I. Sachverhalt
A. Das inzwischen eingestellte Nachrichtenmagazin «Facts» veröffentlichte in seiner Ausgabe 3/2007 einen von Daniel Arnet verfassten Artikel mit dem Titel «Die Subventionskünstler». Der Autor setzt sich darin kritisch mit der schweizerischen Literaturförderung auseinander. Der Lead lautet: «Die hiesige Literaturförderung ist ein dunkles Kapitel. Wer ein Gesuch schreiben kann und Modethemen verwurstet, hat alle Chancen, Steuergelder abzusahnen. Talent brauchts kaum. ‹Facts› präsentiert die erfolgreichsten Staatsschreiber.» Wer die Abräumer der Subventionen anschaue, zweifle «am Sachverstand der öffentlichen Förderer. Christoph Geiser (250’000 Franken, Martin R. Dean (180’000 Franken) oder Mariella Mehr (150’000 Franken) – das sind immer wieder die grossen Namen, wenn’s um Einsacken von Steuergeldern geht. Auch diese Glücklichen zeichnet nicht schreiberische Brillanz aus, obwohl sie bereits viel Zeit gehabt hätten, sie zu beweisen. Vielmehr stehen sie fürs maue Mittelmass: wenig inspiriert, wenig renommiert und in Auflagezahlen gedruckt, die kaum über ein paar tausend Exemplare reichen». Der Blick auf die von «Facts» recherchierte Liste der am häufigsten unterstützen Schweizer Schriftsteller zeige: «Hier geht’s nicht um Talent, sondern um Gesinnung, wenig um Literatur, dafür umso mehr um Ideologie. (…) Mit der Förderung der Jugendliteratur, der jenischen Kultur sowie derjenigen der Secondos zeige man ein ‹Herz für Randgruppen›. Und mit Beiträgen an die homosexuellen Autoren Christoph Geiser oder Christoph Bachmann kann jedes Gremium seine Solidarität mit den Schwulen im Land bezeugen; auch das schadet nie.»
B. Am 23. März 2007 gelangte der anwaltlich vertretene Christoph Geiser, Bern, mit einer Beschwerde gegen «Facts» an den Presserat. Die negative Qualifikation durch den Artikel von Daniel Arnet werde weder begründet noch dokumentiert. Sie stehe in eklatantem Widerspruch zur Rezeption seines Werks in der deutschen Literaturkritik. Darin erfahre dieses eine hervorragende Aufnahme. Es könne nur auf fehlende literarische Kompetenz und auf Unkenntnis der positiven Rezeption in der interessierten Öffentlichkeit sowie den Verzicht auf entsprechende Recherchen zurückgeführt werden, dass ihm im beanstandeten Bericht eine unterstützungs- und förderungswürdige Qualität abgesprochen werde. Der Autor gebe seine auf keinerlei literarische Kenntnis oder entsprechende Recherche gegründete Meinung als allgemein anerkanntes Faktum aus. Weiter entbehre die implizite Unterstellung, er benütze seine sexuelle Orientierung zur Beschaffung von Fördermitteln, jeglicher tatsächlichen Grundlage. Damit verstosse «Facts» gegen die Richtlinie 2.3 zur «Erklärung der Pflichten und Rechten der Journalistinnen und Journalisten» (Trennung von Fakten und Kommentaren) sowie gegen Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) der «Erklärung». Mit der Bezeichnung von geförderten Autoren als «Subventionskünstler» bzw. «Abräumer», welche Steuergelder entweder «absahnen» oder «einsacken», verletze der Artikel zudem die Richtlinie 8.1 zur «Erklärung» (Respektierung der Menschenwürde).
C. Am 30. April 2007 wies die durch den Tamedia-Rechtsdienst vertretene Redaktion von «Facts» die Beschwerde als unbegründet zurück. Der Autor habe seine Meinung zum Schaffen von Christoph Geiser abgegeben. Diese Meinung sei klar als solche erkennbar. Ohnehin hätten nicht die Schriftsteller, sondern vielmehr die Kommissionen, welche diese Autoren fördern, im Zentrum des kritischen Berichts von Daniel Arnet gestanden. «Facts» habe weder Fakten und Meinungen vermengt, noch Unwahrheiten veröffentlicht. Der Beschwerdeführer bestreite keine einzige Tatsachendarstellung oder Zahl im beanstandeten Bericht. Der Artikel habe zudem weder implizit noch explizit behauptet, der Beschwerdeführer benützte seine sexuelle Orientierung zur Beschaffung von Fördermitteln. Vielmehr werde dargelegt, dass ihn die Kommissionen förderten, weil er dieser Gruppe angehöre. Schliesslich seien Ausdrücke wie «Subventionskünstler» und «Abräumer» für die davon Betroffenen zwar vielleicht unangenehm. Darin eine Verletzung der Menschenwürde zu sehen, sei jedoch blanker Unsinn.
D. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.
E. Am 3. Mai 2007 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer und den Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever sowie Esther Diener-Morscher behandelt.
F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 9. November 2007 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. a) Gemäss konstanter Praxis des Presserates kann aus der Ziffer 1 der «Erklärung» und aus der zugehörigen Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) keine Pflicht zu objektiver Berichterstattung abgeleitet werden. Berufsethisch sind auch einseitige, parteiergreifende und fragmentarische Standpunkte zulässig. Die berufsethischen Normen gelten allerdings auch für Kommentare. Ein Kommentar bewegt sich «in den Grenzen des berufsethisch Zulässigen (…), wenn sowohl die Wertung wie die ihr zugrundeliegenden Fakten für das Publikum erkennbar sind und wenn sich die Wertung zudem auf eine genügende Grundlage stützt» (vgl. z.B. die Stellungnahmen 14 und 62/2006).
In der Stellungnahme 30/2001 hat der Presserat darauf hingewiesen, dass die Grenzen der Kommentarfreiheit auch für die Kulturberichterstattung gelten. Auch in kulturellen Rezensionen muss das Publikum in die Lage versetzt werden, faktengestützte Wertungen nachzuvollziehen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Allerdings verdiene (so die Stellungnahme 44/2001) die Kulturberichterstattung und Kulturkritik einen grossen Spielraum. «Auch eine sehr harsche, einseitige Kritik von künstlerischen Leistungen ist mit der ‹Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten› vereinbar, sofern diese für das Publikum als Werturteil erkennbar ist, und zudem weder wichtige Elemente von Informationen unterschlägt noch die betroffene Person in unfairer Weise herabsetzt.»
2. Nach den dargelegten Kriterien der Presseratspraxis ist im beanstandeten Medienbericht zwischen der allgemeinen Kritik an der schweizerischen Kulturförderung und den dabei geäusserten negativen Bewertungen einzelner Autor/innen zu unterscheiden:
a) Daniel Arnet beanstandet auf der Basis der von ihm genannten (und offenbar recherchierten) Gesamtsummen von Fördergeldern, die an einzelne Autor/innen ausbezahlt worden sein sollen, es würden immer wieder die gleichen Schriftsteller berücksichtigt. Zudem schlägt er vor, künftig anstatt Subventionen für einzelne Buchprojekte zu verteilen, die Fördergelder für die staatliche Finanzierung literarischer Ausbildung, für Auslandaufenthalte oder für einen namhaften Schweizer Literaturpreis einzusetzen. Vor allem aber würde er es vorziehen, anstatt «Autoren, die kaum jemand liest, über Jahrzehnte» zu unterstützen, zu versuchen, «in der Schweiz bereits erfolgreichen Autoren durch subventionierte Übersetzungen zu internationalem Durchbruch» zu verhelfen. Insoweit sind die Wertungen des Autors ebenso wie die diesen zugrunde liegenden Fakten für die Leserschaft problemlos erkennbar.
Die verwendeten Kriterien mögen absurd anmuten: Wenn der Förderwürdigkeit in erster Linie Publikumserfolge zugrunde liegen sollten, würden ja populäre Werke wie «Die Weisse Massai», die keinen literarischen Massstäben genügen, obenausschwingen. Hätte der Autor die Kulturbericht
erstattung verfolgt, wäre er auch darauf gestossen, dass Geisers Werke aus den späten 70er- und 80er-Jahren – «Grünsee» und «Brachland» – kurz vor seiner Attacke unter grossem Beifall namhafter Literaturkritiker/innen 2006 neu aufgelegt wurden. Und er hätte selbst bei oberflächlicher Recherche zwei namhafte Literaturpreise wahrgenommen, die der Kanton Bern und die Schillerstiftung dem Autor Geiser im Jahr 2004 anhefteten (im Unterschied zu Förder- und Werkjahrgeldern). Aber die Meinungsäusserungsfreiheit deckt wie ausgeführt auch unsachliche und unvollständige Kritik, sofern sie einen erkennbaren Sachzusammenhang mit allgemeinen Fragestellungen aufweist.
