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Man kann sich auf Keystone-SDA verlassen und muss trotzdem mitdenken

Edito von Jan Grüebler, Vize-Präsident Schweizer Presserat

Keystone-SDA und internationale Nachrichtenagenturen leisten eine wichtige journalistische Arbeit. Medien, die über das News-Geschehen und Aktualität berichten, sind auf sie angewiesen. Redaktionen übernehmen Agenturmeldungen meist ungeprüft und oft auch unverändert. Doch können sich die Redaktionen wirklich auf Agenturmeldungen verlassen? Sie müssen sich auf diese verlassen können, sagt der Presserat. Trotzdem sollten Journalistinnen und Journalisten vor der Veröffentlichung mitdenken.

Ein aktuelles Beispiel: «blue News» hat eine Agenturmeldung übernommen, korrekt mit der Quellenangabe «SDA» gekennzeichnet und veröffentlicht. In der Meldung hiess es: «Die Zürcher Kantonspolizei hat den Absender der Bombendrohung verhaftet. Es handelt sich um einen 44-jährigen Schweizer.» Das Problem: Die Polizei hat den falschen Mann verhaftet, wie sich kurze Zeit später zeigte. Die Meldung war nicht nur inhaltlich falsch, sie hat auch die Unschuldsvermutung verletzt, urteilt der Presserat. Doch wer ist schuld an dem Fehler? Keystone-SDA oder «blue News»? Die Beschwerde richtete sich gegen Keystone-SDA und der Presserat hat folglich auch die Nachrichtenagentur gerügt. «Blue News» hätte vor dem Veröffentlichen aber mitdenken dürfen. Verhaftet werden dürfen nur Personen, gegen die ein begründeter Tatverdacht besteht. In der Bundesverfassung heisst es klar und einfach: «Jede Person gilt bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig» (Art. 32).

In einem anderen Fall hat das Tessiner Online-Portal «tio.ch» einen kurzen Agenturtext publiziert. In diesem hiess es, laut der Hamas habe Israel 80 Leichen von Palästinensern gestohlen und ihnen die Organe entnommen. Dieser schwerwiegende Vorwurf wurde ohne Überprüfung oder Hinterfragen übernommen. Doch wer hätte das überprüfen müssen? Nach konstanter Praxis des Presserats dürfen Meldungen von professionellen Nachrichtenagenturen ungeprüft übernommen werden. Da sich die Beschwerde nicht gegen die Agentur richtete, hat sich der Presserat in diesem konkreten Fall auch nicht mit einer allfälligen Rüge gegen die Agentur befasst. Da sie nicht Teil des Beschwerdeverfahrens war, konnte die Agentur zur Kritik nicht Stellung nehmen. Und ohne Stellungnahme des kritisierten Medienunternehmens rügt der Presserat nicht – ganz im Sinne des Grundsatzes «Anhören bei schweren Vorwürfen».

In der Verantwortung stehen trotzdem nicht nur die Agenturen, sondern auch die Redaktionen. Es ist eine Kernaufgabe des Journalismus, zu verhindern, dass sich Falschinformationen und Desinformation verbreiten. Solche Meldungen schaden nicht nur der betroffenen Redaktion, sie schaden dem Journalismus als Ganzes. Die Meldung mit den geraubten Organen ist übrigens bei der italienischen Nachrichtenagentur Ansa immer noch zu finden. Die Meldung hat sich aber kaum über den italienischen Sprachraum hinaus verbreitet. Offensichtlich haben einige Journalistinnen und Journalisten richtig reagiert.