Nr. 17/2010
Presserats- und Gerichtsverfahren

(Gentest.ch GmbH c. «Beobachter»)

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I. Sachverhalt

A. In der «Beobachter»-Ausgabe 16/2009 vom 24. Juli 2009 berichtete Otto Hostettler unter dem Titel «Heikle Gendaten werden illegal weitergegeben» über den Umgang der «Zürcher Firma Gentest.ch/Igenea» mit den Daten ihrer Kunden aus DNA-Tests. Die Firma habe «null Gespür für sensible Daten» und verstosse mit ihren Analysen für die Ahnenforschung «gleich mehrfach gegen Gesetze. Ohne Wissen der Kunden landen deren persönliche Genprofile in einer US-Datenbank.»

Für 159 Franken erfahre man bei Gentest.ch, ob «die Urahnen Wikinger, Kelten oder Juden waren». Die Firma, gemäss eigenen Angaben Europas grösster Anbieter von DNA-Tests für die Ahnenforschung, kümmere sich allerdings wenig um die rechtlichen Rahmenbedingungen. «Recherchen des ‹Beobachter› zeigen: Die Firma, die auch unter dem Namen Igenea operiert, ignoriert seit Jahren systematisch gesetzliche Auflagen im Umgang mit den heiklen Gendaten.» Das fragwürdige Verhalten beginne schon beim Test. Gentest.ch verlange weder einen Ausweis, noch werde die Identität überprüft. Die beiden Firmeninhaber gäben sich demgegenüber seriös: «‹Qualität, Zuverlässigkeit und der Schutz der persönlichen Daten haben oberste Priorität. Deshalb verarbeiten und speichern wir Daten streng nach den Auflagen des schweizerischen Datenschutzgesetzes. Die Kunden entscheiden, ob und wie lange wir Daten aufbewahren. (…) Die Speichelproben und die Untersuchungsergebnisse werden konsequent von den Personalien getrennt.›»

Diese Beteuerungen seien jedoch nichts wert. Bei der Bearbeitung im Labor blieben die Speichelproben und die Personalien verknüpft. Jeden Freitag sendeten Mitarbeiter/innen von Gentest.ch mindestens 50 Proben zum Firmensitz von Family Tree in Houston, Texas. «In den USA wird von den Speichelproben nicht nur das DNA-Profil erstellt, die Herkunftsanalysen wandern beim Partnerinstitut Family Tree gleich auch in deren weltweit grösste Genealogie-Datenbank.»

Problematisch sei die Praxis der Firma auch bei gerichtlich angeordneten Vaterschaftstests. Entgegen den Behauptungen von Gentest.ch würden Speichelproben und Untersuchungsergebnisse nach Abschluss der Untersuchung nicht sofort vernichtet, sondern die Daten ohne Wissen der Betroffenen jahrelang aufgewahrt. Das Bundesamt für Polizei als gesetzliche Aufsichtsbehörde habe die Firma in den letzten Jahren mehrfach auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen hingewiesen. Anfang Juni 2009 habe es Gentest.ch/Igenea mitgeteilt, sie könne die Speichelproben nur noch bis Ende 2009 im US-Labor analysieren lassen. Firmeninhaber X. halte wenig von diesen Auflagen. Die gesetzlichen Bestimmungen seien ein «Unsinn». Damit werde eine neue Branche unterdrückt und zerstört. In der Schweiz gebe es kein Labor, das seine Tests innert nützlicher Frist und zu realistischen Kosten durchführen könne.

«Doch das Geschäft mit den Genealogietests dürfte wohl bald zu Ende sein. Noch während der ‹Beobachter› den Fall recherchierte, meldete das Bundesamt für Polizei das Geschäftsgebaren der Gentest.ch/Igenia der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft. ‹Wir haben Kenntnis vom Fall und klären zur Zeit den Tatverdacht ab›, bestätigt Oberstaatsanwalt Ulrich Arbenz.»

B. Mit Verfügung vom 24. August 2009 trat die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl nicht auf eine Strafanzeige ein, die das Fedpol am 10. Juli 2009 gegen X. wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen und das Bundesgesetz über den Datenschutz eingereicht hatte.

C. Am 3. September 2009 gelangte X. namens der Gentest.ch GmbH mit einer Beschwerde gegen den «Beobachter»-Bericht vom 24. Juli 2009 an den Presserat. Der Autor habe wider besseres Wissen Behauptungen einer unglaubwürdigen Quelle als Tatsachen dargestellt. Einzige Quelle des Artikels sei die wegen Betrugs und Diebstahls entlassene ehemalige Geschäftsführerin. Diese habe sich an den «Beobachter» gewandt, um sich an der Firma zu rächen.

