Nr. 41/2003
Unterschlagung wesentlicher Informationselemente / Zuspitzung von Tatsachen und Wertungen in Schlagzeilen

(www.bionetz.ch c. «Saldo») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 12. September 2003

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I. Sachverhalt

A. Am 30. April 2003 thematisierte «Saldo» unter dem Titel «Der lange Weg bis ins Regal» die «umstrittene» Vergabe des Knospen-Labels an Bio-Produkte aus dem Ausland. Die in der Schweiz verkauften Produkte mit der Knospe stammten zu weniger als 90% aus Schweizer Rohstoffen. «Sie tragen zwar das Knospe-Label, aber der Zusatz ÐSuisseð fehlt. Viele Konsumenten nehmen das nicht wahr. Sie wissen auch nicht, dass im Ausland nicht immer gleich strenge Vorschriften wie in der Schweiz angewendet werden.» Gemäss dem Geschäftsführer von Bio Suisse gäbe die Knospe «aber die Garantie für Ðabsolute Gleichwertigkeitð der Importe im Vergleich zu den Schweizer Knospe-Produkten». Der Autor des Artikels wendet dagegen ein, Bio Suisse kontrolliere «die Qualität der importierten Waren nicht», sondern prüfe nur die mitgelieferten Papiere. Der Lead des Artikels lautete: «Bio-Produkte boomen. Ein grosser Teil der Rohstoffe stammt aus dem Ausland – eine Warenkontrolle findet nicht statt.» Auf der Titelseite fand sich zudem die Schlagzeile «Bio-Produkte: Eine wirkliche Kontrolle findet nicht statt.» Darunter stand eine Kurzfassung des Artikels. Sie lautete: «Gutes Geschäft: Bio-Produkte verkaufen sich hervorragend – der Umsatz in der Schweiz erreichte im letzten Jahr erstmals die Milliardengrenze. Was die Konsumenten nicht wissen: Ein grosser Teil der Bio-Ware stammt aus dem Ausland. Und diese Produkte werden nur auf dem Papier überprüft.»

B. Am 2. Mai 2003 sandte Bio Suisse eine «Richtigstellung» an «ausgewählte Redaktionen». Darin machte die Organisation geltend: «Bio-Produkte werden streng kontrolliert – auch wenn sie aus dem Ausland kommen.» Bio Suisse führe zusätzlich zu den ordentlichen Kontrollen im Ausland Stichprobenkontrollen durch. Entgegen der falschen Behauptungen von «Saldo» bürge die Knospe zudem für einen hohen Inlandanteil.

C. Am 3. und 10. Mai 2003 gelangte X. namens von www.bionetz.ch («Die Bio-Plattform der Schweiz») an den Presserat und rügte insbesondere, in der mit dem Kioskaushang identischen Titelschlagzeile «Bio-Produkte: Eine wirkliche Kontrolle findet nicht statt» sowie mit dem Lead – «eine Warenkontrolle findet nicht statt» – habe «Saldo» die Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Wahrheitspflicht) krass verletzt.

D. In einer Stellungnahme vom 13. Juni 2003 wies die Redaktion von «Saldo» die Beschwerde als unbegründet zurück. Der beanstandete Beitrag beschreibe in sachlicher Form das Vorgehen von Bio Suisse bei der Kontrolle der Qualität von importierten Waren und Rohstoffen und die damit verbundenen Schwierigkeiten. Er lasse auch die Betroffenen zu Wort kommen. Ebenso werde die vom Beschwerdeführer hauptsächlich kritisierte Aussage von Titel und Kioskaushang im Artikel näher erläutert.

E. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

F. Am 19. Juni 2003 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt.

G. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 12. September 2003 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerdeführerin rügt ausdrücklich eine Verletzung von Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) sowie implizit und damit zusammenhängend eine solche von Ziffer 3 (Unterschlagung wichtiger Informationselemente; Entstellung von Tatsachen) der «Erklärung».

