I. Sachverhalt
A. In der Ausgabe 13/2015 der «Weltwoche» findet sich auf Seite 30 ein Artikel mit der Überschrift: «Jenische: Undurchsichtige Hilfsgelder». Darunter steht: «In Bern leben vierzig Prozent der Fahrenden von der öffentlichen Fürsorge. Ist die Quote auch anderswo derart hoch? Wer nachfragt, beisst auf Granit. Behörden und Betroffene schweigen.» Ein Foto zeigt einen Familienvater, der mit zwei kleinen Kindern vor einem Wohnwagen sitzend musiziert. Alle drei Gesichter sind auf dem Foto gut erkennbar. Die Bildlegende lautet: «Wo beginnt der Schutz der Steuerzahler? Jenische in Liestal.» Der Artikel befasst sich mit den Sozialhilfebe-zügen durch Jenische und vergleicht Zahlen in verschiedenen Schweizer Orten.
«Der Bund» veröffentlichte am 6. Juni 2015 online einen Artikel über das stadtbernische Schulprojekt für jenische Kinder. Die Überschrift lautet: «Stadt stellt zwei Lehrerinnen für fahrende Kinder an». Darunter in kleinerer Schrift: «Kinder von Jenischen sollen im Winter Förder- und im Sommer Fernunterricht erhalten.» Ein farbiges Bild zeigt zwei fahrradfahren-de Kinder auf einem von Wohnwagen umgebenen Platz. Das Mädchen schaut direkt in die Kamera, ihr Gesicht ist gut erkennbar. Darunter steht: «Werden im Schulhaus Stapfenacker separat betreut: jenische Kinder beim Spielen (Symbolbild).» Der Artikel beschreibt das neue Bildungsprogramm für jenische Kinder, welches auf deren Bedürfnisse und Lebensweise zu-geschnitten sei.
B. Am 9. Juni 2015 reichte «schäft qwant», Transnationaler Verein für jenische Zusammen-arbeit und Kulturaustausch, beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen die Artikel der «Weltwoche» und des «Bund» ein. In letzter Zeit hätten sich Vorfälle gehäuft, bei denen Ar-chiv- oder Agenturbilder seiner Mitglieder als «Symbolbilder» in anderen Zusammenhängen als dem ursprünglichen Anlass des Fotos abgedruckt wurden. «schäft qwant» sei es ein Anlie-gen, «über die konkret und beispielhaft hier monierten Fälle hinaus die Medienschaffenden für eine zurückhaltende Verwendung von ‹Symbolbildern› zu sensibilisieren».
Bezüglich des Artikels der «Weltwoche» rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Zif-fer 3 (Unterschlagung von Informationen) der «Erklärung der Pflichten und Rechten der Jour-nalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung»), insbesondere die dazugehörigen Richtlinien 3.3 (Archivdokumente) und 3.4 (Illustrationen), sowie von Ziffer 7 (Respektie-rung der Privatsphäre) mit den zugehörigen Richtlinien 7.2 (Identifizierung) und 7.3 (Kinder). Ausserdem sieht er Ziffer 8 der «Erklärung» verletzt (diskriminierende Anspielung). Der Be-schwerdeführer betont vor allem, dass das abgebildete Foto nicht als «Symbolbild» gekenn-zeichnet wurde. Es sei klar erkennbar, dass es sich um «Schweizer Fahrende» handle und durch die grosse und qualitativ gute Wiedergabe könnten die abgebildeten Personen leicht identifiziert und des «Sozialmissbrauchs» verdächtigt werden. Es könne nicht davon ausge-gangen werden, dass die Personen mit ihrer Abbildung im Artikelkontext einverstanden seien. Es handle sich auch nicht um eine «gleiche Situation», in der von einem Einverständnis der betroffenen Personen hätte ausgegangen werden können, da das Bild im Zusammenhang mit einem Artikel zu «Sozialmissbrauch» abgedruckt worden sei.
Im Bezug auf den Artikel des «Bund» rügt «schäft qwant» eine Verletzung von Richtlinie 3.3 (Archivdokumente). Weiter eine Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung» (Privatsphäre), ins-besondere der zugehörigen Richtlinien 7.1 (Schutz der Privatsphäre), 7.2 (Identifizierung) und 7.3 (Kinder). Die Abbildung zeige die Kinder nicht auf einem öffentlichen Platz, sondern im «inneren Bereich» eines Stellplatzes von Wohnwagen. Dies sei ein Bereich, wo ein grosser Teil des Familienlebens von Jenischen stattfinde, wie andernorts in Wohnungen und Häusern. Obwohl das Foto korrekt als «Symbolbild» bezeichnet worden sei, stehe zu befürchten, es könne im Zusammenhang mit dem Wortlaut «separat betreut» so verstanden werden, dass diese Kinder z.B. «wegen mangelnder Bildungsfähigkeit» einen erhöhten Betreuungsbedarf hätten. Da ein Kind für ein weiteres Publikum identifizierbar und wiedererkennbar sei und nicht als Kind einer prominenten Person gelten könne, dürfe das Foto nicht als Symbolbild für die spezielle Schulbetreuung von Kindern verwendet werden.
