I. Sachverhalt
A. Am 25. November 2007 veröffentlichte Markus Schär in der «SonntagsZeitung» den Artikel «Die Justiz im Nacken». Der Untertitel lautete: «Das Bundesgericht ändert seine Praxis bei der Beurteilung von Schleudertrauma-Patienten». Das Bundesgericht habe – von der Öffentlichkeit unbemerkt – seine Praxis zum Schleudertrauma angepasst, «dem bedeutendsten, aber auch umstrittensten Unfallschaden». Das Bundesgericht sei offensichtlich in den letzten Monaten zum Schluss gekommen, ein Schleudertrauma führe im Normalfall nicht zu andauernden, kaum behebbaren Schäden.
Allerdings habe das Bundesgericht mit einem Fehlurteil im Jahr 1991 die Prozesslawine mit Schleudertraumafällen selber ausgelöst. Die Anerkennung von medizinisch nicht erklärbaren Beschwerden habe zu einer Explosion der IV-Renten geführt. «Denn da es bei den Haftpflichtversicherern Millionen zu holen gab, entstand eine Industrie von Anwälten, Ärzten und Beratern, die – mit den Medien vernetzt – die publizistische Lufthoheit errang. 1991, gleich nach dem Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts, fand sich der Schleudertraumaverband zusammen, der heute 3000 Mitglieder zählt. 1994 folgte die Rechtsberatungsstelle UP, für die inzwischen 50 Rechtsanwälte in der Deutschschweiz arbeiten. Auf das Vertreten von Opfern aller Art verlegten sich ganze Teams, darunter als prominentestes die Zürcher Kanzlei von René Schuhmacher, der daneben über ein Medienimperium mit ‹Saldo›, ‹K-Tipp› und ‹Gesundheitstipp› gebietet und beste Beziehungen zum ‹Kassensturz› pflegt. Sie alle bekamen immer wieder viel Publizität für ihre Fälle.»
B. Am 17. Dezember 2007 gelangte René Schuhmacher, Zürich mit einer Beschwerde gegen den obengenannten Medienbericht an den Presserat. Er führte darin die Verletzung folgender Bestimmungen der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» an: Wahrheitssuche (Ziffer 1), Entstellung von Tatsachen, Anhörung bei schweren Vorwürfen (Ziffer 3) sowie anonyme und sachlich ungerechtfertigte Anschuldigungen (Ziffer 7). Der Autor des Berichts unterstelle ihm fälschlicherweise, er habe sich auf das Vertreten von Opfern, insbesondere von Schleudertraumaopfern spezialisiert; er sei irgendwie mit dem Schleudertraumaverband und der Rechtsberatungsstelle UP liiert; er würde Haftpflichtfällen, die durch Anwälte in seinem Büro bearbeitet werden, «viel Publizität» zukommen lassen und mit diesem Mediendruck könne man Versicherungen zur Zahlung von Millionen bringen, ohne dass die Opfer erkennbare Verletzungen hätten. Mit anderen Worten werfe man ihm sozial missbilligtes Verhalten und rechtsstaatlich bedenkliches Handeln vor. Markus Schär habe – nicht zum ersten Mal – vor der Publikation nie mit ihm gesprochen und ihm die kolportierten Unterstellungen nie zur Stellungnahme unterbreitet.
C. Am 1. Februar 2008 beantragte die durch den Rechtsdienst Tamedia vertretene Redaktion der «SonntagsZeitung», die Beschwerde sei abzuweisen. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Vorwürfe seien im beanstandeten Medienbericht gar nicht erhoben worden. Nicht der Beschwerdeführer selber, sondern dessen Anwaltsbüro werde als Kanzlei bezeichnet, die sich auf das Vertreten von Opfern verlegt. Dies sei beispielsweise durch die Website www.advoteam.ch hinreichend belegt. Darüber hinaus habe die «SonntagsZeitung» weder behauptet, René Schumacher sei mit dem Schleudertraumaverband und der Rechtsberatungsstelle UP liiert, noch, er habe den von ihm geführten Haftpflichtfällen viel Publizität zukommen lassen. Weiter sei er weder in ein schiefes Licht gestellt noch sei sein berufliches und gesellschaftliches Ansehen geschmälert worden. Er werde lediglich als Teil eines Mechanismus erwähnt, der im Artikel kritisch hinterfragt wurde. Mit keinem Wort und auch nicht zwischen den Zeilen wurde ihm und seinen Partnern vorgeworfen, sie würden zu Unrecht Haftpflichtleistungen in Millionenhöhe für ihre Mandanten geltend machen.
D. Das Präsidium des Presserates vereinigte die Beschwerde und übertrug sie zur Behandlung an die 1. Kammer. Diese setzt sich zusammen aus Edy Salmina (Kammerpräsident), Luisa Ghiringhelli Mazza, Pia Horlacher, Dr. Philip Kübler, Klaus Lange, Sonja Schmidmeister und Francesca Snider (Mitglieder).
E. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 28. Februar 2008 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Die Beschwerde erhebt zwei Hauptvorwürfe: Zum einen den Vorwurf falscher Tatsachendarstellungen (Ziffern 1, 3 und 7 der «Erklärung»; nachfolgend Erwägung 2), zum andern die Unterlassung der Anhörung bei schweren Vorwürfen (Ziffer 3 der «Erklärung»; nachfolgend Erwägung 3).
