Nr. 26/2007
Anhörung bei schweren Vorwürfen / Wahrheitspflicht

(X./Y. c. «Facts») Stellungnahme des Presserates vom 27. Juni 2007

I. Sachverhalt

A. Am 16. Februar 2004 strahlte SF DRS in der Nachrichtensendung «10 vor 10» einen Beitrag über die zunehmende Zahl von IV-Bezügerinnen und IV-Bezügern aus. Zugenommen hätten vor allem Beschwerden, deren Ursachen schwer oder gar nicht zu bestimmen seien, zum Beispiel Schleudertraumen oder psychische Erkrankungen. Für Hunderte von Anwälten sei dies ein gutes Geschäft. Wer einem Patienten zu einer IV-Rente verhelfe, kassiere ein hohes Honorar. Dokumentiert werden diese Aussagen mit dem Fall des Rechtsanwalts X. Er sei der erste Anwalt, der einem Klienten zu einer IV-Rente verholfen habe, weil dieser ein Schleudertrauma erlitten habe. Dieser Klient, Y., beziehe seit 12 Jahren eine volle IV-Rente und werde dies wahrscheinlich bis zu seiner Pension tun. «Das macht rund eine Million Franken aus – Anwalt sei Dank», hiess es im Kommentar.

B. Am 19. Mai 2004 beschwerten sich der Anwalt X. und sein Klient Y. bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI). Am 20. August 2004 hiess die UBI die Beschwerde gut und stellte fest, der Beitrag von «10 vor 10» vom 16. Februar 2004 habe die Programmbestimmungen verletzt.

C. Im Mai 2005 erschien in der «Weltwoche» Nr. 19/2005 ein von Markus Schär verfasster Artikel mit dem Titel «Betrug oder Schwindel?». Darin hält der Autor fest, ein Schleudertrauma sei medizinisch kaum nachweisbar und es lade deshalb geradezu zu Missbrauch ein. Wiederum kommt darin X. vor als jener Anwalt, der 1991 «das entscheidende Urteil erstritt». Der Klient Riccardo Y. wird als Mario Signorelli bezeichnet.

D. Am 18. Januar 2007 veröffentlichte das Magazin «Facts» einen weiteren von Markus Schär verfassten Artikel mit dem Titel «Schwindel nach dem Unfall». Der Lead lautete: «‹Willst du Invalidenrente, melde Schleudertrauma.› So lautet die Formel zum Rentenbetrug.» Im Artikel wird wiederum der Fall von Y. – dieses Mal unter dem Pseudonym Roberto Signorelli – geschildert. Er dient dem Journalisten als Beispiel für die Grundaussage des Artikels, dass nicht die Mediziner, sondern die Juristen das Leiden namens Schleudertrauma geschaffen hätten. Unter anderem nimmt der Artikel Bezug auf den Fernseh-Beitrag in «10 vor 10» aus dem Jahr 2004: «Vor drei Jahren wollte ‹10 vor 10› mit ihm (Signorelli) sprechen – sein St. Galler Anwalt X. verbot es ihm. Dafür packte sein ehemaliger Hausarzt aus. Er berichtete, er habe seinem Patienten die Behandlung bei einem Spezialisten am Universitätsspital Zürich vermitteln und auch die Umschulung zum Computerfachmann ermöglichen wollen.» Der Arzt habe darauf ein böses Telefon vom Anwalt erhalten, der gesagt habe: «Was fällt Ihnen eigentlich ein? Jetzt, da wir so nahe am Ziel, der IV-Rente, sind, gefährden Sie wieder alles!» Auch die Beschwerde von X. gegen den Fernsehbeitrag bei der UBI wird im Artikel erwähnt. Die damalige Gutheissung der Beschwerde, kritisiert der «Facts»-Artikel, sei nur zustande gekommen, weil im neunköpfigen Gremium der UBI sieben Juristen sässen, welche «teils mit solchen Anwälten (welche für ihre Klienten IV-Renten erstreiten) zusammen Kanzleien führen».