C. Mit Beschwerdeantwort vom 17. September 2015 verlangte die «Weltwoche» die vollum-fängliche Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdevoraussetzungen des Art. 9 des Ge-schäftsreglements des Presserats seien nicht erfüllt, da die Rüge nicht ausreichend begründet sei. Auf einen derart pauschalen Vorwurf könne gar nicht gehörig geantwortet werden. Den Vorwurf, der Artikel bezichtige Jenische des Sozialmissbrauchs, bestreitet die Redaktion. Der Artikel behandle zwar unter anderem die Sozialhilfebezüge durch Jenische, allerdings werde ihnen an keiner Stelle ein Missbrauch vorgeworfen. Stattdessen setze sich der Autor mit der Frage auseinander, wie die Situation verbessert werden könne. Weiter dürfe davon ausgegan-gen werden, dass die Fotografierten der Bildagentur Keystone die notwendigen Einwilligun-gen zur Aufnahme und Nutzung des Bildes erteilt hätten. Was die Kennzeichnung als Sym-bolbild betrifft, gehe der Beschwerdeführer fälschlicherweise davon aus, dass eine solche Kennzeichnung stets notwendig sei, wenn sich das Bild nicht explizit auf den Inhalt eines Artikels beziehe. Gemäss Praxis des Presserats genüge es, wenn etwa durch die Bildlegende deutlich werde, dass dem Bild Symbolcharakter zukomme. Die Symbolbilder seien einzig «klar von Bildern mit Dokumentations- und Informationsgehalt unterscheidbar zu machen». Dies sei hier erfüllt, da in der Bildlegende eine abstrakte Frage gestellt und explizit festgehal-ten werde, dass es sich bei den Abgebildeten um «Jenische in Liestal» handle. Den Lesern entstehe somit nicht der Eindruck, die Abgebildeten profitierten von der öffentlichen Fürsorge oder machten sich des Sozialmissbrauchs schuldig. Das Bild sei ohne Weiteres als Symbol-bild erkennbar. Würde man der Argumentation von «schäft qwant» folgen, könnte man Arti-kel, die sich im Zusammenhang mit Jenischen mit sozialen oder gesellschaftspolitischen Fra-gen beschäftigen, gar nicht mehr mit Bildern von Jenischen illustrieren.
D. Am 19. Juli 2016 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presse-ratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsiden-tin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 22. August 2016 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Gemäss Art. 11 Abs. 2 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf Beschwer-den ein, wenn sie offensichtlich unbegründet sind. Die Beschwerde erscheint in Bezug auf den Artikel des «Bund» vom 6. Juni 2015 als unbegründet, da das Agenturbild korrekt als «Symbolbild» bezeichnet wurde. Für die Leserin und den Leser ist klar erkennbar, dass der Artikel nicht von den zwei abgebildeten Kindern handelt. Für den Presserat ist denn auch nicht ersichtlich, inwiefern der Leser suggeriert bekommen soll, die gezeigten Kinder hätten wegen mangelnder Bildungsfähigkeit einen erhöhten Betreuungsbedarf.
2. a) Bezüglich des Artikels der «Weltwoche» rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» und zwar insbesondere Richtlinie 3.3 (Archivdokumente). Diese besagt, dass Archivdokumente ausdrücklich zu kennzeichnen sind und dass es abzuwägen gilt, ob sich die abgebildete Person immer noch in d
er gleichen Situation befinde und ob ihre Einwilligung auch für eine neuerliche Publikation gelte. Im vorliegenden Fall handelt es sich nicht um ein Foto aus dem Archiv der «Weltwoche», sondern um ein Agenturbild von Keys-tone. Bildagenturen bauen sich ein Archiv auf, aus welchem sie den Medien sofort gewünsch-te Bilder liefern können. Diese sind nicht a priori an einen bestimmten Artikel gebunden. Dem Presserat liegt kein Hinweis vor, dass Keystone die Einzelheiten zur Nutzung des Bildes nicht korrekt mit der abgebildeten Familie geregelt hätte. Der Beschwerdeführer weist insbe-sondere nicht nach, zu welcher Situation die Abgebildeten ihr Einverständnis gegeben haben. Ist aber nicht klar, wozu die Abgebildeten ihr Einverständnis gaben, muss offen bleiben, ob Richtlinie 3.3 verletzt ist.
