I. Sachverhalt
A. Am 15. September 2006 veröffentlichte die «Aargauer Zeitung» in der Regionalausgabe für das Freiamt einen Artikel von Hans Rechsteiner über eine Strafanzeige gegen den SVP-Nationalrat Lieni Füglistaller und die SVP, welche mit ihren Plakaten den Strassenraum missbrauche. Der Bericht wurde bereits auf der Titelseite der Regionalausgabe gross angekündigt. Unter dem Bild eines SVP-Abstimmungsplakates zum Asyl- und Ausländergesetz («Missbrauch stoppen. Asyl- und Ausländergesetz 2x Ja») war folgende Überschrift zu lesen: «Plakat-Missbrauch bekämpfen. Rudolfstetten – Klage gegen Lieni Füglistaller und die SVP».
Der gestützt auf umfangreiche Unterlagen des Strafanzeigers verfasste Bericht auf Seite 7 («Lieni Füglistaller angezeigt. Rudolfstetten. Die SVP will Missbrauch stoppen, missbraucht aber die Strassenräume, sagt eine Anklage.») fasst den Sachverhalt zusammen. Der Informant habe als Privatmann bei der Kantonspolizei Bremgarten Anzeige gegen Füglistaller und die SVP eingereicht, da vor allem die Abstimmungsplakate dieser Partei zu nahe an der Strasse stünden. Füglistaller sei von der Gemeinde schon mehrmals verwarnt worden, unternehme aber nichts. Er versuche, die Sache auszusitzen. Nicht nur im Rudolfstetter Zelgrank, sondern auch in der Zufiker Belvedère-Kurve seien Plakate aufgestellt worden. Nachdem der Anzeiger bei der Gemeinde reklamierte, habe die Gemeinde die Vorgabe des Kantons an alle Parteien verschickt. Der SP-Ständer sei entfernt worden, die SVP habe nicht reagiert. Sofern man ihn für die Widerhandlung gegen die Plakatierungsvorschriften haftbar machen könne, habe Füglistaller mit einer Busse zu rechnen. «Beugehaft wird es keine geben».
In einem beigefügten Textkasten wurden zudem die kantonalen Plakatierungsvorschriften zusammengefasst. Im Wesentlichen gelte, dass die Reklame höchstens 3,5 Quadratmeter betragen dürfe. «Der Abstand zur Kantonsstrasse muss mindestens 3 Meter betragen. Plakate dürfen nur innerorts angebracht werden und weder sicht- noch verkehrsbehindernd sein.» Zudem wurde auf die Webseite www.ag.ch hingewiesen, wo die detaillierten Vorschriften des kantonalen Baudepartements zu finden seien.
B. Mit E-Mail vom 25. September 2007 wies der Informant die «Aargauer Zeitung» darauf hin, es sei schade, dass der Artikel den wichtigsten Punkt seiner Anzeige – den viel zu grossen Abstand der Plakate von der Ausserortstafel – nicht erwähnt habe. In einem Fall betrage dieser 600 Meter, in einem anderen Fall 145 Meter statt der maximal tolerierten 100 Meter. So hätten diverse Leute den falschen Eindruck erhalten, bei den Plakatverstössen gehe es bloss um einige wenige Zentimeter. «Das ist schade, aber ich bin ihnen für Ihren Artikel trotzdem sehr dankbar.» Zudem sei er von einem Dritten darüber informiert worden, dass sich Hans Rechsteiner mit Nationalrat Füglistaller regelmässig zum Jassen treffe. Dies sei zwar sein gutes Recht. Er hoffe aber, dass er zwischen seiner journalistischen Tätigkeit und Privatem unterscheiden könne.
C. In seiner E-Mail-Antwort vom 11. Oktober 2007 bestritt Hans Rechsteiner, je mit Füglistaller gejasst zu haben. Er selber jasse nicht. Hingegen kenne er Lieni Füglistaller seit 25 Jahren, habe aber ausschliesslich beruflich mit ihm zu tun gehabt. Vor einer weiteren Berichterstattung warte er nun vorerst auf die Anklage bzw. die Gerichtsverhandlung ab.
D. Am 28. Dezember 2006 kam Hans Rechsteiner wiederum in der Regionalausgabe der «Aargauer Zeitung» für das Freiamt im Rahmen eines launigen Jahresrückblicks kurz auf die Angelegenheit zurück: «Nationalrat Lieni Füglistaller ist eingeklagt wegen Abstimmungsplakaten, die zu nahe an den Strassenrändern standen (…) Polizei und Bezirksamt tun sich schwer mit der Anklage, die ja nur den teuren Amtsschimmel unnötig wiehern lässt. Füglistaller jedenfalls hatte zur Tatzeit die Achsel im Gips, kann es also kaum gewesen sein. Übrigens: Die Plakate standen 234 Zentimeter weg vom Strassenrand statt 300.»