E. Am 5. Februar 2007 ersuchte X. bei «Facts» um eine Gegendarstellung zum Artikel. Diese wurde in leicht gekürzter Form am 22. Februar 2007 veröffentlicht mit dem Vermerk, dass «Facts» an seiner Darstellung festhalte.

F. Am 15. März 2007 beschwerte sich X. im eigenen sowie im Namen von Y. beim Presserat über den «Facts»-Artikel vom 18. Januar 2007. Er macht eine Missachtung des Anhörungsprinzips (Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten») geltend. Zudem basiere der Artikel auf offensichtlich unwahren Sachverhalten, die bereits Jahre zuvor widerlegt worden seien (Ziffer 1, Wahrheitssuche). Im Weiteren verschweige der Artikel die Quelle der Informationen, weil diese nicht als Archivdokumente bezeichnet worden seien und entstelle die Tatsachen, indem er auf Meldungen abstelle, die nachweislich widerlegt worden seien (Ziffer 3). Zudem missachte der Artikel die Menschenwürde des unverschuldet invalide gewordenen Klienten und verstosse gegen das Diskriminierungsverbot (Ziffer 8). Schliesslich habe «Facts» auch dann keine Berichtigung vorgenommen, als der Beschwerdeführer mit einem Schreiben darauf hinwies, dass die beschriebenen Sachverhalte unwahr seien (Ziffer 5).

G. Am 23. April 2007 beantragte die durch den Rechtsdienst der Tamedia AG vertretene «Facts»-Redaktion, die Beschwerde sei abzuweisen. Der Klient X. sei in einem Telefongespräch angehört und im Artikel auch zitiert worden. Beim Anwalt X. sei keine neuerliche Anhörung nötig gewesen, da seit der letzten Anhörung im Jahr 2005 keine neuen Aspekte aufgetaucht seien. Auch enthalte der Artikel keine Unwahrheiten. Quelle der Informationen im Artikel sei nicht der Beitrag in «10 vor 10» gewesen, sondern seien Gespräche mit den zitierten Personen.

H. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Esther Diener-Morscher als Präsidentin an sowie Thomas Bein, Andrea Fiedler, Claudia Landolt Starck, Peter Liatowitsch, Daniel Suter und Max Trossmann. Andrea Fiedler, Mitarbeiterin der «SonntagsZeitung», trat von sich aus in den Ausstand.

I. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 27. Juni 2007 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. a) Ziffer 3 der «Erklärung» auferlegt den Journalistinnen und Journalisten die Pflicht, keine wichtigen Elemente von Informationen zu unterschlagen und weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne noch von anderen geäusserte Meinungen zu entstellen. Unbestätigte Meldungen, Bild- und Tonmontagen sind als solche zu bezeichnen. Gemäss der zugehörigen Richtlinie 3.8 sind Journalistinnen und Journalisten zudem verpflichtet, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören und deren Stellungnahme im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben.

b) Die Beschwerdeführer machen geltend, «Facts» habe die Anhörungspflicht insbesondere gegenüber X. krass verletzt. Die Beschwerdegegner räumen ein, es treffe zu, dass Markus Schär RA X. vor der Veröffentlichung nicht kontaktiert habe. Das Leiturteil des Bundesgerichts zum Schleudertrauma von 1991 mache RA X. zu einer öffentlichen Person. Das Urteil, welches für die IV-Praxis grosse Bedeutung habe, dürfe öffentlich diskutiert werden, ohne dass RA X. dazu jedes Mal neu anzuhören wäre, es sei denn, es würden zu seiner Person oder Rolle neue Aspekte auftauchen. Markus Schär habe mit X. bei der Publikation der Artikel im Jahr 2005 Kontakt gehabt. Da er über ihn nichts Neues geschrieben habe, sei eine erneute Anhörung nicht erforderlich gewesen.

