Nr. 17/2014
Recherchegespräche / Privatsphäre / Identifizierung / Kinder

(K. c. «Sonntagsblick») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 31. Juli 2014

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I. Sachverhalt

A. Am 24. Februar 2013 berichtete der «SonntagsBlick» unter dem Titel «Die miese Masche des Pleite-Zahnarztes» und dem Obertitel «Arno K. hat Millionenschulden und sich deshalb nach Moskau abgesetzt» über den Zürcher Zahnarzt Arno K. Viktor Dammann führt im Artikel aus, der Zahnarzt narre seine Gläubiger mit seinem neusten Trick, indem er sich beim Zürcher Personalamt abgemeldet und in Moskau angemeldet habe. Seine Praxis in Zürich existiert allerdings weiterhin, auf deren Internetseite sei er noch als Zahnarzt aufgeführt. 2005 seien dem Schuldenkönig Forderungen von rund sechs Millionen Franken aufgelaufen. Der Beschuldigte selbst kommt mit folgenden Aussagen zu Wort: «Der ganze Betrieb ist rasant gewachsen und geriet in die Liquiditätsfalle. Wir haben alle Fehler gemacht.» Er habe auch privat alles verloren und verkauft. Mit vielen Verlustscheinbesitzern mit Forderungen von circa drei Millionen Franken arbeite er heute noch zusammen, einige Scheine seien schon zurückgekauft worden. «Die Sache ist also überhaupt nicht irreparabel.» Der Artikel fährt fort: «Fakt ist: Arno K. lebte trotz Schulden weiter prächtig.» Der Zahnarzt scheine nichts gelernt zu haben, auf einem aktuellen Betreibungsauszug seien schon wieder neue Forderungen gelistet. Neben Mietschulden der Praxis sei auch das Zürcher Edelrestaurant Sonnenberg mit einem Verlustschein von 5100 Franken verzeichnet, dort habe K. die Firmung seiner Tochter gefeiert. Die 18-Jährige bestreite in einer teuren Sportart Wettkämpfe und besuche eine teure Privatschule.

B. Am 9. August 2013 beschwerte sich K. über den Artikel des «SonntagsBlick». Er macht einen Verstoss gegen die Richtlinien 4.6 (Recherchegespräche), 7.1 (Schutz der Privatsphäre), 7.2 (Identifizierung) sowie 7.3 (Kinder) geltend. Im Einzelnen führt er aus, im Verlaufe seines E-Mailverkehrs mit Viktor Dammann vom Oktober 2012 sei er – entgegen der Richtlinie 4.6 – zu keiner Zeit über das Ziel des Recherchegesprächs des Journalisten informiert worden, sondern habe als nicht mediengewohnter Mensch arglos und ausführlich die gestellten Fragen beantwortet. Die per Mail gestellten Fragen hätten vorverurteilende Elemente enthalten, durch deren Beantwortung er sich selber an den Pranger gestellt hätte. In Bezug auf Richtlinie 7.1 macht der Beschwerdeführer geltend, der «SonntagsBlick» habe sich mit der Veröffentlichung eines Bildes, welches ohne seine Einwilligung von seiner Internetsite kopiert worden sei, unlauter Informationen beschafft, um den beanstandeten Artikel zu illustrieren. Sein Fall sei nicht von öffentlicher Relevanz bzw. Dringlichkeit, dessen aggressive Darstellung beeinträchtige seine Privatsphäre, sein Geschäft und somit auch seine Geschäftspartnerin bzw. seine Angestellte sowie seine Familie. Zu Richtlinie 7.2 hält er fest, dass kein Grund bestand und auch keine Berechtigung, seinen Namen selbst in einer verkürzten Version zu nennen sowie ihn neben seiner Geschäftspartnerin und seiner Angestellten mit einem nur leicht mit Balken abgedeckten Bild zu identifizieren. Mit dem Ausdruck «Schuldenkönig» sei zudem ein direkter Bezug zu seinem vollständigen Namen hergestellt worden. Er sei in der Öffentlichkeit unbekannt, kein politischer Verantwortungsträger, bekannter Sportler oder Schauspieler. Die Namensnennung sowie das Bild von ihm und seiner Geschäftspartnerin sowie seiner Angestellten sei unverhältnismässig und diene ausschliesslich dazu, ihn in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Hinsichtlich Richtlinie 7.3 hält er fest, Viktor Dammann habe sich über seine Aufforderung, seine Tochter nicht in das Geschehen zu involvieren, hinweggesetzt und sie telefonisch befragt. Ausserdem sei sie im Artikel in unnötiger Weise in ein schlechtes Licht gerückt worden.

C. Am 13. August 2013 bat das Sekretariat des Presserates den «SonntagsBlick», zur Beschwerde Stellung zu nehmen. Auf nochmalige Nachfrage am 24. September 2013 antwortete der «SonntagsBlick», er halte die Beschwerde für unbegründet und halte an seiner Berichterstattung fest. Auf eine Stellungnahme verzichte er.

D. Am 3. Oktober 2013 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 31. Juli 2014 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.