E. In einer erneut umfangreichen E-Mail an Redaktor Hans Rechsteiner vom 2. Januar 2007 beschwerte sich der Anzeigeerstatter daraufhin darüber, dass seine Anzeige wegen Verletzung eines Offizialdelikts als «unnötig» qualifiziert werde. In seiner Antwort vom 3. Januar 2007 räumte Hans Rechsteiner ein, «unnötig» sei vielleicht etwas überspitzt formuliert. Mit E-Mail vom gleichen Tag lehnte der Anzeigeerstatter den ihm von der «Aargauer Zeitung» offerierten Abdruck eines kurzen Leserbriefs mit der Begründung ab, die volle Wahrheit zu nennen übersteige die Kapazität und die Möglichkeiten eines Leserbriefes. Stattdessen sandte er der «Aargauer Zeitung» am folgenden Tag einen umfangreichen Artikel samt Illustrationen und Layoutvorschlag zum Abdruck zu.
F. Am 26. Mai 2007 berichtete die «Aargauer Zeitung» in der Regionalausgabe für das Freiamt schliesslich, das Strafverfahren gegen Lieni Füglistaller und Co. sei eingestellt worden. Der Anzeigeerstatter wolle vor Obergericht gehen. Der Staatsanwalt habe das Verfahren mit der Begründung einstellt, «dass durch den jahrelangen Wildwuchs bei der Plakatierung das entsprechende Unrechtsbewusstsein bei Behörden und Bevölkerung weitgehend verloren gegangen sei» und «wegen geringer Schuld- und Tatfolgen». Dies verbunden mit dem Aufruf an die Behörden, künftig keine Widerhandlungen mehr zu dulden.
G. Am 5. Juni 2007 gelangte X., Strafanzeigeerstatter und Informant von Hans Rechsteiner, mit einer Beschwerde gegen die «Aargauer Zeitung» an den Presserat. Im ersten Bericht vom 15. September 2006 sei der zentrale Punkt seiner Strafanzeige nicht genannt worden. Insgesamt vier Mal habe der Bericht erwähnt, die Plakate seien zu nahe an der Strasse gestanden. Hingegen habe die «Aargauer Zeitung» unterschlagen, dass sich Plakate auch in der Verbotszone ausserorts befanden. Im Jahresrückblick vom 28. Dezember 2006 habe Hans Rechsteiner mit unfairen Seitenhieben sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen erhoben und zudem erneut ausgeblendet, dass die umstrittenen Plakate weit ausserhalb der Toleranzzone lagen. Auch im dritten Bericht vom 26. Mai 2007 habe die «Aargauer Zeitung» die gegen Nationalrat Füglistaller erhobenen Vorwürfe heruntergespielt und ihn als anonymen Anzeiger mehrfach verunglimpft und lächerlich gemacht. Mit ihrer Berichterstattung habe die «Aargauer Zeitung» gegen die Ziffer 1 (Wahrheit), 3 (Unterschlagung von wichtigen Informationen), 5 (Berichtigung) und 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen. Über diese behaupteten Verstösse hinaus sei durch den Presserat auch abzuklären, weshalb die «Aargauer Zeitung» immer einseitig zu Gunsten von Nationalrat Füglistaller berichtet habe und weshalb sie nicht bereit gewesen sei, einen Berichtigungs- oder Zusatzartikel zu dulden.
H. Am 4. Juli 2007 wies die «Aargauer Zeitung» die Beschwerde als unbegründet zurück. Der Beschwerdeführer habe mit einem Bombardement von E-Mails und Mitteilungen versucht, den Lokalredaktor Hans Rechsteiner für seinen Kampf zu instrumentalisieren. In der Sache selber würden die innerorts angebrachten Plakate die Öffentlichkeit mehr interessieren, da es hier nicht nur um Wahl- und Abstimmungsplakate, sondern auch um Werbung für lokale Anlässe usw. gehe. Die Ausserorts-Problematik habe man deshalb auch im Folgenden als zweitrangig erachtet. Zu Nationalrat Füglistaller habe Hans Rechsteiner kein besonderes Verhältnis, das über berufliche Kontakte zwischen einem Lokaljournalisten und einem Lokalpolitiker hinausgehe.
