Nr. 9/2014
Schutz der Privatsphäre / Identifizierung

(X. c. «20 Minuten online» und «Blick am Abend online») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 28. Mai 2014

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I. Sachverhalt

A. Die Online-Ausgaben von «20 Minuten» und «Blick am Abend» berichten am 7. Januar 2014 unter dem Titel «Leserin erkennt den Spanner vom Uni-WC» («20 Minuten online») bzw. «WC-Spanner von der Uni Basel gefasst» («Blick am Abend online») über die Verhaftung eines mutmasslichen Spanners. Dieser hatte am Vortag auf einer Damentoilette der Bibliothek der Uni Basel durch ein Loch in einer Trennwand eine Studentin beobachtet. Das Opfer hat dies gemerkt und den vermuteten Täter «geistesgegenwärtig» über die Trennwand hinweg fotografiert. Das Bild hat sie gemäss «20 Minuten» dem Personal der Universität übergeben. Am Tag der Publikation der beiden Online-Artikel hat eine «Leserin» (gemäss «20 Minuten») bzw. eine «Frau» (gemäss «Blick») den mutmasslichen Täter auf der Strasse erkannt und die Polizei alarmiert. Ein Tatverdächtiger wurde festgenommen.

B. Am 13. Januar 2014 reicht X. als Privatperson sowie in seiner Funktion als Leiter der Medienschule St. Gallen beim Presserat eine Beschwerde ein. Gemäss Beschwerdeführer wurde Artikel 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Respektierung der Privatsphäre) verletzt. Der Beschwerdeführer kritisiert insbesondere, dass die Person auf dem Bild «trotz Balken nicht wirklich anonymisiert» sei. Zudem werde durch die Publikation die Privatsphäre verletzt und so «der Bildbetrachter ebenfalls zum Voyeur gemacht». Im weiteren habe das Bild «keinerlei Relevanz für den geschriebenen Artikel», sondern es gehe vor allem darum, «voyeuristische Tendenzen bei der Leserschaft» zu bedienen.

C. Die Beschwerdeantwort vom 7. März 2014 verfasst der Rechtsdienst der Tamedia AG im Namen beider Redaktionen. Die Beschwerdegegnerinnen argumentieren, dass die Anonymisierung durch den schwarzen Balken ausreichend und die Identifikation einem «beliebigen Leser» dadurch nicht möglich gewesen sei. Vermutet wird, die Leserin müsse noch andere Grundlagen für die Wiedererkennung gehabt haben. Die Anonymisierungspflicht der Medien gehe nicht so weit, dass bei einer Abbildung oder einem Text dafür gesorgt werden müsse, dass nicht einmal das nahe Umfeld der betroffenen Person auf diese stossen könne. Bezüglich der Relevanz des Bildes für den Artikel halten die Beschwerdegegnerinnen fest, dass das öffentliche Interesse auf Information an der Berichterstattung über «die auf frischer Tat ertappte Spannerei» an den Universitätstoiletten als gross betrachtet werden müsse. Das Bild gehöre als fester Bestandteil zu dieser Geschichte. Da die Person für den Durchschnittsleser nicht erkennbar war, sei die Abbildung nicht zu beanstanden.

D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 1. Kammer zu; ihr gehören Francesca Snider (Kammerpräsidentin), Michael Herzka, Pia Horlacher, Klaus Lange, Francesca Luvini, Sonja Schmidmeister und David Spinnler an.

E. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 10. April 2014 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Zur Diskussion steht zunächst die Frage der identifizierenden Berichterstattung durch das Veröffentlichen des Bildes eines mutmasslichen Täters. Der Presserat hat dazu bereits verschiedentlich Stellung genommen, zuletzt mit einer Pressemitteilung – im ungleich dramatischeren Fall – des Tötungsdelikts von Genf (Fall Adeline). Eine identifizierende Berichterstattung ist beispielsweise zulässig, etwa im Fall eines zur Fahndung ausgeschriebenen flüchtigen Gewalttäters, wo ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Kenntlichmachung besteht. Der Schutz der Privatsphäre gilt grundsätzlich auch für vermutete und/oder verurteilte Straftäter. Es steht also zu beurteilen, ob der schwarze Balken über den Augen gross genug und die sichtbaren Kennzeichen (Mütze, Bart) zu wenig «einmalig» sind, damit eine Identifizierung durch Personen, welche nicht zum unmittelbaren Umfeld der fotografierten Person gehören, nicht mehr möglich ist. Für den Beschwerdeführer ist das Bild trotz Balken nicht wirklich anonymisiert.

2. Für den Presserat ist aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Fakten nicht erstellt, dass das Wiedererkennen des mutmasslichen Täters direkt und allein auf das veröffentlichte Bild zurückzuführen ist. Die Frage des Schutzes der Privatsphäre ist demnach unabhängig von einem allfälligen solchen Zusammenhang zu beurteilen. Richtlinie 7.2 verlangt, dass «weder Namen noch andere Angaben, welche die Identifikation einer Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zur Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld des Betroffenen gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden», veröffentlicht werden. Es kann jedoch nie gänzlich ausgeschlossen werden, dass eine Person mit einem besonders guten Gedächtnis für Gesichts- oder Körperdetails, Bekleidung etc. eine Person zufällig und trotz der geforderten Anonymisierung wiedererkennt. Damit eine Identifizierung vollständig ausgeschlossen werden kann, müsste ein Bericht mit einem (entsprechend gekennzeichneten) Symbolbild illustriert werden. Die Besonderheit liegt im vorliegenden Fall jedoch gerade darin, dass das Bild vom Opfer selbst mit einer Handykamera aufgenommen wurde. Die eigentliche Story ist demnach nicht so sehr die Tat des mutmasslichen Spanners, sondern die «Zivilcourage» der von ihm beobachteten Studentin, der reaktionsschnell das nun veröffentlichte Foto gelungen ist. Die abgebildete Person wurde mittels eines Balkens anonymisiert, was eine Identifikation durch eine beliebige Drittperson verunmöglichte. Ziffer 7 der «Erklärung» ist demnach nicht verletzt.

3. Gerade Online-Medien arbeiten vermehrt mit Bildern, die ihnen von sogenannten «Leser-Reportern» zur Verfügung gestellt werden. Der Presserat weist darauf hin, dass für die Veröffentlichung solcher Bilder die gleichen berufsethischen Standards gelten wie für alle übrigen Bilder. Auch im Fall von Leserbildern bzw. bei Bildmaterial, das von Direktbetroffenen zur Verfügung gestellt wird, ist der Schutz der Privatsphäre der abgebildeten Personen zu wahren.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. «20 Minuten online» und «Blick am Abend online» haben mit der Veröffentlichung der beiden Artikel «Leserin erkennt den Spanner vom Uni-WC» und «WC-Spanner von der Uni Basel gefasst» die Ziffer 7 (Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.