I. Sachverhalt
A. Am 23. Juni 2002 berichtete «SonntagsBlick» unter dem Titel «X. und seine Rechnungen» und dem Untertitel «Wie ein Chirurg Kasse macht» über angeblich überhöhte Rechnungen des genannten Arztes und dessen damit zusammenhängende Auseinandersetzung mit der Krankenkasse KBV. Dem Bericht war zu entnehmen, dass X. für eine Rückenoperation 4174 Franken und für eine andere 4040 Franken zu viel verrechnet habe. Wegen der womöglich eingetretenen Verjährung brauche er jedoch der Krankenkasse nichts zurückzuzahlen. Gemäss «SonntagsBlick» nahm der Neurochirurg selber keine Stellung zu den Vorwürfen. «Die Beanstandung seiner überrissenen Rechnungen kommentiert sein Anwalt: ÐMein Mandant ist eben besser als andere Ärzte. Das provoziert Neid.?»
B. Im «SonntagsBlick» vom 30. Juni 2002 folgte ein weiterer Artikel mit dem Titel «Dr. X. verlangt 500 Franken pro Stunde». Bei einer Anfrage um Ausstellung eines kurzen Arztzeugnisses habe der Neurochirurg eine Patientin darauf hingewiesen, dass die Krankenkasse diese Kosten nicht vergüte und er ihr deshalb Fr. 8.30 pro Minute verrechnen müsse. X. weile im Ausland. «Sein Anwalt will zum Vorwurf der Abzockerei keine Stellung nehmen.»
C. Mit Beschwerde vom 4. Juli 2002 rügte der anwaltlich vertretene X., «SonntagsBlick» habe mit den beiden Berichten vom 23. und 30. Juni 2002 die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» mehrfach verletzt. Dem Beschwerdeführer sei das Recht einer Stellungnahme zu den schweren Vorwürfen verweigert worden, sein Name sei trotz eines durch ihn ausgesprochenen Verbots genannt worden, und schliesslich sei er bei der Recherche über Anlass und Ziel der Berichterstattung sowie über den berichteten Sachverhalt getäuscht worden. Die Publikation sei im Auftrag eines Krankenversicherers erfolgt und habe einzig zum Ziel gehabt, seine Person zu verunglimpfen. Zudem habe «SonntagsBlick» den berichteten Sachverhalt bis zur Unkenntlichkeit verkürzt, entstellt und die Zusammenhänge zur Unwahrheit verdreht.
D. In einer Stellungnahme vom 12. September 2002 wies die anwaltlich vertretene «SonntagsBlick»-Redaktion die Beschwerde als unbegründet zurück. Der Vorwurf des Auftragsjournalismus sei eine zurückzuweisende «Unverschämtheit». Zudem liege weder eine Täuschung über das Ziel noch über den Sachverhalt vor. Ein vom Beschwerdeführer ausgesprochenes Verbot der Namensnennung habe es nicht gegeben und selbst wenn, wäre es nicht beachtlich. Der Vorwurf der Verweigerung der Stellungnahme zu den veröffentlichten Vorwürfen sei haltlos. Vielmehr habe der Beschwerdeführer durch seinen Anwalt darauf verzichtet, die gestellten Fragen zu beantworten und das Gespräch verweigert.
E. In einem zweiten Schriftenwechsel hielten die Parteien an ihren Standpunkten fest.
F. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.
G. Am 10. Januar 2003 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt.
H. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 14. März 2003 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, bei der Recherche sei über Anlass und Ziel der Berichterstattung sowie über den berichteten Sachverhalt getäuscht worden, der berichtete Sachverhalt zur Unkenntlichkeit verkürzt sowie entstellt und die Zusammenhänge seien zur Unwahrheit verdreht worden, kann der Presserat nicht auf die Beschwerde eintreten. Angesichts der sich widersprechenden Parteistandpunkte und fehlender prozessualer Zwangsmittel müssen diese Fragen vorliegend offen gelassen werden.
