Nr. 9/2001
Kampagne gegen Kampfhunde

(T. / A. / A. c. Blick) Stellungnahme des Presserates vom 19. Januar 200

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I. Sachverhalt

A. Im Sommer und Herbst 2000 kam es in Deutschland und in der Schweiz zu Vorfällen, bei denen Menschen von aggressiven Hunden gebissen oder angegriffen und schwer verletzt wurden oder starben. Medien und Politik diskutierten darauf mögliche Massnahmen gegen Kampfhunde. In der Schweiz griff besonders die Tageszeitung „Blick” das Thema mit Nachdruck auf, und zwar Ende Juni/Anfang Juli, im September, im Oktober und im November 2000.

B. Mit Schreiben vom 20. November 2000, vom 23. November 2000 und vom 29. November 2000 reichten T., A. und A. gegen die Berichterstattung von „Blick” beim Presserat Beschwerde ein. Sie erachteten Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten” als verletzt. Die drei Beschwerden lauteten, von Nuancen abgesehen, gleich. T. legitimierte sich als Sport-Hundeführer und Halter von sogenannten Kampfhunden, A. ebenfalls als Kampfhunde-Halterin. Mit der gemeinsamen Behandlung der drei Beschwerden erklärte sich T. mit Brief vom 9. Januar 2001 ausdrücklich einverstanden.

C. Der Presserat wies die Beschwerde der 1. Kammer zu, der Roger Blum als Präsident und Marie-Louise Barben, Luisa Ghiringhelli, Silvana Ianetta, Philip Kübler, Kathrin Lüthi und Edy Salmina als Mitglieder angehören.

D. Im Namen des „Blicks” als Beschwerdegegner nahm Rechtsanwalt Dr. Matthias Schwaibold mit Schreiben vom 12. Januar 2001 zur Beschwerde Stellung. Er beantragte, auf die Beschwerde nicht einzutreten, und für den Fall, dass der Presserat es dennoch täte, sie abzuweisen.

E. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 19. Januar 2001.

II. Erwägungen

1. Wenn Menschen von aggressiven Hunden angefallen und gebissen werden und wenn diese Menschen dabei verletzt werden oder sogar sterben, dann ist es völlig normal, ja notwendig, dass die Medien darüber berichten. Da das Phänomen der Häufung von Hundeattacken mit schlimmen Folgen zudem in letzter Zeit verstärkt wahrgenommen wird, leuchtet zudem ein, dass darüber mehr und auffälliger berichtet wird als beispielsweise über Verkehrsunfälle. Es gehört zur Kritik- und Kontrollfunktion der Medien, neue oder neu entdeckte Phänomene aufzugreifen und die Bevölkerung sowie die politisch Verantwortlichen auf Lösungen hin zu sensibilisieren.

2. Der Tod eines sechsjährigen Knaben, der in Hamburg von einem Pitbull-Terrier gebissen worden war, führte in Deutschland sofort zu einer öffentlichen Diskussion, was gegen Kampfhunde vorgekehrt werden könnte. Erwogen wurde ein Verbot solch aggressiver Hunde. “Blick” spiegelte in der Zeit vom 27. Juni bis 2. Juli 2000 die Vorfälle und die Diskussion in Deutschland und stellte die Frage, ob Kampfhunde in der Schweiz verboten werden sollen. Diese Frage war legitim, da bekannt war, dass aggressive Hunderassen auch in der Schweiz gehalten werden. Die Online-Befragung des „Blick” ergab, dass 75 Prozent der Antwortenden für ein Verbot und 25 Prozent dagegen waren. Chefredaktor Jürg Lehmann forderte in einem Kommentar, die Schweiz solle politisch handeln, bevor auch hierzulande jemand an Hundebissen sterbe (30. Juni 2000). Der Vehemenz, mit der „Blick” das Thema aufgriff und warmhielt, kam zwar Kampagnencharakter zu, aber Medien würden die Kritik- und Kontrollfunktion vernachlässigen, wenn sie in einer solchen Situation die entsprechenden Fragen nicht stellten und die nötigen Forderungen nicht erhöben.

3. In der Folge griff „Blick” folgende vier Vorfälle auf:

– Am 6. September 2000 berichtete die Zeitung über einen Pitbull, der in Zürich einen Wirt und später einen Dackel und dessen Besitzerin biss. „Blick” fragte: „Muss erst ein Mensch totgebissen werden, bis etwas geschieht?”

– Am 11. Oktober 2000 referierte das Blatt über eine Schülerin in Abtwil (SG), die unterwegs durch eine Meute von Schäfermischlingen angefallen und gebissen wurde.

– Am 26., 27. und 28. Oktober 2000 berichtete die Zeitung, dass in Uttwil (TG) ein entlaufener Rottweiler-Rüde einen sechsjährigen Knaben so schwerwiegend in den Hals gebissen hatte, dass das Kind im Spital notfallmässig operiert werden musste und in Lebensgefahr schwebte. Am 27. Oktober forderte „Blick” die politischen Behörden erneut zum Handeln auf und wiederholte den Kommentar des Chefredaktors vom 30. Juni. In den folgenden Tagen ging das Blatt den politischen Konsequenzen der Vorfälle nach.

