Nr. 28/2008
Fairnessprinzip / Unterschlagung wichtiger Informationselemente / Anhörung bei schweren Vorwürfen / Berichtigungspflicht / Verletzung der Privatsphäre

(Caritas c. «SonntagsZeitung») Stellungnahme des Presserates vom 13. Juli 2008

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I. Sachverhalt

A. Am 2. Dezember 2007 veröffentlichte die «SonntagsZeitung» unter dem Titel «Caritas in Nöten» einen Artikel von Jean François Tanda und Nicole Meier. Der Untertitel vermeldet, der «Chef-Delegierte in Indonesien hat zwei Frauen sexuell belästigt». In den nächsten Wochen wolle Caritas-Direktor Jürg Krummenacher nach Indonesien reisen, um dort mit Behörden und Mitarbeitern Gespräche zu den Themen sexuelle Belästigung sowie mutmassliche Korruption unter Caritas-Mitarbeitern zu führen. Die Vorwürfe seien von einem Unbekannten per E-Mail publik gemacht worden und würden von Caritas nach einer internen Abklärung nicht dementiert.

Der Chefdelegierte von Caritas im muslimischen Indonesien habe zwei einheimische Angestellte sexuell belästigt. Laut Caritas-Direktor Krummenacher handle es sich bei den Belästigungen «um Berührungen an Oberschenkel, Arm und Fuss». Dies verstosse klar gegen das interne Reglement gegen sexuelle und sexistische Belästigung. Der Chefdelegierte habe einen Verweis erhalten. «‹Der Chefdelegierte wurde nicht entlassen, weil der Tatbestand nicht ausreichend war und er sonst gute Arbeit geleistet hat›», sagt Caritas-Direktor Jürg Krummenacher». Dafür sollten jetzt rechtliche Schritte gegen den Urheber des anonymen E-Mails eingeleitet werden.

Bei Krummenachers Reise gehe es aber «auch um mutmassliche Korruption im Tsunamiprojekt. Im April 2007 hatte Caritas festgestellt, zwei indonesische Unternehmen hätten 147 483 Franken an Schmiergeld bezahlt. Auch das blieb ohne wirkliche Konsequenzen. Ein lokaler Caritas-Mitarbeiter wurde entlassen; die Unternehmen dürfen weiterhin für Caritas tätig sein. ‹Es wäre für uns teurer geworden, die Unternehmer zu wechseln, als mit den bisherigen zusammenzuarbeiten›, gibt Jürg Krummenacher als Begründung an.»

B. Eine Woche später, am 9. Dezember 2007, erschien ein weiterer Artikel Jean François Tanda und Nicole Meier zum Thema mit dem Titel «Caritas setzt auf interne Aufklärung». Der Lead erklärt: «Trotz Korruption und sexueller Belästigung in Indonesien: Das Hilfswerk schaltet die Justiz nicht ein.» Stattdessen beabsichtige Caritas, als Reaktion auf den Korruptionsfall gestützt auf eine Empfehlung von Transparency International eine Null-Toleranz-Politik einzuführen und sein Personalreglement entsprechend anzupassen.

«Durch den Korruptionsfall habe Caritas ‹keinen direkten Schaden› genommen, sagt Direktor Jürg Krummenacher. Korruptionsexperte Marco Balmelli vom Basel Institute of Governance widerspricht: ‹Natürlich ist Caritas geschädigt.› Das Schmiergeld habe den Bauauftrag verteuert. ‹Wir bewegen uns im strafrechtlichen Bereich›, sagt er, die Bestechung ausländischer Beamter ist in der Schweiz strafbar.›» Caritas habe keine Strafanzeige eingereicht, angeblich wegen der ‹unklaren Beweislage›».