Die Geschäftstätigkeit der Gentest.ch GmbH sei nicht verboten. Im Bereich «DNA-Genealogie» verfüge die Firma über eine Ausnahmebewilligung des Fedpol bis Ende 2009. Die Verträge mit den Kunden seien im März 2009 vom Fedpol überprüft worden. Die Kunden seien über die Weitergabe von Speichelproben, Vor- und Nachnamen an das Labor Family TreeDNA informiert. Ebenso wenig sei die Aufbewahrungspraxis der Beschwerdeführerin bei Vaterschaftstests problematisch, sondern vielmehr gesetzeskonform. Die Ergebnisse würden nach drei Monaten gelöscht, sofern der Kunde selber nicht eine längere Aufbewahrungsfrist verlange.

In Bezug auf die am Schluss des Artikels erwähnte Meldung an die Staatsanwaltschaft sei Gentest.ch nicht einmal auf den Tatverdacht abgeklärt worden. Dennoch werde die Firma vom Autor schon für schuldig gesprochen. Soweit der Artikel schliesslich behaupte, die beiden Firmeninhaber hielten ihre Mitarbeiter an, die Kunden zu belügen, widerspreche dies den Tatsachen und rücke die Firmenchefs in ein falsches und sehr schlechtes Licht.

Mit der Veröffentlichung des beanstandeten Berichts habe die Zeitschrift die Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche), 2.3 (Vermischung von Fakten und Kommentar), 3.1 (Überprüfung von Quellen), 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen), 4.6 (Rechercheinterview), 5.1 (Berichtigung), 6.2 (Quellenschutz) und 7.5 (Unschuldsvermutung) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

Zudem führte die Beschwerdeführerin aus: «Im Zusammenhang mit dem Beschwerdegegenstand wurde kein Gerichtsverfahren anhängig gemacht. Es wird auch keines zu einem späteren Zeitpunkt beabsichtigt, sofern von Seiten ‹Beobachter› nicht in weiteren Artikeln die Rechte der Gentest.ch GmbH verletzt werden.»

D. Am 2. Oktober 2009 wies Chefredaktor Andres Büchi namens der Redaktion des «Beobachter» die Beschwerde der Gentest.ch GmbH als unbegründet zurück. Die Beschwerdeführerin habe zu sämtlichen im beanstandeten Artikel enthaltenen Vorwürfen Stellung nehmen können und sei korrekt zitiert worden. Ebenfalls habe der Autor die Richtlinie 4.6 zu den Recherchegesprächen eingehalten. Die Fakten seien so dargestellt worden, dass sie für die Leserschaft nachvollziehbar sind und diese zwischen Fakten und Kommentaren unterscheiden können. Schilderungen der Informantin seien als solche gekennzeichnet worden. Dazu werde jeweils auch die Position der Firma wiedergegeben.

Der «Beobachter» habe zudem in einem Nachfolgeartikel in der Ausgabe 18/09 vom 4. September 2009 («Staatsanwaltschaft pfeift Fedpol zurück») darauf hingewiesen, dass «die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl zum Schluss gekommen ist, dass die Geschäftstätigkeit der Gentest.ch nicht illegal sei. Denn die bisherigen Abklärungen haben den Anfangsverdacht in keiner Weise erhärtet.» Der «Beobachter» habe sich somit auch an die Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche) und 5 (Berichtigung) gehalten.

Ebenso habe sich der Autor im Umgang mit seinen Quellen an die journalistischen Sorgfaltspflichten gehalten und die Quelle sowie ihre Glaubwürdigkeit eingehend geprüft. Er habe zudem eine weitere ehemalige Mitarbeiterin der Beschwerdeführerin befragt, deren Aussagen sich mit den Schilderungen der Hauptquelle insbesondere in Bezug auf die Arbeitsweise der Firmeninhaber gedeckt hätten. Weiter verstosse die Passage «Doch das Geschäft mit den Genealogietests dürfte wohl bald zu Ende sein» keineswegs gegen die Unschuldsvermutung. Der Autor nehme damit keine möglichen juristischen Folgen vorweg, sondern stütze sich vielmehr auf eine Einschätzung des Firmeninhabers. Der Vorwurf, die Mitarbeiter der Gentest.ch GmbH seien zum Lügen angehalten worden, sei für die Leserschaft als Vorwurf der Informantin erkennbar. Zudem habe die Beschwerdeführerin auch diesen Vorwurf mehrfach bestreiten können.

E. Am 13. Oktober 2009 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde durch das Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus Presseratspräsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina.

F. Am 14. Oktober 2009 sandte der «Beobachter» dem Presserat eine Kopie der Vorladung zur Sühneverhandlung zwischen der Gentest.ch GmbH und der Axel Springer Schweiz AG betreffend Verletzung des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb samt dem zugehörigen «Sühnebegehren» der Beschwerdeführerin vom 12. Oktober 2009 zu und bat den Presserat, die «Beschwerdeabklärungen vorläufig einzustellen».

G. Mit E-Mail vom 20. Oktober 2009 schloss sich die Beschwerdeführerin dem Sistierungsbegehren des «Beobachter» an. Zwar erachte sie die vorübergehende Sistierung als «befremdend» und «hätte gerne ein schnelles Vorangehen der hängigen Beschwerde beim Presserat. Aufgrund der grossen Zusatzarbeiten und -aufwendungen, die uns die Berichterstattung des ‹Beobachter› täglich beschert, sind wir bis auf Weiteres aber nicht unglücklich, wenn wir uns auf das Gerichtsverfahren konzentrieren können.»