c) Bereits im Lead des Artikels vom 18. Januar 2007 («‹Willst du Invalidenrente, melde Schleudertrauma.› So lautet die Formel zum Rentenbetrug») unterstellt «Facts» in pauschaler Weise, viele Antragsteller und deren Anwälte würden die Diagnose «Schleudertrauma» bloss vorschieben, um sich in betrügerischer Weise eine IV-Rente zu erschleichen. In diesem Kontext wiegt der gegenüber X. erhobene Vorwurf besonders schwer, er habe – um die angestrebte IV-Rente nicht zu gefährden – Bemühungen des ehemaligen Hausarztes seines Klienten hintertrieben, Letzterem eine möglicherweise erfolgversprechende medizinische Behandlung, eine Umschulung und damit die berufliche Wiedereingliederung zu vermitteln. Zusammen mit dem Nachsatz, X. habe als Anwalt mit seinem Klienten ein Erfolgshonorar vereinbart und die beiden hätten aus finanziellen Gründen gar kein Interesse an einer Gesundung des Klienten gehabt, wird der Leserschaft vermittelt, der Fall X./Y. sei geradezu ein Paradebeispiel eines Missbrauchs der IV.

d) Laut dem UBI-Entscheid vom 20. August 2004 erhob bereits der «10 vor 10»-Beitrag vom 16. Februar 2004 ähnliche Vorwürfe gegenüber den Beschwerdeführer
n. So habe der Hausarzt von Y. diesen als Person erlebt, «die auf eine IV-Rente aus» war. Ebenso habe er Umschulungsmassnahmen auf Drängen seines Anwalts abgelehnt. Zudem wurden im Zusammenhang mit diesem Fall Statements zu Verdienstmöglichkeiten und Interessen von Anwälten wiedergegeben. Die UBI wies in ihrem Entscheid darauf hin, dass dem Grundsatzurteil des Bundesgerichts von 1991 ein langes Verfahren vorausgegangen war. «In diesem ganzen Verfahren wurden wiederholt und in umfassender Weise fachärztliche Abklärungen durchgeführt und berufliche Wiedereingliederungsmassnahmen geprüft, welche den im Filmbeitrag gemachten Aussagen des damaligen Hausarztes von S. widersprechen. Der Filmbeitrag vermittelt den Eindruck, dass S. dank einem willfährigen Arzt und den damit verbundenen Bemühungen seines Anwalts ohne weiteres zu einer IV-Rente gekommen ist.» Diese Darstellung habe zu einer Verzerrung des Sachverhalts geführt, das Publikum habe einen falschen Eindruck erhalten und der Standpunkt der Beschwerdeführer sei im Beitrag überhaupt nicht zum Ausdruck gekommen.

e) Der Artikel von Markus Schär in der «Weltwoche» 19/2005 erwähnte, der St. Galler Anwalt X. habe 1991 das entscheidende Urteil erstritten. Für die Leiden seines Klienten nach einem Unfall mit dem Töffli habe sich keine Ursache finden lassen, dennoch habe das Eidgenössische Versicherungsgericht seine Rechtsprechung umgestossen: «Einerseits sei das ‹bunte Beschwerdebild› möglicherweise mit nicht nachvollziehbaren Mikroverletzungen der Halswirbelsäule zu erklären, andererseits seien die Unfallfolgen wie eine psychische Krankheit zu betrachten: Die Beschwerden liessen sich zwar objektiv nicht begründen, aber nicht als rein subjektiv abtun. Damit stand fest: Unter einem Schleudertrauma leidet, wer es glaubhaft macht. Ein neuer Geschäftszweig war geboren: Immer mehr Anwälte zogen nach dem Vorbild von X. die Fälle von Schleudertrauma-Opfern durch alle Instanzen. Was nicht überrascht, wenn man bedenkt, dass sie für die grössten Fälle bis zu sechsstellige Beträge als Honorare verdienen können.»