Weiter zu reden gebe auch ein zweiter Caritas-Vorfall in Indonesien, bei dem der Chefdelegierte zwei Frauen sexuell belästigt habe. Bei einer kurzfristig durch Caritas einberufenen Mitarbeiterversammlung hätten sich 9 der 40 Caritas-Angestellten vor Ort gegen ihren Chef ausgesprochen. «Das Ergebnis widerspricht Krummenachers Verlautbarungen: Er hatte behauptet, die Caritas-Angestellten hätten sich ‹übereinstimmend bereit erklärt›, weiterhin mit dem Missetäter zu arbeiten, trotz der Fälle sexueller Belästigung.»

C. Am 21. Dezember 2007 gelangte Caritas mit einer Beschwerde an den Schweizer Presserat. Das Hilfswerk als Organisation sowie eine Reihe seiner Exponenten fühle sich von der «SonntagsZeitung» unfair behandelt. Die beiden Artikel vom 2. und 9. Dezember 2007 seien während der Jahreskampagne von Caritas veröffentlicht worden. Die Redaktion sei darauf hingewiesen worden, dass in dieser Zeit rund ein Drittel aller Spenden anfallen würden.

Mit ihrer Berichterstattung habe die Zeitung das Fairnessprinzip sowie die Ziffern 3 (Unterschlagung wichtiger Informationselemente, Entstellung von Tatsachen, Anhörung bei schweren Vorwürfen), 5 (Berichtigung) und 7 (Respektierung der Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

Insbesondere sei es nicht wahr, dass die Vorfälle ohne wirkliche Konsequenzen geblieben seien. Die Caritas habe sich beim Vorwurf der sexuellen Belästigung gestützt auf die Abklärungen und Empfehlungen eines interkulturellen Expertenteams vom Verhältnismässigkeitsprinzip leiten lassen. Die im zweiten Artikel erwähnte Vertrauensabstimmung sei vom Chefdelegierten und nicht von Caritas durchgeführt worden. Zudem stimme weder die Zahl der Abstimmenden noch das Abstimmungsresultat. Der zweite Artikel umschreibe zudem die Natur der sexuellen Belästigungen nicht näher, was zu Missverständnissen über deren Tragweite führen könne. Die Formulierung «entgegen den Verlautbarungen Krummenachers» stelle diesen als Lügner hin.

In Bezug auf den Korruptionsvorwurf suggeriere die «SonntagsZeitung» im zweiten Bericht vom 9. Dezember 2007 wahrheitswidrig, Caritas habe erst nach dem Artikel der «SonntagsZeitung vom 2. Dezember 2007 reagiert und nachdem Transparency International entsprechende Ratschläge erteilt hatte. Auch hier habe Direktor Jürg Krummenacher der «SonntagsZeitung» telefonische Hintergrundinformationen gegeben, die von dieser nicht berücksichtigt wurden. In Tat und Wahrheit habe Caritas bereits im Mai 2007 unmittelbar nach Kenntnisnahme des Vorfalls den Sachverhalt sorgfältig geklärt und von sich aus mit Transparency International Kontakt aufgenommen. Beim Verzicht auf eine Strafanzeige sei Caritas den Empfehlungen dieser Organisation gefolgt.

Weiter beanstandete die Caritas, die genaue Bezeichnung der Funktion des Chefdelegierten und die Nennung des Namens seines Vorgängers sei persönlichkeitsverletzend. Unfair sei schliesslich auch die Illustration des zweiten Beitrags, die beim Abdruck von Leserbriefen nochmals verwendet wurde. Das Bild zeige ein sich im Bau befindliches Haus, das mit den Programmen und Projekten von Caritas nichts zu tun habe. Trotzdem heisse es in der Bildlegende: «Hilfsprojekt in Indonesien: Caritas-Mitarbeiter waren bei einem Bauauftrag in eine Schmiergeldaffäre verwickelt.» Die «SonntagsZeitung» suggeriere damit, das Hilfswerk Caritas sei überfordert und korrupt und leiste erst noch schlechte Arbeit.

D. Am 13. Februar 2008 wies die «SonntagsZeitung» die Beschwerde der Caritas als unbegründet zurück. Der Zeitpunkt der Publikation sei nicht auf die Jahreskampagne des Hilfswerks ausgerichtet gewesen, sondern allein durch die Aktualität bestimmt worden.

