Nr. 19/2011
Wahrheitssuche / Trennung von Fakten und Kommentar / Anhörung bei schweren Vorwürfen / Recherchegespräche / Identifizierung

(Truffer Herzig c. «Biel Bienne») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 6. Mai 20

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I. Sachverhalt

A. Unter dem Titel «Spitalzentrum Biel. Der grosse Krach» berichtete Hans-Ueli Aebi in der Ausgabe vom 29./30. September 2010 in der Gratiswochenzeitung «Biel Bienne», entgegen der anderslautenden Behauptung des bernischen Gesundheitsdirektors, Philippe Perrenoud (SP), habe der Konflikt im Spitalzentrum Biel (SZB) «sehr wohl mit der Entlassung von Paul Knecht zu tun».

Ein Gutachten habe «wachsende Spannungen im Verwaltungsrat» und eine «kontinuierliche Abnahme der Vertrauenskultur» festgestellt. Gestützt darauf habe Perrenoud angeordnet, dass die Verwaltungsratspräsidentin Irène Truffer sowie die Verwaltungsräte Andreas Sutter, Michel Vogt und Christoph Zenger «ihren Sitz Ende 2010 räumen». Über Ursachen und Hintergründe schweige die Gesundheitsdirektion. Auch werde das Gutachten nicht veröffentlicht.

Die Spannungen im Verwaltungsrat des SZB hätten jedoch eine lange Geschichte: «2006 initiierte Truffer ein Compensation Committee (CC), bestehend aus ihr selber, Vogt und dem damaligen VR-Mitglied Camille Kuntz. Dieses sollte Honorare für hohe Kader prüfen und neue Verträge ausarbeiten. Im Juni 2008 holte Truffer mit Zenger ausgerechnet jenen Dozenten in den Rat, bei dem sie ihr Nachdiplom erworben hatte. Zenger überwarf sich mit anderen Räten, mischte sich in den Spitalbetrieb ein, massregelte Kader und Mitarbeiter. Das CC entwickelte sich zum Staat im Staat und informierte die übrigen VR-Mitglieder nur unvollständig.» Im Herbst 2008 habe das CC die Entlassung des damaligen Spitaldirektors Paul Knecht eingefädelt. «Dem VR wurden Auszüge aus dem internen Rechnungswesen und ein Gutachten von PricewaterhouseCoopers (PwC) vorgelegt. Diese sollten die Verfehlungen des Spitaldirektors beim Bezug von Honoraren und bei Spesenabrechnungen belegen. Wie Truffer im Mai 2010 vor Gericht einräumen musste, hatte sie alle Bezüge Knechts abgesegnet und das Gutachten wurde in sämtlichen 35 Punkten widerlegt.» Obwohl laut Knecht keinerlei Beweise vorgelegen hätten, habe der «überrumpelte» Verwaltungsrat der Freistellung und späteren fristlosen Entlassung Knechts zugestimmt und «hievte Truffer auf ihren eigenen Antrag auf den Sessel des CEO».

Anfang 2010 hätten sich die Spannungen verschärft. «Im Juni warf Verwaltungsrätin Patricia Sidler das Handtuch. Brisant: Perrenoud war spätestens seit Knechts Entlassung über die Probleme informiert.» Die jüngsten Ausführungen Perrenouds seien «ein genialer Schachzug: Durch die Entflechtung von ‹Spannungen› und der Entlassung Knechts konnte der Gesundheitsdirektor seine Parteikollegin Truffer und die anderen in die Wüste schicken, ohne den Hauptgrund nennen zu müssen. ‹Er wollte Truffer aus der Schusslinie nehmen›, mutmasst ein Insider.»

B. Am 22. Oktober 2010 gelangte die anwaltlich vertretene Irène Truffer Herzig, Biel, mit einer Beschwerde gegen den obengenannten Bericht von «Biel Bienne» an den Presserat und beanstandete eine Verletzung der Ziffern 1 (Wahrheit), 2 (Trennung von Fakten und Kommentar) 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen), 4 (Recherchegespräche) und 7 (Identifizierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

Hans-Ueli Aebi habe Irène Truffer am 27. September 2010, 17.16 Uhr, per E-Mail verschiedene Fragen zu «Vorgängen im VR des SZB» unterbreitet und ihr eine Antwortfrist bis am 28. September 2010, 10.00 Uhr, gesetzt. Obwohl für sie offensichtlich gewesen sei, dass sich der Journalist einzig auf «Behauptungen und Unterstellungen von Herrn Knecht stützte», habe die Beschwerdeführerin die gestellten Fragen nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet. Der tags darauf erschienene Artikel habe die Stellungnahme jedoch praktisch überhaupt nicht berücksichtigt. Und zu zentralen Unterstellungen sei weder Christoph Zenger noch die Beschwerdeführerin angehört worden.