2. Beschwerdegegenstand sind die von «Saldo» veröffentlichten Aussagen zur Kontrolle von importierten Rohstoffen durch Bio Suisse. Bio Suisse beanstandet in erster Linie die verkürzten Aussagen auf der Titelseite und im Lead des Artikels (vgl. dazu die Erwägung 5). Die Firma rügt aber bereits auch die Grundaussage des Autors des Artikels (siehe dazu die nachfolgende Erwägung 3). Nicht Gegenstand der Beschwerde bilden die im Schreiben von Bio Suisse vom 2. Mai 2003 genannten «Falschaussagen, Vorurteile und Halbwahrheiten». Soweit Bio Suisse der «Saldo»-Redaktion im Hinblick auf die Höhe des Inlandanteils von Knospe-Produkten, die effektive Durchführung der Qualitätskontrolle bei Importprodukten usw. widerspricht, fällt dies deshalb aus den Erwägungen des Presserates. Ohnehin wäre der Presserat – auch wenn die Beschwerdeführerin diese Punkte selber zusätzlich gerügt hätte – weder in der Lage, sich aus eigenem Wissen verbindlich zu diesen umstrittenen Sachverhaltsaspekten zu äussern, noch ein entsprechendes Beweisverfahren durchzuführen.

3. a) Gemäss der Darstellung der Beschwerdeführerin ist die Aussage des Autors – «Bio Suisse kontrolliert die Qualität der importierten Waren nicht, sondern prüft nur die mitgelieferten Papiere» – als solche zwar «nicht präzis, (…) aber auch nicht einfach falsch». Die Aussage erwecke aber den Eindruck, die Bio Suisse unterlasse etwas, was notwendig wäre. Gemäss den rechtlichen Kontrollvorschriften für Bio-Produkte sei jedoch eine effektive Warenkontrolle beim Import nicht vorgeschrieben, nachträglich – etwa punkto Tierhaltung – aber auch gar nicht möglich. Vielmehr lasse es das geltende System von staatlichen und privaten Kontrollnormen bei einer Prüfung der Begleitpapiere bewenden. Diese wiesen ihrerseits die stattgefundene Kontrolle im Herkunftsland nach.

b) Die Redaktion von «Saldo» wendet dazu ein, der Autor des Artikels habe eben gerade kritisieren wollen, dass die «Kontrolle der unter dem Label ÐBioð verkauften Produkte aufgrund von Papieren, nicht aber hinsichtlich von Waren- und / oder Deklarationsmängeln erfolgt (z.B. durch Laborstichproben auf das Vorhandensein von Pestiziden, Herbiziden und genveränderten Bestandteilen). (…) Im Gegensatz zum Verein bionetz.ch hält die Redaktion ÐSaldoð das gesetzlich vorgeschriebene und heute praktizierte private Kontrollsystem für nicht ausreichend, um die Einhaltung beispielsweise der eidgenössischen Bio-Richtlinien durchsetzen zu können. Die Basis für diese Schlussfolgerung geht aus dem Artikel selbst hervor und ist für die Leserschaft ohne weiteres nachvollziehbar.»

c) Nach Auffassung des Presserates kann die Aussage «Bio Suisse kontrolliert die Qualität der importierten Waren nicht, sondern prüft nur die mitgelieferten Papiere» entgegen der impliziten Auffassung der Beschwerdeführerin nicht als Vorwurf von «Saldo» gedeutet werden, die kritisierte Prüfungspraxis verstosse gegen geltendes Recht. Im Gegenteil sagt der beanstandete Artikel, dass sich das offenbar vom Bundesamt für Landwirtschaft festgelegte und von der Vereinigung Bio Suisse durchgeführte Kontrollverfahren «an den Vorgaben der EU und der Schweizer Bio-Verordnung» orientiere. Zwar mag für die mit der Materie nicht vertraute Leserschaft daraus nicht ganz klar werden, wie das Kontrollverfahren im Detail vor sich geht. Dennoch ergibt sich aus dem Artikel klar genug, dass der Autor der heutigen papierenen Kontrolle der Produktionsbedingungen in den Herkunftsländern echte Laborprüfungen beim Import vorzöge. Deshalb hat der Autor weder wesentliche Informationselemente unterschlagen, noch Informationen entstellt: Er fordert bloss, beim Import die ordentliche formelle Kontrolle der Warenpapiere – in allerdings nicht definiertem Ausmass – durch eine stichprobenweise materielle Warenkontrolle zu ergänzen. Nicht Aufgabe des Presserates kann es sein, zu beurteilen, ob diese (rechtspolitische) Forderung des Autors angesichts der heutigen Schweizer (Bio-) Landwirtschaftspolitik Sinn macht.