Der Vorwurf, das Verhalten des Chefdelegierten sei «ohne wirkliche Konsequenz geblieben», sei eine Wertung der beiden Autoren der beanstandeten Berichte. Diese Kritik sei vertretbar. Zudem sei auch der anderslautende Standpunkt des Caritasdirektors in die Berichterstattung eingeflossen. Entscheidend sei, dass die «Sonntagszeitung» keine unrichtigen Fakten veröffentlicht habe. Insbesondere habe auch die «Richtigstellung», welche die Caritas am 2. Dezember 2007 breit gestreut habe, keine Fakten enthalten, aufgrund welcher eine Berichtigung der Redaktion angebracht gewesen wäre.

Einzig bei der im Artikel vom 9. Dezember 2007 erwähnten Vertrauensabstimmung widerspreche sich die Faktendarstellung der Parteien teilweise. Bei genauerem Hinsehen seien die Abweichungen aber minim. Insbesondere sei die Hauptaussage, nicht sämtliche Mitarbeitenden stünden hinter dem Chefdelegierten, durch die geringe Abweichung bei der Zahl der Abstimmenden und dem Abstimmungsergebnis nicht tangiert. Zudem sei es unsinnig zu behaupten, die «SonntagsZeitung» habe Krummenacher als Lügner hingestellt. Man habe einzig auf den Widerspruch zwischen der Sichtweise der Caritas-Zentrale in Luzern und derjenigen vor Ort in Indonesien hinweisen wollen.

Die «SonntagsZeitung» habe
weiter weder die Persönlichkeit des aktuellen Chefdelegierten in Indonesien noch diejenige seines Vorgängers verletzt. Eine Namensnennung wäre aufgrund des öffentlichen Interesses an sich bei beiden denkbar gewesen. Zudem habe der Vorgänger des aktuellen Chefdelegierten die Zeitung nach Erscheinen des ersten Artikels ausdrücklich um die Nennung seines Namens gebeten, um Verwechslungen auszuschliessen.

Ebenso wie beim Vorwurf der sexuellen Belästigung habe die «SonntagsZeitung» auch beim Korruptionsvorwurf die Reaktion der Caritas anders gewertet als diese selber. Sie habe aber keineswegs suggeriert, das Hilfswerk sei erst aufgrund ihrer Berichterstattung aktiv geworden.

Für den Gesamteindruck, den die Leserschaft erhielt, sei die Illustration unbedeutend gewesen. Das Publikum sei es sich gewohnt, dass Geschichten mit Symbolbildern illustriert würden. Das Bild suggeriere in keiner Weise, die Caritas sei überfordert oder korrupt. Einzuräumen sei allerdings, dass die Illustration den Eindruck erwecken kann, das Bild zeige ein Projekt von Caritas. Sie sei deshalb als nicht optimal gewählt einzustufen.

E. Der Presserat wies die Beschwerde der 1. Kammer zu, der Edy Salmina (Kammerpräsident), Luisa Ghiringhelli Mazza, Pia Horlacher, Philip Kübler, Klaus Lange, Sonja Schmidmeister und Francesca Snider (Mitglieder) angehören.

F. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 10. Juli 2008 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Caritas leitet eine Verletzung der Fairnesspflicht aus dem zeitlichen Zusammentreffen der Veröffentlichung der beanstandeten Berichte der «Sonntagszeitung» mit ihrer Jahressammelkampagne ab. Tatsächlich wäre es mehr als unfair, einen kritischen Bericht über eine Organisation bewusst zu einem für diese ungünstigen Zeitpunkt mit dem Ziel zu veröffentlichen, ihr finanziell einen möglichst grossen Schaden zuzufügen. Für eine derartige Absicht ergeben sich aus den Presseratsakten allerdings keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr macht die Beschwerdegegnerin mit plausiblen Argumenten geltend, sie habe sich im Dezember 2007 zur Publikation entschlossen, nachdem Caritas-Direktor Jürg Krummenacher auf ein anonymes E-Mail, welches schwere Vorwürfe gegen die Caritas erhob, mit einem an den gleichen Adressatenkreis gerichteten Rundschreiben reagiert hatte. Dass die «SonntagsZeitung» die Publikation unter diesem Umständen vorzog, ist journalistisch nachvollziehbar. Eine entsprechende Verletzung der Fairnesspflicht ist deshalb zu verneinen.