– Entgegen dem Bericht sei das Compensation Committee nicht von Frau Truffer «initiiert», sondern vom Verwaltungsrat eingesetzt worden. Sämtliche Beschlüsse, die gestützt auf Anträge des CC ergingen, habe nachweislich der Verwaltungsrat gefällt. Von einem «Staat im Staat» könne keine Rede sein.

– Christoph Zenger sei als ausgewiesener Dozent und Kenner des Gesundheitsrechts und des Managements im Gesundheitswesen in den Verwaltungsrat gewählt worden. Mit dem Nachdiplom der Beschwerdeführerin habe dies nichts zu tun. Die im Artikel gegen Herrn Zenger erhobenen Vorwürfe entbehrten zudem jeglicher Grundlage.

– Die Analysen der Überstunden- und der Spesensituation durch PwC seien dem Gesamtverwaltungsrat rechtzeitig unterbreitet und von diesem beraten worden. Gestützt darauf habe der Verwaltungsrat einstimmig entschieden, Herrn Knecht fristlos zu entlassen.

– Eine reine Parteibehauptung und Erfindung des entlassenen Spitaldirektors sei schliesslich die Aussage, Truffer hätte im Mai 2010 vor dem Untersuchungsrichter einräumen müssen, sie habe «alle Bezüge Knechts abgesegnet und das Gutachten von PwC» sei «in sämtlichen 35 Punkten widerlegt worden».

C. Am 13. Dezember 2010 reichte die Beschwerdeführerin Kopien der zwischen ihr und Hans-Ueli Aebi im Zeitraum September bis Dezember 2010 geführten E-Mail-Korrespondenz nach.

D. Am 28. Januar 2010 beantragte Hans-Ueli Aebi namens der Redaktion von «Biel Bienne», auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Die Beschwerdeführerin erwecke durch ihr Verhalten den Verdacht, die Presseratsbeschwerde diene anderen Zwecken – «beispielsweise der Sammlung von Beweisen für ein anderes Verfahren».

Der Beschwerdegegner weist die Beschwerde zudem auch in der Sache zurück. Er habe im Verlauf des Jahres 2010 für «Biel Bienne» mehrere Artikel zur Auseinandersetzung am SZB verfasst, deren Hauptfiguren Verwaltungsratspräsidentin Irène Truffer und der entlassene Spitaldirektor Paul Knecht seien. Knecht habe ihm wiederholt Informationen zugespielt. Daneben habe er noch weitere Informanten aus dem Umfeld des SZB. Auch der beanstandete Artikel «Der grosse Krach» basiere auf Informationen von Paul Knecht. Weitere Informationen habe er von der ehemaligen Verwaltungsrätin Patricia Sidler erhalten.

Von den gemäss Darstellung der Beschwerdeführerin am 28. September 2010 an ihn gemailten Antworten auf seine Fragen vom Vortag habe er erst viel später Kenntnis erhalten, erstmals am 10. Dezember 2010. Da die Zeit knapp gewesen sei, habe er am Vormittag des 28. September zweimal bei der Beschwerdeführerin nachgehakt. Deshalb hätte sie bemerken müssen, dass bei der Übermittlung etwas schiefgegangen war. Auf die Anhörung von Herrn Zenger habe er verzichtet, weil er ihn nicht habe erreichen können und davon ausgegangen sei, «dass er die Vorwürfe eh bestreiten würde».

Zu den in der Beschwerde beanstandeten einzelnen Passagen äussert sich Hans-Ueli Aebi wie folgt:

– Laut einem seiner Informanten habe Frau Truffer dem Verwaltungsrat den Antrag gestellt, das Compensation Committee einzusetzen. Der andere Informant könne sich nicht mehr genau erinnern, von wem die Idee stammte.

– Aufgrund welcher Kriterien Herr Zenger in den Verwaltungsrat gewählt wurde, sei ihm nicht bekannt. Jedenfalls sei die Wahl auf Vorschlag von Frau Truffer erfolgt, die zu diesem Zeitpunkt bei Herrn Zenger ihr Nachdiplomstudium absolviert habe.

