Nr. 40/2014
Unschuldsvermutung

(X. c. «Der Bund») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 19. Dezember 2014

Drucken

I. Sachverhalt

A. Am 27. Januar 2014 veröffentlichte «Der Bund» einen Artikel mit dem Titel «Strafen für Schweizer Syrien-Kämpfer?». Der Artikel befasst sich mit Personen aus der Schweiz, die sich laut dem Nachrichtendienst des Bundes an den Kämpfen in Syrien beteiligen. Er behandelt das Thema aufgrund einer parlamentarischen Initiative, die von SVP-Nationalrat Lukas Reimann eingereicht wurde und das Schweizer Söldnerverbot anpassen will. Dieses greife heute nur bei fremden Armeen und Organisationen wie der Fremdenlegion. Zusätzlich soll die Beteiligung an armeeähnlichen Organisationen wie islamistischen Gotteskämpfern sowie die Anwerbung von Kämpfern in der Schweiz unter Strafe gestellt werden. Im Artikel kommen Politiker mit verschiedenen Meinungen zu Wort und es werden Beispiele aus dem In- und Ausland thematisiert. Der Artikel schliesst mit dem Fall des Bieler Gymnasiasten Majd N., gegen den die Bundesanwaltschaft seit 2012 wegen «Verdachts auf Beteiligung an beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Organisation» ermittelt. Die Autoren des Artikels, Markus Brotschi und Thomas Knellwolf, formulieren ihre Einschätzung wie folgt: «Der Bund tut aber wenig, um des Beschuldigten, der fast sein ganzes Leben am Bielersee verbracht hatte, habhaft zu werden. Im Gegenteil: Er hat Majd N. den Flüchtlingsstatus entzogen und zwei Einreisesperren gegen ihn erlassen. Somit scheint es unwahrscheinlich, dass es bald zur ersten Verurteilung eines Jihad-Reisenden in der Schweiz kommt.»

B. Am 3. Februar 2014 reichte X. beim Schweizer Presserat gegen den Artikel vom 27. Januar 2014 Beschwerde ein. Sie wehrt sich gegen den letzten Satz: «Somit scheint es unwahrscheinlich, dass es bald zur ersten Verurteilung eines Jihad-Reisenden in der Schweiz kommt.» Der Journalist Thomas Knellwolf mache eine bedenkliche Vorverurteilung, ohne sich auf ein rechtsstaatliches Urteil beziehen zu können. Damit würden folgende Richtlinien zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» des Presserates verletzt: 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar), 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen), 7.4 (Gerichtsberichterstattung; Unschuldsvermutung) und 7.6 (Nichteröffnung, Einstellung und Freispruch).

C. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium, bestehend aus Präsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann, hat die vorliegende Stellungnahme per 19. Dezember 2014 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Artikel 10 Absatz 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn diese offensichtlich unbegründet erscheint.

2. Der Presserat hält fest, dass für Majd N. selbstverständlich die Unschuldsvermutung gilt. Zwar kann der Schlusssatz den Eindruck einer Vorverurteilung erwecken, weil er direkt auf das genannte Beispiel von Majd N. folgt und zudem von einer «ersten Verurteilung eines Jihad-Reisenden in der Schweiz» spricht. Andererseits wird im selben Abschnitt am Anfang klar gesagt, dass die Bundesanwaltschaft seit 2012 gegen ihn ermittle. Leserinnen und Leser wissen somit, dass er nicht rechtskräftig verurteilt ist. Deshalb sind sie umfassend informiert und können den Schlusssatz einordnen. Rein stilistisch könnte der letzte Satz weniger affirmativ formuliert sein. Trotz dieses Hinweises ist die Beschwerde aber offensichtlich unbegründet.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.