2. a) Eine Verletzung der Ziffer 3 der «Erklärung» (Unterschlagung wichtiger Informationen/Entstellung von Tatsachen und Dokumenten) sieht die Beschwerdeführerin insbesondere in folgenden Passagen der beiden beanstandeten Medienberichte:

– Die Vorfälle in Indonesien betreffend sexueller Belästigung und mutmasslicher Korruption seien «ohne wirkliche Konsequenzen geblieben» (Artikel vom 2. Dezember 2007).

– «Das katholische Hilfswerk Caritas Schweiz reagiert auf den Korruptionsfall, in das es in Indonesien involviert ist. ‹Wir haben unserem Mitglied Caritas nahegelegt, sein Personalreglement zu erweitern und eine Null-Toleranz-Politik einzuführen›, sagt Anne Schwöbel, Geschäftsführerin von Transparency International Schweiz» (Artikel vom 9. Dezember 2007).

– Die Caritas habe vor Ort in Indonesien eine Vertrauensabstimmung durchgeführt, bei der sich «9 der rund 40 Caritas-Angestellten gegen ihren Chef» ausgesprochen hätten. Dieses «Ergebnis widerspricht Krummenachers Verlautbarungen» (Artikel vom 9. Dezember 2007).

– Der Chefdelegierte in Indonesien habe zwei Frauen sexuell belästigt. Laut Caritas-Direktor Jürg Krummenacher seien die Angestellten vor Ort trotz der Fälle sexueller Belästigung bereit, weiterhin mit dem «Missetäter» zusammenzuarbeiten (Artikel vom 9. Dezember 2007).

– Die Illustration des Artikels vom 9. Dezember 2008 suggeriere schliesslich fälschlicherweise, das Hilfswerk Caritas sei mit dem Wiederaufbau in Indonesien überfordert und korrupt und leiste erst noch schlechte Arbeit.

b) Der Presserat stellt zu diesen Rügen aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen fest, dass die unterschiedlichen Auffassungen der Parteien weniger auf umstrittenen Sachverhalten als vielmehr auf unterschiedlichen Bewertungen beruhen. Währenddem die Caritas findet, sie habe beide Problemfälle (sexuelle Belästigung und Korruption bei Bauauftrag) sorgfältig abgeklärt und angemessene Konsequenzen gezogen, sehen dies die Autoren der beiden «SonntagsZeitung»-Berichte anders. Beim Vorfall der sexuellen Belästigung hätten sie mehr Konsequenzen als einen «blossen» Verweis erwartet, beim Vorwurf der Zahlung von Schmiergeldern im Zusammenhang mit einem Bauprojekt die Einschaltung der Strafjustiz.

Der Presserat hat nicht zu beurteilen, ob die Bewertung der Caritas, die im Übrigen in beiden Berichten angemessen wiedergegeben wird, oder diejenige der «SonntagsZeitung» zutreffender erscheint. Die Kritik der letzteren ist im Rahmen der Kommentarfreiheit berufsethisch jedenfalls dann zulässig, wenn sie für die Leserschaft als Wertung erkennbar war und wenn die Berichte auch die wichtigsten faktischen Grundlagen dieser Wertungen enthielten. Dies ist nach Auffassung des Presserates grösstenteils zu bejahen.