b) Richtlinie 3.4 verlangt, dass Bilder mit Illustrationsfunktion, die ein Thema, Personen oder einen Kontext ins Bild rücken, die keinen direkten Zusammenhang mit dem Textinhalt haben (Symbolbilder), als solche erkennbar sind. «schäft qwant» beanstandet, dies sei beim strittigen Bild nicht der Fall. Tatsächlich ist das Foto nicht als «Symbolbild» gekennzeichnet. Gemäss Praxis des Presserats muss ein «Symbolbild» zwar als solches erkennbar sein, was jedoch nicht bedeutet, dass dies wortwörtlich genannt werden muss (Stellungnahme 34/2009). In der Bildunterschrift wird abstrakt gefragt: «Wo beginnt der Schutz der Steuerzahler?» und danach in anderer Schrift: «Jenische in Liestal». Dem Leser wird somit klar, dass es sich bei den Ab-gebildeten um irgendeine jenische Familie in Liestal handelt und nicht um die sogenannten «Sozialmissbrauchenden». Dies vor allem auch deshalb, weil der Artikel gar nicht von Jeni-schen in Liestal handelt. Die «Weltwoche» hat somit mit der Verwendung des Bildes im Kon-text dieses Artikels und der gewählten Bildlegende Richtlinie 3.4 nicht verletzt.
3. a) Der Beschwerdeführer rügt weiter die Verletzung der Ziffer 7 der «Erklärung». Diese besagt, dass die Privatsphäre der einzelnen Personen zu respektieren sei, sofern das öffentli-che Interesse nicht das Gegenteil verlange. Anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte An-schuldigungen seien zu unterlassen. Durch die Details auf dem Foto (Schwyzerörgeli, Grau-bündner Kantonswappen) seien die abgebildeten Personen als sogenannte «Schweizer Fah-rende» identifizierbar. Die grosse und qualitativ gute Wiedergabe des Bilds lasse auch Frem-de/Drittpersonen die darauf Abgebildeten leicht wiedererkennen und des «Sozialmissbrauchs» verdächtigen. Auch hier verweist der Presserat auf die Vereinbarung zwischen Keystone und den Abgebildeten. Mit der Einwilligung zum Foto nahmen diese eine Identifizierung im Sinn der Richtlinie 7.2 der «Erklärung» in Kauf. Selbst eine Identifizierung im Zusammenhang mit einem kritischen Artikel verletzt die «Erklärung» – wie oben ausgeführt – nicht.
b) Zur geltend gemachten Verletzung von Richtlinie 7.3 führt «schäft qwant» aus, die Tatsa-che alleine, dass das Kind im Zusammenhang mit «Fahrenden» fotografiert wurde, rechtferti-ge nicht, das Bild als Symbolbild für die spezielle Beschulung von Kindern zu verwenden. Zumal das Kind über den speziellen Schutz des Bildrechts von Kindern hinaus einzeln für ein weiteres Publikum identifizierbar und wiedererkennbar sei und nicht als Kind einer «promi-nenten Person» gelten könne. Richtig ist, dass Richtlinie 7.3 Kindern einen besonderen Schutz vor Identifizierung bietet. Das abgebildete Kind ist aber nicht mit Namen genannt und somit für einen weiteren Personenkreis nicht ohne Weiteres identifizierbar. Dass Personen, die zur Familie und zum sozialen Umfeld des Kindes gehören, dieses erkennen, ist dabei hin-zunehmen. Eine Verletzung von Richtlinie 7.3 liegt somit nicht vor.
4. Schliesslich macht der Verein «schäft qwant» eine Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» geltend. Diese verpflichtet Journalistinnen und Journalisten, die Menschenwürde zu respektie-ren und in ihrer Berichterstattung auf diskriminierende Anspielungen zu verzichten. Der Ver-ein schreibt in seiner Beschwerde lediglich, es würde eine diskriminierende Anspielung ge-macht. Er führt jedoch nicht aus, inwiefern Ziffer 8 seiner Meinung nach verletzt wurde. Das Bild zeigt Jenische eher in einem positiven Licht. Der Artikel selbst beleuchtet auf kritische, jedoch unpolemische Art die an manchen Orten höhere Sozialhilfequote von Jenischen, spezi-ell in Bern. Für den Presserat ist letztlich nicht ersichtlich, worin eine Diskriminierung Jeni-scher bestehen soll. Ziffer 8 der «Erklärung» ist somit nicht verletzt.
III. Feststellungen
1. Der Presserat tritt auf die Beschwerde in Bezug auf den Online-Artikel des «Bund» vom 6. Juni 2015 nicht ein.
2. Die Beschwerde gegen die «Weltwoche» wird abgewiesen.
3. Die «Weltwoche» hat mit dem Artikel «Jenische: Undurchsichtige Hilfsgelder» in Ausgabe 13/2015 sowie dem dazugehörigen Bild eines Jenischen mit seinen zwei Kindern Ziffer 3 (Unterschlagen von Informationen), Ziffer 7 (Privatsphäre) und Ziffer 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.