H. In einer Antwortmail vom gleichen Tag wies das Presseratssekretariat die Beschwerdeführerin darauf hin, dass der Presserat gemäss langjähriger Praxis keine Verfahren sistiert, um den Abschluss eines parallel hängigen Gerichtsverfahrens abzuwarten. Hingegen behalte er sich angesichts des parallel hängigen Verfahrens vor, gestützt auf Ziffer 10 des Presseratsregelments gegebenenfalls nicht auf die Beschwerde einzutreten.

I. Das Presseratspräsidium, hat die vorliegende Stellungnahme per 30. April 2010 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss seiner Praxis kann der Presserat Beschwerdeverfahren von sich aus oder auf Antrag der Parteien sistieren, wenn dies bloss zu einer unwesentlichen Verzögerung führt. Bei parallel hängigen Verfahren besteht bei einer Sistierung des Presseratsverfahrens bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens jedoch die Gefahr, dass der Presserat zu dem ihm vorgelegten Sachverhalt erst zu einem Zeitpunkt Stellung nehmen kann, in dem ein aktuelles Interesse an einem Presseratsentscheid kaum mehr gegeben wäre. Entsprechend weist er die von beiden Parteien beantragte Sistierung des Presseratsverfahrens für die Dauer des von der Beschwerdeführerin anhängig gemachten Gerichtsverfahrens ab.

2. a) Gemäss Art. 10 Abs. 2 seines Geschäftsreglements kann der Presserat auch dann auf Beschwerden eintreten, wenn im Zusammenhang mit dem Beschwerdegegenstand bereits ein Gerichtsverfahren eingeleitet worden ist oder ein solches vom Beschwerdeführer noch anhängig gemacht werden soll. Vorauszusetzen ist allerdings, dass sich im konkreten Fall grundlegende berufsethische Fragen stellen.

b) Bei der Prüfung der Frage, ob eine Beschwerde grundlegende berufsethische Fragen aufwirft, berücksichtigt der Presserat nicht allein die als verletzt gerügten abstrakten berufsethischen Bestimmungen, sondern den konkret zur Diskussion stehenden Sachverhalt in Verbindung mit diesen Bestimmungen. Ebenso fällt bei der Interessenabwägung ins Gewicht, inwiefern es von der Bedeutung der Sache her gerechtfertigt erscheint, zu einem identischen oder zumindest ähnlichen Sachverhalt zwei parallele Verfahren durchzuführen. Beanstandet der Beschwerdeführer im parallel hängigen Gerichtsverfahren weitgehend die gleichen Punkte wie in der Presseratsbeschwerde, ist diese Doppelspurigkeit aus Sicht des Presserates in aller Regel nicht gerechtfertigt (siehe Stellungnahme 46/2007).

c) Vorliegend hat die Beschwerdeführerin bei Einreichung der Presseratsbeschwerde am 3. September 2009 angekündigt, sie beabsichtige nicht, ein Gerichtsverfahren anhängig zu machen. Nachdem sie am 12. Oktober 2009 dann doch ein Sühnebegehren betreffend unlauterer Wettbewerb beim Friedensrichteramt der Stadt Zürich einreichte, unterliess sie es, den Presserat von sich aus über diesen Schritt zu informieren.

Den Rechtsbegehren des genannten Sühnebegehrens entnimmt der Presserat, dass die Beschwerdeführerin im Gerichtsverfahren weitgehend die gleichen Hauptaussagen des «Beobachter»-Berichts thematisiert wie im Presseratsverfahren (die Dienstleistungen der Gentech.ch GmbH seien gesetzeswidrig; die Firma lüge ihre Kunden an oder übe ihre Geschäftstätigkeit in anderer Weise unlauter aus). Weiter verlangt sie die Veröffentlichung einer Berichtigung, wonach der Titel «Heikle Daten werden illegal weitergegeben» unzutreffend sei, die Quelle der Zeitschrift unzuverlässig sei und der «Beobachter» die journalistischen Sorgfaltspflichten verletzt habe. Dem Friedensrichter werden mit dem Sühnebegehren also zu weiten Teilen die gleichen Fragen unterbreitet wie mit der Presseratsbeschwerde.

Unter diesen Umständen ist die parallele Durchführung zweier Verfahren nach Auffassung des Presserates nicht sinnvoll. Hinzu kommt, dass ein wesentlicher Teil der Differenzen der Parteien auf deren kontroverser Darstellung des Sachverhalts beruht. Gemäss seiner ständigen Praxis ist es nicht Aufgabe des Presserates, zwischen den Parteien umstrittene Sachverhalte zu klären (vgl. zuletzt die Stellungnahmen 50/2009 und 6/2010). Aus diesen Gründen tritt er nicht auf die Beschwerde ein.

III. Feststellungen

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.