I. Das Präsidium des Presserats wies die Beschwerde der 1. Kammer zu, der Peter Studer (Kammerpräsident), Luisa Ghiringhelli Mazza, Pia Horlacher, Kathrin Lüthi, Philip Kübler, Edy Salmina und Francesca Snider (Mitglieder) angehören.
J. Die 1. Kammer behandelte d
ie Beschwerde an ihrer Sitzung vom 15. November 2007 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. a) Der Beschwerdeführer beanstandet vorab, die «Aargauer Zeitung» habe im Artikel vom 15. September 2006 unterschlagen, dass er seine Strafanzeige nicht bloss wegen der relativ geringfügigen Unterschreitung des Strassenabstandes der beanstandeten Plakate, sondern vor allem deshalb einreichte, weil verschiedene Plakate verbotenerweise ausserorts massiv ausserhalb der Toleranzgrenze von 100 Metern aufgestellt waren. Mit dieser wahrheitswidrigen Berichterstattung habe die Zeitung wichtige Informationen unterschlagen und damit die Ziffern 1 und 3 der «Erklärung» verletzt.
b) Der Presserat hat diese Beanstandung eingehend und kontrovers diskutiert, ist dabei aber letztlich zum Schluss gekommen, dass eine Verletzung der «Erklärung» zu verneinen ist. Nach Prüfung des der Berichterstattung der «Aargauer Zeitung» zugrunde liegenden Sachverhalts erscheint der Ärger des Beschwerdeführers über die Ausklammerung der Ausserorts-Problematik zwar ein Stück weit nachvollziehbar. Die vom Journalisten dafür vorgebrachte Begründung, das öffentliche Interesse beschränke sich in erster Linie auf die innerorts angebrachten Plakate, weil es hier nicht nur um Wahlplakate, sondern auch um Veranstaltungshinweise gehe, vermag nicht so recht zu überzeugen. Zumal die drei Berichte gerade nicht darauf hinweisen, dass innerorts plakatierende Veranstalter vom laufenden Strafverfahren ebenfalls indirekt betroffen sein könnten.. Zudem schimmert in den Berichten bei an sich unvoreingenommener und insgesamt korrekter Berichterstattung hie und da durch, dass der Autor die Problematik nicht als allzu weltbewegend erachtet.
c) Enthielt die etwas eigenwillige Auswahl und Gewichtung der zu wesentlichen Teilen vom Beschwerdeführer stammenden Informationen aber Fakten vor, die für das Verständnis der Leserschaft unabdingbar gewesen wären? Der Artikel vom 15. September 2006 informiert die Leserinnen und Leser darüber, dass ein Privatmann mit einer Strafanzeige der allgemeinen Verwilderung des Plakatierens an öffentlichen Strassen den Riegel schieben will. Dies weil insbesondere die SVP und deren lokaler Nationalrat Füglistaller wiederholt und beharrlich die dafür geltenden Regeln missachten würden. Diese Regeln werden in einem separaten Kasten zusammengefasst wiedergegeben. Erwähnt wird insbesondere auch, dass das Plakatieren ausserorts grundsätzlich verboten ist. Ebenso werden mit dem Rudolfstetter Zelgrank und der Zufiker Belvedère-Kurve zwei Tatorte ausdrücklich genannt, so dass sich Ortskundige ein grobes Bild machen können.
d) Ein wesentlicher Teil der journalistischen Tätigkeit besteht darin, die vorhandenen Informationen zu bearbeiten und in eine verständliche Form zu bringen. Dieser journalistische Prozess ist zwangsläufig mit einer Beschränkung auf den Sachverhaltskern und der Weglassung von Details verbunden. Diese Auswahl der zu veröffentlichenden Informationen steht grundsätzlich im freien journalistischen Ermessen. Es ist nicht Aufgabe des Presserates, sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der Redaktionen zu stellen (vgl. bereits die Stellungnahme 1/1992 und zuletzt die Stellungnahme 24/2006).
