Nr. 56/2002
Keine antisemitische Wirkung

(David c. «Neue Luzerner Zeitung») Stellungnahme des Presserates vom 29. November 2002

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I. Sachverhalt

A. In ihrer Ausgabe vom 5. Juni 2002 berichtete die «Neue Luzerner Zeitung» unter dem Titel «Sharon lässt Mauer bauen» über den Plan der israelischen Regierung, mittels einer Mauer künftig das Eindringen palästinensischer Attentäter nach Israel zu verhindern. Der Bericht war durch einen in einem separaten Kasten hervorgehobenen Rückblick auf den «Sechstagekrieg» von 1967 mit dem Titel «Blitzkrieg» und einem Kommentar mit der Überschrift «Mauer der Widersprüche» ergänzt.

B. Mit Beschwerde vom 28. Juni 2002 gelangte die Organisation David (Das Zentrum gegen Antisemitismus und Verleumdung) an den Presserat und rügte, die NLZ habe in ihrem Rückblick zum Jahrestag des «Sechstagekrieges» von 1967 inakzeptable, unbewiesene und unwahre Behauptungen veröffentlicht, wonach es für die «neuere Forschung» höchst zweifelhaft sei, ob die militärische Führungen von Ägypten und Syrien damals wirklich einen Angriff gegen Israel vorbereiteten. Zudem zeuge die Verwendung des Terminus «Blitzkrieg», der eindeutig für Hitlers rasche Erfolge zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gegen Polen, Frankreich und andere Länder reserviert sei, entweder von sträflichem Unwissen oder einem unerträglichen Zynismus des dafür Verantwortlichen. Insgesamt wirke der Text eindeutig antisemitisch, womit die Redaktion klar gegen Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen habe.

C. In einer Stellungnahme vom 30. Juli 2002 beantragte die Redaktion der NLZ, die Beschwerde sei abzuweisen. Zahlreiche aktuelle Forschungsergebnisse (Watzal, Feinde des Friedens, Der endlose Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, Bern 2001; Hollstein, Vettern und Feinde, Der Palästina / Israel-Konflikt, Basel 1983; Schreiber / Wolfssohn, Nahost, Geschichte und Struktur des Konflikts, Opladen 1988; Rodinson, Israel and the Arabs, New York 2. Aufl. 1982, Hourani, Geschichte der arabischen Völker, 1992) stützten die am 5 Juni 2002 von der NLZ veröffentlichten Aussagen. Zudem werde der Terminus «Blitzkrieg» entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht nur für Hitlers Feldzüge von 1939, sondern ganz allgemein für schnelle militärische Eingriffe verwendet.

D. Am 9. August 2002 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt.

E. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

G. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 29. November 2002 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Presserat hat in seiner Stellungnahme 13/2000 darauf hingewiesen, dass es nicht seine Aufgabe sein kann, die Qualität einer historischen Recherche und deren Ergebnisse zu überprüfen. Dementsprechend muss die Frage, ob die Qualifikation des sog. Sechstagekrieges von 1967 als Angriffskrieg aufgrund des heutigen Stands der historischen Forschung haltbar ist oder nicht, von vornherein offen bleiben. Ebensowenig kann es Aufgabe eines berufsethischen Gremiums sein, sich im Sinne einer «Sprachpolizei» verbindlich zur Zulässigkeit der Verwendung bestimmter Termini zu äussern. Dies gilt jedenfalls dann, wenn wie vorliegend aus dem Gebrauch des Terminus «Blitzkrieg» im Zusammenhang mit dem «Sechstagekrieg» für die Leserschaft entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kein offensichtliches Unwerturteil im Sinne eines «ungerechtfertigten» Kriegs verbunden ist. Übrigens nennt Peter Parets Klassiker «Makers of modern Warfare» den «Blitzkrieg» mindestens in einem Dutzend Varianten, beginnend mit Friedrich dem Grossen.

2. Gemäss Ziffer 8 der «Erklärung» haben Journalistinnen und Journalisten diskriminierende Anspielungen zu unterlassen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben. Der Presserat hat in diesem Zusammenhang (Stellungnahme 21/01 i.S. W. c. «Tages-Anzeiger») darauf hingewiesen, dass selbst aus einer harschen Kritik am Staat Israel und an den Handlungen der Verantwortlichen dieses Staates nicht automatisch geschlossen werden kann, dass diese Kritik antisemitisch motiviert ist.

3. Dementsprechend kann weder aufgrund der historisch offenbar kontroversen Einschätzung des «Sechstagekrieges», noch aufgrund der aus der subjektiven Sicht der beschwerdeführenden Organisation als verletzend empfundenen Verwendung des Begriffs «Blitzkrieg» im Zusammenhang mit diesem Krieg eine antisemitische Gesamtwirkung des Textes abgeleitet werden. Für den unbefangenen Leser entsteht lediglich der Eindruck einer israelkritischen, nicht aber derjenige einer antisemitischen Haltung.

III. Feststellung

Die Beschwerde wird als unbegründet zurückgewiesen.