Nr. 40/2013
Wahrheits- und Berichtigungspflicht

(Verein gegen Tierfabriken Schweiz c. «NZZ am Sonntag») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 9. August 2013

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I. Sachverhalt

A.
Unter dem Titel «Das verkaufte Schwein» veröffentlichten Birgit Voigt und Fabian Fellmann am 2. Dezember 2012 in der «NZZ am Sonntag» einen ausführlichen Artikel zum Thema «Schweinefleisch». Die Zeitung illustrierte den Bericht unter anderem mit dem Bild von Schweinen auf einer grünen Wiese. Die zugehörige Bildlegende lautet: «So idyllisch haben es auch in der Schweiz nur wenige Mutterschweine, doch Auslauf ins Freie haben sie alle.»

B. Am 10. Dezember 2012 beschwerte sich Erwin Kessler, Tuttwil, namens des Vereins gegen Tierfabriken Schweiz (nachfolgend: VgT), das von der «NZZ am Sonntag» verwendete Bild mit Schweinen auf einer grünen Wiese sei offensichtlich gestellt. Die grüne Wiese auf dem Bild sei «eine gemähte und sauber nachgewachsene Wiese ohne Frass- oder Wühlspuren. Es hat nicht einmal einen Weidezaun. Die Schweinegruppe wurde offensichtlich nur einen kurzen Moment für den Fotografen auf die Wiese gelassen. So werden die Schweine in der Schweiz ganz eindeutig nicht gehalten.» Zusammen mit der Legende täusche das Bild die Leserschaft massiv. Die Behauptung, alle Mutterschweine in der Schweiz hätten Auslauf ins Freie, sei eindeutig unwahr. Damit habe die «NZZ am Sonntag» gegen die Ziffern 1 (Wahrheit) und 3 (Entstellung von Tatsachen/Unterschlagung von Informationen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen. Zudem habe die Zeitung eine durch den VgT zugestellte Richtigstellung weder als solche veröffentlicht noch als Leserbrief abdruckt (Ziffer 5 der «Erklärung»).

C. Am 1. Februar 2013 beantragte Chefredaktor Felix E. Müller namens der Redaktion «NZZ am Sonntag», die Beschwerde sei abzuweisen. Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers handle es sich beim von diesem beanstandeten Bild keineswegs um eine gestellte Aufnahme. Dieses sei vielmehr von einem Keystone-Fotografen auf einem Hof in der Innerschweiz aufgenommen worden. Die Schweine auf diesem Hof weideten das ganze Jahr und hätten (innerhalb des Weidezauns) freien Auslauf. Auf weiteren Bildern des gleichen Fotografen vom gleichen Hofe seien sowohl der Weidezaun als auch die Wühl- und Frasspuren zu sehen, deren Existenz der Beschwerdeführer bestreite.

Nicht korrekt sei hingegen die Bildlegende. Nicht alle Mutterschweine hätten in der Schweiz Auslauf. Dies gehe aber aus der gleich neben dem Bild stehenden Tabelle deutlich hervor. Diese orientiere die Leserschaft darüber, dass nicht alle Mutterschweine ohne Ferkel Auslauf ins Freie hätten, sondern lediglich zwei Drittel davon. Auch wenn die Bildlegende nicht korrekt sei, dürfe diese nicht isoliert betrachtet werden. Im Vordergrund stünden vielmehr die – der Wahrheit entsprechenden – Angaben unmittelbar neben dem Bild. Der beanstandete Bericht verstosse deshalb nicht gegen die Wahrheitspflicht und die «NZZ am Sonntag» habe unter diesen Umständen keine Veranlassung gehabt, eine Berichtigung zu veröffentlichen.

D. Am 12. Februar 2013 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat diese Stellungnahme per 9. August 2013 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Ziffer 1 der «Erklärung» verpflichtet die Journalistinnen und Journalisten, sich an die Wahrheit zu halten und sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten zu lassen, die Wahrheit zu erfahren. Ziffer 3 der «Erklärung» konkretisiert diese Pflicht dahingehend, dass Journalisten weder Tatsachen entstellen noch wichtige Informationen unterschlagen dürfen. Vorliegend kommt der Rüge der Verletzung der Ziffer 3 der «Erklärung» neben derjenigen der Verletzung der Wahrheitspflicht keine selbstständige Bedeutung zu.

2. Beim Bild ist für den Presserat die Behauptung des Beschwerdeführers nicht belegt, wonach dieses gestellt sei. Im Gegenteil legt die Beschwerdegegnerin plausibel dar und belegt ihre Sichtweise mit weiteren Bildern des gleichen Fotografen, dass das veröffentlichte Bild von einem Bauernhof stammt, auf dem die Mutterschweine das ganze Jahr im Freien weiden.

3. Unbestritten ist hingegen, dass die Bildlegende insoweit falsch ist, als nicht alle Mutterschweine in der Schweiz freien Auslauf haben. Allerdings ist der «NZZ am Sonntag» zuzugestehen, dass die Tabelle neben dem Bild den Sachverhalt differenziert darstellt. Ohne die Tabelle wären gerade flüchtige Leserinnen und Leser nicht davor gefeit, durch die falsche Bildlegende getäuscht zu werden. Bei einer Gesamtbetrachtung von Bild, Bildlegende und Tabelle wäre es nach Auffassung des Presserats aber unverhältnismässig, allein wegen der falschen Bildlegende eine Verletzung der Wahrheitspflicht festzustellen und gestützt darauf die Veröffentlichung einer Berichtigung zu verlangen. Der Presserat hält in ständiger Praxis gestützt auf das Prinzip der Verhältnismässigkeit daran fest, dass einer Falschmeldung eine gewisse Relevanz zukommen muss, um daraus eine Verletzung der «Erklärung» abzuleiten (Stellungnahme 14/2011 mit weiteren Hinweisen). Vorliegend fehlt es nach Auffassung des Presserats an der geforderten Relevanz, weil die «NZZ am Sonntag» die in der Bildlegende enthaltene Fehlinformation bereits durch die Veröffentlichung der danebenstehenden Tabelle indirekt korrigiert hat.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «NZZ am Sonntag» hat mit der Veröffentlichung der Bildlegende «So idyllisch haben es auch in der Schweiz nur wenige Mutterschweine, doch Auslauf ins Freie haben sie alle» zum Artikel «Das verkaufte Schwein» vom 2. Dezember 2012 die Ziffern 1 (Wahrheit) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.