öffentlich sind, gehört für den Presserat zu den wichtigsten Errungenschaften des liberalen Rechtsstaats. Denn Transparenz ist zentral für das Vertrauen in eine unabhängige und faire Justiz. Justizreformen, die die Effizienz steigern sollen, führen laut Presserat jedoch dazu, dass die strafrechtliche Erledigung von Fällen den Gerichten und damit der Öffentlichkeit mehr und mehr entzogen wird. Wenn Richter kaum noch Zeugen befragen und Staatsanwälte Beschuldigte in Strafbefehlsverfahren nicht einvernehmen, sind solche Fälle und Urteile schwer nachvollziehbar. Damit Öffentlichkeit herrscht und die demokratische Kontrolle spielt, braucht es die Medien.

Der Presserat hält dazu fest: «Damit Medienschaffende ihren Auftrag als ‹Wachhunde der Demokratie› erfüllen können, sind sie angewiesen auf einfachen Zugang zu Anklageschriften, Urteilen, Einstellungsentscheiden und Strafbefehlen, und in begründeten Fällen ist ihnen auch Akteneinsicht zu gewähren.» Darum stellt der Presserat Forderungen an die Justiz: «In Anbetracht der grossen Zahl von Urteilen und Strafbefehlen braucht es praktikable Regelungen wie längere und vereinheitlichte Fristen für den Zugang zu Urteilen und Strafbefehlen.» Zentral sei zudem, dass Journalisten für Einsichtsgesuche nicht unverhältnismässig zur Kasse gebeten werden. «Prohibitiv wirkende Kostenauflagen sind abzuschaffen», schreibt das Selbstkontrollgremium der Schweizer Medien. Gerichte und Staatsanwaltschaften sollten vielmehr möglichst grosse Transparenz herstellen, zum Beispiel durch den einfachen Zugriff auf diese Informationen im Internet. Das Bundesgericht und vorbildliche kantonale Justizbehörden handhaben dies heute schon so.

Der Presserat kritisiert auch, dass manche Gerichte die Anforderungen für die Zulassung als Gerichtsreporter beliebig erhöhen. Die Akkreditierung dürfe jedoch nicht missbraucht werden, um Reporter unter Druck zu setzen. Der Presserat stellt zudem fest: «Inhaltliche Auflagen der Gerichte erschweren die Arbeit der Gerichtsreporterinnen und -reporter. Sie sind daher äusserst zurückhaltend anzuordnen.» Auch dem Antrag von Tätern, die Öffentlichkeit auszuschliessen, sollten die Gerichte sehr zurückhaltend stattgeben. Den Journalisten Bedingungen für ihre Berichterstattung zu diktieren, beeinträchtige die Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit.

Gleichzeitig nimmt das Ethikgremium aber auch die Medienschaffenden in die Pflicht: «Die Medien tragen Verantwortung für eine faire Gerichtsberichterstattung.» Dazu gehören die Unschuldsvermutung und die Vorsicht beim Nennen von Namen, der Persönlichkeitsschutz und die Berichterstattung über Freisprüche bei nachfolgenden Instanzen.

Der Presserat hatte zu seiner Meinungsbildung ein Hearing mit Experten durchgeführt. Aus deren Statements ging klar hervor, dass bei Strafverfahren und Strafbefehlen die Kontrolle der Öffentlichkeit in Gefahr ist. Mit seiner Stellungnahme «Einschränkungen und andere Probleme bei der Berichterstattung aus dem Justizwesen» reagiert der Presserat auf diese Entwicklung mit konkreten Forderungen.

Abdruckspflicht

In einem Rückblick auf die Schwerpunkte der Tätigkeit des Presserats im Jahr 2014 hob Presseratspräsident Dominique von Burg hervor, dass gewisse Redaktionen im letzten Jahr die Publikation der negativen Stellungnahmen des Presserats, die sie betreffen, leider immer noch verweigern, sei es auch nur in einer Zusammenfassung. Diese moralische Pflicht ist in der Präambel der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» festgeschrieben. Sie ist ein Zeichen des Respekts für das Publikum, das für alle Medien selbstverständlich sein sollte. Das Präsidium des Presserats wird, zusammen mit dem Stiftungsrat, Wege zu finden, damit dieser Pflicht nachgekommen wird.

Jahrheft 2015

An seiner Jahresmedienkonferenz hat der Presserat auch sein neues Jahrheft (https://www.presserat.ch/Documents/Jahrheft_2015.pdf) aufgelegt. Es enthält neben dem Jahresbericht mit den wichtigsten Leitfällen des letzten Jahres eine Zusammenfassung der oben vorgestellten Stellungnahme zur Justizberichterstattung.
Weitere Auskunft:

Dominique von Burg, Präsident Tel. 079 609 27 08
Ursina Wey, Geschäftsführerin Tel. 033 823 12 62