2. Wenn der Beschwerdeführer zudem geltend macht, die Publikation der gegenüber ihm erhobenen Vorwürfe sei im Auftrag eines Krankenversicherers erfolgt und habe einzig zum Ziel gehabt, seine Person zu verunglimpfen, ist diese Behauptung offensichtlich unbewiesen. Gemäss den von ihm selber im Presseratsverfahren eingereichten Berichten von NZZ und «Tages-Anzeigers» vom 1. und 7. Juni 2002 befand sich der Beschwerdeführer zumindest damals in einer Auseinandersetzung mit der Krankenkasse KBV. Laut dem «Tages-Anzeiger» waren anfangs Mai 2002 zudem zwei ungewöhnliche Inserate in NZZ und «Tages-Anzeiger» erschienen. Darin habe Dr. X. bekanntgegeben, dass er gegenüber der Krankenkasse KBV in den Ausstand trete. Dies bedeute, dass er die Zusammenarbeit im Rahmen des Krankenversicherungsgesetzes mit dieser Kasse aufkündigen wolle. KBV-Versicherte hätten somit bei Behandlungen durch Dr. X. keine Leistungen aus der Grundversicherung mehr beziehen können. Aufgrund dieser Informationen lag es für den «SonntagsBlick» wie für andere Medien nahe, über dessen Person und seine Geschäftspraktiken zu recherchieren und ihn zum Gegenstand von Medienberichten zu machen. Der Beschwerdeführer legt dem Presserat darüber hinaus keinerlei Beweismittel zum Vorwurf bei, der «SonntagsBlick» habe durch die Annahme eines Auftrage der Krankenkasse KBV die berufsethisch unabdingbare Unabhängigkeit aufgegeben.
3. Ebenso abzuweisen ist unter diesen Umständen die Rüge der Missachtung eines vom Beschwerdeführer angeblich ausgesprochenen Verbots der Nennung seines Namens durch den «SonntagsBlick». Gemäss der Praxis des Presserates zur Richtlinie 7.6 ist eine Namensnennung ausnahmsweise dann zulässig, wenn es um eine Person in einer wichtigen gesellschaftlichen Stellung geht und der Gegenstand der Berichterstattung in engem Zusammenhang mit dieser Funktion steht (vgl. zuletzt die Stellungnahme 66/2002 i.S. X. c. «Blick»). Vorliegend sind diese Voraussetzungen offensichtlich gegeben, zumal sich der Beschwerdeführer zuvor offenbar selber per Inserat an die Öffentlichkeit gewandt hatte.
4. a) Damit bleibt noch die Frage zu prüfen, ob der «SonntagsBlick» der Anhörungspflicht bei schweren Vorwürfen Genüge getan hat. Die entsprechende Pflicht der Medienschaffenden hat der Presserat in ständiger Praxis aus dem der «Erklärung» zugrundeliegenden Fairnessprinzip abgeleitet. Zudem hat der Presserat jüngst an seiner Plenarsitzung vom 28. Februar 2003 eine neue Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) mit folgendem Wortlaut verabschiedet: «Aus dem Fairnessprinzip und dem ethischen Gebot der Anhörung beider Seiten (ÐAudiatur et altera pars?) leitet sich die Pflicht der Journalistinnen und Journalisten ab, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören. Deren Stellungnahme ist im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben. Ausnahmsweise kann auf die Anhörung verzichtet werden, wenn dies durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist. Der von schweren Vorwürfen betroffenen Partei muss nicht derselbe Umfang im Bericht zugestanden werden wie der Kritik. Aber die Betroffenen sollten sich zu den schweren Vorwürfen äussern können.»
Zum Zeitpunkt der Durchführung der Anhörung hat der Presserat in der Stellungnahme 54/2002 i.S. SNP c. «dimanche.ch» festgehalten, dass es bei einer Sonntagszeitung gerade noch genüge, wenn die Stellungnahme am Freitag vor der geplanten Publikation verlangt werde. Allerdings darf die Anhörung nicht zu einer bloss formellen Handlung verkommen. Wenn Medien immer bis in letzter Minute zuwarten, um eine Stellungnahme zu schweren Vorwürfen einzuholen, vermindern sie die Chancen einer fairen Anhörung. Umgekehrt wendet die Gegenseite häufig Vermeidungs- und Nichterreichbarkeitsstrategien an.
Zum zeitlichen Aspekt – wenn auch im Zusammenhang mit dem Gegenlesen eines Interviews – hat sich der Presserat zudem auch in d
er Stellungnahme 43/2001 i.S. Borer-Fielding c. «Schweizer Illustrierte» geäussert. Danach kann unter Umständen selbst eine relativ kurze Zeitspanne von 90 Minuten ausreichen, um ein Interview autorisieren zu lassen, sofern diese Frist zwischen den Parteien verabredet ist und die Interviewte den Text rechtzeitig erhält.
