Nr. 47/2003
Sachlich ungerechtfertigte Anschuldigungen / Anhörung bei schweren Vorwürfen

(X. c. «Cash») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 24. Oktober 2003

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I. Sachverhalt

A. Die Wirtschaftszeitung «Cash» berichtete am 13. Juni 2003 in einem von Marianne Fassbind gezeichneten Artikel unter dem Titel «Bankier X. muss vor Gericht», gegen den Bankier X. liege in Zürich eine Strafklage wegen Veruntreuung vor. Auch in Kanada laufe ein Verfahren. «X. hat sich darauf spezialisiert, mit komplexen Finanztransaktionen kleine Firmen günstig aufzukaufen. Bei diesen Geschäften hatten offenbar jeweils nicht alle das Gefühl, alles sei mit rechten Dingen zugegangen. In Kanada ist X. schon in ein Verfahren wegen angeblicher Kursmanipulationen verwickelt. Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Jetzt ist auch in Zürich gegen X. Strafklage eingereicht worden. Das bestätigt die Zürcher Bezirksanwaltschaft. Auch beim Zürcher Verfahren fühlen sich X.s einstige Geschäftspartner übervorteilt.»

B. Am 18. Juli 2003 gelangte der anwaltlich vertretene X. mit einer Beschwerde an den Presserat und rügte, «Cash» habe mit dem Artikel vom 13. Juni 2003 die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Unterschlagung wichtiger Informationen, Anhörungspflicht, Quellennennung) und 7 (sachlich ungerechtfertigte Anschuldigungen) sowie die Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche) und 2.4 (öffentliche Funktionen) verletzt. Sowohl mit dem Titel «Bankier X. muss vor Gericht», als auch mit dem fälschlicherweise verwendeten Wort «Strafklage» werde der unzutreffende Eindruck erweckt, dass gegen den Beschwerdeführer bereits Strafanklage durch die Untersuchungsbehörden erhoben worden sei, obwohl bisher lediglich eine unbegründete Strafanzeige vorliege, wie sie jedermann einreichen könne. Zudem sei der Beschwerdeführer trotz der gegen ihn erhobenen schweren Vorwürfe vor der Publikation nicht angehört worden. Ziel der Berichterstattung von «Cash» sei es gewesen, einen mit der Autorin des Artikels befreundeten Minderheitsaktionär, der zusammen mit zwei anderen Minderheitsaktionären die Strafanzeige gegen X. eingereicht habe, bei seiner gezielten Kampagne gegen den Beschwerdeführer zu unterstützen.

C. In einer Stellungnahme vom 19. August 2003 räumte «Cash»-Chefredaktor Dirk Schütz ein, im beanstandeten Artikel sei fälschlicherweise das Wort «Strafklage» statt «Strafanzeige» benutzt worden, wofür sich die Redaktion entschuldige. Die «Cash» vorliegende Strafanzeige laute auf Veruntreuung und ungetreue Geschäftsbesorgung mit Bereicherungsabsicht. Allerdings hätten «weder Herr X. noch seine Anwälte eine Berichtigung dieses Fehlers in unserer Zeitung gewünscht oder gefordert». Stattdessen sei lediglich mitgeteilt worden, dass Beschwerde beim Presserat geführt werde. «Somit wurde unserer Publikation gar nicht die Möglichkeit geboten, den Fehler zu korrigieren, bevor eine Beschwerde geführt wird.» Die weiteren Vorwürfe weist «Cash» zurück. Angesichts der vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen Tatsachen sei eine Anhörung des Beschwerdeführers entbehrlich gewesen. Der Vorwurf einer engen Beziehung zwischen der Autorin und einem der Strafanzeiger sei persönlichkeitsverletzend und ebenso unbelegt und verfehlt wie derjenige des Kampagnenjournalismus. Schliesslich müsse die Informationsquelle, die der Zeitung Zugang zur Strafanzeige verschafft habe, von «Cash» nicht genannt werden.

D. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

E. Am 20. August 2003 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt.

F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 24. Oktober 2003 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. «Cash» räumt ein, die Begriffe «Strafklage» und «Strafanzeige» verwechselt zu haben; das verletzt zusammen mit dem inhaltlich jedenfalls zum Publikationszeitpunkt ebenso unzutreffenden Titel «Bankier X. muss vor Gericht» die Ziffer 3 der «Erklärung». Denn es macht für die Information der Öffentlichkeit einen wesentlichen Unterschied aus, ob gegen den Beschwerdeführer «lediglich» eine Strafanzeige vorliegt, oder ob die Untersuchungsbehörde den Sachverhalt und den Strafantrag bereits an ein urteilendes Gericht überwiesen hat. Beim Eingang einer Strafanzeige steht bis zur Prüfung durch die Untersuchungsbehörde nämlich noch nicht fest, ob die Anzeige unbegründet ist oder ob der Betroffene sich später vor Gericht verantworten muss. Hier war vor der beanstandeten Publikation offensichtlich gerade erst Strafanzeige eingereicht worden, worauf die Leserschaft sowohl im Titel wie auch im Text hätte hingewiesen werden müssen. Unerheblich bleibt dabei der Einwand von «Cash», der Beschwerdeführer habe der Zeitung gar keine Gelegenheit zur Berichtigung geboten. Denn eine solche ist nicht nur bei einem ausdrücklichen Begehren angebracht. Vielmehr haben Medienschaffende gestützt auf Ziffer 5 der «Erklärung» von ihnen veröffentlichte Meldungen von sich aus unverzüglich zu berichtigen, sobald sie davon Kenntnis haben, dass deren materieller Inhalt ganz oder teilweise falsch ist. Eine entsprechende Berichtigung ist gegebenenfalls ungeachtet eines bereits beim Presserat hängigen Beschwerdeverfahrens zu veröffentlichen.

2. Der Artikel behauptet, X. sei in Kanada in ein Verfahren wegen angeblicher Kursmanipulation verwickelt, und auch in Zürich liege im Zusammenhang mit komplexen Finanztransaktionen eine Strafklage wegen Veruntreuung vor; deshalb müsse Bankier X. vor Gericht. Diese Vorwürfe wiegen schwer – ungeachtet des vom Presserat nicht zu beurteilenden allfälligen Wahrheitsgehalts. Gestützt auf das berufsethische Anhörungsprinzip, das neuerdings in der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» verankert ist, hätte der Beschwerdeführer deshalb von «Cash» vor der Veröffentlichung angehört und seine Stellungnahme im Artikel zumindest kurz wiedergegeben werden müssen.

3. Abzuweisen ist hingegen die Rüge des Beschwerdeführers, für die Veröffentlichung des Artikels seien andere (persönliche) als journalistische Motive ausschlaggebend gewesen; die Autorin habe sich in einem Interessenkonflikt befunden und hätte deshalb bei diesem Thema in den Ausstand treten müssen. X. legt für die von der «Cash»-Redaktion bestrittenen Behauptungen keinerlei Belege vor. Ebensowenig lässt sich ein entsprechender Schluss aus dem blossen Inhalt des Artikels und der von «Cash» eingeräumten Begriffsverwechslung ableiten. Als offensichtlich unbegründet erscheint schliesslich auch der Vorwurf der ungenügenden Quellennennung. Denn das von der «Cash»-Redaktion vorgebrachte Interesse am Schutz ihres Informanten überwiegt dasjenige an einer Nennung der Quelle, zumal die Information aufgrund der Nennung des Verfahrensortes (Zürich) grundsätzlich auch für Dritte nachprüfbar wird.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. «Cash» hätte seine Leserschaft darauf hinweisen müssen, dass gegen den Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels «erst» eine von den Untersuchungsbehörden noch kaum geprüfte Strafanzeige eingereicht worden war. Die Zeitung wäre zudem angesichts der schweren gegen den Beschwerdeführer erhobenen Vorwürfe verpflichtet gewesen, diesen vor der Publikation anzuhören und seine Stellungnahme im Artikel zumindest kurz wiederzugeben. Durch diese Unterlassungen hat «Cash» Ziffer 3 der «Erklärung» verletzt.

3. Darüber hinaus wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.