c) Dem Artikel vom 2. Dezember 2007 ist zu entnehmen, worin die dem Chefdelegierten von Caritas in Indonesien vorgeworfene sexuelle Belästigung genau bestand (wiederholte Berührungen an Oberschenkel, Arm und Fuss), dass die Vorwürfe durch Caritas abgeklärt wurden sowie dass dieses Verhalten gegen das interne Reglement gegen sexuelle und sexistische Belästigung verstösst. Weiter erfährt der Leser, dass Caritas dem Chefdelegierten einen Verweis erteilt hat ebenso wie die Kurzbegründung für diese Massnahme. In Bezug auf den Korruptionsvorwurf ist dem Bericht zu entnehmen, im April 2007 habe Caritas festgestellt, «dass zwei indonesische Unternehmen 147 483 Franken an Schmiergeld bezahlt haben (…) ein lokaler Caritas-Mitarbeiter wurde entlassen; die Unternehmen dürfen weiterhin für Caritas tätig sein. ‹Es wäre für uns teurer geworden, die Unternehmer zu wechseln, als mit den bisherigen zusammenzuarbeiten›, gibt Jürg Krummenacher als Begründung an.»

Für die Leserinnen und Leser der «SonntagsZeitung» war es aufgrund dieser Informationen ohne Weiteres möglich, sowohl in den Grundzügen zu verstehen, worum es bei den beiden Problemfällen ging, als auch die von Caritas respektive «SonntagsZeitung» daraus gezogenen unterschiedlichen Schlüsse nachzuvollziehen. Entsprechend hat die Zeitung mit der Publikation des Artikels vom 2. Dezember 2007 Ziffer 3 der «Erklärung» nicht verletzt.

d) Dem Artikel vom 9. Dezember 2008 sind im Vergleich zu demjenigen der Vorwoche nur wenige neue Fakten zu entnehmen. Eingeleitet wird der Artikel mit einem Zitat der Geschäftsführerin von Transparency International Schweiz, wonach dem Mitglied Caritas aufgrund des Korruptionsfalls empfohlen werde, das Personalreglement zu erweitern und eine Nulltoleranzpolitik einzuführen. Danach zitiert die «SonntagsZeitung» nochmals Jürg Krummenacher, wonach Caritas durch den Korruptionsfall «keinen Schaden» genommen habe. Dieser Einschätzung widerspricht ein Korruptionsexperte: «Natürlich ist Caritas geschädigt», weil das Schmiergeld den Bauauftrag verteuert habe. Ebenso geht der Bericht nochmals auf die sexuelle Belästigung von zwei Frauen durch den Chefdelegierten von Caritas in Indonesien ein. Neu erwähnt wird die vor Ort durchgeführte Vertrauensabstimmung, bei der sich «9 der rund 40 Caritas-Angestellten gegen ihren Chef» geäussert hätten, der die Stelle erst im vorangegangenen September von seinem Vorgänger übernommen habe. «Das Ergebnis widerspricht Krummenachers Verlautbarungen: Er hatte behauptet, die Caritas-Angestellten hätten sich übereinstimmend bereit erklärt» weiterhin mit dem Missetäter zu arbeiten, trotz der Fälle sexueller Belästigung. Krummenacher hält
am Chefdelegierten fest, weil dieser ‹gute Arbeit geleistet› habe.»

Soweit die Beschwerdeführerin beanstandet, die «SonntagsZeitung» suggeriere mit dem Zitat der Geschäftsführerin von Transparency International Schweiz, die Caritas sei erst aufgrund des «SonntagsZeitung»-Artikels der Vorwoche tätig geworden, ist die Beschwerde unbegründet. Denn aus dem weiteren Text wird deutlich, dass die aus Sicht der Caritas bei den konkreten Fällen notwendigen Konsequenzen (Verweis an den Chefdelegierten, Entlassung von zwei Mitarbeitern) längst gezogen sind.