f) Soweit die Beschwerdegegner unter Berufung auf frühere Medienberichte geltend machen, eine erneute Anhörung von X. durch Markus Schär vor der Publikation des «Facts»-Artikels sei nicht nötig gewesen, kann ihnen nicht gefolgt werden. Der «Weltwoche»-Artikel vom Mai 2005 unterstellt RA X. weder, er habe Wiedereingliederungsbemühungen hintertrieben, noch dass er auf Erfolgshonorarbasis gearbeitet hätte. Hingegen waren diese Vorwürfe im «10 vor 10»-Beitrag vom 16. Februar 2004 zumindest teilweise enthalten. Wie die Beschwerdegegner einräumen, hatten sie nicht nur Kenntnis von diesem Beitrag, sondern auch vom zugehörigen UBI-Entscheid vom 20. August 2004, der sie aber nicht überzeugt habe. Der «10 vor 10»-Beitrag sei zudem nur am Rande Thema des «Facts»-Artikels gewesen, weshalb darauf nicht weiter habe eingegangen werden müssen.

Diese Argumentation ist für den Presserat jedoch unhaltbar. Wenn «Facts» in seinem Artikel vom 18. Januar 2007 Vorwürfe aus dem «10 vor 10»-Beitrag vom 16. Februar 2004 übernahm, hätte die Zeitschrift – wenn sie diese Vorwürfe erwähnte – entweder RA X. explizit dazu befragen oder doch im Minimum darauf hinweisen müssen, dass die UBI nicht nur wie von «Facts» erwähnt den allgemeinen Teil über dieses «neue Geschäftsfeld der Anwälte», sondern auch die gegenüber X. und Y. erhobenen Vorwürfe als Verzerrung des Sachverhalts bewertet hatte. Zudem hatte der Beitrag von «10 vor 10» laut dem UBI-Entscheid explizit erwähnt, dass X. im Fall Y. kein Erfolgshonorar erhalten habe. «Facts» hat hier deshalb die Ziffer 3 der «Erklärung» verletzt.

g) Soweit die Beschwerdeführer Ziffer 3 der «Erklärung» darüber hinaus auch durch eine ungenügende Angabe der Quellen – insbesondere den früheren «10 vor 10»-Beitrag bzw. durch die unterlassene Bezeichnung desselben als Archivdokument verletzt sehen, hält der Presserat die Beschwerde hingegen für unbegründet. Für die Leserschaft wird ohne weiteres ersichtlich, dass sich «Facts» in erster Linie auf das Urteil aus dem Jahr 1991 sowie auf die Kritik des Sozialversicherungsrechtlers Erwin Murer an diesem Urteil stützte. Ebenso wird der Beitrag von «10 vor 10», wenn auch ohne genaue Datumsangabe, erwähnt und wird der ehemalige Hausarzt als Quelle angegeben.

2. a) Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» auferlegt den Medienschaffenden die Pflicht, sich an die Wahrheit zu halten und vom Recht der Öffentlichkeit leiten zu lassen, die Wahrheit zu erfahren. Gemäss der zugehörigen Richtlinie 1.1 stellt die Wahrheitssuche den Ausgangspunkt der Informationstätigkeit dar. «Sie setzt die Beachtung verfügbarer und zugänglicher Daten, die Achtung der Integrität von Dokumenten (Text, Ton und Bild), die Überprüfung und allfällige Berichtigung voraus.»

b) Die Beschwerdeführer sehen die berufsethische Wahrheitspflicht durch den beanstandeten «Facts»-Artikel in einer ganzen Reihe von Punkten verletzt. So behaupte Markus Schär wahrheitswidrig, Y. beziehe zu Unrecht eine Invalidenrente und X. habe ihm zu diesem Unrecht verholfen. Dabei habe das lange IV-Verfahren bestätigt, dass Y. unter erheblichen und dauerhaften Unfallfolgen leide. Nachweislich unwahr sei zudem die Behauptung, Y. habe eine Stellungnahme gegenüber «10 vor 10» seinerzeit auf Geheiss seines Anwalts hin verweigert und dass Y. ein Geschäft für EDV-Hardware betreiben würde. Schliesslich unterstelle Markus Schär mit dem Hinweis auf die Trainertätigkeit von Y. unterschwellig, dieser würde gar nicht unter invalidisierenden körperlichen Beschwerden leiden.