Dem Beschwerdeführer fehlen im Bericht vom 15. September 2006 – verständlicherweise – genaue Präzisierungen zu den einzelnen Plakatierungsregeln (insbesondere ausserorts). Das heisst aber noch nicht, dass die «Aargauer Zeitung» allein schon deshalb wahrheitswidrig berichtet oder wichtige Informationen unterschlagen hätte. Es war berufsethisch zulässig, sich bei der journalistischen Vermittlung der Auseinandersetzung zur Hauptsache auf die wichtigsten Stichworte Strafanzeige, Missachtung von Plakatierungsregeln und SVP/Füglistaller zu konzentrieren und so die Auseinandersetzung auf den zur Verfügung stehenden journalistischem Raum zu kondensieren. Der beschränkte publizistische Raum in Zeitungen und anderen Medien lässt es kaum je zu, Details in der vom Beschwerdeführer gewünschten Tiefe zu erörtern. Zumal selbst Spezialisten – Gemeindebehörden, Juristen, Polizisten, Bezirksämter – bei derartigen Fragestellungen häufig nicht so rasch den Durchblick haben. Entscheidend war für den Presserat schliesslich auch, dass der Gesamteindruck des Berichts durch die Weglassung nicht verfälscht worden ist.
2. Diese Beurteilung gilt auch für die beiden weiteren Berichte vom 28. Dezember 2006 und 26. Juni 2007. In seinem kommentierenden Jahresrückblick 2006 bewertete Hans Rechsteiner, die Einreichung einer Strafanzeige wegen Verletzung von Plakatierungsvorschriften als übertrieben. Diese Wertung bewegt sich ungeachtet davon innerhalb der Kommentarfreiheit, ob nun eine Verletzung von Plakatierungsvorschriften innerorts oder ausserorts zur Diskussion stand. Ebenso war es beim Bericht über die Verfahrenseinstellung erneut vertretbar, das Schwergewicht auf die Einstellung als solche, deren Begründung durch die Staatsanwaltschaft sowie den angekündigten Weiterzug durch den Anzeigeerstatter zu legen.
3. Ist eine Verletzung der Wahrheitspflicht und die Unterschlagung wichtiger Informationen zu verneinen, war die «Aargauer Zeitung» auch nicht verpflichtet, Einzelheiten der Berichte im Sinne von Ziffer 5 der «Erklärung» nachträglich zu berichtigen. Ebenso wenig hatte der Beschwerdeführer Anspruch darauf, dass die Zeitung einen von X. ausformulierten Artikel einschliesslich Illustrationen und mit dem vorgeschlagenen Layout veröffentliche. Immerhin bot Hans Rechsteiner X. anfang 2007 die Veröffentlichung eines kurzen Leserbriefs an. Darin wäre es in gebotener Kürze ohne weiteres möglich gewesen, auf die Ausserorts-Problematik hin- und den Vorwurf eines unnötigen Verfahrens zurückzuweisen.
4. Unbegründet ist nach Auffassung des Presserates schliesslich auch die gerügte Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung». Der berufsethische Kodex auferlegt den Journalistinnen und Journalisten gemäss ständiger Praxis des Presserates keine Pflicht zu objektiver Berichterstattung. Vielmehr ist berufsethisch auch eine einseitige parteiergreifende Berichterstattung zulässig (vgl. zuletzt die Stellungnahme 54/2007). Der Beschwerdeführer bewertet die drei Berichte der «Aargauer Zeitung» als einseitig, den SVP-Nationalrat Füglistaller schonend. Selbst dann ist daraus keine Verletzung der «Erklärung» abzuleiten.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers vermag der Presserat aber auch keine sachlich nicht gerechtfertigten Anschuldigungen zu erkennen. Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass die Berichterstattung der «Aargauer Zeitung» auf dessen ausdrücklichen Wunsch ohne namentliche Nennung des Beschwerdeführers erfolgte. Wer in einer die Öffentlichkeit interessierenden Angelegenheit eine Strafanzeige einreicht, muss – selbst wenn der Name nicht publik wird – sowohl mit Zustimmung als auch mit Kritik rechnen. Dies gilt erst recht, wenn der Anzeiger den Sachverhalt – wie dies X. getan hat – den Medien selber zuträgt. Die mässige Kritik von Hans Rechsteiner an der Strafanzeige und am Vorgehen des Anzeigeerstatters bewegt sich im weit zu ziehenden Rahmen der Kommentarfreiheit und ist weit davon entfernt, den Beschwerdeführer zu verunglimpfen und ihn lächerlich zu machen.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Regionalausgabe Freiamt der «Aargauer Zeitung» hat mit ihrer Berichterstattung über eine Strafanzeige wegen Widerhandlung gegen Plakatierungsvorschriften (Ausgaben vom 15. September, 28. Dezember 2006 und 26. Mai 2007) die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Unterschlagung von wichtigen Informationen), 5 (Berichtigung von Falschmeldungen) und 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.