Beim Bericht über die Vertrauensabstimmung weicht die Sachverhaltsdarstellung der Parteien wie bereits angeführt voneinander ab. Dies allerdings nur unwesentlich. Die Caritas betont, die Vertrauensabstimmung sei nicht von ihr, sondern aufgrund einer persönlichen Initiative des Chefdelegierten durchgeführt worden. Zudem hätten sich an der Konsultativabstimmung bloss 5 von 48 Personen (4 Personen waren abwesend) negativ geäussert. Die «SonntagsZeitung» wendet dazu ein, bei den vier Abwesenden habe es sich eindeutig um Gegner des Chefdelegierten gehandelt, die klar Nein gestimmt hätten. Zudem habe sie von «rund 40 Personen» geschrieben. Der Presserat ist nicht in der Lage, hier den korrekten Sachverhalt zu ermitteln. So oder so ändert sich aus Sicht der Leserschaft nichts am korrekten Gesamtbild, das von der «SonntagsZeitung» wiedergegeben wurde: Auch wenn die Vertrauensabstimmung in einem Sololauf des Chefdelegierten vor Ort erfolgte, ist es zulässig, von einer Vertrauensabstimmung der Caritas zu schreiben. Und ungeachtet der genauen Abstimmungszahlen geht aus dem Bericht hervor, dass sich eine (kleine) Minderheit der Caritas-Angestellten in Indonesien gegen eine weitere Zusammenarbeit mit dem dortigen Chefdelegierten aussprach.

Ebenso wenig stellt der Bericht nach Auffassung des Presserates zudem den Caritas-Direktor im Zusammenhang mit dieser Abstimmung als Lügner dar. Denn es besteht ein für die Leserschaft nachvollziehbarer Unterschied zwischen der Frage, ob die Mitarbeiter es persönlich vorziehen würden, künftig nicht mit dem in die Kritik geratenen Chefdelegierten zu arbeiten oder ob sie dazu generell nicht mehr bereit sind und deshalb das Arbeitsverhältnis als persönliche Konsequenz unter Umständen von sich aus kündigen würden.

e) Hingegen werden Leserinnen und Leser, die nur den zweiten Artikel vom 9. Dezember 2007 zu Gesicht bekommen, ungenügend über die dem Chefdelegierten vorgeworfenen konkreten Akte sexueller Belästigungen informiert. Denn auch wenn in einem mehrheitlich islamischen Land wie Indonesien diesbezüglich andere, strengere Massstäbe gelten, ist davon auszugehen, dass sich die Leserschaft bei den allgemeinen Umschreibungen «Fälle sexueller Belästigung» und «Missetäter» in Kombination mit dem Vorwurf der «SonntagsZeitung», die Caritas beschränke sich auf eine interne Aufklärung und schalte die Justiz nicht ein, ein gravierenderes Fehlverhalten vorstellte. Um derartige Missverständnisse zu vermeiden, wäre es deshalb angezeigt gewesen, die genaue Natur der sexuellen Belästigung auch im zweiten Artikel mit «Berührungen an Oberschenkel, Arm und Fuss» wiederum genauer zu umschreiben. Entsprechend stellt der Presserat in diesem Punkt eine Verletzung der Ziffer 3 der «Erklärung» fest.

3. Ebenfalls nicht unproblematisch und vom Presserat kontrovers diskutiert erscheint die von der «SonntagsZeitung» für den Bericht vom 9. Dezember 2008 gewählte Illustration, die einen noch nicht sehr weit fortgeschrittenen Rohbau eines Hauses zeigt. Die Bildlegende lautet: «Hilfsprojekt in Indonesien: Caritas-Mitarbeiter waren bei einem Bauauftrag in eine Schmiergeldaffäre verwickelt.» Auch die Beschwerdegegner räumen ein, das Bild sei «als nicht optimal gewählt einzustufen». Das Bild selber enthalte aber keine negative Botschaft und sei für den Gesamteindruck unbedeutend, den die Leserschaft erhalte.