c) Die Beschwerdegegner bestreiten, den Eindruck erweckt zu haben, Y. habe die IV-Rente unter Verletzung von Recht oder gar unter Anwendung von Machenschaften erschlichen. Sie hätten lediglich die mit dem Leiturteil aus dem Jahre 1991 geschaffene und seither bestätigte Praxis des obersten Versicherungsgerichts kritisiert. Die im seinerzeitigen «10 vor 10»-Beitrag geäusserte Version, RA X. habe seinem Klienten verboten, Stellung zu nehmen, sei nicht Gegenstand des UBI-Entscheides gewesen. Die EDV-Firma sei – wie die Beschwerdeführer selber einräumten – 1995 gegründet worden, also zu einem Zeitpunkt, als die Invalidität von Y. bereits feststand. Ebenso wenig würden die Beschwerdeführer bestreiten, dass Y. das Trainerdiplom zum gleichen Zeitpunkt erwarb, als er um die IV kämpfte. Und es werfe doch zumindest Fragen auf, wenn ein IV-Renten-Bezüger eine kantonale Fussballauswahl trainiere.

d) Wie bereits unter Ziffer 1 der Erwägungen ausgeführt, hat «Facts» durch die Wiedergabe der aus dem seinerzeitigen «10 vor 10»-Beitrag gegenüber den Beschwerdeführern erhobenen Vorwürfe ohne relativierenden Hinweis auf den zugehörigen UBI-Entscheid nicht nur den Leitentscheid des Eidgenössischen Versicherungsgerichts aus dem Jahr 1991 in unzulässiger Weise kritisiert, sondern in Zusammenhang mit den gegenüber X. erhobenen Vorwürfen auch den Sachverhalt verzerrt wiedergegeben.

In Bezug auf die seinerzeitige Verweigerung von Y., gegenüber «10 vor 10» Stellung zu nehmen, geht aus dem UBI-Entscheid hingegen nicht eindeutig hervor, ob die Behauptung, Y. habe sich damals auf Geheiss seines Anwalts verweigert, tatsachenwidrig war oder nicht. In einem E-Mail-Austausch nach der Veröffentlichung des «Weltwoche»-Artikels vom 12. April 2004 erwähnte Markus Schär diesen Vorwurf ausdrücklich: «Sie weigerten sich, zum Beitrag von ‹10 vor 10› Stellung zu nehmen, und verboten Ihrem Klienten, ein bereits vereinbartes Gespräch mit dem Journalisten zu führen.» X. ging in seiner damaligen Antwort nicht ausdrücklich auf diesen Vorwurf ein, sondern antwortete zu diesem und weiteren von Markus Schär erhobenen Vorwürfen bloss mit dem generellen Hinweis auf den rechtskräftigen UBI-Entscheid vom 20. August 2004. Dieser habe alle im «10 vor 10»-Beitrag erhobenen Vorwürfe aktenmässig widerlegt. Die Beschwerd
egegner wenden dazu ein, sie hätten aufgrund des UBI-Entscheides gerade keine Veranlassung gehabt, diese Behauptung von «10 vor 10» in Frage zu stellen.

Auch wenn die Erwägungen der UBI zur Wiederausstrahlung von Bildern eines «Kassensturz»-Beitrags über den Fall des Beschwerdeführers aus dem Jahr 1991 in einem anderen Kontext zumindest darauf hindeuten, dass Y. auch aus persönlichen Gründen – und nicht wegen eines «Verbots» seines Anwalts – nicht im «10 vor 10»-Beitrag vom 16. Februar 2004 auftreten wollte, lässt sich für den Presserat aufgrund der ihm vorliegenden Akten hier keine Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung» ableiten.