b) Heikler erscheinen hingegen diejenigen Passagen des Artikels, in denen «Facts» die geförderten Schriftsteller nicht bloss wegen ihres fehlenden Erfolgs bei einem breiten Publikum kritisiert, sondern ihr literarisches Werk durch Attribute wie «keine schreiberische Brillanz», «maues Mittelmass», «wenig inspiriert, wenig renommiert», «Gesinnung statt Talent», «Ideologie statt Literatur» usw. herabwürdigt. Bei seiner subjektiven Bewertung der Qualität der geförderten Literatur ist Daniel Arnet selbstverständlich nicht an die im Artikel wiedergegebene Auffassung von zwei Exponentinnen von Förderinstitutionen gebunden, wonach die (hohe) Qualität des Textes das wichtigste Beurteilungskriterium bilde. Und ebenso hindert ihn die beeindruckende Zahl der vom Beschwerdeführer eingereichten positiven Rezensionen zu seinem Werk nicht daran, seine davon diametral abweichende persönliche Auffassung öffentlich kundzutun. Sieht man jedoch von der Höhe der Auflage als dem für ihn offenbar wichtigsten Qualitätskriterium ab, gibt Daniel Arnet der Leserschaft jedoch kaum Hinweise, weshalb, aufgrund welcher Fakten, er zu dieser negativen Bewertung kommt.
Wenn die Hauptstossrichtung des Artikels – wie dies der Tamedia-Rechtsdienst geltend macht – darin bestand, die bestehende Subventionspraxis zu kritisieren und eine andere – analog zur Filmförderung – insbesondere mehr nach den Auflagezahlen und dem kommerziellen Erfolg im Inland ausgerichtete Literaturförderung zu fordern, wären diese unnötigen, nicht näher begründeten, unter anderem gegen den Beschwerdeführer gerichteten Seitenhiebe eigentlich verzichtbar gewesen. Trotzdem sieht der Presserat darin aber weder eine Verletzung der Kommentarfreiheit noch eine solche der Wahrheitspflicht. Denn die negativen Bewertungen von «Facts» sind eindeutig als subjektive Werturteile des Journalisten erkennbar und sie beziehen sich zudem in erster Linie auf die Sache (das literarische Schaffen der kritisierten Autor/innen) und nicht auf die Personen.
Auch die lebhafte deutsche Debatte zum Persönlichkeitsschutz erkennt nur dann auf verbotene «Schmähkritik», wenn diese nicht nur in übersteigerter Polemik und ausfällig formuliert ist, sondern – etwa wegen einer Privatfehde – keinen sachlichen Bezug mehr hat (Heinrich Böll sei «ein steindummer, kenntnisloser, talentfreier Autor, auch einer der verlogensten, korruptesten»). So weit geht die in einem gerade noch erkennbaren Sachzusammenhang stehende Kritik an Geiser nicht.
3. Dies gilt auch für die Anspielung auf die sexuelle Orientierung des Beschwerdeführers. Würde der beanstandete Bericht tatsächlich behaupten, der Beschwerdeführer benütze seine sexuelle Orientierung, um an öffentliche Fördergelder zu gelangen, wäre dies nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Wahrheitspflicht (Ziffer 1) der «Erklärung», sondern auch als Verletzung von Ziffer 8 (Diskriminierung, Respektierung der Menschenwürde) zu rügen. Nach Auffassung des Presserats trifft diese Lesart jedoch nicht zu. Bereits der Untertitel «Ein Herz für Randgruppen» legt ebenso wie die weiteren Ausführungen vielmehr den Schluss nahe, dass es Daniel Arnet hier um die Exemplifizierung seiner Kritik geht, wonach die Literaturförderung zu stark auf Randgruppenthemen (Jugend, Jenische, Secondos, Homosexuelle) und politisch linke Modethemen statt auf den Mainstream ausgerichtet sei.
4. Schliesslich beziehen sich die vom Beschwerdeführer beanstandeten wertenden Ausdrücke wie «Subventionskünstler» bzw. «Abräumer», welche Steuergelder entweder «absahnen» oder «einsacken», eindeutig auf das im «Facts»-Artikel» behauptete und zumindest durch den Beschwerdeführer nicht bestrittene Faktum, wonach die darin genannten Autoren staatliche Fördermittel in erheblichem Umfang erhalten hätten. Aus Sicht der unvoreingenommenen Leserschaft ist ein «Subventionskünstler» ein Künstler, der in den Genuss (vieler) Subventionen kommt; und (im gleichen Kontext) ein «Abräumer» ein solcher, der im Vergleich zu anderen Künstlern einen übermässigen Anteil dieser Fördergelder bezieht. Die aus der subjektiven Sicht des Journalisten sachlich unangemessene Verteilung von öffentlichen Geldern mit derart bildhaften Begriffen zu kritisieren – ob zu Recht oder zu Unrecht – verstösst offensichtlich nicht gegen die Pflicht zur Respektierung der Menschenwürde, welche die Verunglimpfung und Herabwürdigung von Personen wegen ihrer angeborenen oder kulturell erworbenen Eigenschaften verhindern soll.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Mit der Veröffentlichung des Berichts «Die Subventionskünstler» in der Ausgabe 3/2007 hat «Facts» die Ziffern 1 und 2 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.