Dieser Standpunkt ist zumindest diskutabel. Der Presserat hat in der Stellungnahme 1/1999 gestützt auf Expertenhearings festgehalten, dass eine Bildaussage nie isoliert, sondern immer im Kontext mit der Bildlegende und dem weiteren Text eines Medienberichts zu interpretieren ist. Entsprechend kann man sich beim Betrachten der von der «SonntagsZeitung» verwendeten Illustration fragen, was das Bild des angefangenen Rohbaus im Kontext mit den im Artikel referierten Vorwürfen bedeuten soll. Gerade auch der Hinweis in der Bildlegende, wonach Caritas-Mitarbeiter bei einem Bauauftrag in eine Schmiergeldaffäre verwickelt waren, löst möglicherweise bei einem Teil der Leserschaft die Vorstellung aus oder wirft zumindest die Frage auf, ob das Geld wegen dieser Schmiergeldaffäre nicht mehr zur Fertigstellung der angefangenen Bauten reichte. Trotzdem ist eine Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» nach Auffassung der Mehrheit des Presserates zu verneinen. Denn die Aussagen des beanstandeten Berichts werden trotz der angesprochenen Interpretationsmöglichkeiten durch das Bild insgesamt weder wesentlich verstärkt noch verfälscht. Allerdings vermittelt die Bildlegende insofern einen offensichtlich falschen Eindruck, als sie suggeriert, auf dem Bild seien Caritas-Mitarbeiter am Werk. Entsprechend wäre es angezeigt gewesen, dieses Missverständnis zu vermeiden, sei es durch eine andere Wortwahl, sei es durch die Kennzeichnung als «Symbolbild». Diese Unterlassung erscheint dem Presserat im konkreten Fall jedoch nicht als gravierend genug, um eine Verletzung der Richtlinie 3.4 (Symboldbilder) zu begründen.

4. Weiter beanstandet die Caritas eine Verletzung der Berichtigungspflicht (Ziffer 5 der «Erklärung»). Allerdings ist der Beschwerdeschrift dazu keine nähere Begründung zu entnehmen. Ohnehin ist in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hinzuweisen, dass zwischen den Parteien weniger die Fakten als solche als vielmehr deren Bewertung umstritten sind.

5. Zu verneinen ist schliesslich auch die gerügte Verletzung der Privatsphäre (Ziffer 7 der «Erklärung») des Chefdelegierten der Caritas in Indonesien und dessen Vorgängers. Zur Nennung des Namens des Vorgängers im Bericht vom 9. Dezember 2007 kann die «SonntagsZeitung» anführen, dass diese dem expliziten Wunsch des Betroffenen entsprach. Hinzu kommt, dass neben dieser Einwilligung des Betroffenen auch eine zweite der in der Richtlinie 7.6 (Namensnennung) zur «Erklärung» angeführten Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Nennung bzw. identifizierende Berichterstattung erfüllt ist. Beim Vorwurf der sexuellen Belästigung geht es nicht um eine reine Privatangelegenheit. Vielmehr haben die Handlungen einen offensichtlichen Bezug zur beruflichen Tätigkeit des Chefdelegierten. Dieser nimmt zudem eine leitende Tätigkeit in einer Organisation wahr, die mit öffentlichen Geldern und Spenden arbeitet und entsprechend gegenüber der Öffentlichkeit verstärkt zur Rechenschaft verpflichtet ist.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Die «SonntagsZeitung» hätte die genaue Natur der sexuellen Belästigung («Berührungen am Oberschenkel, Arm und Fuss») auch im zweiten Artikel vom 9. Dezember 2007 ausführen sollen, um die Leserschaft in die Lage zu versetzen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Insoweit hat die Zeitung Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Unterschlagung wichtiger Informationen) verletzt.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.

4. Die «SonntagsZeitung» hat weder das Fairnessprinzip und die Ziffern 5 (Berichtigungspflicht), 7 (Privatsphäre) verletzt noch die weiteren beanstandeten Verstösse gegen Ziffer 3 der «Erklärung» (Unterschlagung/Entstellung wichtiger Informationen, Symbolbilder, Anhörung bei schweren Vorwürfen) begangen.