– Entgegen der Darstellung von Frau Truffer sei die PwC-Analyse dem Verwaltungsrat nicht rechtzeitig, sondern erst am 25. Februar 2009 vorgelegt worden. Also an jener Sitzung, an der die Entlassung beschlossen worden sei. Den Auftrag zur Analyse habe die PwC am 20. Februar 2009 erhalten. Dies habe die Beschwerdeführerin in einer Zivilklage vom 22. November 2010 selber so dargelegt.

– Nicht zutreffend sei schliesslich auch die Bestreitung der Tatsache durch die Beschwerdeführerin, wonach das PwC-Gutachten vor Gericht vollumfänglich widerlegt worden sei. Da die entsprechenden Gerichtsprotokolle wegen des laufenden Verfahrens nicht verwendet werden dürften, könne der Wahrheitsgehalt erst nach Abschluss des Verfahrens überprüft werden.

E. Am 2. Februar 2011 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina.

F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 6. Mai 2011 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Artikel 10 Absatz 2 seines Geschäftsreglements kann der Presserat auch dann auf Beschwerden eintreten, wenn im Zusammenhang mit dem Beschwerdegegenstand bereits ein Gerichtsverfahren eingeleitet worden ist oder ein solches vom Beschwerdeführer noch anhängig gemacht werden soll. Vorauszusetzen ist allerdings, dass sich im konkreten Fall grundlegende berufsethische Fragen stellen. Gestützt auf diese Bestimmung sind Beschwerdeführer verpflichtet, sich in der Beschwerdebegründung darüber zu erklären, ob ein Gerichtsverfahren bereits hängig ist oder ob sie planen, zu einem späteren Zeitpunkt in der gleichen Sache gerichtlich vorzugehen (Artikel 8 Absatz 3 des Geschäftsreglements).

Die Beschwerdeführerin gibt an, bisher weder ein Gerichtsverfahren gegen «Biel Bienne» und/oder den Autor des beanstandeten Berichts eingeleitet zu haben. Zudem führt sie in ihrer Eingabe vom 22. Oktober 2010 aus, es werde «vorderhand» auch nicht beabsichtigt, ein solches einzuleiten. Damit schliesst sie ein späteres gerichtliches Vorgehen zwar nicht aus. Eine entsprechende, konkrete Absicht ist für den Presserat damit jedoch nicht erstellt. Artikel 10 Absatz 2 des Geschäftsreglements fordert keinen ausdrücklichen Verzicht des Beschwerdeführers auf Einleitung eines Gerichtsverfahrens. Der Presserat tritt deshalb auf die Beschwerde ein.

2. a) Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheitspflicht) und die Richtlinie 1.1 zur «Erklärung» stellen die Wahrheitssuche an den Ausgangspunkt der Recherche. «Sie setzt die Beachtung verfügbarer und zugänglicher Daten, die Achtung der Integrität von Dokumenten (Text, Ton und Bild), die Überprüfung und die allfällige Berichtigung voraus.» Aus der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» ist gemäss ständiger Praxis des Presserats zwar keine Verpflichtung zu «objektiver» Berichterstattung abzuleiten. Auch parteiergreifender Journalismus ist berufsethisch zulässig. Entschliesst sich ein Medium in einer kontroversen öffentlichen Auseinandersetzung dazu, vor allem der Sichtweise einer der Parteien Raum zu geben, bleibt es nur glaubwürdig, wenn es die Fakten sorgfältig und möglichst umfassend recherchiert.

b) Hans-Ueli Aebi räumt in der Beschwerdeantwort ein, dass er sich bei seiner Recherche für den beanstandeten Bericht zu weiten Teilen auf Informationen abgestützt hat, die ihm von Paul Knecht, dem ehemaligen SZB-Direktor, zugespielt wurden, mithin dem wichtigsten Gegenspieler der Beschwerdeführerin in der öffentlichen Kontroverse um die Entlassung Knechts und der seitherigen Entwicklung in und um das Spitalzentrum Biel. Zwar macht Aebi geltend, er habe sich bei seinen Recherchen auch noch auf weitere Quellen abgestützt. Konkret erwähnt er dazu allerdings einzig das ehemalige Verwaltungsratsmitglied Patricia Sidler, welches – wenn man einem im Januar 2011 vom «Bieler Tagblatt» veröffentlichten Untersuchungsbericht (Bericht Bélaz) Glauben schenken will, innerhalb des SZB-Verwaltungsrats jener Fraktion angehörte, die der Verwaltungsratspräsidentin Truffer kritisch gegenüberstand. Umso wichtiger war es unter diesen Umständen, auch die Sichtweise der von Knecht hauptsächlich kritisierten Beschwerdeführerin sowie von Verwaltungsrat Christoph Zenger in die Wahrheitssuche einzubeziehen.

