Nr. 25/2002
Respektierung der Privatsphäre

(Y. c. «Berner Zeitung») Stellungnahme des Presserates vom 21. Mai 2002

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I. Sachverhalt

A. In der «Berner Zeitung» (nachfolgend BZ) vom 11. Dezember 2001 erschien unter dem Titel «Zu Zweit geht es einfacher» ein von Hannah Einhaus gezeichneter Artikel über das Projekt «incluso» für Migrantinnen, bei dem berufserfahrene Mentorinnen Schülerinnen mit Migrationserfahrungen bei der Lehrstellensuche behilflich sind. Der Artikel berichtete unter namentlicher Nennung über das Beispiel der 16-jährigen Bernerin X., über die unter anderem zu lesen war: «Von ihrem iranischen Vater hat sie eigentlich nur noch den Namen geerbt. Persisch spricht sie nicht, und von ihm leben sie und ihre Mutter getrennt. ÐAber wenn die Leute am Telefon meinen Namen hörenð, so die bittere Erfahrung der jungen Schweizerin nach einigen Bewerbungen, Ðstellt es ihnen schnell einmal abð.»

B. Mit Schreiben vom 19. Dezember 2001 gelangte der im Artikel erwähnte Vater von X., Y., an BZ-Chefredaktor Andreas Z’Graggen und rügte, im Artikel vom 11. Dezember 2001 sei sein Name ohne seine Einwilligung publiziert worden. Zudem seien darin Unwahrheiten verbreitet worden, die für seine Person kreditschädigend seien. Seine Tochter sei als Kind einer Schweizerin und eines in der Schweiz eingebürgerten Iraners in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Sie sei somit keine Migrantin. Er verlangte, dass sein ausführliches Schreiben vor Ende des Jahres 2000 ungekürzt in der BZ veröffentlicht werde.

C. Mit Schreiben vom 19. Dezember 2001 lehnte Andreas Z’Graggen dieses Begehren ab. Y. werde im Artikel nicht namentlich erwähnt. Um den Namen der Tochter zu nennen, sei seine Einwilligung nicht erforderlich gewesen. Ebenfalls korrekt erwähnt seien im Artikel die Fakten, dass X. Schweizer Bürgerin ist und in der Schweiz geboren wurde. Ebenso werde im Artikel korrekt wiedergeben, dass sie trotzdem an einem Projekt für Migrantinnen teilnehme. X. sei die einzige Projektteilnehmerin mit Schweizerpass. Trotzdem stosse sie mit ihrem Familiennamen auf Ablehnung, woran aber im Artikel Y. keinesfalls die Schuld zugewiesen werde.

D. Mit Beschwerde vom 22. Januar und 23. Februar 2002 gelangte Y. an den Schweizer Presserat und machte sinngemäss geltend, der Bericht der BZ über eine Familienangelegenheit, die nicht von öffentlichem Interesse sei, habe gegen Ziffer 7 (Respektierung der Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.

E. Gemäss Art. 9 Abs. 3 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates sind offensichtlich unbegründete Beschwerden durch das Presseratspräsidium zurückzuweisen. Das Presseratspräsidium – bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer und dem Vizepräsidenten Daniel Cornu – hat die vorliegende Stellungnahme per 21. Mai 2002 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet. Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher trat in in den Ausstand.

II. Erwägungen

1. Gemäss Ziffer 7 der «Erklärung» respektieren die Journalistinnen und Journalisten «die Privatsphäre der einzelnen Person, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt.» Laut der Richtlinie 7.6 (Namensnennung) zur «Erklärung» dürfen Journalistinnen u und Journalisten – vorbehältlich der Einwilligung und weiteren Ausnahmen – grundsätzlich weder den Namen nennen noch weitere die Identifikation ermöglichenden Angaben über die von einer Berichterstattung betroffene Person machen.

2. Ist Y. in diesem Sinne vom beanstandeten BZ-Artikel direkt betroffen? Der Presserat verneint dies. Jede Person hat Eltern, die allein oder in Partnerschaft leben. Werden diese Menschen wie im beanstandeten Artikel bloss erwähnt und knapp situiert, ist damit ihre Privatsphäre noch nicht verletzt. Andernfalls müsste bei der beiläufigsten Erwähnung von Angehörigen in einem Artikel – etwa dass ein Bundesrat verheiratet sei und seine Frau zuhause die Kinder betreue – immer auch die Einwilligung dieser Ehefrau eingeholt werden. Ebensowenig kann dem Beschwerdeführer gefolgt werden, dass die Einwilligung seiner 16-jährigen Tochter ohne seine Zustimmung nicht gültig gewesen sei. Selbst wenn hier die Frage offen bleibt, wann eine Minderjährige gültig in eine Medienberichterstattung einwilligen kann, wäre eine allfällige Zustimmung – wenn überhaupt – jedenfalls nur beider Mutter als Inhaberin der elterlichen Sorge einzuholen.

3. Allerdings könnte man sich fragen, ob die Y. noch am direktesten betreffende und irritierende Formulierung «von ihrem Vater hat sie eigentlich nur noch den Namen geerbt» notwendig war. Zwar mag diese Einschätzung der derzeitigen subjektiven Sichtweise seiner Tochter und dementsprechend der (relativen) Wahrheit entsprechen, weshalb Ziffer 7 der «Erklärung» unter diesem Gesichtspunkt nicht verletzt ist. Dennoch steht es den Medien in einem solchen Fall gut an, auch die möglichen Sensibilitäten von indirekt Betroffenen soweit möglich zu berücksichtigen und auf unnötig verletzende Formulierungen zu verzichten.

III. Feststellung

Die Beschwerde wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.