Schliesslich hat der Presserat in der Stellungnahme 48/2002 i.S. X. c. «SonntagsBlick» ausgeführt, dass es nicht angeht, dem berufsethischen Anhörungsprinzip pro forma durch schriftliche Fragen per Telefax zu genügen, ohne gleichzeitig bei ausbleibender Antwort z.B. durch einen Telefonanruf sicherzustellen, dass der Fax fristgemäss zur Kenntnis genommen worden ist.
b) Hinsichtlich des ersten Berichts vom 23. Juni 2002 geht aus der soweit übereinstimmenden Darstellung der Parteien hervor, dass «SonntagsBlick»-Redaktor Markus Steudler Dr. X. am Freitag 21. Juni 2003 telefonisch zu erreichen versuchte. Daraufhin beauftragte der Beschwerdeführer seinen Anwalt mit der entsprechenden Kontaktnahme. Diese fand dann erst am Samstag morgen telefonisch unmittelbar vor der Abreise des Anwalts zu einem Besuch an der Expo 02 statt.
aa) Gemäss Darstellung des Beschwerdeführers wies sein Anwalt den Journalisten darauf hin, dass dieser über Unterlagen verfügte, die ihm ein entstelltes Bild der Lage gegeben hätten. Der Anwalt habe dem «SonntagsBlick»-Journalisten deshalb ausdrücklich und förmlich die Nennung des Namens im für den nächsten Tag geplanten Artikel verboten, habe ihm aber für den kommenden Montag eine umfassende Stellungnahme und Information zu den ihm vorliegenden Unterlagen offeriert.
bb) Der «SonntagsBlick» macht demgegenüber geltend, der Anwalt des Beschwerdeführers habe anlässlich des Telefongesprächs behauptet, keine Zeit zu haben und auch keine Stellung nehmen zu wollen. Darauf hingewiesen, worum es im Artikel gehen werde und dass dieser am Folgetag erscheine, habe er sich leider nicht inhaltlich, sondern nur so wie im Artikel zitiert geäussert («Mein Mandant ist eben besser als andere Ärzte. Das provoziert Neid»). Die weiteren Behauptungen des Beschwerdeführers zum Ablauf des Gesprächs seien qualifiziert unrichtig.
cc) Nachdem sich die Angaben hinsichtlich des genauen Inhalts des Gesprächs zwischen dem Anwalt des Beschwerdeführers und dem Journalisten widersprechen und der Presserat aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen nicht zu beurteilen vermag, welche der beiden Versionen als zutreffend erscheint, ist hier im Zweifel auf die kohärente Darstellung der Beschwerdegegner abzustellen und die Rüge der fehlenden Anhörung des Beschwerdeführers abzuweisen. Denn eine Kontaktnahme am Freitag vor dem geplanten Erscheinungsdatum des Artikels war gerade noch rechtzeitig. Und wenn der Anwalt des Betroffenen – immer gemäss der im Zweifel massgebenden Version der Beschwerdegegner – auf eine Stellungnahme verzichtete, war der «SonntagsBlick» nicht verpflichtet, weitere Schritte zu unternehmen oder gar mit der Publikation zuzuwarten.
Hingegen wäre es im Beitrag vom 30. Juni 2003 unter Fairnessgesichtspunkten angezeigt gewesen, die Leserschaft wenigstens auf das nachträgliche Dementi des Beschwerdeführers hinzuweisen (vgl. hierzu die Stellungnahme 13/2001 i.S. Scientologykirche Zürich c. «L’Hebdo»), führte doch dessen Anwalt im Schreiben vom 28. Juni 2002 an den «SonntagsBlick» aus: «Der Artikel vom 23. Juni 2002 und dessen Aussagen sind rechtswidrig und nicht den Tatsachen entsprechend».