3. a) Für den Presserat steht deshalb die von der Beschwerdeführerin gerügte Verletzung der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» (Anhörungspflicht) im Zentrum ihrer Beschwerde. Danach sind Journalistinnen und Journalisten verpflichtet, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe zu befragen und deren Stellungnahme im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben.

b) Mehr als kritisch erscheint unter diesem Gesichtspunkt zunächst der sehr späte Zeitpunkt der Kontaktnahme von «Biel Bienne» mit der Beschwerdeführerin. In der Stellungnahme 51/2002 entschied der Presserat im Fall einer Sonntagszeitung, die Kontaktnahme am Freitag genüge gerade noch knapp. Er warnte aber, die Anhörung dürfe nicht zu einer formellen Handlung verkommen. «Wenn Medien immer bis in letzter Minute zuwarten, um eine Stellungnahme zu schweren Vorwürfen einzuholen, vermindern sie die Chancen einer fairen Anhörung.»

Hans-Ueli Aebi sandte seine E-Mail mit den umfangreichen Vorwürfen Knechts am Donnerstag um 17.16 Uhr per E-Mail an die Beschwerdeführerin mit der Aufforderung, dazu bis spätestens am Freitag, 10.00 Uhr, Stellung zu nehmen. Bei dieser kurzen Frist durfte sich der Journalist nicht darauf verlassen, dass die Beschwerdeführerin in der Lage sein würde, ihre Stellungnahme rechtzeitig abzugeben. Ebenso wenig durfte er sich unter den gegebenen Umständen darauf verlassen, dass seine beiden Erinnerungsmails von Freitag um 10 und 12 Uhr rechtzeitig zur Kenntnis genommen würden. Vielmehr wäre es ihm unter den gegebenen Umständen möglich und zumutbar gewesen, die Beschwerdeführerin zusätzlich auch telefonisch über die kurzfristige Anfrage zu informieren beziehungsweise telefonisch nachzuhaken, als die erwartete Antwort nicht bei ihm eintraf.

c) Zudem wäre der Journalist gestützt auf die Richtlinie 3.8 zumindest verpflichtet gewesen, im Artikel anzumerken, dass bis zum Redaktionsschluss keine Stellungnahme der Beschwerdeführerin zu den ihr unterbreiteten Vorwürfen eingegangen sei.

d) Weiter stellt der Presserat fest, dass die E-Mail des Journalisten an die Beschwerdeführerin eine Reihe der im Artikel gegenüber ihr erhobenen Kritikpunkte nicht erwähnt. So beispielsweise die im Kontext mit den weiteren Ausführungen den Anschein von «Filz» andeutende Behauptung, die Beschwerdeführerin habe mit Zenger «ausgerechnet» jenen Dozenten in den Verwaltungsrat geholt, bei dem sie ihr Nachdiplom erworben habe. Zur Stellungnahme unterbreiten müssen hätte Aebi vor allem aber die weiteren Behauptungen, Truffer habe im Mai 2010 vor Gericht einräumen müssen, sie habe alle Bezüge Knechts abgesegnet und das die Grundlage der Entlassung bildende PwC-Gutachten sei in sämtlichen Punkten widerlegt worden sowie dass sie sich auf ihren eigenen Antrag in den «Sessel des CEO» gehievt habe.

e) Neben der Beschwerdeführerin hätte «Biel Bienne» schliesslich auch Verwaltungsrat Zenger anhören müssen, dem der Artikel immerhin vorwirft, er habe sich mit den anderen Verwaltungsräten überworfen, habe Kader und Mitarbeiter gemassregelt und sei mithin zusammen mit der Beschwerdeführerin mitverantwortlich am ganzen «Debakel».

4. Soweit die Beschwerdeführerin darüber hinaus einzelne im beanstandeten Bericht enthaltene Behauptungen als wahrheitswidrig rügt, sieht sich der Presserat gestützt auf die ihm eingereichten Unterlagen nicht in der Lage, zu beurteilen, welche der sich widersprechenden Parteidarstellungen der Wahrheit entsprechen.

– Die Frage, ob die Beschwerdeführerin das Compensation Committee initiierte, oder ob dieses vom Verwaltungsrat eingesetzt wurde, erscheint zudem nicht genügend relevant, um daraus gegebenenfalls eine Verletzung der Wahrheitspflicht abzuleiten.