4. a) Die Beschwerdeführerin stösst sich aber ohnehin weniger an der Aussage «Bio Suisse kontrolliert die Qualität der importierten Wa
ren nicht, sondern prüft nur die mitgelieferten Papiere». Sie beanstandet vor allem deren Verkürzung zu «eine Warenkontrolle findet nicht statt» im Lead des Artikels. Und sie missbilligt die weitere Zuspitzung zu «Eine wirkliche Kontrolle findet nicht statt» auf Titelseite und Kioskaushang. Diese Zuspitzungen der bereits anfechtbaren Grundaussage verdrehe die Tatsachen, würden doch die bestehenden staatlich und privatrechtlich wirkenden Kontrollsysteme das Gegenteil belegen. «Sollte ein Presseorgan begründet der Meinung sein, dass Ðwirkliche Kontrollen nicht stattfindenð, dann ist das Presseorgan unseres Erachtens verpflichtet, diese Aussage plausibel zu belegen.»

b) «Saldo» wendet dazu ein, dies sei zumindest für das Kioskplakat unmöglich. Im Rahmen des Artikels sei die Aussage «Eine wirkliche Kontrolle findet nicht statt», jedoch näher belegt worden.

c) Der Beschwerdeführerin ist in diesem Punkt zuzugestehen, dass die Schlagzeile «Bio-Produkte: Eine wirkliche Kontrolle findet nicht statt» zumindest insofern ungenau ist, als sie sich von ihrem Wortlaut her auf sämtliche «Bio-Produkte» einschliesslich derjenigen aus inländischer Produktion bezieht. Der Artikel selber kritisiert aber lediglich die Kontrolle von «Bio-Ware» aus dem Ausland. Zudem geht aus dem Titel selber noch nicht hervor, dass «Saldo» mit «wirklicher Kontrolle» eine materielle Kontrolle durch Schweizer Behörden oder Kontrollorganisationen meint. Dennoch würde es zu weit gehen, diese starke Zuspitzung als Unterschlagung wesentlicher Informationselemente oder eine Verletzung der Wahrheitspflicht zu qualifizieren. Dies deshalb, weil bereits aus der ebenfalls auf der Titelseite abgedruckten Kurzfassung des Artikels hervorgeht, was eigentlich mit «keine wirkliche Kontrolle» gemeint ist: Nämlich, dass gemäss «Saldo» bei ausländischen Bio-Produkten «nur» eine Prüfung der Importpapiere und nicht der importierten Ware selber erfolge. Unter diesen Umständen erscheint die Gefahr einer Täuschung der Leserschaft durch die zwar arg verkürzende, wertende Schlagzeile als gering, weshalb die Beschwerde – wenn auch knapp – auch in diesem Punkt abzuweisen ist.

Ebenso gilt dies für die beanstandete Verkürzung im Lead des Artikels («… eine Warenkontrolle findet nicht statt»). Denn auch hier erscheint die Gefahr eines Missverständnisses bei der Leserschaft äusserst gering. Hinzu kommt, dass viele Leserinnen und Leser in Unkenntnis der Usanzen internationaler Zusammenarbeit sich ohnehin unter «Warenkontrolle» das von «Saldo» Gemeinte vorstellen dürften: Eine materielle Prüfung der importierten Waren in Form einer Laboruntersuchung.

III. Feststellung

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.