Offensichtlich unrichtig ist hingegen die von «Facts» als Beweis dafür, «dass sich Opfer eines Schleudertraumas erholen können», angeführte Information, Y. betreibe ein Geschäft für EDV-Hardware. Selbstverständlich wäre es dem Magazin unbenommen gewesen, darzulegen, dass das Geschäft zu einem Zeitpunkt gegründet wurde, als Y. bereits eine IV-Rente bezog. Dies ändert aber nichts daran, dass die im Juni 1995 gegründete Firma bereits Anfang Mai 1996 wegen Geschäftsaufgabe erlosch. Dies wäre für Markus Schär ohne grösseren Aufwand nachzurecherchieren gewesen.

Ungenügend differenziert wiedergegeben ist zudem die Information, wonach der IV-Rentner Y. mit wöchentlich vier Trainings die Juniorenauswahl eines kantonalen Fussballverbands betreue und er das Trainerdiplom zur Zeit gemacht habe, als er um seine Invalidenrente kämpfte. Zwar lässt «Facts» Y. dazu ausführen, der Verband habe beim Trainerdiplom ein Auge zugedrückt und bei allem Körperlichen sei er voll behindert. Trotzdem bleibt hier für den unbefangenen Leser der Eindruck haften, eine derartige Trainertätigkeit wäre für einen an einer echten Beeinträchtigung der Gesundheit Leidenden gar nicht möglich, ergo handle es sich bei Y. um einen Simulanten. Zwar durfte «Facts» unbestrittenermassen die Frage aufwerfen, wie es möglich sei, dass «ein IV-Bezüger eine kantonale Fussballauswahl trainieren kann». Dabei hätte es die Pflicht zur Wahrheitssuche jedoch zwingend geboten, nicht bloss eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen, sondern beispielsweise auch den entsprechenden Fussballverband anzufragen, wie er sich dazu stellt bzw. wie diese Trainertätigkeit in der Praxis konkret aussieht. Denn für die Bewertung der Fakten durch die Leserschaft macht es einen wesentlichen Unterschied, ob Y. – wie er dies selber geltend macht – die Trainertätigkeit ohne jeglichen körperlichen Einsatz ausübte oder ob er – wie dies «Facts» suggeriert, vier Mal pro Woche mit jugendlichen Fussballern auf dem Platz herumrennt.

3. a) Gemäss Ziffer 5 der «Erklärung» sind Journalistinnen und Journalisten verpflichtet, jede von ihnen veröffentlichte Meldung zu berichtigen, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist. Die Richtlinie 5.1 zur «Erklärung» verdeutlicht hierzu, dass die Berichtigungspflicht von den Medienschaffenden von sich aus wahrzunehmen ist. Die Berichtigungspflicht erstreckt sich auf sämtliche relevanten Fakten eines Artikels, auch wenn diese nicht zentral für dessen Aussage erscheinen. Allerdings besteht eine Pflicht zur Veröffentlichung einer Berichtigung nur dann, wenn diese verhältnismässig erscheint (Stellungnahmen 26 und 49/2005).

Der Presserat hat aus Ziffer 5 der «Erklärung» weiter abgeleitet, dass Journalistinnen und Journalisten, die nachträglich Kenntnis von einer Unrichtigkeit in einem von ihnen veröffentlichten Medienbericht erhalten, diese von sich aus unverzüglich korrigieren müssen. Er hat dabei betont, es sei zu begrüssen, wenn Redaktionen eigene Gefässe für Berichtigungen einführten, wenn er auch die genaue Form der Berichtigung im Einzelfall offen liess (Stellungnahme 19/2000 mit zahlreichen Hinweisen).

Tendenziell eine ungeeignete Form für eine Berichtigung stellt aber jedenfalls der Abdruck einer Gegendarstellung dar, wird diese doch von der Leserschaft nicht als redaktionelle Richtigstellung einer Falschmeldung, sondern vielmehr als Darstellung von «Tatsachen gegen Tatsachen» wahrgenommen. Dies gilt vorliegend umso mehr, als «Facts» der Gegendarstellung von X. den Nachsatz «Facts hält an seiner Darstellung fest» anhängte, mithin von einer «Berichtigung» also erst recht nicht die Rede sein kann. Eine solche wäre aber zumindest in Bezug auf die längst aufgegebene eigene EDV-Firma zwingend gewesen. Ebenso hätte sich bei der Trainertätigkeit die Präzisierung aufgedrängt, dass Y. diese ohne körperlichen Einsatz ausübt.