– Bei der Wahl von Christoph Zenger in den Verwaltungsrat schliessen sich die Parteidarstellungen zudem nicht gänzlich aus. Weder bestreitet die Beschwerdeführerin, dass sie ein Nachdiplom bei Zenger absolviert hat, noch behauptet «Biel Bienne» ausdrücklich, dass für die Wahl allein die persönliche Beziehung und nicht die fachliche Qualifikation entscheidend war.

– Bezüglich des Zeitpunkts, zu dem das umstrittene PwC-Gutachten dem Verwaltungsrat vorgelegt worden sein soll, steht Aussage gegen Aussage. Laut Darstellung von «Biel Bienne» beziehungsweise dessen Informanten Knecht geschah dies erst an der Verwaltungsratssitzung vom 25. Februar 2010, laut der diese Behauptung bestreitenden Darstellung der Beschwerdeführerin «rechtzeitig», mithin also zu einem früheren Zeitpunkt.

– Nicht belegt ist schliesslich auch die Behauptung von «Biel Bienne», Truffer habe im Mai 2010 vor dem Untersuchungsrichter einräumen müssen, sie habe «alle Bezüge Knechts abgesegnet und das Gutachten von PwC» sei «in sämtlichen 35 Punkten widerlegt worden». Da aber auch bei diesem Punkt letztlich Aussage gegen Aussage steht, muss der Presserat die Frage einer allfälligen Verletzung der Wahrheitspflicht ebenfalls offen lassen.

5. Die Richtlinie 2.3 zur «Erklärung» verlangt von den Journalistinnen und Journalisten, darauf zu achten, dass das Publikum zwischen Fakten und kommentierenden, kritisierenden Einschätzungen unterscheiden kann. Die Beschwerdeführerin rügt dazu, die Einschätzungen Aebis, die Einsetzung des Compensation Committee und dessen Gebaren seien selbstherrlich gewesen, sämtliche Bezüge Knechts seien durch Truffer abgesegnet und das PwC-Gutachten sei widerlegt worden, würden fälschlicherweise als Fakten dargestellt.

Für den Presserat ist dazu zu unterscheiden: Der Satz «Das CC entwickelte sich zum Staat im Staat» ist als wertende Einschätzung erkennbar. Bei den weiteren Punkten – Absegnung der Bezüge und PwC-Gutachten – handelt es sich nicht um Wertungen, sondern um (umstrittene) Faktenbehauptungen. Eine Verletzung der Ziffer 2 der «Erklärung» (Trennung von Fakten und Kommentar) ist deshalb zu verneinen.

6. Soweit sich die Beschwerde schliesslich auf die Ziffer 7 der «Erklärung» bezieht, liegt ihr ein Missverständnis zugrunde. Ziffer 7 lautet: «Sie respektieren die Privatsphäre der einzelnen Person, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Sie unterlassen anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen.» Die konkretisierende Richtlinie 7.2 zur «Erklärung» (Identifizierung) verlangt eine sorgfältige Interessenabwägung und nennt eine Reihe von Fällen, in denen eine Namensnennung und/oder identifizierende Berichterstattung zulässig ist. «Überwiegt das Interesse am Schutz der Privatsphäre das Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Berichterstattung, veröffentlichen Journalistinnen und Journalisten weder Namen noch andere Angaben, welche die Identifikation einer Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld des Betroffenen gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden.»

Der Presserat hat in der Stellungnahme 25/2005 festgehalten, dass – selbst wenn eine identifizierende Berichterstattung im Einzelfall gestützt auf diese Regeln gerechtfertigt ist, sich aus dieser Bestimmung keine berufsethische Pflicht zur Namensnennung ableiten lässt. Soweit die Beschwerdeführerin postuliert, «Biel Bienne» wäre gestützt auf Ziffer 7 der «Erklärung» (Identifizierung) verpflichtet gewesen, seinen Hauptinformanten Paul Knecht im Bericht namentlich zu nennen, ist die Beschwerde deshalb abzuweisen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. «Biel Bienne» hat mit der Veröffentlichung des Berichts «Spitalzentrum Biel. Der grosse Krach» vom 29./30. September 2010 die Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Anhörung bei schweren Vorwürfen) verletzt.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.

4. «Biel Bienne» hat die Ziffern 1 (Wahrheit), 2 (Trennung von Fakten und Kommentar), 4 (Recherchegespräche) und 7 (Identifizierung) der «Erklärung» nicht verletzt.