– Am 12., 14., 15. und 16. November 2000 meldete „Blick”, dass in Zürich eine Frau aus Angst vor einem Dobermann, der sie anzufallen drohte, in die Limmat sprang und dabei ertrank.

Die Beschwerdeführer bestreiten die Vorfälle nicht. Sie klagen „Blick” lediglich an, über keinen kynologischen Sachverstand zu verfügen, undifferenziert den Begriff „Kampfhunde” zu verwenden, der nie definiert werde, und mit Bezeichnungen wie „Bestien” und „Killerhunde” gegen die Wahrheitspflicht zu verstossen.

4. Der Begriff „Kampfhunde” hat sich in der öffentlichen Diskussion eingebürgert als Bezeichnung für aggressive Hunde verschiedener Rassen, deren Reizschwelle tief ist und die darum gefährlich sind. Es verstösst nicht gegen die Wahrheitspflicht, wenn Medien solche in der öffentlichen Debatte gebräuchlichen Bezeichnungen übernehmen. Auch Begriffe wie „Bestien” oder „Killerhunde” sind zwar nicht gerade freundlich, aber angesichts der Vorfälle nachvollziehbar und kein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht.

5. Im speziellen kritisieren die Beschwerdeführer den Titel „Rottweiler biss Bub (6) Genick durch”. Sie argumentieren, dass ein Mensch mit durchgebissenem Genick sofort tot sei. Sie weisen ferner darauf hin, dass die Rasse Rottweiler nie für Hundekämpfe abgerichtet wurde und deshalb nicht in die Gruppe der Kampfhunde einzuordnen sei. Es ist nicht Sache des Presserates nachzuprüfen, ob es in Uttwil (TG) tatsächlich ein Rottweiler war, der den sechsjährigen Knaben in den Hals gebissen hat. Die Beschwerdeführer behaupten ja auch nicht, „Blick” habe falsch berichtet, sie sagen bloss, Rottweiler seien nicht derart aggressiv. Sollte aber trotzdem ein Rottweiler zugebissen haben, dann sind die Bemerkungen über die Gutmütigkeit der Rottweiler wenig hilfreich. Den Beschwerdeführern zuzustimmen ist indessen in der Beurteilung, dass die Formulierung „biss Bub Genick durch” nicht präzis und darum nicht korrekt ist und hätte heissen müssen: “…biss Bub ins Genick”. Da aber bereits der Untertitel mitteilte, dass der Knabe in Lebensgefahr schwebe und somit noch am Leben sei, ist die Wahrheitspflicht nicht verletzt. Jedermann erhält bereits durch Titel und Untertitel die volle Information.

6. Schwerwiegender ist der Vorwurf, „Blick” habe durch seine Berichterstattung mit dem Ziel einer Hundephobie indirekt den Tod der Frau verursacht, die aus Angst vor dem angreifenden Hund in die Limmat gesprungen war. Hier stellt sich die Frage nach der Medienwirkung. Erstens ist keineswegs erwiesen, dass zwischen der Angst der Frau vor gefährlichen Hunden und der Berichterstattung des „Blick” ein kausaler Zusammenhang besteht. Eine solche Angst kann bereits seit der Kindheit bestehen. Zweitens konnte die Frau auch aus allen anderen Medien erfahren haben, dass Vorfälle mit aggressiven Hunden vermehrt zu reden gaben. Drittens hat der Presserat die Problematik, ob eine Ethik des Unterlassens, eine wirkungsorientierte Verantwortungsethik in gewissen Fällen geboten sei, in einem anderen Zusammenhang bereits einmal geprüft (B. c. S., Stellungnahme 2/1997, „Stellungnahmen 1997″ S. 31ff.) und ist zu einem negativen Schluss gekommen. Auch hier wäre eine solche Ethik fatal. Denn sie würde jede Berichterstattung ausschliessen, die Menschen in Angst und Schrecken versetzen könnte. Berichte über Flugzeuge, die mitten in eine Wohnsiedlung abstürzen, müssten geheimgehalten werden, weil sich sonst Menschen, die ein tie
ffliegendes Flugzeug hören, aus ihren Fenstern auf die Strasse stürzen. Berichte über Erdbeben, Wirbelstürme oder Bergstürze müssten unterdrückt werden, weil es sonst Menschen gibt, die nachts nicht mehr schlafen gehen und bei jedem unbekannten Geräusch ins Freie fliehen. Von Mördern, geflüchteten Verbrechern, Terroristen, Strassenverkehrsunfällen, Zugszusammenstössen oder Flugzeugabstürzen dürfte in den Medien nie mehr die Rede sein. Das Gegenteil ist richtig: Wenn Menschen nicht völlig blauäugig durchs Leben gehen sollen, müssen die Medien unbedingt über die Unbill der Gegenwart berichten, auch über die Gefahr aggressiver Hunde.

III. Feststellungen

1. „Blick” hat mit der Berichterstattung über aggressive Hunde Ziffer 1 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten” nicht verletzt.

2. Die Beschwerde wird daher abgewiesen.