Nr. 13/1997
Vermeidung eines falschen Gesamteindrucks

(Weber c. Mutter) vom 7. November 1997

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Stellungnahme

Selbst wenn sämtliche Details eines Artikels richtig sind, kann durch einen unsachgemässen Titel und Aufbau der Eindruck sachlich ungerechtfertigter Anschuldigungen erweckt werden. Redaktionen sollten deshalb Berichte trotz der anerkannter-massen schwierigen Arbeitsbedingungen und trotz des Vertrau-ensvorschusses, den gute Korrespondentinnen und Korrespon-denten geniessen, immer sorgfältig bearbeiten.

Reaktionen, die eine eindeutige Falschmeldung veröffentlichen, sollten nicht bloss Leserbriefe veröffentlichen, sondern den Fehler redaktionell berichtigen.

Prise de position

Même lorsque tous les détails d’un article sont corrects, un titre ou une construction mal appropriés peut éveiller l’impres-sion objective d’accusations injustifiées. Les rédactions de-vraient toujours relire avec attention les articles avant publication, en dépit des conditions de travail difficiles reconnues par tous et de la confiance dont jouissent les bons correspondants.

Les rédactions, qui donnent une information manifestement fausse, ne devraient pas seulement publier les lettres de lec-teurs, mais également rectifier la faute matérielle commise par la rédaction.

Presa di posizione

Un articolo può dare l’impressione di accusare falsamente qualcuno, anche se i particolari che riferisce sono corretti, se titolo e struttura del pezzo sono inappropriati. La fiducia ri-posta nel proprio bravo corrispondente o le difficili condizioni di lavoro in redazione non dispensano un giornale dall’elaborare il materiale che riceve in modo accurato. Quando sia stata pubblicata un’informazione manifestamente errata non è sufficiente dar spazio a lettere di lettori; l’errore dev’essere rettificato nella parte redazionale.

I. Sachverhalt

A. Im Februar und März 1997 publizierten verschiedene Deutschschweizer Zeitungen einen Artikel der Westschweizer Korrespondentin Christa Mutter, der über den vom Kanton Waadt geplanten durchgehenden Uferweg am Lac Léman und die dagegen aktiv gewordene Opposition informierte. Dabei strich die Autorin heraus, dass sich unter den Opponenten auch der Umweltschützer Franz Weber befinde.

B. „Sonntagsblick“ (23.2.1997) und „Schweizer Illustrierte“ (3.3.1997) publi-zierten – gestützt auf den Artikel Christa Mutters in der Tagespresse – kurze Meldungen, die lediglich festhielten, dass sich Franz Weber als einer der Haus-besitzer mit Seeanstoss am Léman gegen einen Uferweg wehre, der vor den Häusern durchführe. Die „Schweizer Illustrierte“ schickte Franz Weber deswe-gen sogar einen Kaktus als Ausdruck der Missbilligung seines Handelns. Nachdem die „Helvetia Nostra“ interveniert hatte, druckte der „Sonntagsblick“ (2.3.1997) einen korrigierenden Leserbrief von Judith Weber, und die „Schweizer Illustrierte“ veröffentlichte klarstellende Briefe von Judith Weber und Webers Rechtsanwalt Rudolf Schaller (10.3.1997).

C. Franz Weber führte am 21. März 1997 beim Richteramt Solothurn-Lebern Klage wegen Verletzung der Persönlichkeit („Verunglimpfung“) gegen die „Neue Mittelland-Zeitung“ und die Journalistin Christa Mutter. Die „Neue Mittelland-Zeitung“ wurde herausgegriffen, weil sie den Artikel von Christa Mutter erst veröffentlichte (am 10.3.1997), als in anderen Periodika (v.a. „Sonntagsblick“ und „Basler Zeitung“) bereits korrigierende Leserbriefe er-schienen waren. Weber zog die Klage aber am 15. Juni 1997 ohne Begründung zurück. Am 10. Juli 1997 wurde das Verfahren mit Kostenfolgen für den Klä-ger niedergeschlagen.

D. Am 7. Mai 1997 reichte Franz Weber beim Presserat gegen Christa Mutter Beschwerde ein. Er argumentierte, die Verfasserin habe in ihrem Artikel die falsche Behauptung aufgestellt, er (Franz Weber) besitze ein Haus mit Seean-stoss, und sie habe den falschen, persönlichkeitsverletzenden Schluss gezogen, er bekämpfe das Projekt eines durchgehenden Uferwegs aus Eigennutz. Richtig sei aber, dass zwischen seinem Haus in Clarens und dem Lac Léman ein brei-ter, öffentlich zugänglicher Quai durchführe und dass die Helvetia Nostra den durchgehenden Uferweg nicht aus persönlichen Interessen bekämpfe, sondern um im Sinne des Naturschutzgesetzes an den Seeufern Lebensräume für Tiere und Pflanzen, insbesondere für Wasser- und Zugvögel, freizuhalten. An der Pressekonferenz, an der Franz Weber seine Opposition gegen den Seeuferweg begründet habe, habe Christa Mutter nicht teilgenommen. Ihr Bericht sei nur deshalb von so vielen Printmedien übernommen worden, weil er wegen der Falschbehauptung, Franz Weber benutze eine gemeinnützige Organisation für persönliche Zwecke, Sensationswert gehabt habe. Die verleumderische Anschuldigung habe sich für die „Fondation Franz Weber“ und die „Helvetia Nostra“ verheerend ausgewirkt, da die Spendengelder um mehrere hundert-tausend Franken zurückgegangen seien.

