Nr. 53/2010
Menschenwürde / Diskriminierende Anspielungen

(X. c. «Neue Zürcher Zeitung»)

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I. Sachverhalt

A. Drei Tage nach dem Rücktritt der Landesbischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover, Margot Kässmann, wegen einer Autofahrt unter Alkoholeinfluss veröffentlichte die «Neue Zürcher Zeitung» am 27. Februar 2010 eine Karikatur von Peter Gut zum Thema. Sie zeigt einen katholischen Bischof, der eine Zeitung mit folgender Schlagzeile liest: «Bischöfin zieht Konsequenz aus Alkohol und Verkehr». Neben dem Bischof steht ein Ministrant, der dem Bischof auf einem Tablett Wein serviert.

B. Am 20. März 2010 brachte die NZZ eine weitere Karikatur von Peter Gut mit dem Titel «Gott sei Dank». Sie zeigt wiederum einen katholischen Bischof, vor dem ein Baby auf dem Wickeltisch liegt. Der Bischof hält Windeln in der Hand und sagt: «Meiner».

C. Am 16. September 2010 beschwerte sich X. beim Presserat gegen die Veröffentlichung der beiden Karikaturen durch die NZZ, womit die Redaktion gegen die Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstosse.

Die NZZ habe das Missbrauchsthema in ihrer Berichterstattung unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet und auch über Fälle berichtet, die sich ausserhalb der katholischen Kirche, beispielsweise an Waldorf-Schulen, ereignet hätten. «Die einzigen diesbezüglichen Karikaturen bzw. ‹politischen Zeichnungen› wurden jedoch im Zusammenhang mit dem Katholizismus veröffentlicht.» Die beiden Karikaturen seien in Kontext und Inhalt geeignet, die religiösen Gefühle der Gläubigen zu verletzen. Kindsmissbräuche kämen nicht nur in der katholischen Kirche vor und hier nicht einmal in einem überdurchschnittlichen Ausmass. Das Thema in Darstellungen auf den Katholizismus zu reduzieren, verleugne daher diese Relationen. Die ganz grosse Mehrzahl der Geistlichen führe ein moralisch einwandfreies Leben.

Mit den beanstandeten Zeichnungen würden die Priester und Bischöfe in perfider Art und Weise als Kinderschänder verunglimpft. In der ersten Karikatur werde insinuiert, Alkoholexzesse und insbesondere der sexuelle Missbrauch von Jugendlichen gehöre zum «Standardverhalten» der Geistlichen. In der zweiten Karikatur werde die Botschaft vermittelt, Geistliche würden entweder ihre Zölibatsverpflichtung verletzen oder dann aber selbst vor der Schändung von Babys nicht zurückschrecken.

D. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements des Presserats werden Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt, vom Presseratspräsidium behandelt.

E. Das Presseratspräsidium bestehend aus Presseratspräsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina hat die vorliegende Stellungnahme per 17. Dezember 2010 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 10 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn diese nach Ablauf der Beschwerdefrist von sechs Monaten eingereicht wird sowie wenn die Beschwerde offensichtlich unbegründet erscheint.

2. In Bezug auf die erste der beiden beanstandeten Karikaturen, welche die NZZ am 27. Februar 2010 veröffentlicht hat, ist die Beschwerdefrist am 28. August 2010 abgelaufen. Die Einreichung der Beschwerde vom 16. September 2010 erfolgte insoweit verspätet, weshalb der Presserat auf die Beanstandungen gegen diese Karikatur nicht eintritt.

3. a) Die Freiheit von Kommentar und Kritik gilt auch gegenüber Kirchen und religiösen Gemeinschaften sowie gegenüber Elementen ihrer Glaubensüberzeugungen. Satirische Beiträge zu religiösen Themen sind zulässig, sofern sie nicht religiöse Symbole verunglimpfen und lächerlich machen oder die Gefühle von Gläubigen verletzen (Stellungnahmen 8/1996 und 19/2002). Bei Prüfung der Frage, ob satirische Beiträge und Karikaturen diskriminierend wirken oder die Menschenwürde verletzen, ist ein grosszügiger Massstab angebracht (Stellungnahme 55/2008). Dabei stellt der Presserat insbesondere nicht auf besondere Empfindlichkeiten von orthodoxen Gläubigen ab (Stellungnahme 12/2006).

b) Der zweiten beanstandeten Karikatur – vom 20. März 2010 – liegt ein wahrer Tatsachenkern (Zölibatsverletzungen, Fälle von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche) zugrunde. Gemäss der Praxis des Presserates darf Satire nicht nur zuspitzen, sondern auch übertreiben, sofern sie von einem wahren Kern ausgeht (vgl. z.B. die Stellungnahmen 17/2005, 8/1996). Die beanstandete Zeichnung ist für die Leserschaft als satirische Übertreibung erkennbar. Sie erscheint nach Auffassung des Presserates zudem kaum geeignet, die religiösen Gefühle von zeitgenössisch aufgeschlossenen, katholischen Gläubigen zu verletzen.

III. Feststellungen
Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.