Nr. 38/2002
Unterschlagung wichtiger Informationselemente / Nachträglicher Abdruck einer Stellungnahme

(Scientologykirche Zürich c. «Schweizer Jugend») Stellungnahme des Presserates vom 11. September 2002

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I. Sachverhalt

A. In ihrer Ausgabe vom 7. August 2001 veröffentlichte die «Schweizer Jugend» unter dem Titel «Lieber tot als unfähig» die Lebensgeschichte einer «Ex-Scientologin».

B. Am 7. März 2002 gelangte die Scientologykirche Zürich an den Presserat und machte geltend, die praktisch identische einseitige Darstellung der Sicht «eines vor 13 Jahren ausgetretenen Mitglieds der Scientologykirche Zürich» sei bereits am 3. Oktober 1996 in der «Schweizer Jugend» erschienen. Trotz des noch im August 2001 verlangten Abdrucks einer Stellungnahme und Korrektur, einer ganzen Reihe von Telefonaten sowie mehrmaligen Versprechungen des Chefredaktors, die Stellungnahme zu veröffentlichen, sei in der «Schweizer Jugend» seither nichts Entsprechendes erschienen. Die «Schweizer Jugend» bzw. deren Chefredaktor habe mit diesem inakzeptablen Verhalten die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 2 (Verteidigung des Ansehens des Berufs) sowie 5 (Berichtigungspflicht) verletzt.

C. Die Redaktion der «Schweizer Jugend» hat trotz zweimaliger Aufforderung keine Stellungnahme eingereicht.

D. Mit Schreiben vom 16. Mai 2002 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt.

E. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 11. September 2002 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) der «Erklärung» geltend macht, kann der Presserat aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen den Unwahrheitsgehalt des beanstandeten Artikels nicht beurteilen, zumal die Beschwerdegegnerin auf eine Beschwerdeantwort verzichtet hat. Ungeachtet davon wird jedoch aus den Akten ohne weiteres ersichtlich, dass aus Sicht des Publikums im beanstandeten Artikel mehrere wichtige Elemente im Sinne von Ziffer 3 der «Erklärung» (Verbot der Unterschlagung wichtiger Informationselemente) offensichtlich fehlen. So hätte die Redaktion darauf aufmerksam machen müssen, dass es sich beim beanstandeten Artikel um den Wiederabdruck eines 1996 von der «Schweizer Jugend» bereits veröffentlichten Berichts handelte. Zudem wäre die Leserschaft besser in der Lage gewesen, Fakten und Wertungen zu verstehen und einzuordnen, wenn der dem Artikel zugrundeliegende Lebensbericht zeitlich situiert worden wäre. Denn es macht einen Unterschied aus, ob sich ein Vorgang gerade erst oder – wie von der Beschwerdeführerin belegt – bereits vor 13 Jahren zugetragen hat. Schliesslich wäre es bei derart schweren Vorwürfen, wie sie im Artikel gegenüber der Scientologykirche erhoben werden, zwingend gewesen, die Organisation vor der Publikation anzuhören und deren Stellungnahme im Artikel einzubauen (vgl. unter vielen: Stellungnahme 27/00 i.S. Aktion Dialog c. «Tages-Anzeiger»). Deshalb hat die «Schweizer Jugend» die Ziffer 3 der «Erklärung» in diesen Punkten verletzt.

2. Soweit die Scientologykirche darüber hinaus das Verhalten des Chefredaktors nach der Publikation rügt, muss die Frage einer allfälligen Verletzung der Berichtigungspflicht (Ziffer 5 der «Erklärung») offenbleiben, weil die Unwahrheit des Berichts nicht abschliessend feststeht (oben, Ziffer 1 der Erwägungen). Hingegen wäre die «Schweizer Jugend» auch nach der Publikation des beanstandeten Artikels angesichts der schweren Vorwürfe verpflichtet gewesen, eine Stellungnahme der Scientologykirche zu veröffentlichen (vgl. Stellungnahme 13/01 i.S. Scientologykirche Zürich c. «L’Hebdo»). Darüber hinaus stellt die Beschwerdeführerin zu Recht fest, dass ein (von diesem unwidersprochenes) Verhalten eines Chefredaktors dem Ansehen des Berufs schade, wenn dieser angeblich verbindliche Versprechungen nicht einhalte und der Beschwerdeführerin durch seinen Sekretär ausrichte, die Konsequenzen seien ihm «scheissegal».

III. Feststellung

Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten werden kann.