2. a) René Schuhmacher sieht eine wahrheitswidrige, Tatsachen entstellende, sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigung in der Unterstellung, er sei ein mit der Rechtsberatungstelle UP und dem Schleudertraumaverband liierter Opferanwalt und missbrauche seine weitere Funktion als Zeitschriftenverleger, um den Haftpflichtfällen seines Büros viel Publizität zukommen zu lassen. Mit diesem Mediendruck könnten sie Versicherungen zur Zahlung von Millionen bringen, ohne dass die Opfer erkennbare Verletzungen hätten.
b) Vorab ist zu prüfen, ob der beanstandete Medienbericht diese Unterstellungen – was die «SonntagsZeitung» bestreitet – überhaupt enthält. Die entsprechende Passage lautet: «Auf das Vertreten von Opfern aller Art verlegten sich ganze Teams, darunter als prominentestes die Zürcher Kanzlei von René Schuhmacher, der daneben über ein Medienimperium mit ‹Saldo›, ‹K-Tipp› und ‹Gesundheitstipp› gebietet und beste Beziehungen zum ‹Kassensturz› pflegt. Sie alle bekamen immer wieder viel Publizität für ihre Fälle.»
c) Wie wird diese Passage von einem unvoreingenommenen Leser verstanden? In erster Linie wohl so: Das Zürcher Anwaltsbüro advoteam.ch, eine Kanzleigemeinschaft von vier selbstständigen Anwälten gehört zu den erwähnten «Teams», die sich auf die Vertretung von Unfallopfern spezialisiert haben. Der Blick auf die Website des Büros, auf die sich die «SonntagsZeitung» in ihrer Beschwerdeantwort beruft, lässt diese Beschreibung zumindest als unpräzis erscheinen. Denn soweit ersichtlich vertritt lediglich einer der vier Partner schwergewichtig Unfallopfer. Gerade um dieses Thema ging es aber beim beanstandeten «Sonntags-Zeitungs»-Artikel. Bei René Schuhmacher lässt sich hingegen allein wegen der Angabe «Haftpflichtrecht» als Tätigkeitsgebiet noch nicht ableiten, dass er auf diesen Bereich spezialisiert wäre. Trotz dieser Unschärfe war es berufsethisch zulässig, die Tätigkeit des Anwaltsbüros des Beschwerdeführers journalistisch verkürzt als «Vertretung von Opfern aller Art» zusammenzufassen.
d) Weiter entnimmt die Leserschaft der Passage die (unbestrittene) Information, dass René Schuhmacher neben seiner Anwaltstätigkeit die Zeitschriften «Saldo», «K-Tipp» und «Gesundheitstipp» verlegt. Mehrdeutig ist dann allerdings der nachfolgende Satz («Sie alle bekamen immer wieder viel Publizität für ihre Fälle»). Was ist hier mit «Sie alle» und was ist mit «Publizität» gemeint? Wird mit «Sie alle» die Gesamtheit der auf die Vertretung von Unfallopfern spezialisierten Anwälte bzw. die Vertrauensanwälte des Schleudertraumaverbandes angesprochen oder sind in erster Linie die Kanzleipartner des Beschwerdeführers gemeint? Und erhielten Fälle von Schleudertraumaopfern generell viel Publizität oder vor allem in den Publikationen des Beschwerdeführers? Für sich allein genommen wäre auch dieser Satz trotz seiner Mehrdeutigkeit berufsethisch kaum problematisch. Aufgrund des Gesamtkontexts des Artikels, der die im Vergleich zum Ausland überhöhten Versicherungskosten der Unfälle mit Schleudertraumata und die Ausnützung eines «Fehlurteils» des Bundesgerichts durch eine mit de
n Medien vernetzte «Industrie aus Anwälten, Ärzten und Beratern» anprangerte, konnte die Leserschaft jedoch einen falschen Eindruck über die Tätigkeiten des Beschwerdeführers erhalten. Nämlich, dieser missbrauche seine publizistische Macht zu Gunsten seiner anwaltlichen Vertretung von Schleudertraumapatienten. Die Entstehung dieses nicht belegten und von der «SonntagsZeitung» gemäss ihrer Darstellung auch nicht beabsichtigten Eindrucks erscheint um so wahrscheinlicher, als die Namensnennung des Beschwerdeführers isoliert erfolgte und dieser erst recht als pars pro toto des Missbrauchs erscheint. Insoweit erachtet der Presserat die Ziffern 1, 3 und 7 der «Erklärung» deshalb als verletzt.
3. Der bei der Leserschaft aufgrund des beanstandeten Berichts entstehende Eindruck, René Schuhmacher missbrauche seine publizistische Stellung zu Gunsten der von ihm und seinen Bürokollegen vertretenen Mandate, ist nicht nur ungenügend belegt. Er wiegt auch schwer. Deshalb hätte der Beschwerdeführer vor der Publikation im Sinne der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» (Anhörung bei schweren Vorwürfen) zwingend dazu angehört und seine Stellungnahme im Bericht zumindest kurz wiedergegeben werden müssen.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2. Die «Sonntagszeitung» hat mit dem Artikel «Die Justiz im Nacken» die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Entstellung von Tatsachen) und 7 (sachlich ungerechtfertigte Anschuldigungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» insoweit verletzt, als bei der Leserschaft der falsche Eindruck entstehen konnte, René Schuhmacher missbrauche seine publizistischen Mittel zu Gunsten seiner Anwaltstätigkeit.
3. Der Vorwurf des Missbrauchs des publizistischen Stellung wiegt schwer, deshalb hätte René Schuhmacher vor der Publikation des Artikels zwingend angehört und seine Stellungnahme im Medienbericht zumindest kurz wiedergegeben werden müssen (Ziffer 3 der «Erklärung»).