c) Zur Kontaktnahme vor dem zweiten Bericht vom 30. Juni 2002 liegt dem Presserat ein Faxschreiben von Freitag 28. Juni 2002 (15.49 Uhr) vor, das von Markus Steudler an den Anwalt des Beschwerdeführers gesandt wurde. Darin werden die wesentlichsten im Artikel vom 30. Juni 2002 enthaltenen Vorwürfe mit der Aufforderung unterbreitet, dazu bis spätestens am Samstag 10.00 Uhr Stellung zu nehmen. Vor diesem Schreiben hatte sich der Journalist bereits am Freitag morgen an den Anwalt gewandt. Daraufhin reagierte dieser im bereits oben unter Absatz b erwähnten Protestschreiben an den «SonntagsBlick» u.a. wie folgt: «Der Artikel vom 23.06.2002 und dessen Aussagen sind rechtswidrig und nicht den Tatsachen entsprechend. Weitere Publikationen, die auf diesem Artikel aufbauen, vergrössern das dadurch verursachte Unrecht (…) Auch eine Stellungnahme zu neuen Urkunden wäre nicht geeignet, daran etwas zu ändern, nur schon weil uns die Urkunden (…) nicht bekannt sind und überdies für jede Stellungnahme ausreichend Zeit notwendig ist».
aa) Gemäss Darstellung des Beschwerdeführers fand sein Anwalt das Faxschreiben mit den Fragen von Markus Steudler erst am Samstag morgen, 29. Juni 2002, vor. Jedenfalls sandte er an diesem Tag um 07.57 Uhr folgenden Fax an die Redaktion des «SonntagsBlick»: «Dr. X. ist auslandabwesend, ich kann ihm ihre Fragen nicht vorlegen. Ich bestätige Ihnen, dass ich Ihr Vorgehen als verwerflich beurteile, insbesondere die ÐKonfrontation in letzter Minute? unfair ist.»
bb) Die Beschwerdegegner machen dazu geltend, Dr. X. habe auch vor dem zweiten Artikel rechtzeitig und umfassend Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
cc) Vorab ist zur Anhörung des Beschwerdeführers vor dem Artikel vom 30. Juni 2003 festzustellen, dass die Kontaktnahme noch ganz knapp rechtzeitig erfolgte und der Ablauf im Bericht (Auslandabwesenheit von Dr. X. und Verzicht auf eine Stellungnahme durch seinen Rechtsanwalt) korrekt dargestellt wurde. Weil vor der Publikation keine inhaltliche Stellungnahme erhältlich war, fragt sich jedoch, ob der «SonntagsBlick» diese nicht hätte aufschieben und dem Beschwerdeführer eine verlängerte Frist zur Stellungnahme einräumen sollen.
Der Presserat hat im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von vertraulichen Informationen (Stellungnahme 2/1995 i.S. Bundesanwaltschaft / «SonntagsZeitung») festgehalten, dass von Medienschaffenden erwartet werden kann, die Publikation einer Information für eine kurze Frist aufzuschieben, wenn äusserst wichtige Interessen, z.B. der Erfolg einer bedeutenden polizeilichen Ermittlungsaktion, auf dem Spiel stehen. Auch wenn die Anhörung des von schweren Vorwürfen Betroffenen einen der zentralen Minimal Standards der journalistischen Berufsethik darstellt, waren die Interessen vorliegend nicht von gleichem Gewicht. Zumal der wesentliche Vorwurf des zweiten Artikels (Stundenansatz von Fr. 500.– oder Fr. 8.30 pro Minute als Offerte für das Ausstellen eines von der Krankenkasse nicht vergüteten Arztzeugnisses) eindeutig dokumentiert war. Strittig ist denn auch nicht der Stundenansatz als solcher, als vielmehr die vom «SonntagsBlick» veröffentlichte Bewertung dieses Sachverhalts. Unter diesen Umständen war es vertretbar, den Beitrag unter Hinweis auf die Abwesenheit von Dr. X. – der möglicherweise in New York durch seinen Anwalt auch telefonisch hätte erreicht werden können – auch ohne materielle Stellungnahme zu veröffentlichen. Wie bereits oben ausgeführt allerdings mit dem zusätzlichen Hinweis auf das generelle Dementi des Beschwerdeführers zu den im Artikel vom 23. Juni enthaltenen und am 30. Juni noch einmal kurz wiedergegebenen Vorwürfen.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird insoweit teilweise gutgeheissen, als der «SonntagsBlick» zumindest verpflichtet gewesen wäre, das nachträgliche Dementi des Anwalts des Beschwerdeführers im Folgeartikel vom 30. Juni 2003 wiederzugeben.
2. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.