E. Der Presserat überwies die Beschwerde der ersten Kammer, der Roger Blum als Präsident sowie Sylvie Arsever, Piergiorgio Baroni, Sandra Baumeler, Klaus Mannhart und Enrico Morresi als Mitglieder angehören. Als feststand, dass kein gerichtliches Verfahren mehr hängig war, beschloss die Kammer, auf die Beschwerde einzutreten. Sie ersuchte Christa Mutter um eine Stellung-nahme, welche am 23. Juli 1997 eintraf.

F. Christa Mutter unterstreicht, dass ihr Artikel keine Sachfehler enthalte. Weder habe sie behauptet, Franz Weber besitze ein Haus mit Seeanstoss, noch habe sie verschwiegen, dass zwischen seinem Haus und dem See ein Weg durchführe. Sie habe auch nirgends unterstellt, Franz Weber handle aus Eigen-nutz. Diesen Vorwurf mache sie vielmehr den in „Pro Léman“ organisierten Hauseigentümern mit Seeanstoss. Da Franz Weber aber mit diesen Hauseigen-tümer gemeinsam an einer Pressekonferenz aufgetreten sei, habe er damit rech-nen müssen, dass sein Name im gleichen Bericht genannt werde. Von der Pres-sekonferenz habe sie (Christa Mutter) erst am Vorabend durch einen Telefonan-ruf von Franz Weber erfahren. Da sie am nächsten Tag besetzt war, habe sie Weber sogleich über seine Motive für die Opposition gegen den Seeuferweg befragt und das Pressedossier bestellt, so dass sie über genügend Quellen ver-fügte, um ihren Bericht zu verfassen. Weber habe sie danach angerufen und beschimpft und ihr vorgeworfen, sie hätte seine Spendensammlung torpedieren wollen. Er habe aber keine Gegendarstellung verlangt. Mit einer „Richtigstellung“ von Webers Rechtsanwalt Rudolf Schaller an die Adresse verschiedener Zeitungen seien Passagen „richtiggestellt“ worden, die im Arti-kel richtig waren, so dass die meisten Zeitungen eine Publikation abgelehnt hätten.

II. Erwägungen

1. Die Fakten sind klar: Der Kanton Waadt will am Lac Léman einen durch-gehenden Uferweg errichten. Dagegen gibt es Opposition aus zwei Richtun-gen: Die eine Opposition bilden die Hausbesitzer mit Seeanstoss, die die Ver-einigung „Pro Léman“ gegründet haben und deren Eigeninteresse offensichtlich ist. Ihre Argumentation wendet sich gegen allfällige künftige Uferwegbenutzer („Drogensüchtige und Verwahrloste“), schliesst aber auch ökologische Beden-ken mit ein. Die andere Opposition kommt von der „Helvetia Nostra“ mit Franz Weber, der ebenfalls ein Haus am See besitzt, aber ohne direkten Uferan-stoss: Zwischen seinem Haus und dem See führt ein betonierter Weg durch. „Helvetia Nostra“ argumentiert rein ökologisch im Interesse wertvoller Bio-tope. Die Fachleute der Verwaltung wollen auf die Biotope Rücksicht nehmen und den Weg auf etwa einem Viertel der Strecke nicht direkt am See, sondern etwas höher führen.

Alle diese Fakten, die vom Beschwerdeführer nicht bestritten werden, sind im Artikel von Christa Mutter enthalten. Die Journalistin hat korrekt recherchiert und keine falschen Behauptungen aufge
stellt. Alle wichtigen Elemente der Information sind vorhanden. Ziffer 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ ist nicht verletzt.

