Nr. 2/2002
Wahrheits- und Berichtigungspflicht

(VSHF / «dimanche.ch» / Radio suisse-romande «La Première» / «Weltwoche» / «SonntagsZeitung») Stellungnahme des Presserates vom 25. Januar 2002

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I. Sachverhalt

A. In der Ausgabe vom 17. Juni 2001 schrieb die Zeitung «dimanche.ch», gemäss dem Betäubungsmittelgesetz dürfe der THC-Gehalt von Hanf 0.3% nicht übersteigen; ansonsten gelte Hanf als Betäubungsmittel. Eine ähnliche Aussage machte auch das «Mittagsjournal» des ersten Programms von Radio suisse-romande vom 22. Juni 2001. In der «Weltwoche» vom 28. September 2000 war zu lesen: «Derzeit kann Cannabis als verbotener Stoff in der Schweiz nur mit einer Sonderbewilligung des Bundesamtes für Gesundheit zu Forschungszwecken verabreicht werden, also für klinische Studien … Laut Art. 8 Abs. 5 des Betäubungsmittelgesetzes ist eine medizinische Anwendung – unter strengen Auflagen zwar – erlaubt, in der Forschung sowieso. … In der Schweiz ist Cannabis seit der Einführung des Betäubungsmittelgesetzes im Jahre 1951 eine verbotene Medizin.» Schliesslich veröffentlichte die «SonntagsZeitung» am 1. Oktober 2000 einen Artikel mit dem Titel «Schulmediziner testen Cannabis». Auch darin stand: «Der Konsum von Cannabis-Produkten ist hier zu Lande auch zu therapeutischen Zwecken untersagt.»

B. Gegen diese vier Artikel reichte der Verein Schweizer Hanffreunde vier vom 24., 25. und 31. Juli 2001 datierte Beschwerden ein. Sie machten bezüglich aller Beiträge je eine Verletzung der Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) und 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» geltend.

C. Das Presseratspräsidium beschloss, die vier Beschwerden zu einem Verfahren zu vereinigen, und dieses bis zum Entscheid über eine damals hängige ähnlich gelagerte Beschwerde (vgl. die Stellungnahme 40/2001 i.S. VSHF c. TSR) zu sistieren.

D. Gemäss Art. 9 Abs. 3 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates sind offensichtlich unbegründete Beschwerden durch das Presseratspräsidium zurückzuweisen.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 25. Januar 2002 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerde betrifft die Ziffern 1 (Wahrheitssuche), und 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

2. a) Der Presserat ist in der Stellungnahme 40/2001 i.S. VSHF c. TSR zum Schluss gekommen, dass aus dem berufsethischen Verbot der Unterschlagung wichtiger Informationselemente nicht abgeleitet werden kann, dass in einer kurzen Reportage über die ärztliche Verschreibung von Cannabis neben der Haltung des Bundesamts für Gesundheitswesens zwingend auch die davon abweichende Auffassung des Vereins Schweizer Hanffreunde und -freundinnen erwähnt werden muss. Ebensowenig sei ein Medium berufsethisch verpflichtet, nachträglich eine entsprechende Berichtigung zu veröffentlichen.

b) Auch vorliegend liegt einem Teil der Rügen des Beschwerdeführer in den vier Beschwerden wiederum die – zumindest umstrittene – These zugrunde, dass u.a. entgegen der Auffassung des Bundesamts für Gesundheitswesen die ärztlich therapeutische Anwendung von Cannabis bereits heute legal sei.

c) Der Presserat hat in der erwähnten Stellungnahme 40/2001 i.S. VSHF c. TSR weiter darauf hingewiesen, dass es nicht zu seinen Aufgaben gehören kann, sich zu umstrittenen Fragen rund um die Auslegung der Normen der geltenden schweizerischen Betäubungsmittelgesetzgebung zu äussern. Dementsprechend begnügt er sich auch im vorliegenden Verfahren mit der Feststellung, dass die vom Beschwerdeführer gerügten Beiträge in «Weltwoche» und «SonntagsZeitung» durchaus differenziert und kontrovers über die Zulässigkeit von Anbau und therapeutischer Anwendung von Cannabis berichteten. Wenn die beiden Zeitungen – teils in Nebensätzen – lediglich die Auffassung des Bundesamtes für Gesundheitswesen referierten, ohne gleichzeitig auf die abweichende Auffassung des Beschwerdeführers hinzuweisen, kann ihnen dementsprechend keine Verletzung der Wahrheitspflicht vorgeworfen werden. Ebensowenig waren sie verpflichtet, eine nachträgliche Berichtigung zu veröffentlichen.

d) Darüber hinaus ist auch der gegenüber den beiden Beiträgen von «dimanche.ch» und Radio suisse-romande (RSR) erhobene Vorwurf zurückzuweisen, diese hätten fälschlicherweise den Eindruck erweckt, der THC-Grenzwert von 0.3% sei im Betäubungsmittelgesetz oder der zugehörigen Verordnung verankert. Hinsichtlich der im RSR-Mittagsjournal gemachten Aussage «Le taux légal est de 0.3%» ist eine Unrichtigkeit von vornherein zu verneinen, nachdem sich diese offensichtlich auf ein zuvor bekannt gewordenes Bundesgerichtsurteil abstützen konnte. Ohnehin macht es aus Sicht des grösstenteils nicht juristisch gebildeten Publikums keinen wesentlichen Unterschied, ob der genannte Grenzwert auf Gesetz, Verordnung oder autoritativer Rechtsprechung des obersten Gerichts beruht. Alle diese Rechtsquellen sind in bestimmten Verfahren abänderbar. Dementsprechend ist im Ergebnis festzuhalten, dass die in «dimanche.ch» enthaltene Meldung, wonach Hanf mit einem THC-Gehalt von über 0.3% grundsätzlich als verbotenes Betäubungsmittel gelte, zwar aus juristischer Sicht nicht ganz präzis ist. Dies vermag aber weder eine Verletzung von Ziffer 1 zu begründen, noch liesse eine solche Unschärfe eine Berichtigung als verhältnismässig erscheinen (vgl. zu letzterem die Stellungnahme 28/2000 i.S. K. c. NZZ).

III. Feststellungen

Die Beschwerden werden als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.