II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Richtlinie 4.6 (Recherchegespräche), denn er sei vom «SonntagsBlick» ungenügend auf den Zweck der Recherche aufmerksam gemacht worden. Richtlinie 4.6 verlangt von Journalistinnen und Journalisten, ihre Gesprächspartner über das Ziel des Recherchegesprächs zu informieren. Aus dem E-Mailverkehr zwischen Viktor Dammann und dem Beschwerdeführer vom Oktober 2012 geht klar hervor, dass der Journalist mit seinen Recherchen bezweckte, mehr über das Geschäftsgebaren des Beschwerdeführers, über dessen heutige finanzielle Situation sowie seinen Umgang mit seinen Gläubigern herauszufinden. Der Beschwerdeführer hat zu diesen Fragen ausführlich Stellung genommen. Eine Verletzung von Richtlinie 4.6 ist damit nicht ersichtlich.

2. In Bezug auf die gerügte Verletzung der Richtlinien 7.1 (Privatsphäre) und 7.2 (Identifizierung) macht der Beschwerdeführer geltend, der «SonntagsBlick» habe sich in unlauterer Weise ein Bild von seiner Website beschafft und dieses gegen seinen Willen veröffentlicht. In seiner Stellungnahme 35/2008 hat sich der Presserat mit der Frage auseinandergesetzt, ob Bilder von Privatpersonen, die auf einer nicht mit einem Passwort geschützten, für jedermann zugänglichen Website veröffentlicht werden, nach wie vor als «privat» zu gelten hätten. Nach Auffassung des Presserates ist diese Frage differenziert zu beantworten. Nicht alles Private, das öffentlich gemacht oder für die Öffentlichkeit einsehbar ist, darf durch die Medien vorbehaltlos reproduziert und weiterverbreitet werden. So ist der Presserat z.B. in der Stellungnahme 22/2002 zum Schluss gelangt, es sei, ein überwiegendes öffentliches Interesse vorbehalten, berufsethisch nicht zulässig, einen Medienbeitrag mit einem Bild zu illustrieren, das eine auf dem Bild erkennbare Person in einem für sie heiklen Kontext zeigt. «Selbst wenn die abgebildete Person ursprünglich ihre Einwilligung zur Veröffentlichung eines Fotos erteilt hat, kann daraus nicht abgeleitet werden, dass diese Einwilligung auch für eine prominentere Publikation in einem viel auflagestärkeren anderen Medium gilt.» Umgekehrt hat der Presserat in der Stellungnahme 56/2004 darauf hingewiesen, dass, wer als Betreiber einer eigenen Website an die Öffentlichkeit tritt, im Kontext mit dieser Publikation zu einer Person des öffentlichen Lebens wird. Im damals zu beurteilenden Fall eines tödlich verunfallten Motorradfahrers schloss der Presserat, dass die Fotos auf der privaten Website des Verstorbenen zwar von den Medien nicht einfach beliebig weiterverbreitet werden durften. Angesichts des unmittelbaren Bezugs zwischen dem auf der Website thematisierten Hobby Motorradfahren und dem tödlichen Unfall war es im konkreten Fall jedoch zulässig, die Bilder zu verwenden. Zumal das Bild des Verstorbenen verfremdet und er entsprechend für Dritte ausserhalb des engeren familiären und sozialen Umfelds kaum erkennbar war.
Was bedeuten diese Grundsätze im vorliegenden Fall? Das verwendete Foto des Praxisteams stammt von der Webpage der Praxis des Beschwerdeführers. Seine Augenpartie ist mit einem schwarzen Balken versehen, die Gesichter der beiden Mitarbeiterinnen sind verpixelt. Der beanstandete Artikel steht im Zusammenhang
mit dem der Website entnommenen Foto. Es war deshalb zulässig, dieses Bild zu verwenden, denn auch vorliegend ist der Beschwerdeführer für Dritte ausserhalb seines engeren familiären und sozialen Umfelds kaum erkennbar. Dasselbe gilt für die vorgenommene Anonymisierung (Arno K.) seines Namens.

3. Der Beschwerdeführer macht im Weiteren eine Verletzung der Richtlinie 7.3 (Kinder) geltend. Diese verlangt, dass Kinder besonders zu schützen sind, auch Kinder von Prominenten und von weiteren, im Fokus der Medien stehenden Personen. Der Beschwerdeführer beanstandet, dass der Journalist Kontakt mit seiner 18-jährigen Tochter aufgenommen habe. Ausserdem werde sie durch den Artikel in ein schlechtes Licht gestellt. Soweit ersichtlich hat Viktor Dammann die Tochter des Beschwerdeführers lediglich einmal kontaktiert und sie gefragt, ob sie tatsächlich ein teures Hobby (Dressurreiten) pflege und eine teure Privatschule besuche. Dies ist unter dem Gesichtspunkt des besonderen Schutzes, der Kindern zukommt, nicht zu beanstanden. Hinzu kommt, dass die Tochter des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt des Anrufs 18 Jahre alt und somit volljährig war. Der Artikel erwähnt, dass dem Beschwerdeführer vom Betreibungsamt ein monatlicher Unterhaltsbeitrag von 8000 Franken für seine Tochter zugebilligt wurde und dass der Beschwerdeführer die Firmung seiner Tochter in einem teuren Lokal gefeiert habe. Durch diese Angaben ist sie jedoch für Dritte in keiner Weise identifizierbar. Auch unter diesem Aspekt liegt kein Verstoss gegen Richtlinie 7.3 vor.


III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Der «SonntagsBlick» hat mit dem Artikel «Die miese Masche des Pleite-Zahnarztes» vom 24. Februar 2013 die Ziffern 4 (Recherchegespräche) und 7 (Privatsphäre, Identifizierung, Kinder) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.