2. Eine andere Frage ist, welchen Eindruck der Artikel vermittelt hat. Die Choreographie des Textes ist stark auf Franz Weber ausgerichtet. Sein Name erscheint – als einer der Grundbesitzer! – bereits im Lead. Die Autorin steigt in den Lauftext personalisierend ein mit Franz Weber als Grünem und Besitzer eines Hauses „gleich am Genferseeufer“. Titel wie „Grün getarnter Egoismus“ („Zürichsee-Zeitung“, 20.2.1997), „Bedenken mit grünem Mäntelchen“ („Basler Zeitung“, 21.2.1997), „Egoistische Bedenken unter grünem Mäntel-chen“ („Schaffhauser Nachrichten“, 22.2.1997), „Egoistische Bedenken am See im grünen Mantel“ („Aargauer Zeitung“, 25.2.1997), „Egoismus hüllt sich in grünen Mantel“ („Bündner Zeitung“, 28.2.1997) oder „Egoismus im grünen Mogelpack“ („Solothurner Zeitung“, 10.3.1997) die sich durchaus auf die Hauseigentümer der „Pro Léman“ beziehen, werden wegen des Artikel-Ein-stiegs von den Leserinnen und Leser sofort auf Franz Weber gemünzt. Erst recht verleiten Titel wie „Wenn Grüne den Egoismus entdecken“ („Bieler Tag-blatt“, 22.2.1997) dazu, ausschliesslich an Franz Weber zu denken, denn ein „Grüner“ ist ja nur er. Zudem fehlt dem Artikel die Systematik, die klar aus-einanderhält, wie der Kanton argumentiert, was die „Pro Léman“ (Seeanstösser) will und welches die Anliegen der „Helvetia Nostra“ (Franz Weber) sind. Auch wenn die Details im Artikel alle korrekt waren, entnahmen ihm viele Rezi-pientinnen und Rezipienten die Botschaft, dass Franz Weber aus egoistischen Gründen einen Seeuferweg bekämpfe. Dass dies so war, beweisen die Reaktio-nen aus dem Kreis der Spenderinnen und Spender der „Helvetia Nostra“ und der „Fondation Franz Weber“, die sehr empört ausfielen. Auch die falschen Kurz-meldungen im „Sonntagsblick“ und in der „Schweizer Illustrierten“ sind ein Indiz dafür. Der Artikel hatte eben keine geringe Breitenwirkung. Durch die Publikation in Zeitungen in den Regionen Zürich, Aargau, Basel, Zofingen-Olten-Solothurn-Biel, Schaffhausen und Sargans/Graubünden erreichte er einen beträchtlichen Teil des Publikums in der Deutschschweiz. Die Botschaft des Artikels erweckte den Eindruck von sachlich nicht gerechtfertigten Anschuldi-gungen. Mit der durch Titel und Aufbau erzielten Wirkung ging die Autorin das Risiko ein, dass Ziffer 7 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Jour-nalistinnen und Journalisten“ als verletzt erscheint. 3. Die schiefe Botschaft über Franz Weber, die das Publikum wahrnahm, hatte sicherlich mit der Systematik und der Choreographie des Artikels von Christa Mutter zu tun. Aber die Redaktionen sind von der Verantwortung nicht freizu-sprechen. Wenn sie den Artikel sorgfältig redigierten, dann mussten sie mer-ken, dass sie in Titel und Lead darauf achten mussten, Franz Weber als Oppo-nenten, aber nicht als betroffenen Seeanstösser zu erwähnen. Diese Sorgfalt ist von den Redaktionen trotz der anerkanntermassen schwierigen Arbeitsbedin-gungen und trotz des Vertrauensvorschusses, den gute Korrespondentinnen und Korrespondenten geniessen, zu erwarten.

4. Ausserdem ist unverständlich, dass die Redaktionen von „Sonntagsblick“ und „Schweizer Illustrierte“, die eine eindeutige Falschmeldung fabrizierten, den Fehler nicht redaktionell berichtigten, sondern bloss Leserbriefe publizier-ten und so letztlich gegenüber dem Publikum offen liessen, ob sie den Fehler zugeben. Moderne Medien gewinnen aber an Glaubwürdigkeit, wenn sie Irrtü-mer von sich aus (und unverzüglich) berichtigen.

5. Der durch den Artikel von Christa Mutter bewirkte falsche Eindruck recht-fertigt es allerdings keineswegs, im „Journal Franz Weber“ (Nr. 40, April/Mai/Juni 1997) von einer „grossangelegten, gegen seine Person (Franz Weber) gerichteten Hetzkampagne in der Deutschschweizer Presse“ zu schrei-ben, von „Verleumdung“ und „Betrug am Leser“ zu sprechen, die Berichterstat-tung mit „praktisch jedes Wort eine Lüge“ zu charakterisieren und zu behaup-ten, Christa Mutter habe die von ihr bedienten Redaktionen arglistig getäuscht.

III. Feststellungen

1. Der Artikel von Christa Mutter in zahlreichen Deutschschweizer Tages-zeitungen zur Opposition gegen den durchgehenden Fussweg am Waadtländer Genferseeufer ist in allen Details korrekt. Allerdings entsteht durch Titel, Lead und Aufbau der falsche Eindruck, Franz Weber bekämpfe den Uferweg aus egoistischem Interesse eines Grundbesitzers. Dadurch ging die Autorin das Risiko ein, dass Ziffer 7 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journali-stinnen und Journalisten“, wonach sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen zu unterlassen sind, als verletzt erscheint.

2. Die Redaktionen tragen indessen eine Mitverantwortung, gerade für Titel und Lead.

3. „Sonntagsblick“ und „Schweizer Illustrierte“, die aufgrund der Berichterstat-tung in der Deutschschweizer Tagespresse eindeutige Falschmeldungen produ-zierten und Franz Weber unmissverständlich an den Pranger stellten, publizier-ten zwar Leserbriefe, erfüllten aber Ziffer 5 der „Erklärung der Pflichten und Rechte“ nicht vollkommen, die verlangt, dass Falschmeldungen berichtigt werden.