5. Soweit die Beschwerdeführer schliesslich eine Verletzung der Ziffer 8 der «Erklärung» (Respektierung der Menschenwürde; Diskriminierungsverbot) beanstanden, hält der Presserat die Beschwerde für unbegründet. Aus dem Schutz der Minderheiten vor Diskriminierung kann nicht abgeleitet werden, dass es vorliegend berufsethisch nicht zulässig wäre, Behördenentscheide im Zusammenhang mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen auch scharf und polemisch zu kritisieren. Es muss möglich sein, die geltende Praxis von Versicherungen und Gerichten zu einem bestimmten medizinischen Problem radikal in Frage zu stellen, ohne dass dies berufsethisch als unzutreffende Beeinträchtigung und kollektive Herabwürdigung des Ansehens einer geschützten Gruppe sanktioniert wird. Die Pflicht zur Respektierung der Menschenwürde verlangt von den Journalistinnen und Journalisten, dass sie Menschen in ihrer Berichterstattung nicht verunglimpfen und in unnötiger, sachlich unbegründeter Weise in ihrem Menschsein herabsetzen Bei aller Polemik gegen die geltende Gerichtspraxis zu Schleudertraumen im Allgemeinen und zum Fall Y. im Besonderen beschränkt «Facts» die Kritik auf die juristisch, wirtschaftlich und medizinisch relevanten Aspekte und überschreitet deshalb die durch Ziffer 8 der «Erklärung» der Meinungsäusserungsfreiheit gezogenen Grenzen nicht.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. «Facts» hat mit der Publikation des Artikels «Schwindel nach Unfall» vom 18 Januar 2007 die Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Entstellung von Tatsachen; Anhörung bei schweren Vorwürfen) verletzt. «Facts» hätte vor der Publikation eine Stellungnahme von Rechtsanwalt X. einholen müssen, die sich auf die Vorwürfe bezog, er habe im Zusammenhang mit einem IV-Grundsatzurteil zum Schleudertrauma Bemühungen um berufliche Wiedereingliederung seines Klienten hintertrieben und er habe auf standesrechtlich verpönter Erfolgshonorarbasis gearbeitet. Zumindest aber hätte «Facts» darauf hinweisen müssen, dass die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen diese zuvor in einem Beitrag von «10 vor 10» erhobenen Vorwürfe als Verzerrung von Tatsachen gewertet hatte und zudem feststellte, X. habe in diesem Fall kein Erfolgshonorar erhalten.

3. «Facts» hat die Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheitspflicht) durch Veröffentlichung der unrichtigen Information verletzt, Y. betreibe ein Geschäft für EDV-Hardware. Zudem wäre «Facts» beim Hinweis auf die Trainertätigkeit von Y. verpflichtet gewesen, im Artikel auszuführen, wie diese in der Praxis konkret aussieht und darauf hinzuweisen, dass die Trainertätigkeit ohne jeglichen körperlichen Einsatz ausgeübt wird.

4. «Facts» hat die Ziffer 5 der «Erklärung» (Berichtigungspflicht) verletzt, indem das Magazin sich trotz Veröffentlichung von Falschmeldungen darauf beschränkte, eine Gegendarstellung zu veröffentlichen und dabei noch ausdrücklich darunter setzte, es halte an seiner eigenen Darstellung fest.

5. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

6. «Facts» hat weder seine Quellen in ungenügender Weise angegeben (Ziffer 3 der «Erklärung»), noch das Diskriminierungsverbot verletzt oder die Menschenwürde missachtet (Ziffer 8 der «Erklärung).