Nr. 19/2014
Wahrheitspflicht / Diskriminierung / Schleichwerbung

(X. c. «Tagblatt der Stadt Zürich») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 04. August 2014

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I. Sachverhalt

A. Am 14. August 2013 veröffentlichte das «Tagblatt der Stadt Zürich» einen ganzseitigen Artikel mit dem Titel «Wenn der eigene Mann auf Männer steht», gefolgt vom Lead: «Schicksal. Viele Schwule sind verheiratet, doch ihre Frauen ahnen meistens nichts. Folma Hoesch kam dahinter und drüber hinweg. Heute engagiert sie sich für verzweifelte Frauen.» Der Artikel wird begleitet vom Foto von Folma Hoesch mit der Bildlegende: «Die meisten Männer wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, weil sie ihr Nest behalten möchten.» Ginger Hebel schildert im Artikel die Lebensgeschichte von Folma Hoesch. Die gebürtige Ostfriesin kam als Studentin in die Schweiz, lernte ihren Mann kennen, heiratete und hatte drei Söhne mit ihm. Nach elf Jahren Ehe erfährt sie von ihm, dass er während der ganzen Zeit ihrer Ehe Sex mit anderen Männern hatte. «Es war ein schwerer Schock. Ich wurde hintergangen auf eine Art und Weise, die ich nie für möglich gehalten hätte.» Geahnt hatte sie nichts, eine Paartherapie brachte keine Klärung. Sechs weitere Jahre versuchte sie, die Familie zusammenzuhalten, dann zog ihr Mann aus dem gemeinsamen Haus aus. Sie habe sich in die Arbeit gestützt und sich zur Psychotherapeutin ausbilden lassen. Über ihr Schicksal hat sie 20 Jahre geschwiegen, bis sie den Mut hatte, nach betroffenen Frauen zu suchen. Heute berate sie am Telefon oder in ihrer Praxis Frauen in der Coming-out-Krise, und im Internet habe sie eine Gesprächsgruppe ins Leben gerufen. Bisher hätten mehr als 2000 Frauen in diesem Forum ihre Erfahrungen ausgetauscht. Und der Artikel fährt fort: Nach neuesten Schätzungen sei die Hälfte der Männer, die im Internet oder in der Schwulenszene einen Sexpartner suchten, verheiratet oder lebten in einer heterosexuellen Partnerschaft. Die meisten führten ein Doppelleben, oft in der Stricherszene, wo ansteckende Krankheiten verbreitet würden, mit denen sich nicht selten auch die Frauen infizierten. Heute würde sich Folma Hoesch intensiv für hetera.ch, einer Selbsthilfeorganisation für Partnerinnen schwuler Männer, engagieren und sei zufrieden mit der Bilanz ihres Lebens. Der Artikel schliesst mit den Kontaktangaben zu hetera.ch und zur Offenen Türe Zürich.

B. Am 21. Oktober 2013 beschwerte sich X. beim Schweizer Presserat gegen den Artikel vom  14. August 2013. Gebeten, anzugeben, welche Punkte der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» der beanstandete Artikel verletze, begründet X. mit Eingabe vom 5. November 2013 seine Beschwerde wie folgt: Die Autorin stelle die Behauptung auf, viele Schwule seien verheiratet. Die Hälfte der Männer, die im Internet oder in der Schwulenszene einen Sexpartner suchen, seien verheiratet oder lebten in einer heterosexuellen Partnerschaft. Die meisten führten ein Doppelleben, oft in der Stricherszene, wo ansteckende Krankheiten verbreitet würden, mit denen sich nicht selten auch deren Frauen infizierten. Als Beispiel werde die Ehe von Folma Hoesch breitgetreten, deren Ex-Mann sowohl Folma Hoesch selbst als auch die Autorin permanent als Schwulen bezeichne. Um dem Artikel einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben, werde Folma Hoesch von Ginger Hebel als «ausgebildete Psychotherapeutin» ausgegeben. Beim Ex-Mann von Folma Hoesch handle es sich jedoch um einen Bisexuellen, der wahrheitswidrig als Schwuler bezeichnet werde, was gegen Ziffer 1 der «Erklärung» verstosse. Weiter verletze der Artikel Richtlinie 3.1, wonach der Ausgangspunkt journalistischer Sorgfaltspflicht die Überprüfung der Quelle und deren Glaubwürdigkeit sei. Denn Folma Hoesch, die Quelle der Informationen, sei keine «ausgebildete Psychotherapeutin», wie Recherchen ergeben hätten. Ferner hätten vor der Publikation dieser schweren Vorwürfe beide Seiten angehört werden müssen, indem beispielsweise eine Schwulenorganisation zur Stellungnahme eingeladen worden wäre, wie dies Richtlinie 3.8 verlangt. Ausserdem wäre der Chefredaktor des «Tagblatt der Stadt Zürich» zu einer Berichtigung verpflichtet gewesen. Diese zu unterlassen verletze Richtlinie 5.1. Hinzu komme, dass die Journalistin mittels Verfälschung der Tatsachen übelste Diskriminierung Schwuler betreibe, indem die Handlungsweise eines Bisexuellen als die Lebensweise eines Schwulen ausgegeben worden sei. Ebendiese Lebensweise würde mit der Lüge, viele Schwule seien verheiratet und würden nicht selten ihre Frauen mit Geschlechtskrankheiten infizieren, verallgemeinert und verstärke und fördere so in der Öffentlichkeit vorhandene Vorurteile gegenüber der Minderheit der Schwulen. Damit werde gegen das in Richtlinie 8.2 statuierte Diskriminierungsverbot verstossen. Schliesslich werde auch das Verbot der Schleichwerbung (Richtlinie 10.1) verletzt, indem Folma Hoesch als ausgebildete Psychotherapeutin angepriesen und für deren Beratertätigkeit Reklame gemacht werde.

C. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 4. August 2014 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Artikel 10 Absatz 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn diese offensichtlich unbegründet erscheint.

2. Hauptpunkt der vorliegenden Beschwerde bildet die Rüge, beim verstorbenen Mann von Folma Hoesch habe es sich um einen Bisexuellen gehandelt und niemals um einen Schwulen. Dies mag angesichts des geschilderten Sachverhalts den Tatsachen entsprechen, weshalb insofern von einer Ungenauigkeit, ja Begriffsverwirrung auszugehen ist. Nicht bekannt ist allerdings, wie der frühere Partner von Folma Hoesch seine sexuelle Orientierung selbst bezeichnet hat. Der Artikel beschreibt ein Phänomen, das existiert und auch vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellt wird. Aus Sicht der Leserin und des Lesers scheint die Bezeichnung des früheren Ehemanns von Folma Hoesch als «Bisexueller» nicht derart relevant, um daraus eine Verletzung der «Erklärung» ableiten zu können. Dasselbe gilt für die Frage der Qualifikation von Hoesch als Psychotherapeutin. Der beanstandete Passus des Artikels lautet: «Frau Hoesch (…) liess sich zur Psychotherapeutin ausbilden.» Aus dem Schreiben des Ombudsmanns der Tamedia AG, Ignaz Staub, vom 11. Oktober 2013 an den Beschwerdeführer geht hervor, dass Folma Hoesch – auf Anfrage des Ombudsmannes – sich nicht «Psychotherapeutin» nennt, obwohl sie entsprechende Ausbildungen durchlaufen habe, und folglich auch nicht Mitglied einer berufsständischen Organisation sei. Sie bezeichne sich heute als «psychologische Beraterin». Zwar wird im Artikel nicht gesagt, Hoesch betreibe eine Praxis als Psychotherapeutin oder arbeite als Psychotherapeutin, dennoch kann die gewählte Ausdrucksweise unter Umständen so interpretiert werden. Die Gefahr einer falschen Interpretation ist jedoch als so gering einzuschätzen, dass deren Relevanz für eine allfällige Verletzung der «Erklärung» in den Hintergrund zu treten hat.

Offensichtlich unbegründet ist die Rüge der unerlaubten Werbung, handelt es sich bei der Angabe der Kontaktmöglichkeiten von hetera.ch sowie der Offenen Türe Zürich um eine Dienstleistung für den Leser bzw. die Leserin. Nicht ersichtlich ist, inwiefern damit Schleichwerbung betrieben worden sein soll. Ebenfalls offensichtlich unbegründet ist die Rüge der Verletzung der Anhörungspflicht, welche verlangt, dass JournalistInnen Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anhören. Denn es ist nicht ersichtlich, wer hier hätte angehört werden müssen. Schwulenorganisationen, wie vom Beschwerdeführer geltend gemacht, jedenfalls nicht, da sie im Artikel gar keine Erwähnung fi
nden. Ebensowenig ersichtlich ist, inwiefern der Artikel Schwule diskriminieren soll. Gestützt auf die obigen Ausführungen besteht denn auch kein Anlass für eine Berichtigung. Die Beschwerde erweist sich deshalb als offensichtlich unbegründet.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.